Benutzer:Karl Mauch/Spielwiese

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Dieser Artikel stellt die Geschichte der deutschsprachigen Lyrik von ihren Anfängen bis zur Gegenwart dar. Die zu diesem Zweck verwendeten Einteilungen bilden keine lineare, folgerichtige Entwicklung ab, sondern dienen lediglich als ein grobes chronologisches Ordnungsraster. Entsprechende Unterscheidungen der Literaturwissenschaft, die als nachträgliche Verallgemeinerungen und tlw. auch Wertungen problematisch sind [hier Beleg für diese Behauptung, also Hayden White o.ä.], werden nur dort verwendet, wo sie für das Auffinden und Nachschlagen der jeweiligen Kontexte unentbehrlich sind.

Moderne

Eine schlüssige Definition von Moderne ist auf Grund der ihr zugrundeliegen komplexen geistigen, technischen und gesellschaftlichen Brüche kaum möglich und mit Blick auf die Vielfalt der daraus resultierenden Erscheinungen auch wenig sinnvoll. Versuche, Moderne für den Bereich der Dichtung auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen – etwa Dissidenz zur Tradition (in Hinblick etwa auf die Art des poetischen Sprechens und das dichterische Selbstverständnis), erweiterte Motivik, Wertepluralismus und Internationalismus – bleiben entsprechend vorläufig und treffen nicht auf jeden Fall in gleicher Weise zu. Auch bleiben allgemeine, mit dem Begriff verbundene Vorstellungen des Bruches und der Innovation problematisch, da neuartige sprachliche Ansätze ihrerseits in Tradition übergehen, einmal festgelegte "Standards der Moderne" nicht selten gegen davon abweichende Innovationen ausgespielt werden.

Anfänge

Auch hinsichtlich der Markierung bzw. Festlegung des Beginns der Moderne in der deutschen Dichtung existieren verschiedene, teils konkurrierende Konzepte. Außer Frage steht, dass sich die entsprechende Entwicklung der deutschen Lyrik nicht nur im eigenen Sprachraum, sondern auch unter dem Einfluss fremdsprachlicher Dichtungen vollzogen hat – wichtige Impulse gaben u.a. die Übersetzung Walt Whitmans durch Ferdinand Freiligrath, Übertragungen von Dante und Shakespeare und später verschiedene Versuche, Charles Baudelaire und Paul Verlaine ins Deutsche zu bringen. Ein möglicher und vielgenannter Einsatzpunkt der Moderne in der deutschsprachigen Dichtung ist der 1902 erschienene Chandos-Brief Hugo von Hofmannsthals, der darin erstmals ein grundsätzliches Misstrauen an der Vermittlungsfähigkeit der Sprache formuliert. Die Frage nach dem Verhältnis von Sprache, Wahrnehmung und Welt begleitet die Lyrik von nun an verstärkt und schlägt sich in poetologischen Texten nieder. Analog zu (aber nicht immer deckungsgleich mit) dem Versuch, Moderne über Veränderungen in der Schreibhaltung ihrer Autoren zu datieren, ist auch eine Bestimmung anhand formaler und thematischer Veränderungen der Texte möglich: So verzichteten die Dichter des Friedrichshagener Dichterkreises (etwa Richard Dehmel) bereits vor der Jahrhundertwende auf liedhafte Mittel wie Refrain und Reim, versuchte die Gruppe um Arno Holz, durch eine Abkehr von gängigen Formen gesellschaftliche Milieus naturalistisch oder impressionistisch wiederzugeben; diese Ansätze wurden mit der Fokussierung auf Metrik und Klang in der Lyrik des Symbolismus (zu der mit Theodor Däubler auch ein wichtiger Anreger der Expressionisten gehörte) allerdings teilweise wieder zurückgenommen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang außerdem Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke und die ästhetizistischen Dichter um Stefan George, die sich um sprachliche und gedankliche Verfeinerung des Gedichtes bemühten. Sie initiierten u.a. die Reflexion über Texte in einer Metaphorik von Textur und Gewebe, die den Diskurs des gesamten 20. Jahrhundert durchzieht. Zeitgleich bringen Dichter wie Christian Morgenstern und Eugen Roth mit absurdem Sprachwitz Lyrik und Varieté zusammen. Lyriker der Neuromantik wie Hermann Hesse oder Ricarda Huch wenden sich magischen und mythologischen Themenkreisen zu.

