Bernhard Windscheid

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Bernhard Windscheid

Bernhard Joseph Hubert Windscheid (* 26. Juni 1817 in Düsseldorf; † 26. Oktober 1892 in Leipzig) war ein deutscher Jurist, der großen Einfluss auf die deutsche Zivilrechtswissenschaft hatte.

Leben

Herkunft

Lehrbuch des Pandektenrechts, Titelseite des 3. Bandes der 6. Auflage von 1887

Bernhard Windscheid wurde als drittes Kind des Königlichen Hypothekenbewahrers und Steuerrats Ferdinand Windscheid (1787–1869) und seiner Ehefrau Frederike (1795–1852), geb. Servaes geboren.[1] Nachdem er die Knabenschule in Emmerich und Recklinghausen besucht hatte, legte er 1834 in Düsseldorf das Abitur ab.

Studium

Er begann in Berlin Sprachwissenschaften zu studieren, entschied sich aber rasch, unter dem Einfluss der Vorlesungen von Savigny, für das Studium der Rechtswissenschaft, das er von 1834 bis 1836 in Berlin, Bonn und wiederum in Berlin absolvierte.[2] Das Erste Juristische Examen legte er 1837 ab, danach folgte ein praktischer Justizdienst beim Landgericht Düsseldorf.

Akademische Laufbahn

Am 22. Dezember 1838 wurde er in Bonn promoviert mit einer Dissertation zum Thema De valida mulierum intercessione. Ebenfalls in Bonn habilitierte er sich 1840 mit der Schrift Zur Lehre vom Code Napoleon von der Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte. Dort wurde er 1847 zum außerordentlichen Professor für römisches und französisch-rheinisches Recht berufen. Noch 1847 ging er als Professor nach Basel, 1852 nach Greifswald, 1858 folgte München, und 1871 wurde er als Nachfolger von Adolph von Vangerow nach Heidelberg berufen, wo er den Titel eines Geheimen Rats erhielt.

Am 4. November 1858 heiratete er die Malerin Lotte Pochhammer, mit der er vier Kinder hatte. 1868 wurde ihm vom bayrischen König der Adelstitel verliehen, da er sich jedoch als Mitglied einer bürgerlichen Familie begriff, führte er diesen nicht. Von Heidelberg ging Windscheid im Herbst 1874 an die Universität Leipzig, wo 1880 seine Berufung zum Ordinarius der Juristenfakultät erfolgte. In Leipzig war er bis zu seinem Tode wissenschaftlich tätig. Dort hatte er sich auch an den organisatorischen Aufgaben der Leipziger Hochschule beteiligt und war 1884/85 der Rektor der Alma Mater.

Werk

Bernhard Windscheid in der Kommission für das BGB (Stich von Hermann Scherenberg, 1875)
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Ehemalige Grabstätte von Bernhard Windscheid auf dem Neuen Johannisfriedhof in Leipzig, Quelle Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Auf Vorschlag Badens wurde Windscheid im Sommer 1874 zum Mitglied der Ersten Kommission für die Abfassung eines Entwurfs zu einem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gewählt, der er bis zum 30. September 1883 angehörte. Wenn auch Windscheid der Ansicht war, das römische Recht sollte als Ganzes für das Deutsche Reich übernommen werden, so hat sein Hauptwerk, das ab 1862 erschienene dreibändige Lehrbuch des Pandektenrechts, den ersten Entwurf des BGB entscheidend beeinflusst. Er stellte darin das römische Recht seiner Zeit so anschaulich dar, dass dieses Lehrbuch bis 1900 das fehlende Bürgerliche Gesetzbuch weitestgehend ersetzte. Windscheid kam in seiner streng systematisch geprägten Darstellung der Pandekten den Bedürfnissen der Praxis weit entgegen, da er anders als die konservativen Anhänger der historischen Rechtsschule ganz auf die historische Behandlung der Quellen verzichtete und nur nach der für die Gegenwart praktikablen Einordnung suchte, so dass sein Buch einen Stellenwert für die juristische Arbeit hatte, der höher war als heutzutage der des Palandt. Es wurde nach 1900 von Theodor Kipp noch zweimal neu aufgelegt.

Zu den juristischen Errungenschaften Windscheids gehört weiterhin die Etablierung des materiell-rechtlichen Anspruchs in seiner heutigen Form in Abgrenzung zur römisch-rechtlichen Actio als determinierter Klageformel, Die actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts, erschienen 1856.

Mit seinem Werk Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung versuchte Windscheid 1850 den Begriff der Voraussetzung in das damals bestehende Rechtssystem einzuführen („Voraussetzungslehre“). Die Voraussetzung sei eine neue Form der Willensbeschränkung. Eine Partei, die sich nur unter der Voraussetzung des Bestehens, der Fortdauer oder des Eintritts eines Umstandes erkläre, sei an die Willenserklärung nicht gebunden, „wenn sich die Annahme oder Erwartung nicht bewähre“.[3] Die Voraussetzung sei abzugrenzen vom unerheblichen Motiv einer Partei und von der rechtsverbindlichen Bedingung im Sinne des heutigen § 158 BGB. Windscheid konnte sich mit seiner Forderung, die Voraussetzung in das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896, in Kraft getreten im Jahre 1900, aufzunehmen, nicht durchsetzen. Dies lag vor allem daran, dass die Voraussetzung als Gefahr für die Rechtssicherheit angesehen wurde.[4][5] So befürchteten zahlreiche anerkannte Rechtsgelehrte der damaligen Zeit, dass sich eine Vielzahl von Vertragschließenden im Nachhinein (zu Unrecht) auf eine angebliche Voraussetzung berufen könnten.[6] Auch das Reichsgericht lehnte die Voraussetzungslehre Windscheids ab, da sie seiner Auffassung nach weder dem Recht der römischen Antike entsprach noch dem des Corpus Iuris und folglich jede „quellenmäßige Begründung“ vermissen ließ.[7] War die Lehre von der Voraussetzung damit positivrechtlich gescheitert, so diente sie doch – zusammen mit der clausula rebus sic stantibus und der laesio enormis – als wesentliche Vorgängerin der 1921 von seinem Schwiegersohn[8] Paul Oertmann entwickelten Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, heute Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB.

