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Die Zillmerung (auch Zillmer-Verfahren, Zillmerungs-Verfahren) ist eine mathematische Formel zur Berechnung des wirtschaftlichen Wertes der Verpflichtung, die ein Versicherer aus einem Lebensversicherungsvertrag hat. Sie ist ein vereinfachtes Berechnungsverfahren, das daher nur bei bestimmten einfach gestalteten Lebensversicherungen anwendbar ist. Die Zillmerung ist in einigen Ländern, insbesondere Mitteleuropas, für die Bestimmung der Deckungsrückstellung in der Bilanz des Jahresabschlusses eines Versicherers für solche Lebensversicherungen zugelassen. Mit dem Begriff „Zillmerung“ wird teilweise auch der Umstand bezeichnet, dass der wirtschaftliche Wert eines Lebensversicherungsvertrages in der ersten Zeit deutlich unter der Summe der bereits gezahlten Beiträge liegt. Der Begriff wird in diesem Sinne ohne Rücksicht darauf verwendet, ob der Vertragswert tatsächlich mit der mathematischen Formel der Zillmerung oder einer anderen Formel zur Bestimmung des Vertragswertes ermittelt wurde. Der Begriff bezieht sich hier auf eine Eigenschaft des wirtschaftlichen Wertes, nicht auf die mathematische Vorgehensweise bei der Berechnung. Im Schrifttum wird oft nicht zwischen beiden Bedeutungen differenziert.
Zweck der Zillmerung
Die Zillmerung wird hauptsächlich verwendet, um die Deckungsrückstellung bestimmter einfacher Lebenversicherungsverträge für die Bilanz des Jahresabschlusses des Versicherers zu berechnen. Ziel ist es dabei, durch das entsprechend einfache Verfahren den Wert eines solchen Vertrages mit sehr geringem technischen Aufwand dennoch zutreffend zu bestimmen. Damit konnten die erforderlichen Berechnungen in der Zeit vor Verfügbarkeit von Computern bei erheblich reduzierten Aufwand auf dem Papier durchgeführt werden.
Anwendungsbereich
Die Zillmerung kann nur bei sehr einfachen Lebensversicherungsverträgen (konventionelle Risikolebensversicherungen, gemischten Lebensversicherungen und Rentenversicherungen mit fest vereinbarter Höhe der Leistungen) mit über die ganze Vertragsdauer erfolgender jährlicher Beitragszahlung verwendet werden. Weiter dürfen Kosten nur einmalig zu Beginn und gleichmäßig über die Vertragslaufzeit verteilt anfallen. Bei Verträgen mit ungleichmäßiger Beitragszahlung oder ungleichmäßig über die Vertragsdauer verteilten Kosten ist die Zillmerung nicht geeignet. Für die Krankenversicherung gibt es ähnliche Formeln.
Geschichtliche Entwicklung der Zillmerung
Die Formel ist nach dem Versicherungsmathematiker August Zillmer (1831–1893) benannt, der sich besonders für deren Verwendung einsetzte. Die vereinfachende Methodik der Zillmerung war aber schon vor Zillmer im Gebrauch, aber in der Anwendung umstritten. Zillmer verbesserte sie so, dass sie für bestimmte Fälle als angemessene Näherung für den Wert des Vertrages allgemein anerkannt wurde. Hintergrund für die spezifische Ausgestaltung der Zillmerung war das Aufkommen anfänglich einmalig zu zahlender Provisionen in der Lebensversicherung. Zuvor wurden die Provisionen üblicherweise über die (gesamte) Laufzeit verteilt gezahlt. Die bis dahin üblichen Verfahren bewerteten die Verpflichtung des Versicherers für die Bilanz im Fall der einmaligen Provisionen nicht angemessen. [1] [2]
Wesentlich war, dass die Zillmerung genauso wie die vorherigen Verfahren, trotz deren Verfeinerung, mit relativ wenigen Rechenschritten auskommt. Dies war vor der Verfügbarkeit von Computern für eine weitere Verbreitung von Lebensversicherungsverträgen unabdingbar. Damit entsprach das Verfahren zum damaligen Zeitpunkt sowohl der technischen und wie auch der wirtschaftlichen Realität. Schon das 1901 verabschiedete deutsche Versicherungsaufsichtsgesetz erlaubte die Anwendung der Zillmerung bei der Bestimmung der Deckungsrückstellung. Andere Länder folgten bald. Durch den 1. Weltkrieg beschränkte sich die umfassende Verwendung der Zillmerung aber auf Mitteleuropa. Im Rest der Welt nahmen die versicherungsmathematischen Methoden lange eine andere Entwicklung, bei der der Wert des Vertrages durch zwei oder noch mehr Bilanzposten in Kombination dargestellt wurde. [3] In jüngster Zeit nähert sich die Vorgehensweise durch das Versicherungsprojekt des IASB [4] wieder der Grundidee der Zillmerung an. Durch die modernen Computer ist aber die Notwendigkeit die Rechenschritte zu minimieren praktisch entfallen. Daher können heute deutlich präzisere und flexiblere Verfahren angewandt werden, mit denen jede gewünschte Vertragsgestaltung abgebildet werden kann. Die Zillmerung ist daher inzwischen technisch überholt. Für seit den Zeiten Zillmers übliche einfache Verträge wird sie allerdings auch heute noch umfassend verwendet, da es bisher keinen Grund gibt, die wesentlich aufwändigeren modernen Systeme einzuführen. Die weitere Entwicklung der Vorschriften zur Solvabilität und zur Rechnungslegung lassen aber vermuten, dass die Zillmerung zukünftig in der Praxis verschwinden wird.