Zeitraum Erster Weltkrieg

Als eine Avantgardebewegung der Moderne greift der Expressionismus neue Erfahrungen und Motive auf: Erster Weltkrieg, Großstadtleben, Ekstase, Industrialisierung und Erneuerung des Menschen. Den Zusammenhalt der mit dieser Bewegung verbundenen Lyriker stiften in erster Linie gemeinsame Publikationsorgane wie die Zeitschrift Die Aktion von Franz Pfemfert, die Anthologie Menschheitsdämmerung von Kurt Pinthus u. a., weniger einheitliche Anliegen. Jakob van Hoddis und Alfred Lichtenstein wirken über ihren Simultanstil, Georg Trakl und Else Lasker-Schüler akzentuieren symbolistische Strategien. Gottfried Benn entwickelt neue Formen lyrischer Inszenierung, Johannes R. Becher und August Stramm experimentieren mit Realismuskonzepten.

1920er Jahre

Parallel zu den europäischen Avantgarden wie Suprematismus, Akmeismus und Futurismus, die in Deutschland nur randständig rezipiert werden (etwa der italienische Futurismus durch Alfred Döblin), entstehen im deutschsprachigen Raum verschiedene literarische und literaturüberschreitende Bewegungen, die unter dem Begriff Dadaismus zusammengefasst werden (Cabaret Voltaire in Zürich, Merz in Hannover u.a.). Deren Protagonisten (Hans Arp, Hugo Ball, Richard Huelsenbeck, Raoul Hausmann, Kurt Schwitters, Tristan Tzara u.a.) zielen vor allem auf eine Befreiung der Sprache, von der Syntax bis hin zum einzelnen Laut. Gemeinsam haben diese Bewegungen, dass sie das sprachliche Zeichen in seinem Eigenwert erkennen und phonetische, morphologische sowie graphematische Aspekte der Sprache in Hinblick auf deren Wirkung auf die Semantik erforschen. und – wie Kurt Schwitters – eine Musikalisierung der Sprache betreiben. Ein besonderer Fokus richtet sich auf die Typographie; es entsteht die Collage als künstlerisches Ausdrucksmittel. Die Lyrik der Neuen Sachlichkeit grenzt sich von Expressionismus und Ästhetizismus durch betonte Nüchternheit ab, und betont den Gebrauchswert der Verse, die unterhaltsam und verständlich sein sollen; wichtige Vertreter dieser Richtung sind so unterschiedliche Dichter wie Bertolt Brecht, Mascha Kaléko, Erich Kästner, Joachim Ringelnatz und Kurt Tucholsky. Rundfunk, Journale und Kabarett werden zu wichtigen Plattformen für Gedichte; eine starke Politisierung findet statt. Eine andere Entwicklung nimmt die deutschsprachige Lyrik außerhalb Deutschlands in der Bukowina: Hier verschmelzen Ansätze des österreichisch-ungarischen Symbolismus mit Verfahren des Surrealismus und solchen, die an den Expressionismus erinnern; Rose Ausländer und Paul Celan machen diese Literatur später in Deutschland bekannt.