Ehrungen

1888 erhielt er von der Universität Leipzig den Ehrendoktortitel.[9] 1890 wurde Windscheid Ehrenbürger von Leipzig, wo auch 1911 eine Straße seinen Namen erhielt. Auch in Berlin-Charlottenburg trägt die Windscheidstraße seit 1897 seinen Namen, im Düsseldorfer Stadtteil Düsseltal ist seit 1903 eine Straße nach ihm benannt.

Schriften

Literatur

  • Festschrift zum fünfzigjährigen Doktorjubiläum von Bernhard Windscheid am 22. Dezember 1888. Hrsg. von der Rostocker Juristenfakultät. Neudruck der Ausgabe Rostock 1888. Scientia, Aalen 1979, ISBN 3-511-00906-5.
  • Ulrich Falk: Ein Gelehrter wie Windscheid. Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Band 38). Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-465-01866-4 (Dissertation).
  • Ulrich Falk: Der wahre Jurist und der Jurist als solcher. Zum Gedenken an Bernhard Winscheid. In: Rechtshistorisches Journal (RJ). Band 12, 1993, S. 598–633.
  • Gabor Hamza: Entstehung und Entwicklung der modernen Privatrechtsordnungen und die römischrechtliche Tradition. Budapest 2009, ISBN 978-963-284-095-6, S. 193–200.
  • Gerd Kleinheyer, Jan Schröder: Bernhard Windscheid. In: Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten. Heidelberg 1996, ISBN 3-8252-0578-9.
  • Bernd Klemann: Sieben kleine Beiträge für eine Windscheid-Biographie. In: Heinz Mohnhaupt (Hrsg.): Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen, Positionen (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Band 53). Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-465-02271-8.
  • Friedrich Klein: Bernhard Windscheid 26. 6. 1817–26. 10. 1892. Leben und Werk (= Schriften zur Rechtsgeschichte. Band 168). Berlin 2014, ISBN 978-3-428-14118-0.
  • Ernst LandsbergWindscheid, Bernhard. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 43, Duncker & Humblot, Leipzig 1898, S. 423–425.
  • Gottlieb Planck: Windscheid als Mitarbeiter am Bürgerlichen Gesetzbuche. In: Deutsche Juristen-Zeitung. Göttingen 1909, Sp. 951–954.
  • Joachim Rückert: Bernhard Windscheid und seine Jurisprudenz „als solche“ im liberalen Rechtsstaat (1817–1892). In: Juristische Schulung (JuS). 1992, S. 902–908.
  • Joachim Rückert: Methode und Zivilrecht bei Bernhard Windscheid (1817–1892). In: Joachim Rückert, Ralf Seinecke (Hrsg.): Methodik des Zivilrechts – von Savigny bis Teubner. 3. Auflage. Baden-Baden 2017, ISBN 978-3-8487-2931-9, S. 121–147.
  • Joachim Rückert: Windscheid – verehrt, verstoßen, vergessen, rätselhaft? In: Juristenzeitung. 2017, S. 662–670.
  • Rainer Schröder: Rechtsgeschichte. 7. Auflage. Münster 2006.
  • Erik Wolf: Grosse Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 4. Auflage. Mohr, Siebeck 1963, ISBN 3-16-627812-5, S. 591–621.

Weblinks

Commons: Bernhard Windscheid – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Schubert, in: Horst Heinrich Jakobs, Werner Schubert: Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuches in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB. Berlin/ New York 1978, S. 86.
  2. Erik Wolf: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 4. Auflage. Tübingen 1963, S. 588.
  3. Bernhard Windscheid: Die Voraussetzung. In: Archiv für die civilistische Praxis. Band 78, 1892, S. 161 ff. (201 f.)
  4. Ulrich Falk: Ein Gelehrter wie Windscheid, 1989, S. 193 ff.
  5. Reinhard Zimmermann: Heutiges Recht, Römisches Recht und heutiges Römisches Recht. In: Reinhard Zimmermann u. a. (Hrsg.): Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik. C.F. Müller, Heidelberg 1999, S. 1–39 (35).
  6. Besonders erbittert kämpfte Otto Lenel (u. a.) mit diesen Worten gegen die Lehre von der Voraussetzung: O. Lenel: Die Lehre von der Voraussetzung (im Hinblick auf den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches). In: Archiv für die civilistische Praxis. Band 74, 1889, S. 213 (216). Das Scheitern der Voraussetzung im Bürgerlichen Gesetzbuch wird maßgeblich auf diesen Aufsatz zurückgeführt – zu Unrecht, wie später u. a. Wolfgang Fikentscher behauptete: Finkentscher: Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos. 1971, S. 5.
  7. RGZ 24, 169 ff. (170).
  8. Johann Braun: Wegfall der Geschäftsgrundlage – BGH, WM 1978, 322. In: Juristische Schulung. 1979, S. 692 (694).
  9. Verzeichnis der Ehrenpromotionen. Archiv der Universität Leipzig, abgerufen am 1. November 2020 (Ordnung nach Graduierungsjahr).