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Ernst Kragewitz (undatiert)

Friedrich Ernst August Kragewitz, (* 27. Januar 1884 in Lüderitz, Namibia; † 4. Juni 1937 in Norilsk, Russland), war ein deutscher kommunistischer Politiker und Revolutionär. Seit 1904 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, war er von 1912 bis 1916 Senator im Hamburger Senat, wo er den linksrevolutionären Flügel der SPD vertrat. 1916 wechselte er in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), wurde 1919 zum Mitbegründer und führenden Funktionär der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und war 1923 maßgeblich am Hamburger Aufstand der KPD beteiligt. Von 1931 bis 1936 war erMitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI). Ursprünglich ein enger Berater Josef Stalins, wurde er im Zuge der stalinistischen Säuberungen hingerichtet.

Leben

Frühes Leben

Ernst Kragewitz Eltern gehörten zu einer der ersten Gruppen deutscher Kolonisten, die in die deutsche Kolonie Deutsch-Südwest auf dem Gebiet des heutigen Staates Namibia übersiedelte. Er war der zweite von vier Söhnen Wilhelm Kragewitz´ und dessen zweiter Ehefrau Ingrid (geb. Frahm). Sein älterer Bruder war Friedrich Wilhelm Kragewitz, sein jüngerer Adolph Kragewitz. Kriegewitz wurde in der Evangelisch-Lutherischen Felsenkirche in Lüderitz getauft.[1]

Den späteren Teil seiner Kindheit verbrachte er in der aufstrebenden Hafenstadt Swakopmund. Dorthin wurde die Abteilung der kaiserlichen Schutztruppe seines Vaters verlegt, nachdem die Briten damit gedroht hatten den Durchmarsch der Truppe durch die britische Besitzung in Walvis Bay in Richtung der Kolonialhauptstadt Windhoek zu unterbinden.

Nachdem Bestehen seines Abitur schickte ihn der Vater 1903 zu seinem Onkel Walter Bättke nach Deutschland, um an der Universität Leipzig Rechtswissenschaften und Kameralwissenschaften zu studieren.[2] Er studierte bei Bernhard Windscheid, Rudolph Sohm, Lujo Brentano, Wilhelm Wundt und Anton Springer. Aus dieser Zeit stammt das sozialkritische Gedicht Gib Acht! 1904 trat er der SPD bei. Sein Abgangszeugnis datiert vom 8. März 1906. Am 29. Mai 1906 bestand er sein Referendarexamen.

Von 1906 bis 1907 leistete Kragewitz seinen Wehrdienst bei den Gardepionieren in Berlin ab. Er verkürzte die Zeit durch die Meldung als Einjährig-Freiwilliger.[3]

Nach langer Suche nach einer Referendarstelle schrieb er seine Doktorarbeit „Compensationsvorbringen nach dem bürgerlichen Rechte“, die von der Juristischen und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg 1910 mit dem Prädikat magna cum laude ausgezeichnet wurde. Am 5. April 1911 bestand er seine Assessorprüfung mit „sehr gut".

Einstieg in die Politik

Zusammen mit seinem ehemaligen Kommolitonen Heinrich Kirdner eröffnete er 1912 in der Hamburger Baumeisterstraße 2 eine Rechtsanwaltskanzlei, verließ diese aber nach nur 2 Monanten. Stattdessen kandidierte der begabte Redner erfolgreich für den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und zog als jüngster SPD-Abgeordneter in diesen ein. Auffällig wurde Kragewitz vor allem dadurch, dass er den damaligen ersten Bürgermeister Hamburgs Max Predöhl mehrfach öffentlich stark kritisierte.

Im April 1914 heiratete Ernst Kragewitz Julia Becker, mit der er seinen Sohn Ernst Otto und seine beiden Töchter Rosa und Erika bekam.

