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Wikipedia vs. kommerzielle Lexika

Im Gegensatz zu gedruckten Lexika (Brockhaus, Meyers, Bertelsmann, …) hat Wikipedia zweifelsohne eine Reihe wichtiger Vorzüge. Leider gehört der sprachliche nicht dazu. Darunter fallen nicht nur sprachliche Fehler, sondern auch Unschönheiten und Inhomogenitäten.

Einige der beliebtesten Fehler in Artikeln

  • Deppenleerzeichen: In unvorstellbaren Massen brechen sie über uns herein, und ein Ende ist nicht abzusehen, es sei denn durch eine um Fassende Rächtschreiprephorm.
  • Deppenapostrophe sind nicht ganz so heufig. Kommt von Heu. Wegen der neuen Rechts Schreibung.
  • Fehlendes abschließendes Komma bei Nebensätzen (Standard-Kommafehler Typ Ia). Beispiel: „Der Himmel ist so blau, daß es wehtut und außerdem sehr hell“. Alles klar? Vor „und“ fehlt das Komma.
  • Fehlendes abschließendes Komma bei Nebensätzen und zwischen Hauptsätzen (Standard-Kommafehler Typ Ib). Beispiel: „Der Himmel ist so blau, daß es wehtut und außerdem ist es sehr hell“. Wieder fehlt vor „und“ das Komma. Nach der klassischen Interpunktion müßten hier sogar zwei Kommas hin: Eines wegen des endenden Nebensatzes und eines wegen des beginnenden, zweiten Hauptsatzes. Solche Fehler haben wir also teilweise der Reform zu verdanken. Danke dafür!
  • Fehlendes abschließendes Komma bei erweiterten Infinitiven (Standard-Kommafehler Typ IIa). Beispiel: „Der Himmel ist zu blau, um noch schön zu sein und außerdem sehr hell“. Analog zu Typ Ia.
  • Fehlendes abschließendes Komma bei erweiterten Infinitiven und zwischen Hauptsätzen (Standard-Kommafehler Typ IIb). Beispiel: „Der Himmel ist zu blau, um noch schön zu sein und außerdem ist er sehr hell“. Analog zu Typ Ib.
  • Singular/Plural-Fehler. Beispiel: „Das Auto und das Boot gefällt mir gut.“ Korrekt: „gefallen“.
  • Verwechslung von „das“ und „daß/dass“. Ein Klassiker.
  • Falsche Zeitform bei „nachdem“. Beispiel: „Nachdem der Kaiser die Schlacht verlor, war der Krieg aus“ statt korrekt: „… verloren hatte …“ Alternativ: „als“ statt „nachdem“ verwenden.
  • Verneinung von „müssen“. Statt falsch „der Kaiser mußte seinen Berater nicht entlassen“ wäre korrekt „Der Kaiser brauchte seinen Berater nicht zu entlassen“
  • Genitivitis: Falscher Gebrauch des Genitivs statt Dativ, z. B. bei „entsprechend der Regeln haben wir …“ statt korrekt „entsprechend den Regeln haben wir …“ Beliebt ist dieser Fehler auch in diversen Zeitungen und Zeitschriften, weshalb er vermutlich demnächst zur Norm erhoben wird.
  • Würderitis (ist das ein Anglizismus?): Zum Beispiel „Es wurde behauptet, der Wal würde sich von Plankton ernähren“ statt korrekt „Es wurde behauptet, der Wal ernähre sich von Plankton“. Oder anderes Beispiel: „Er würde sich gefreut haben, wenn er …“ statt korrekt „Er hätte sich gefreut, wenn er …“ Möglicherweise sind das Anglizismen, denn das Englische kennt die Konjunktiv-Formen (Präsens und Imperfekt) so nicht. Oder es ist einfach nur degenerativ.

Einige der häßlichsten Stilmittel in Artikeln

  • Anglizismen werden traditionell im Deutschen gern verwendet, nicht nur in Wikipedia.
  • Denglish ist dazu geeignet, simplen Naturen vorzugaukeln, daß man sich totaaaal gut auskennt, voll kuhl drauf ist und daß das Thema eh zu kompliziert ist, um für Normalsterbliche verständlich zu sein. Ein probates Mittel der Ausgrenzung von Uneingeweihten.
  • Das konsequente Weglassen von für das Verständnis notwendigen, wiewohl vom „geheiligten“ Rechtschreibrat nicht vorgeschriebenen Satzzeichen: Hier wird der Leser endlich mal richtig gefordert. Wer den Satz nicht zuerst vollständig liest und dann beim zweiten Durchgang (two-pass-compiler) im Geiste analysiert, wird mit dem Text nicht glücklich werden. Aber Hauptsache der Autor ist es, hat er doch wertvolle schwarze Pixel auf Tausenden von Monitoren gespart und außerdem den Geist der Rechtschreibreform "nicht für den Leser, für den Schreiber reformieren wir" wirksam in die Tat umgesetzt. Danke!
  • Windows: Viele Artikel über Computerthemen implizieren, daß es keine Computer gibt außer Windows-Computern und daß es keine CPUs gibt außer Intel- und AMD-CPUs.
  • Office: Das gleiche gilt für Büro-Programmpakete (denglisch als "office" bezeichnet). Auch hier wird gern "Office" mit "Microsoft Office" gleichgesetzt.
  • Inflationäre Verwendung von Modewörtern: Beispiel: Statt „ganz“, „völlig“, „total“, „voll“ oder „vollkommen“ (oder einfach mal „“) ist alles nur noch komplett (von engl. "complete"). Das gipfelt in der genialen Übersetzung des guten, urdeutschen und kraftvollen Worts „Vollidiot“ in ein schwächliches "kompletter Idiot". Aha, also ohne linkes Ohr ist er (oder sie?) nicht mehr komplett. Oderwas? Außerdem ist das Wort komplett häufig komplett überflüssig.
  • Ähnliches gilt in letzter Zeit für „aufgrund“ - auch gern in der trendigen Schreibung „auf Grund“. Meist paßt ein „wegen“, „durch“ oder ach so banales „nach“ besser. Mitunter läuft aber auch ein Schiff aufgrund - pardon: auf Grund. Oder „gründelt“ es?