Lyrik im Nationalsozialismus

Mit der Zerschlagung der parlamentarischen Demokratie und dem Verbot so genannter „entarteter Kunst“ durch die Nationalsozialisten wird ab 1933 die Entfaltung und Publikation der avantgardistischen Strömungen moderner Lyrik im Deutschen Reich unterbrochen; in Österreich mit dem Anschluss der Republik ans Deutsche Reich ab 1938. Während Gottfried Benn u. a. Dichter sich anfangs offen zum NS-Regime bekennen, das eine Dichtung der „Blut-und-Boden-Ideologie" befördert, fliehen zahlreiche Lyriker (u. a. Hilde Domin, Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs) vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ins Exil und engagieren sich teilweise auch konkret im Gedicht gegen den Faschismus (u. a. Bertolt Brecht, Erich Arendt, Stephan Hermlin). Wer im Deutschland bleibt, ist auf den Rückgriff auf den klassisch romantischen Kanon (Literatur) und insbesondere liedhafte Lyrik verwiesen. Nur selten entstehen unter diesen Bedingungen Texte, die über die NS-Zeit hinaus Bestand haben – etwa einzelne Gedichte des Faschisten Josef Weinheber oder Jochen Kleppers „Die Nacht ist vorgedrungen“. Die Lyrik dieser Jahre kann nicht ohne Verbindung zur gesellschaftlichen Situation verstanden werden; selbst Gedichte in der klassischen und neuromantischen Tradition haben eine politische Dimension, insofern sie sich den Zumutungen ihrer Zeit nicht stellen bzw. diese ignorieren. Lyrikern wie Wilhelm Lehmann, Oskar Loerke und Gertrud Kolmar gelingt es durch den Rückzug ins Private und unpolitische Sujets, Bestandteile des modernen Formenkanons in ihrer Lyrik zu erhalten. Der Begriff der inneren Emigration, der u. a. auch in Bezug auf diese Dichtung Verwendung findet, ist allerdings nicht in jedem Fall gleichermaßen zutreffend; Lyriker wie Georg Maurer, Günter Eich und Johannes Bobrowski beginnen unter diesen Bedingungen mit dem Schreiben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs ist ein nahtloses Anknüpfen an die Traditionen für die meisten Autoren undenkbar. Mittels Sprachverknappung und Fokus auf die Nachkriegsrealität will die sog. Kahlschlagliteratur neue Wege aufzeigen (u. a. Günter Eich und Wolfgang Weyrauch). In der Rezeption spielte die Gruppe 47 (mit u. a. Ingeborg Bachmann, Günter Grass) eine wichtige Rolle. Die internationale Bewegung des Surrealismus bzw. Dadaismus und der russische Akmeismus werden (teils verspätet) aufgenommen, Friedrich Hölderlins späte Lyrik in ihrer Bedeutung erkannt. Idiosynkratisches und Zufälliges wird toleriert [was heißt das?] (u. a. Rose Ausländer, Nelly Sachs, Peter Huchel, Günter Eich, Johannes Bobrowski, Unica Zürn). In der DDR versucht sich die Lyrik unter erschwerten Bedingungen staatlicher Überwachung und Zensur unabhängig zu halten. Sie ist einerseits geprägt durch staatlich gestützte Lyriker wie Johannes R. Becher und Luis Fürnberg, die sich im Anschluss an klassische Verfahren und solche des bürgerlichen Realismus vor allem um eine inhaltliche Neuausrichtung der Literatur bemühen. Andere Autoren, deren Werk ebenfalls vor allem auf politische Veränderung zielt, wie Peter Hacks oder [[der jungen Heiner Müller, beziehen sich eher auf Bertolt Brecht. Dieser knüpft wie Erich Arendt und andere heimgekehrte Exilanten an die internationale Moderne an.

Angeregt durch Sprechakttheorie, Sprachphilosophie und Linguistik der 1950er und 60er Jahre und vermittels akustischen und visuellen Neuarrangements des Sprachmaterials entsteht die Konkrete Poesie (u. a. Eugen Gomringer, Helmut Heißenbüttel, Ernst Jandl, Franz Mon, Carlfriedrich Claus). Wichtige Einflüsse sind hier der späte Ludwig Wittgenstein und die Kybernetik John von Neumanns. In Österreich bildet sich um 1954 die Wiener Gruppe um Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, mit einem besonderem Fokus auf die Übernahme von Verfahren und Prinzipien der zeitgenössischen Musik, z.B. Serialität. Mit H.C. Artmann findet die Mundartdichtung Anschluss an die Moderne.