Der mittels der Zillmerung zu bestimmende Wert der Verpflichtung eines Vertrages
Mit der Zillmerung soll der wirtschaftliche Wert der Verpflichtung eines Versicherers aus einem Lebensversicherungsvertrag bestimmt werden. Der wirtschaftliche Wert einer Verpflichtung aus einem Vertrag bestimmt sich allgemein durch folgende Formel (§ 341f HGB):
Wirtschaftlicher Wert = heutiger Wert der zukünftigen Ausgaben auf Grund des Vertrages, hier also insbesondere die zukünftigen erwarteten Versicherungsleistungen und Kosten, vermindert um den heutigen Wert der zukünftigen Einnahmen auf Grund des Vertrages, also hier die vertraglichen Beiträge
Der heutige Wert der Verpflichtung entspricht also dem Wert der zukünftigen Ausgaben auf Grund des Vertrages, soweit sie nicht noch durch zukünftige Einnahmen aus dem Vertrag gedeckt werden. Der heutige Wert von zukünftigen Zahlungen bestimmt sich als Barwert dieser Zahlungen. Bei unsicheren zukünftigen Zahlungen sind diese versicherungsmathematisch mit ihrer Wahrscheinlichkeit zu gewichten.
Diese wirtschaftliche Betrachtung entspricht der mathematischen Vorgehensweise, die in der Mathematik als prospektives Verfahren bezeichnet wird. Das prospektive Verfahren berücksichtigt sämtliche zukünftigen Zahlungen (Ein- und Auszahlungen) unter dem Vertrag und dies mit dem erwarteten Wert. Dabei werden die zukünftigen Zahlungen auf den Berechnungstermin, für Zwecke der Rechnungslegung der Bilanzstichtag, abgezinst.
Die Bestimmung des Wertes der Verpflichtung aus einem Lebensversicherungsvertrag erfordert also die Berücksichtigung von sehr vielen, oft in weiter Zukunft liegenden und zugleich sehr unsicheren Zahlungen. Die möglichst präzise mathematische Umsetzung erfordert umfangreiche Annahmen sowie Schätzungen und beinhaltet eine sehr große Zahl von Rechenschritten. Diese können auch heute nur mit leistungsfähigen Computern durchgeführt werden. Insbesondere werden häufig stochastische Modelle benötigt. Die Zillmerung ist eine Formel, die das sehr aufwändige prospektive Verfahren durch Vereinfachungen auf relativ wenige Rechenschritte reduziert, die auch ohne Computer in angemessener Zeit durchgeführt werden können. Sie reduziert aber auch bei der Verwendung von Computern die Komplexität und damit den Rechenaufwand und die Fehleranfälligkeit.
Der Fall eines negativen Wertes der Verpflichtung in der Anfangszeit des Vertrages
Ein Versicherer ist gesetzlich verpflichtet, die Beiträge mit dem Kunden wenigstens so hoch zu vereinbaren, dass diese alle Ausgaben, die erwartungsgemäß durch den Vertrag entstehen werden, decken können (z.B. in Deutschland durch § 11 Abs. 1 VAG bestimmt). Der heutige Wert der erwarteten Ausgaben ist bei Vertragsabschluss also nicht höher, als der heutige Wert der zukünftigen Beiträge. Damit ist bei Vertragsabschluss der wirtschaftliche Wert der Verpflichtung, also die Differenz beider Zahlen, des Versicherers grundsätzlich negativ. Dabei sind die Beiträge so vorsichtig bestimmt, dass der Versicherer erwartet, auch bei der als am ungünstigsten angenommen Entwicklung nicht nur alle Ausgaben decken zu können sondern auch noch einen Überschuss zu erzielen. Bei den meisten Verträgen werden weltweit die bei einer tatsächlich günstigeren Entwicklung zu viel erhobenen Beiträge zum überwiegenden Teil den Versicherungsnehmern als Beitragsrückerstattung erstattet.
