Benutzer:Woodcut-like/Dietrich Bittinger

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Dr. Dietrich Bittinger (* 1869; † 1926) war von 1907 bis 1911 Referent für Theaterzensur beim Polizeipräsidium München und von 1911 bis 1914 Polizeidirektor in Stuttgart.

Werdegang

Die Initiative, in München einen Zensurbeirat zu schaffen, ging von der Zensurbehörde der Münchner Polizeidirektion, Referat VI, aus. Der für die Theaterzensur zuständige Referent, der kgl. Bezirksamtsassessor, Dr. Dietrich Bittinger, hatte in einem "Bericht zur kgl. Regierung, Kammer des Inneren, von Oberbayern. Betr. Theaterzensur" vom 19. Juni 1907 zum erstenmal die Idee eines Zensurbeirates offiziell aufgegriffen. Für ihn ergab sich dabei folgende Ausgangspunkte: Ein Teil der Öffentlichkeit, namentlich nicht-konservative Kreise, viele Künstler und Literaten, aber auch bedeutende Vertreter der Rechtswissenschaft verlangen völlige Freigabe der dramatischen bzw. Theaterkunst und demgemäß gänzliche Abschaffung der Theaterzensur, deren rechtliche Grundlagen unter gleichzeitiger Leugnung der Notwendigkeit bestritten werden. [1] Ihnen gegenüber haben jedoch die Regierungen der deutschen Bundesstaaten stets an der Unentbehrlichkeit der Zensur für die Theater festgehalten unter Zustimmung der konservativen Kreise im Interesse des Staates, des Publikums und auch der Theaterunternehmer.” [2]

1911 griff der Journalist Alfred Kerr in der Zeitschrift Pan Traugott von Jagow in einer Retourkutsche für die diesem amtlich obliegende Zensur (Informationskontrolle) der Zeitschrift an: Er machte öffentlich, dass Jagow die Gattin von Kerrs Verleger Paul Cassirer, Tilla Durieux, bedrängt hatte. Nach anderen Angaben hatte der zeitlebens ledige Traugott von Jagow mit Tilla Durieux ein kleines Techtelmechtel, hinter das deren eifersüchtiger Gatte auf Grund eines abgefangenen Billets kam. Diese private Affäre wurde von allen Beteiligten gütlich beigelegt, und es hätte keine Notwendigkeit bestanden, öffentlich daran zu rühren. Doch Kerr machte aus einer rein privaten eine viel besprochene politische Affäre im Kaiserreich. Jagows weiterer dienstlicher Karriere tat der Vorfall keinen Abbruch.


1911 wurde in München das Verhalten von Dietrich Bittinger gegenüber einer Schauspielerin in der Münchener Post, skandalisiert[3] Ende 1911 veröffentlichte ein Münchner Journalist einen Artikel, in dem er Dr. Dietrich Bittinger, Leiter des Referats VI der Münchner Polizei, vorwarf, unerbittliche Schritte gegen eine Schauspielerin unternommen zu haben, die ihn in seinem Büro besuchte, um eine Frage der Theaterzensur zu erörtern. Bittinger klagte erfolgreich wegen Verleumdung, aber der Journalist legte Berufung gegen die Entscheidung ein und gewann einen erneuten Prozess. Bei diesem zweiten Prozess im Februar 1912, sagte eine andere Schauspielerin aus, dass Bittinger drei Jahre zuvor bei einem Ball ihr unter ihren Rock gegriffen hatte - etwas, an das er sich nicht erinnern konnte, und das jedenfalls, wie er sagte, die ganze Zeit bei einem bal parè geschah . Obwohl das Gericht die ursprüngliche Verurteilung des Journalisten wegen Verleumdung aufrechterhielt, reduzierte es seine Geldstrafe von vierhundert Mark auf fünfzig, was impliziert, dass Bittinges Ruf weniger hoch war als bisher angenommen. Münchens liberale und sozialistische Presse veröffentlichte schnell den Miniskandal und machte auf den Mangel an Moral durch diesen Hüter der Moral aufmerksam. Bittinger hatte inzwischen München verlassen, um die Position des Polizeidirektors von Stuttgart zu übernehmen.[4][5]

Der Polizeidirektor von Stuttgart, Bittinger, erklärte 1912, dass die derzeitige Prüfung der Filme in Stuttgart, obwohl der Anschein einer ausreichenden Zensur erweckt werde, in Wirklichkeit unhaltbar sei. Abgesehen davon, dass die vor Ort kontrollierenden Beamten oftmals nach allen Regeln der Kunst von einigen Kinobesitzern getäuscht wurden lag der maßgebliche Grund für die Unzufriedenheit darin, dass die Kinobesitzer nicht — wie in Preußen - durch Polizeiverordnung allgemein verpflichtet werden konnten, neue Filme vor der erstmaligen öffentlichen Vorführung der Prüfung einer Polizeibehörde zu unterstellen. Bittinger war übrigens von der Münchener Polizeidirektion nach Stuttgart gewechselt; nach seinen eigenen Angaben hatte er 1908 in München die präventive Filmzensur eingeführt, vgl. Amts- und Anzeigeblatt der Stadt Stuttgart 1912, S. 820. [6]