Zeitraum ab ca. 1960

Vor dem Hintergrund von Vietnamkrieg und Studentenprotesten entstehen in der Bundesrepublik gesellschaftskritische Gedichte. Schreiben wird teils als gesellschaftlicher Prozess verstanden, die Öffentlichkeit soll für die Lyrik wiedergewonnen werden (Erich Fried, Peter Rühmkorf). Versuche, wieder zu einer poetischen Sprache zu finden, ohne den gesellschaftlichen Bezug aufzugeben, indem künstlerisch das Gewicht auf ihren materialen Aspekt gelegt wird, verbinden sich vor allem mit dem Werk von Paul Celan.

Weil zahlreiche Strömungen der Moderne durch die offizelle Kulturpolitik als "formalistisch" abgelehnt werden, bleiben den Schriftstellern in der DDR nur wenige Anknüpfungspunkte, wollen sie öffentlich ihre Anliegen darstellen. Diese Rolle spielen vor allem die kommunistisch ausgerichteten Werke von Bertold Brecht, Erich Arendt, des Romanisten Viktor Klemperer, des Philosophen Ernst Bloch und später Walter Benjamin. An diesen literarischen Programmen orientieren sich auch u. a. Stephan Hermlin, Franz Fühmann, Johannes Bobrowski, Heiner Müller, Wolfgang Hilbig und Uwe Greßmann, aber auch Wolf Biermann und Reiner Kunze. Die Sächsische Dichterschule versucht, tradierte Formen auf eine zeitgenössische Art und Weise des Dichtens anzuwenden, um die konträren Ansprüche klassischer Werkgestaltung und der Moderne in einer "Gemeinschaft der Verständigen" zusammenzuführen (Karl Mickel, Volker Braun, Rainer Kirsch, in den 1980er Jahren auch Thomas Rosenlöcher). Die Zensur lockert sich phasenweise und wird zusehends informell, im Vorfeld ausgeübt. Gegenkulturelle Bewegungen entstehen (die Künstlergruppe Clara Mosch mit Carlfriedrich Claus).

In Rumänien sind die staatlichen Repressionen einerseits schärfer als in der DDR, andererseits schafft die geringere Bedeutung der deutschen Sprache in diesem Land auch Freiräume. Ein Anknüpfen besonders an die österreich-ungarischen Tradititionen der Moderne ist teils möglich. Die Lyrik von Georg Hoprich, Immanuel Weißglas oder des frühen Oskar Pastior stehen für eine Literatur, deren Rezeption dadurch behindert wird, dass sie anders geartete Erfahrungen in eigenständigen Mustern und Sprechweisen artikuliert und darüber hinaus häufig unter einem verengenden politischen Fokus wahrgenommen wird.

1965 fordert Walter Höllerer in seinen Thesen zum langen Gedicht[1] die Abkehr vom feierlichen Ton, 1968 proklamiert Hans Magnus Enzensberger eine Poesie der Schlichtheit mit alltagssprachlichen Elementen und verantwortet einflussreiche Anthologien und Übersetzungsprojekte, etwa das Museum der modernen Poesie. Nach 1968 empfinden die Dichter der Neuen Subjektivität das eigene Erleben als wesentlich für das Verständnis der Welt; sie verzichten oft auf hergebrachte Kunstmittel und bemühen sich um eine schlichte Sprache (u. a. Nicolas Born, Sarah Kirsch, Karin Kiwus, Jürgen Theobaldy). Das Konzept des Sängerpoeten wird durch die Liedermacherbewegung neu belebt (Wolf Biermann, Konstantin Wecker, Franz-Josef Degenhardt, Ludwig Hirsch, Georg Kreisler u.a.). Rolf Dieter Brinkmann bringt durch seine Übersetzungen den Einfluss US-amerikanischer pop-literarischer Strömungen nach Deutschland; Kürze und Konzentration gewinnen an Bedeutung. Als Dichter schließt Brinkmann an Verfahren der zeitgenössischen bildenden Kunst wie der Pop-Art und der Fluxus-Bewegung an. Neue theatrale Formen und multimediale Ansätze wie der Literaturclip entstehen (A. J. Weigoni, Frank Michaelis).