Direkt bei Vertragsabschluss erfolgen schon erste Zahlungen. Denn bei Vertragsbeginn muss der erste Beitrag gezahlt werden (z.B. in Deutschland durch § 33 VVG bestimmt), damit erfolgt sofort schon die erste der erwarteten Einnahmen. Doch ist der Abschluss des Vertrages und der Einzug des ersten Beitrags gleichzeitig auch mit ersten Ausgaben verbunden. Insbesondere muss, falls der Vertrag über einen Versicherungsvertreter vermittelt wurde, diesem die mit ihm vereinbarte Provision gezahlt werden (z.B. in Deutschland durch § 92 Abs. 4 HGB bestimmt). Durch beides ändert sich in der nachfolgenden Berechnung der Wert der danach noch verbleibenden zukünftigen Einnahmen und Ausgaben, da einige davon schon erfolgt sind.
Meist sind die sofort zu Beginn erfolgenden Ausgaben höher als die erste Einnahme. Dadurch mindert sich der Wert der Verpflichtung aus Sicht des Versicherers gegenüber der zuvor beschriebenen Situation unmittelbar bei Vertragsabschluss. Da der Werte der Verpflichtung jedoch wie oben beschrieben bereits kleiner als Null war, ist der Wert der Verpflichtung nach dieser ungleichen Minderung der noch zu berücksichtigenden zukünftigen Ausgaben und Einnahmen jetzt auf jeden Fall (meist deutlich) negativ.
Der Wert der Verpflichtung von Lebensversicherungsverträgen verbleibt daher nach Vertragsabschluss rechnerisch meist für eine ganze Weile negativ. Dies gibt die wirtschaftliche Situation aus Sicht des Versicherers wieder. Der Versicherer hat schon mehr Ausgaben getätigt, als er Einnahmen durch den Vertrag erzielt hat. Er erwartet aber, dass die zukünftigen Beiträge nicht nur die erwarteten zukünftigen Ausgaben sondern auch diese bereits erfolgte anfängliche Mehrausgabe decken werden. Auch wenn dies wirtschaftlich als Verpflichtung und damit negativ gebucht wird, erwartet der Versicherer aber eigentlich zukünftig Deckungsbeiträge, also Einnahmen.
Bilanzielle Berücksichtigung negativer Werte der Verpflichtung
Ist der Wert einer Verpflichtung schon direkt bei Vertragsabschluss negativ, ist die Rückstellung für die Verpflichtung mit Null anzusetzen, da negative Rückstellungen bilanziell nicht zulässig sind. Grundsätzlich darf in dieser Höhe auch keine Forderung angesetzt werden. Denn der durch den negativen Wert repräsentierte erwartete Überschuss aus dem Vertrag darf nur entsprechend der Vertragserfüllung, nicht schon vorab bei Abschluss des Vertrages angesetzt werden (Realisationsprinzip).
Anders ist dies wenn der Wert der Verpflichtung direkt nach Vertragsabschluss durch erfolgte Ausgaben sinkt. Der Versicherer hat in dem Fall die Erwartung, dass bereits getätigte Ausgaben in der Zukunft durch Erträge (Einnahmen) aus dem Vertrag gedeckt werden. Dieser wirtschaftliche Hintergrund wird auch in der Rechnungslegung berücksichtigt. Denn die Erwartung auf zukünftige, diese anfänglichen Ausgaben deckenden Einnahmen wird als Forderung bilanziert, obwohl schuldrechtlich keine Forderung auf die zukünftigen Beiträge besteht. Durch die Bilanzierung der erwarteten Beiträge ist die Erfolgsrechnung im Jahresabschluss trotz Zahlung der anfänglichen Ausgaben ausgeglichen. [5] Ohne dieses Vorgehen würde ein Versicherer einen neuen, wirtschaftlich als profitabel kalkulierten Vertrag erst einmal als Verlustgeschäft ausweisen müssen. Dies wäre keine den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Information über diese Transaktion für die Leser des Jahresabschlusses. In diesem Ausnahmefall ist es daher zulässig, eine schuldrechtlich nicht bestehende Forderung dennoch in der Bilanz auszuweisen.