Die schönsten Fehler

  • „Steh-Greif“ statt „Stegreif“.
  • Jemandem den „Gar ausmachen“.
  • „wieder herstellen“ (= nochmal herstellen, Herstellung fortsetzen), wenn aber „wiederherstellen“ (restaurieren) gemeint ist
  • „zusammen brechen“ (engl. "co-vomiting"), wenn tatsächlich „zusammenbrechen“ gemeint ist.
  • „jemand ist Schuld“, also quasi die Schuld in persona. Gemeint ist ein Sündenbock?

Aktuell

Juli 2008: Die Schweizer sind wieder einmal (nicht etwa „einmal mehr“!) vernünftiger: Die Konferenz der Chefredaktoren und der Verband der Schweizer Presse wird demächst den größten Schwachsinn, den die sogenannte Rechtschreibreform verzapft hat, wieder rückgängig machen (http://www.chefredaktoren.ch/) und den Vorschlägen der SOK folgen. Die SOK will die „Lesbarkeit der Texte wiederherstellen“.

Ach was? Lesen soll man das Geschriebene? Wozu das denn jetzt? Rätseln und entziffern ist doch viel spannender! Schließlich dient die ganze Reform ja der Selbstverwirklichung von Wichtigtuern, der Arbeitsbeschaffung, der Bereicherung von Verlagen und Softwareherstellern, der virtuellen Schreibfehlerverminderung und der Zerstörung von Kulturgut, und das soll jetzt nicht mehr gelten? Schande über dieses hinterwäldlerische, rückständige Bergvolk! Nein, da machen wir nicht mit und korrigieren in Wikipedia munter weiter das Adverb "sehr leid tun" in "sehr Leid tun", klopfen uns selbst auf die Schulter und schreiben als Änderungskommentar "Neue RS". Hurra! Ja schaut, dort steht auch ein sehr Baum, und und heute habe ich einen sehr Kuchen gegessen. Wie Hunger ich hatte!

Verweise

  • Der Rechtschreibrat Offizielle Seite des Rates für deutsche Rechtschreibung. Unter Aktuelles (nicht sehr sinnvoll) kann man die aktuellen Regeln als pdf-Datei einsehen. Aktuell heißt dabei: gültig ab August 2006. Man beachte, daß die Wortliste unvollständig ist, so müßte man "fertigstellen" regelkonform zusammenschreiben, das Wort taucht aber wegen einer legasthenischen Monopolfirma aus Redmond in der Wortliste nicht auf.
  • Schweizer Orthographische Konferenz Hier sind einige Verbesserungsvorschläge, d. h. eigentlich Ent-Verschlechterungssvorschläge, aufgeführt, welche Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten wiederherstellen sollen. Es gibt dort auch entsprechende Rechtschreibkorrekturwörterbücher für OpenOffice und Word.
  • Die Rechtschreibung der deutschen Nachrichtenagenturen Eigentlich vielmehr: die Variantenauswahl. Im wesentlichen werden die besser lesbaren und sinnvolleren Schreibweisen ausgewählt.
  • Vernünftig schreiben Das Thema ist Programm, der Autor ein „hoch wohl geborener ewig Gestriger Reaktionär“, den man, wenn man ihm schon nicht das Maul stopfen kann, getrost ignorieren kann
  • In eigener Sache F.A.Z.-Artikel zur Umstellung auf die (fast) amtliche Rechtschreibung. Enthält auch die Liste der von der F.A.Z. vorgenommenen Regelabweichungen.
  • Die Duden-Suche Der Duden unterschlägt Schreibweisen, die explizit im offiziellen Regelwerk vorkommen. Beispiel: „gefangengenommen“.
  • Wörterbuch der TU Chemnitz
  • Interner Wikipedia-Link
  • Stiel Blüten modern(d)er Rechts Schreibung
  • Die Rechtschreibung der Neuen Zürcher Zeitung (schweizerisch) Hier wurde mal sinnvoll nachgedacht, ähnlich wie bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
  • Schrift und Rede Hier finden sich regelmäßig einige der „beschäuertsten“ Beispiele für Neuschrieb bzw. überinterpretierten und damit sogar falschen Neuschrieb. Wenn das überhaupt per se möglich ist. Außerdem Hintergründe über Wendehälse und mafiöse Strukturen.