Zeitraum ab ca. 1980

Angesichts atomarer Bedrohung, Umweltzerstörung und einer von Massenmedien bestimmten öffentlichen Meinung entsteht eine vielstimmige Literatur der Utopielosigkeit. In der Lyrik zeigt sich dies in der Abkehr von großen Themen bei Karl Krolow, Michael Krüger u.a., in der Rückbesinnung auf alte Formen bei Autoren wie Robert Gernhardt und Ulla Hahn, sowie in radikaler Subjektivierung und Montagestil, z.B. bei Friederike Mayröcker, Elke Erb und Thomas Kling. Reinhard Priessnitz gelingt es, avancierte experimentelle Schreibweisen mit Aspekten unmittelbarer Erfahrung zu verbinden. Wie in anderen osteuropäischen Staaten entwickelt sich auch unter den politischen Verhältnissen der DDR verschiedene Szenen von halb- und inoffizieller literarischer Gegenkultur, die die staatliche Zensur mit eigenen Publikationsformen und Distributionswegen unterlaufen (teilweise allerdings selbst von staatlicher Überwachung unterlaufen und "gespalten" werden). Der entsprechende Samisdat formuliert seine Gegenposition zur geforderten politischen Haltung in erster Linie durch alternative ("subversive") literarische Verfahren und künstlerische Verhaltensweisen, inhaltliche Kritik wird häufig implizit vermittelt. Besondere Bedeutung hat diese Szene in Ostberlin (Bert Papenfuß, Jan Faktor, Uwe Kolbe u.a.); sie geht nicht zuletzt auch auf das Vorbild und vermittelnde Wirken Adolf Endlers zurück, der sein Schreiben nach Anfängen im Umkreis der Sächsischen Dichterschule in den achtziger Jahren radikalisiert.

Das Bielefelder Kolloquium Neue Poesie versammelt Vertreter der Konkreten Poesie in den Jahren von 1978 bis 2003. Dort wird auch systematisch an der computergestützten Textgenese (Max Bense) experimentiert.

Viele Protagonisten der rumäniendeutschen Lyrik siedeln nach und nach in die Bundesrepublik über, die entsprechende Literatur in Rumänien kommt damit fast ganz zum Erliegen. Die Rezeptionshemmisse bleiben jedoch oft bestehen. Mit Ausnahme der Werke von Oskar Pastior und der späteren Nobelpreisträgerin Herta Müller führt diese Lyrik eher ein Nischendasein innerhalb der deutschen Literatur (Franz Hodjak, Richard Wagner).

Nach der politischen Wende 1989 lässt sich die Literaturentwicklung im deutschsprachigen Raum zunehmend weniger einheitlich beschreiben; das Feld der Lyrik zerfällt immer stärker in heterogene Szenen und Interessengebiete mit unterschiedlichen poetischen Paradigmen und Haltungen zum Gedicht. So entstehen in (zumindest ursprünglich) gegenkulturell geprägten Millieus neue poetische Formen, wie der Poetry Slam (Bas Böttcher, Michael Lentz), die von der herkömmlichen Rezeption nicht mehr abgedeckt werden und tlw. eigene Formen von Literaturbetrieb etablieren. Auf der anderen Seite entfernen sich Autoren wie Franz Josef Czernin oder Urs Allemann in Fortschreibung radikalerer Moderne-Diskurse von der allgemeinen Verständlichkeit, ohne dass ihre Werke den eigenen Maßstäben nach unverständlich (also hermetisch) wären. Vor allem jüngere Autoren arbeiten verstärkt mit (der Postmoderne verbundenen, oft aber historisch weiter zurückreichenden) Verfahren wie Stilmix, Einbezug von Fachsprachen und popkultureller Multilingualität (u. a. Ulrike Draesner, Thomas Kling, Barbara Köhler, Durs Grünbein, Brigitte Oleschinski, Bert Papenfuß, Raoul Schrott).

  1. Walter Höllerer: Thesen zum langen Gedicht. In: Akzente. Bd. 2 (1965), S. 128–130.