Die Deckungsrückstellung ist so eine ganze Zeit lang niedriger als die Summe der schon gezahlten Beiträge, falls sie nicht sogar Null ist und eine Forderung ausgewiesen wird. Dies ergibt sich immer, wenn die ersten Beiträge die anfänglichen Ausgaben übersteigen. Das verwendete (zulässigen) Verfahren zur Ermittlung der Deckungsrückstellung spielt dabei keine Rolle. Da die Zillmerung jedoch lange Zeit das übliche Verfahren war, ist dieser Umstand oft mit dem Begriff „Zillmerung“ umschrieben worden, obwohl es nicht eine besondere Eigenart des Verfahrens der Zillmerung selbst ist, sondern des durch die besonderen Umstände bewirkten wirtschaftlichen Wertes des Vertrages.
Die Zillmerung
Bedarf nach einem Näherungsverfahren
Das prospektive Verfahren ist sehr aufwändig, insbesondere da sehr viele mögliche Ausgaben und Einnahmen mit ihrer Wahrscheinlichkeit gewichtet berücksichtigt werden müssen. Die Berechnungen müssen für alle (oft hunderttausende) Verträge eines Versicherers einzeln durchgeführt werden (z.B. in Deutschland durch § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB bestimmt). Daher haben Mathematiker vor der Verfügbarkeit von Computern versucht, die Berechnung durch Näherungsverfahren zu vereinfachen (z.B. in Deutschland durch § 341e Abs. 3 HGB erlaubt) und so den Aufwand für die Berechnung und die Fehleranfälligkeit zu mindern.
Im ersten Schritt wurde versucht, die Anzahl der erforderlichen Rechenschritte zu senken. Dies geschah durch geeignete Zusammenfassung von Zwischenergebnissen, die man nur einmal berechnen, dann in Tabellen festhalten und immer wieder neu verwenden konnte. Diese Zwischenergebnisse werden in der traditionellen Versicherungsmathematik als Kommutationswerte bezeichnet. In der traditionellen Versicherungsmathematik bestanden alle Berechnungen aus einer Verknüpfung solcher tabellierten Zwischenergebnisse, so auch die Zillmerung. Die Verwendung solcher Kommutationswerte ist aber keine Näherung, sondern führt zum exakten Ergebnis. Kommutationswerte können aber nur verwendet werden, wenn die Verträge sehr einfach gestaltet sind.
Doch reichte auch diese wesentliche Senkung der Rechenschritte selbst bei umfassender Anwendung von Tabellen nicht aus, um eine Berechnung von Hand im Massengeschäft zu ermöglichen. Im einem zweiten Schritt wurden die Formeln darüber hinaus noch durch Näherungen vereinfacht. Während die sehr einfachen Leistungen sich gut durch Kommutationswerte darstellen ließen und hier auch nichts weiter vereinfacht werden konnte, bedeutete die Berücksichtigung der zukünftigen Ausgaben für eigene Kosten der Versicherers (für Vertragsabschluss und -verwaltung) einen unangemessen hohen technischen Aufwand. Denn die Kommutationswerte können nur Aufwendungen abdecken, die proportional zur Versicherungssumme sind. Dies gilt natürlich für die Leistungen, die in Höhe der Versicherungssumme erbracht werden, nicht aber für die Kosten. Für diese wären zusätzliche Berechnungen erforderlich. Daher ignorierte man zur Vereinfachung einfach alle Ausgaben für zukünftige Kosten in der Berechnung.
Doch ergibt sich damit ein viel zu niedriger Wert, denn die den Ausgaben gegenüber stehenden Beiträge decken auch die Kosten mit ab. Während der korrekte Wert Leistungen + Kosten - Beiträge ist, ist Leistungen - Beiträge viel zu niedrig und vor allem viel zu lange negativ. Die negativen Werte junger Verträge wurden sogar einfach mit den positiven Werten älterer Verträge saldiert, so dass die Versicherer kaum Rückstellungen gebildet haben. Diese Vorgehensweise war international weit verbreitet, brachte die Versicherer aber in wirtschaftliche Gefahr, wenn zu viele junge Verträge gekündigt wurden. In Deutschland und einigen anderen Ländern wurde daher diese Vorgehensweise verboten. Als Alternative verringerte man die Beiträge allein für Zwecke der Berechnung künstlich auf den Wert, der zur Deckung nur der Leistungen reichte, den sogenannten Netto-Beitrag. Dies war zielführend bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts anfängliche Abschlussprovisionen statt ausschließlich laufender Kosten aufkamen. Für solche Fälle war der sich ergebende Wert nun aber viel zu hoch. Dies konnten sich nur etablierte Versicherer leisten und führte dazu, dass die Neugründung von Versicherern kaum noch möglich war. Daher begann die Suche nach einem einfachen Verfahren, dass den Wert der Verpflichtung stets annähernd richtig bestimmte.