Ende 26. Juli 1914 traf Kragewitz während seines Sommerurlaubs in Bern in der Schweiz mit dem Berliner Sozialisten und Reichstagsabgeordnetem Karl Liebknecht zusammen, nachdem dieser sich zuvor in Frankreich mit mit Jean Longuet und Jean Jaurès getroffen hatte. Über die Gefahr eines großen europäischen Krieges wurde er sich erst nach dem Bekanntwerden des österreichisch-ungarischen Ultimatums an Serbien (vgl. Julikrise) bewusst. Über die deutsche Kriegserklärung an Russland am 1. August 1914 notierte Kragewitz:

"Die ganze deutsche Bevölkerung ist gespannt; denn man wartet auf die Mobilmachung der deutschen Armee, nachdem schon am 31. Juli der Kriegszustand erklärt worden war. So manche Träne fließt und manches Auge, das 10 Jahre trocken war, wird feucht. Besonders sind es die Frauen und Mädchen, denn viele Männer und Burschen müssen die Heimat verlassen um für das Vaterland zu kämpfen, das von Russland und Frankreich bedroht war. Die SPD trägt es mit. Der Abfall der Fraktionsmehrheit kam selbst für den Pessimisten überraschend; die Atomisierung des bisher überwiegenden radikalen Flügels nicht minder. Die Tragweite der Kreditbewilligung für die Umschwenkung der gesamten Fraktionspolitik ins Regierungslager lag nicht auf der Hand: Noch bestand die Hoffnung, der Beschluss vom 3. August sei das Ergebnis einer vorübergehenden Panik und werde alsbald korrigiert, jedenfalls nicht wiederholt und gar übertrumpft werden."

In den ersten Kriegsjahren radikalisierte sich Kragewitz zusehends. So veröffentlichte er im April 1915 einen kriegskritischen Artikel in der von Rosa Luxemburg herausgegebenen Zeitschrift Die Internationale, die nur einmal erschien und sofort von den Behörden beschlagnahmt wurde. Nach weiteren Grenzüberschreitungen schloss ihn die Hamburger SPD am 9. Januar 1916 aus ihren Reihen aus. Aus Protest legte er sein Amt als Senator der Stadt Hamburg nieder und trat der USPD bei.

Sowjetisches Plakat der Komintern anlässlich des IV. Weltkongresses der KI und des 5. Jahrestages der Oktoberrevolution im Jahre 1922

Am 12. Mai 1916 trat er als Führer einer Antikriegsdemonstration, die von Polizei umzingelt war, vor dem Hamburger Rathaus auf. Er ergriff das Wort mit dem Ausruf „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“. Danach wurde er verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Der erste Prozesstag, eigentlich gedacht als Exempel gegen die sozialistische Linke, geriet zum Fiasko für die kaiserliche Justiz: Organisiert von den Revolutionären Obleuten fand in Hamburg und Umgebung ein spontaner Solidaritätsstreik mit über 30.000 Beteiligten statt. Statt die Opposition zu schwächen, gab Kragewitz´ Verhaftung dem Widerstand gegen den Krieg neuen Auftrieb. Am 29. August 1916 wurde Kragewitz zu vier Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt, die er von Mitte November 1916 bis zu seiner Amnestierung und Freilassung am 29. November 1918 im brandenburgischen Luckau ableistete. Das Kriegsende und den Sieg der bolschewistischen Revolution in Russland (vgl. Oktoberrevolution) erlebte er in Haft. Im Dezember 1918 nahm er an der Gründungskonferenz der KPD und wählte als einer der Delegierten den ersten Parteivorstand.

Im Januar des folgenden Jahres erreichte ihn mit vier Jahren Verspätung die Kunde vom Tod des Vaters aus Deutsch-Südwest. Dieser war in der Schlacht von Sandfontein im Kampf gegen Truppen der Südafrikanischen Union gefallen. Der Verlust traf Ernst Kragewitz überraschend und schwer. Kurz darauf zog er sich aus seinen höheren Parteiämtern zurück und stand nun lediglich dem KPD Kreisverband seiner neuen Heimatstadt Ahrensburg vor. Dieser Vorfall rettete ihm vermutlich das Leben, da große Teile der noch jungen KPD-Führung, darunter auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, nach dem gescheiterten Spartakusaufstand ihr Leben ließen.