VorgängerAmtNachfolger
Polizeipräsidium_Stuttgart#Liste_der_Polizeipräsidenten
1911 bis 1914
Georg Ludwig Hermann Aichele[7]Paul Hahn

1927 wurde nach ihm der Bittingerweg im Stadtteil Stuttgart-Süd#Kaltental in Stuttgart nach ihm benannt. Koordinaten: 48° 44′ 13″ N, 9° 7′ 37″ O[8]

Einzelnachweise

  1. Als Beispiel führt Bittinger Rechtsprofessor Franz von Liszt an, der in der Versammlung des Berliner Goethe-Bundes vom 8. März 1903 (anläßlich des Verbots von Paul Heyses Drama Maria von Magdala (1899) Der Zensurprozeß um Paul Heyses Drama «Maria von Magdala» (1901-1903) , in der Berliner Philharmonie) zu diesem Problem Stellung genommen hatte (– siehe Kapitel B. II. S. 49f. Vier Gründe für eine Beseitigung der Theaterzensur:
    1. Politische Gründe: Die Theaterzensur sei nicht notwendig, um strafbare politische Handlungen, wie Jajestätsbeleidigung, Störung der öffentlichen Ruhe, Verletzung von religiösen oder sittlichen Gefühlen etc., auf der Bühne zu verhindern, dazu reiche das dem Staatsanwalt zur Verfügung stehende "Gemeine Recht" aus.
    2. Künstlerische Gründe: Die Theaterzensur schränke die durch die Gesetzgebung garantierte und kontrollierte freie Meinugnsäußerung ein: Sei "setzt ... an die Stelle der Gesetzgebung die Verwaltung, an die Stelle des Richters die Polizei, an die Stelle des Rechtes die Willkür, an die Stelle der Gleichberechtigung vor dem Gesetz die Herrschaft einer kleinen, aber mächtigen Partei".
    3. Ethische Gründe: Durch eine einmal erfolgte Freigabe sei der Theaterleiter gegen Staatsanwalt und Gericht abgesichert. Bei den zahhllosen französichen Schwänken bedeutet dies, dass "nicht die Sittlichkeit, sondern die Unsittlichkeit" geschützt würde.
    4. Nationale Gründe: Die inden einzelnen Bundesstaaten unterschiedlichen Handhabung der Theaterzensur fördere nicht die Einheit des Deutschen Reichs, sondern den genährt duch die Fehler unserer Politik drohenden Partikularismus. )- sowie Äußerungen von nicht näher genannten Abgeordneten der preußischen und bayerischen Abgeordnetenkammer
  2. Bericht zur kgl. Regierung, K.d.J., v. Obb. v. 19.6.1907 in Zensurbeirat I (4342) Angesprochen sind damit Äußerungen des Bayer Innenministers Maximilian von Feilitzsch und Francis Kruse. Die in einer Kritik an Ludwig Leiss aufgestellte Behauptung, nur in München habe ein ständiger Zensurbeirat existiert, bedarf näherer Erklärung: In Berlin ist auch wenn dazu Überlegungen angestellt wurden, kein ständiger Zensurbeirat einberufen worden. Es wurde lediglich so wie es auch im Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten hervorgeht, bei besonders strittigen Fällen ein Gutachten litarischer Sachverständiger hinzugezogen. vgl. dazu den Brief des Berliner Zensors Kurt von Glasenapp an die Münchner Polizeidirektion v. 12. Februar 1912
  3. Die scharfe, wohlberechtigte Entrüstung, die der „Münchener Post“ anläßlich der Balparé-Taten des Polizeidirektors Dr. Bittinger just vor einem Jahre die Schamröte ins Gesicht trieb, würde dem Blatte in diesem Falle auch nicht schlecht.
  4. Gary D. Stark, Banned in Berlin: Literary Censorship in Imperial Germany, 1871-1918,2012, S. 42
  5. Erich Mühsam "Kain - Zeitschrift für Menschlichkeit", Jahrgang I. No. 1. April 1911. [1], Mühsam widmete ihm in Kain, November 1911, eine Glosse.27.08.1911, "Kain - Zeitschrift für Menschlichkeit" S. 128
  6. Gerrit Binz, Filmzensur in der deutschen Demokratie: sachlicher Wandel durch, 2006, S. 61
  7. 1915: Nachdem Polizeidirektor Dr. Dietrich Bittinger auf eigenes Ansuchen aus dem städtischen Dienst ausgeschieden war, übernahm der Besoldete Gemeinderat Dr. Georg Ludwig neben seinem Amt die Leitung der Städtichen Polizeidirektion; zu seinem Stellvertreter wurde Amtmann Dr. Herman Aichle mit dem Titel Polizeirat bestellt. vgl.: Wilhelm Kohlhaas, Chronik der Stadt Stuttgart: 1913 - 1918, Klett, 1967 - 254 S., S. 46
  8. Titus Häussermann, Die Stuttgarter Strassennamen, 2003 , S. 94


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