Das Näherungsverfahren der Zillmerung
Zillmer suchte den richtigen Wert zwischen den beiden üblichen Verfahren, in dem er den vertraglichen Beitrag nicht ganz so stark verringerte bzw. den Netto-Beitrag etwas erhöhte, zum sogenannten Zillmerbeitrag oder gezillmerten Netto-Beitrag, so dass sich näherungsweise der richtige Wert der Verpflichtung ergab, auch wenn anfängliche Abschlusskosten anfielen. Denn Leistungen + Kosten - Beiträge entspricht etwa Leistungen - Zillmerbeitrag. Der Unterschied zwischen dem Zillmerbeitrag und dem vertraglichen Beitrag ist der Kostenzuschlag im Beitrag, der etwa den erwarteten zukünftigen Kosten entspricht. Lässt man beide weg, ändert sich das Ergebnis kaum. Dieses Weglassen des Kostenzuschlags und der zukünftigen Kosten ist die eigentliche mathematische Sicht und wird als implizite Berücksichtigung der Kosten bezeichnet. Hingegen wurde aus damaliger deutscher Sicht etwas zum Netto-Beitrag hinzugefügt und man nannte dies nach Zillmer eigentlich abfällig gemeint zillmern und den Vorgang sogar Zillmerei. Grund für die ablehnende Haltung in Deutschland war, dass die etablierten Versicherer kein Interesse an neugegründeten Konkurrenten hatten und daher den Eindruck erweckten, die Zillmerung würde zu ähnlich zweifelhaften Ergebnissen führen, wie das Verfahren mit dem vollen Beitrag. Der Methodenstreit über die Zillmerung ging von 1863 über fast 40 Jahre, bis die Zillmerung endgültig gesetzlich anerkannt war.
Je nach Art und erwartetem Zeitpunkt der Versicherungsleistungen sieht die Formel sehr unterschiedlich aus. [6]
Zillmerung und Abschlusskosten
Bei der Zillmerung werden die gleichmäßig über die Vertragsdauer anfallenden Kosten bei den Ausgaben und der zur Deckung dieser Kosten vorgesehene Beitragsteil bei den Einnahmen ausgelassen. Dies sind im Normalfall die Verwaltungskosten (im Sprachgebrauch der Rechnungslegung Verwaltungsaufwendungen, in Deutschland beschrieben in § 43 Abs. 3 RechVersV), und der sogenannte Verwaltungskostenzuschlag der Beiträge. Damit verbleibt in der Formel der Zillmerung im Rahmen der berücksichtigten zukünftigen Einnahmen als Kostenzuschlag nur noch der sogenannte Abschlusskostenzuschlag, der zur Deckung der Abschlusskosten (im Sprachgebrauch der Rechnungslegung Abschlussaufwendungen, in Deutschland beschrieben in § 43 Abs. 2 RechVersV) dient. Diese Hervorhebung des Abschlusskostenzuschlags hat den Eindruck hervorgerufen, bei der Zillmerung gehe es eigentlich um die Abschlusskosten. Tatsächlich werden nur zur Vereinfachung die Verwaltungskosten und die diese deckenden Zuschläge weggelassen, ohne dass sich das Ergebnis dadurch wesentlich ändert. Daher gilt im Sprachgebrauch die Zillmerung als Synonym für den Umstand, dass der Wert der Verpflichtung des Versicherers auf Grund der prospektiv berücksichtigten Abschlusskostenzuschläge eine ganze Zeit lang niedriger ist als die Summe der bereits gezahlten Beiträge. Tatsächlich werden bei allen Verfahren, mit denen der wirtschaftliche Wert eines Vertrages berechnet werden kann, zukünftige Einnahmen, die bereits erfolgte Ausgaben decken, antizipiert. Dies ist ein definierendes Merkmal eines prospektiven Verfahrens. Es handelt sich hierbei also nicht um eine Eigenschaft des Näherungsverfahrens „Zillmerung“ sondern um eine allgemeingültige wirtschaftliche Eigenschaft eines Vertragswertes.