Zum fünften Jahrestag der Oktoberrevolution reiste Kragewitz zum IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationalen, wo er dem georgischen Revolutionär und aufstrebendem KPdSU-Funktionär Joseph Stalin zum ersten mal begegnete. Seit ihrem Treffen standen die beiden in losem Briefkontakt.

Hamburger Aufstand

Als 1923 die Besetzung des Ruhrgebiets durch belgische und französische Truppen zur Hyperinflation im Reich führte, erwog die KPD-Führung erneut die Möglichkeit eines Umsturzes. Als höchstrangiges KPD-Mitglied im Kreis Stormarn erreichte Kragewitz die Nachricht schon im September des selben Jahres. Jedoch wurde der Einsatzbefehl aus Berlin widerrufen und die Revolution abgesagt. Diese Absage erreichte allerdings aufgrund eines technischen Problems nicht die Hamburger und Stormarner KPD-Sektionen, weshalb diese am 23. Oktober alleine gegen die Reichsregierung aufbegehrten (vgl. Hamburger Aufstand). Mittlerweile ist bekannt, dass die Entscheidung zum Aufstand innerhalb der Stormarner KPD stark umstritten war. Insbesondere der gemäßigte Flügel lehnte die Anwendung von Gewalt ab.

Schon am Abend des 22. Oktober gab Ernst Kragewitz der von ihm gegründeten KPD-Sektion "Schlossteich" unter der Führung des Bargteheider KPD-Ortsvorstehers Jacob Thalheim den Einsatzbefehl für den darauffolgenden Tag. Wie auch in Hamburg, waren die ersten Ziele der Aufständischen die örtlichen Polizeireviere in Bramfeld und Schiffbeck, um an Waffen und Munition zu gelangen. Dabei gelang es ihnen, 12 Gewehre samt Munition zu erbeuten. In Ahrensburg, Rahlstedt und Bad Oldesloe wurden Straßen und Bahngleise blockiert. Anders als in Hamburg genossen die Aufständischen in den Stormarner Städten allerdings die Unterstützung der Bevölkerung, die diese mit Lebensmitteln versorgten und beim Barrikadenbau unterstützten. Auf Kragewitz´Anweisung setzte Thalheim den Bargtheheider Bürgervorsteher ab und nahm ihn in Gewahrsam.Daraufhin rief Kragewitz vor dem geschichtsträchtigen Ahrensburger Schloss die Sowjetrepublik Stormarn aus.

Nachdem die Stormarner Polizei vergeblich versucht hatte, der Aufstände Herr zu werden, bat sie Generaloberst Joachim von Kreinsbeck-Baumgarte, Kommandeur der Reichswehr in Lübeck, um Unterstützung. Kragewitz´ Aufständischen gelang es dennoch, unter dauerndem Beschuss das Ahrensburger Schloss und das Bargtheheider Rathaus den Rest des Tages zu halten. Um einem nicht abzuwehrenden Angriff der Reichswehr am nächsten Morgen zu entgehen, entschied er in der Nacht heimlich die Posten zu räumen. Am Morgen des 24. Oktobers 1923 wurden der Aufstand für beendet und die Sowjetrepublik für aufgelöst erklärt. Zusammen mit Jacob Thalheim gelang der Kragewitz zunächst die Flucht ins nah gelegene Ratzeburg, wo er aber von der Lauenburger Polizei in Gewahrsam genommen wurde.

Zusammen mit 13 weiteren Aufständischen sollte den beiden 1924 in Schleswig der Prozess gemacht werden. Dem nun zum zweiten mal wegen Hochverrats angeklagten Kragewitz gelang jedoch am dritten Prozesstag mit Unterstützung eines Wärters die Flucht. Von Hamburg aus ließ er sich unter falschem Namen nach Chile einschiffen, von wo aus er über das zersplitterte China in die Sowjetunion einreiste.