Lösung des Problems der anfänglich negativen Vertragswerte
Zillmer löste das Problem der anfänglich negativen Vertragswerte durch den Vorschlag, den Abschlusskostenzuschlag so zu begrenzen, dass spätestens am Ende des ersten Versicherungsjahres der Wert des Vertrages positiv war. Für einen durchschnittlichen Vertrag berechnete er einen Satz von 1,25% der Versicherungssumme als Grenze. Eine solche Grenze (Höchstzillmersatz) wurde später in den verschiedenen Staaten, in Deutschland 1901, gesetzlich so vorgesehen. Doch existierte das Problem eigentlich schon Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr. Denn das Problem stellte die Saldierung positiver Deckungsrückstellungen mit negativen Werten dar. Dies ist aber in der modernen Rechnungslegung wegen des Saldierungsverbots gar nicht zulässig. Die negativen Werte können höchstens gesondert als Forderung ausgewiesen werden. Da zugleich, in Deutschland ebenso ab 1901, die (positiven) Deckungsrückstellungen mit qualifizierten Kapitalanlagen zu bedecken waren, konnte es nicht mehr zu einer Saldierung oder bilanziellem Ausgleich kommen. Daher war die von Zillmer 1863 vorgeschlagene Begrenzung eigentlich schon obsolet, als die Zillmerung allgemein zugelassen wurde. Sie Grenze wurde aber beibehalten, um Versicherer wirtschaftlich an der Zahlung zu hoher Abschlussprovisionen zu hindern. Dies hatte also nichts mehr mit der Zillmerung selbst zu tun.
Rechtsgrundlagen der Zillmerung in der EU und am Beispiel Deutschlands
Da das Näherungsverfahren der Zillmerung die Deckungsrückstellung grundsätzlich erhöht, ist es ohne weiteres nicht zulässig. Denn Rückstellungen dürfen nach handelsrechtlichen Grundsätzen nicht über die notwendige Vorsicht hinaus überbewertet werden. Daher bedarf es einer rechtlichen Erlaubnis, durch Weglassen der Verwaltungskosten bei den Ausgaben und des diese übersteigenden Verwaltungskostenzuschlags bei den Einnahmen in dem gesetzlich vorgeschriebenen prospektiven Verfahren die Deckungsrückstellung unnötig zu erhöhen. Grundlage für den Jahresabschluss eines deutschen Versicherers ist EU-Recht. Aus handelsrechtlicher Sicht erlaubt Art. 18 Abs. 2 der EU-Richtlinie 91/674/EWG die Zillmerung. Da der Jahresabschluss eines deutschen Versicherers neben dem normalen handelsrechtlichen Berichtszweck auch als Grundlage für die auf Vorsicht ausgerichtete Solvbilitätsbestimmung, die in der EU harmonisiert sind, gelten hier auch die diesbezüglichen EU-Vorschriften. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchstabe E der EU-Richtlinie 2002/83/EG ist eine solche Erhöhung durch Weglassen der Verwaltungskosten, das sogenannte implizite Verfahren zulässig. Diese Erlaubnis des impliziten Verfahrens wird im deutschen Recht in § 25 Abs. 1 RechVersV umgesetzt. [7] Statt des Begriffs implizites Verfahren wird der synonyme deutsche Begriff Zillmerungsverfahren verwendet. Durch diesen Verweis auf europäisches Recht wird dieser sonst im deutschen Recht nicht verbindlich definierte Begriff definiert.
Berücksichtigung bei der Berechnung der Deckungsrückstellung sich ergebender negativer Werte als Forderung
Der in § 4 Abs. 1 DeckRV erwähnte Ansatz einer Forderung auf Ersatz der geleisteten, einmaligen Abschlusskosten, deren Ausweis nach § 15 RechVersV in der Bilanz als noch nicht fällige Forderungen erfolgt, ist nicht spezifisch für die Verwendung der Zillmerung bei der Berechnung der Deckungsrückstellung, sondern ergibt sich genauso bei dem prospektiven Verfahren und jedem anderen zulässigen Verfahren. Der Ansatz dieser Forderung erfolgt unabhängig davon, mit welcher (zulässigen) Methode die Deckungsrückstellung bestimmt wird und beruht auf allgemeinen handelsrechtlichen Grundsätzen.
Nach allgemeinen handelsrechtlichen Grundsätzen dürfen zur Deckung bereits angefallener Aufwendungen zukünftig auf Grund vertraglicher Vereinbarungen erwartete Einnahmen im Fall eines teilerfüllten schwebenden Geschäftes als Forderung angesetzt werden, aber nur bis zur Höhe der tatsächlich angefallenen Aufwendungen. Voraussetzung für das Vorliegen eines teilerfüllten schwebenden Geschäftes ist, dass die Geschäftstätigkeit, in deren Rahmen die Aufwendungen anfielen, vertraglich Bestandteil des Vertrages ist und dass die erwarteten vertraglichen Einnahmen vertraglich auch als Entgelt für diesen Vertragsbestandteil vorgesehen sind. Hier muss also der Vertrag bestimmen, dass die Abschlusstätigkeiten des Versicherers im Rahmen des Vertrages erfolgen und dass die Beiträge auch ein Entgelt für diese Tätigkeiten sind. Dann darf der sich ein bei der Berechnung der Deckungsrückstellung ergebender negativer Wert als Forderung angesetzt werden.
Höchstzillmersatz
Durch das prospektive Verfahren und alle anderen zulässigen Verfahren werden zukünftige vertragliche Beiträge schon vorab bilanziell berücksichtigt, um in der Erfolgsrechnung die bereits angefallen Abschlusskosten ausgleichen zu können. Doch ist der Versicherungsnehmer nicht verpflichtet, zukünftig diese Beiträge zu zahlen (§ 165 Abs. 1 VVG). Dadurch fällt die in der Höhe angesetzte Forderung bei Beendigung der Beitragszahlung durch den Versicherungsnehmer sofort aus. Der dadurch entstehende Verlust kann zwar nicht seinen Bestand gefährden, aber er mindert die Überschüsse für die Eigentümer und für die Gemeinschaft der Versicherungsnehmer. Weiter erleichtert die bilanzielle Berücksichtigung solcher Beträge vor deren Zahlung dem VU wirtschaftlich die Zahlung von Abschlussprovisionen. Um beides zu begrenzen, wird im Rahmen der staatlichen Aufsicht, also der gesellschaftlichen Kontrolle, nicht der Rechnungslegung, die Berücksichtigung von Beiträgen vorab begrenzt, durch den sogenannten Höchstzillmersatz. Er wird durch § 4 DeckRV festgelegt und beträgt ab dem 1.1.2015 2,5% der Summe der vertraglichen Beiträge. Damit dürfen in der Deckungsrückstellung bzw. in der Forderung nur in diesem Umfang zukünftige Beiträge vorab berücksichtigt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zillmerung angewandt wird oder nicht. Der Höchstzillmersatz ist ebenso bei der Bestimmung des Rückkaufswertes nach § 169 Abs. 3 VVG zu berücksichtigen. Dort ist das Verfahren der Zillmerung wegen der Ausgestaltung ohnehin nicht anwendbar. Da die deutsche Aufsicht nicht über ausländische Versicherer bestimmen kann, gilt diese Vorschrift nicht für Versicherer mit Sitz im Ausland. Ausländische Versicherer dürfen also bei in Deutschland abgeschlossenen Verträgen Rückkaufswerte vereinbaren, bei denen ohne Einschränkung zukünftige Beiträge vorab berücksichtigt werden.
Die DeckRV bestimmt nur die Begrenzung der Berücksichtigung zukünftiger Beiträge. Sie definiert und regelt hingegen die Zillmerung selbst nicht, sondern beschreibt sie nur zur Erläuterung der Problematik, die zur rechtlichen Festsetzung eines Höchstzillmersatzes führte. [8]
„Gezillmerte Rückkaufswerte“
Mit dem Begriff „Zillmerung“ wird teilweise auch das Phänomen verbunden, dass der wirtschaftliche Wert eines Lebensversicherungsvertrages in der ersten Zeit deutlich unter der Summe der bereits gezahlten Beiträge liegt, auch wenn dies als wirtschaftliche Realität nicht durch das Verfahren begründet ist, mit dem der wirtschaftliche Wert bestimmt wird. Dies ist also keine spezifische Folge der Anwendung des zuvor beschriebenen mathematischen Verfahrens der Zillmerung, sondern ergibt sich bei jedem Verfahren, das zur Bestimmung des wirtschaftlichen Werts geeignet ist. Insofern hat der Begriff Zillmerung gelegentlich eine alternative Bedeutung statt der Bezeichnung eines mathematischen Verfahrens als Bezeichnung für ein bestimmtes Phänomen eines wirtschaftlichen Wertes.