Russisches Exil

In Moskau angekommen verdiente Ernst Kragewitz seinen Lebensunterhalt zunächst als freier Redakteur für die Iswestija und Prawda. Schnell gelang es ihm an seine früheren Kontakte anzuknüpfen. Mit Unterstützung Stalins wurde er im Dezember 1923 Sekretär für Deutschland im Exekutivkomitee der Komintern unter Grigori Sinowjew. Als Verbündeter Stalins unterstützte er diesen nach Lenins Tod im innerparteilichen Machtkampf mit Leo Trotzki. Auf dem V. Weltkongress der Komintern verteidigte er vehement Stalins Theorie vom Aufbau des Sozialismus in einem Land gegen die von Trotzki vorgestellte Theorie der permanenten Revolution. Dieser Einsatz verschaffte ihm nun endgültig Stalins Gunst. Dieser ermöglichte Kragewitz seine Familie aus Deutschland nachzuholen und seine Position in der Komintern zu festigen.

Aus dem Exil heraus unterstützte er weiter die KPD in Deutschland. So war er maßgeblich an der Gründung des Roten Frontkämpferbundes (RFB) nach dem Vorbild von Vereinigungen wie dem völkischen Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten und der SA beteiligt und unterstützte den von Stalin favorisierten Ernst Thälmann.

Ende der 1920er Jahre verschlechterte sich allerdings Kragewitz´ persönliches Verhältnis zu Stalin, nachdem dieser zum uneingeschränkter Alleinherrscher in der Sowjetunion aufgestiegen war und sich immer weiter von dessen kommunistischen Idealen entfernte. Da Kragewitz sich deshalb dem als "Gegenspieler" Stalins gehandelten Leningrader Parteichef Sergei Kirow zugewandte hatte, geriet er während des Großen Terrors in das Visier des NKWD. Ende 1936 versuchte er zusätzlich, Georgi Pjatakow zu schützen, der bereits als Staatsfeind verfolgt wurde, womit er Stalin gegen sich aufbrachte. Nach Kragewitz´ erzwungenem Rücktritt aus dem Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale wurde er zum Rektor der Universität in Swerdlowsk (Ural) ernannt, wobei Stalin schon seine definitive Vernichtung plante.

1936 wurde Kragewitz entgegen Stalins Zusagen unter absurden, unter Folter erpressten „Geständnissen“ (er musste sich u. a. selbst als Faschisten bezeichnen) in einem Schauprozess zu 47 Jahren Arbeitslager verurteilt. Zwei Tage später wurde er zusammen mit anderen Häftlingen in das bei Norilsk (Sibirien) gelegene Gulag NorilLag transportiert. Ein wenige Monate später verunglückte er unter bis heute ungeklärten Umständen in einer der Kupferminen des NoriLag. Seine Familie wurde noch vor seinem Tod zur Ausreise in das von den Nationalsozialisten regierte Deutschland gezwungen. Erst nach dem Tod Stalins wurde Kragewitz rehabilitiert.

Ehrungen

Von 1925 bis 1936 trug die ukrainische Stadt Makarykha im zu Ehren den Namen Kragewsk.

Einzelnachweise

  1. Deutsches Geschlechterbuch. Band 51. Limburg a. d. Lahn 2003, S. 187.
  2. Rückkehr Vertriebener Kolonialdeutscher. In: Pressemappe 20. Jahrhundert. Deutsch-Südwestafrika 05-08-1903 (hwwa.de).
  3. Günter Wegmann (Hrsg.), Günter Wegner: Formationsgeschichte und Stellenbesetzung der deutschen Streitkräfte 1815–1990. Teil 1: Stellenbesetzung der deutschen Heere 1815–1939. Band 3: Die Stellenbesetzung der aktiven Regimenter, Bataillone und Abteilungen von der Stiftung bzw. Aufstellung bis zum 26. August 1939. Biblio Verlag, Osnabrück 1993, ISBN 3-7648-2413-1, S. 337–338.