Da dieses Phänomen entsprechend bei den vor 1994 auf Basis der Deckungsrückstellung bzw. bis 2007 durch den Zeitwert bestimmten Rückkaufswerten auftrat, wurden diese auch als „gezillmerte Rückkaufswerte“ bezeichnet, ohne dass es von Bedeutung war, mit welchem mathematischen Verfahren die Grundwerte zur Bestimmung berechnet wurden, also ob sie mit dem Näherungsverfahren der Zillmerung oder dem allgemeinen prospektiven Verfahren bestimmt wurden. Gesetzliche Grundlage für den Rückkaufswert war von 1994 bis 2007 ausdrücklich der Zeitwert (§ 176 Abs. 3 VVG in der Fassung von 1994 bis 2007), also der wirtschaftliche Wert.[9] Dieser ist stets mit dem prospektiven Verfahren zu bewerten und ist damit eher noch niedriger, als der vorsichtig anzusetzende Wert der Deckungsrückstellung. [10] In der Diskussion um den Rückkaufswert geht es nicht um die Frage, ob das Näherungsverfahren „Zillmerung“ verwendet wird oder nicht. Vielmehr geht es um die sich aus dem oben beschriebenen Phänomen des wirtschaftlichen Wertes ergebende Konsequenz, dass der Rückkaufswert anfänglich eine ganze Zeit deutlich niedriger als die bereits gezahlten Beiträge ist. Dem steht eine Sichtweise entgegen, nach der der Rückkaufswert sich an der Summe der bereits gezahlten Beiträge ausrichteten soll.[11]
Der Rückkaufswert eines Lebensversicherungsvertrages musste bis 1994 laut Gesetz analog zur Deckungsrückstellung vereinbart werden. Bis 2008 konnte vertraglich vereinbart werden, dass der Rückkaufswert, zugunsten der Versicherungsnehmer von dem gesetzlichen Mindestwert, dem (wirtschaftlichen) Zeitwert, abweichend, analog zum handelsrechtliche bestimmten Wert, also der Deckungsrückstellung, bestimmt wurde. [12]. Da diese Werte aber üblicherweise mit der Zillmerung bestimmt wurden, stand die Zillmerung im mathematischen Sinne mittelbar auch mit dem Rückkaufswert von vor 2008 abgeschlossenen Verträgen in Verbindung.
Seit 2008 kann der Rückkaufswert nicht mehr ohne weiteres auf der Basis der Deckungsrückstellung, also dem nach handelsrechtlichen Gründsätzen bestimmten wirtschaftlichen Wert der Verpflichtung des Versicherers, oder dem wirtschaftlichen Zeitwert vereinbart werden. Nach dem Gesetz sind im Rückkaufswert die Abschlusskosten in Höhe der kalkulatorischen Abschlusskostenzuschläge der Beiträge wenigstens auf 5 Jahre verteilt im heutigen Wert der Ausgaben anzusetzen. (§ 169 Abs. 3 VVG) Diese Berechnung des Rückkaufswertes ist mit dem Verfahren der Zillmerung nicht erreichbar. Das sehr einfache Näherungsverfahren der Zillmerung kann nur dann angewandt, wenn die Abschlusskosten vollständig bei Vertragsbeginn anfallen. Dennoch ist der Rückkaufswert anfangs immer noch niedriger (wenn auch nicht ganz so viel) wie die Summe der jeweils schon gezahlten Beiträge und daher wird umgangssprachlich immer noch im oben beschriebenen Sinn von „Zillmerung“ gesprochen, wenn auf das Phänomen Bezug genommen wird, dass die Rückkaufswerte kleiner sind als die bislang gezahlten Beiträge.
Literatur
- Rechnungslegung und Prüfung der Versicherungsunternehmen, IDW Verlag GmbH, 2011, 5. Auflage, S. 96 ff
Einzelnachweise
- ↑ Zillmer, Beiträge zur Theorie der Prämienreserve bei Lebens-Versicherungs-Anstalten, Verlag von Th. von der Rahmen, Stettin 1863, S. 23 f
- ↑ Heym, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Verlag Fischer, Bd. V 1882, S. 210 f
- ↑ Engeländer, Die wirtschaftliche Theorie der Deckungsrückstellung nach U.S.-GAAP, Versicherungswirtschaft, 1997, S. 45
- ↑ http://www.ifrs.org/Current-Projects/IASB-Projects/Insurance-Contracts/Pages/Insurance-Contracts.aspx
- ↑ Faigle/Engeländer, Versicherungswirtschaft 2001, S. 1570
- ↑ Zillmer, Die mathematischen Rechnungen bei Lebens- und Renten-Versicherungen, Nicolaische Verlags-Buchhandlung, Berlin 1887, 2. Aufl., S. 112 ff
- ↑ Bundesrats-Drucksache 823/94, S. 123f
- ↑ Bundesrats-Drucksache 114/96, S. 10
- ↑ BT-Drs. 12/6959, S. 103
- ↑ Engeländer, NVersZ 2002, S. 436
- ↑ BVerfG 1 BVR 1317/96 Rdnr. 65
- ↑ BVerfG 15. Februar 2006 - 1 BvR 1317/96 - NJW 2006, 1783