Demokratie leben
Demokratie leben (Eigenschreibweise Demokratie leben!, vollständiger Titel Demokratie leben! – Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit)[1] ist ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das 2014 durch Manuela Schwesig ins Leben gerufen wurde.[2]
Vorläufer und Ziele
Das BMFSFJ unterstützt seit 2001 verschiedene Programme zur Extremismus-Prävention. Demokratie leben schloss sich ab Januar 2015 den zum Ende 2014 auslaufenden Bundesprogrammen Toleranz fördern – Kompetenz stärken und Initiative Demokratie Stärken an.[3]
Mit dem Projekt will das BMFSFJ das zivilgesellschaftliche Engagement für die Demokratie und gegen Extremismus unterstützen.[4] Gefördert werden Projekte von Organisationen, Initiativen, Vereinen und Bürgern. Zu Demokratie leben gehören Projekte auf kommunaler, regionaler und überregionaler Ebene.[5] Die Ziele lauten zusammengefasst: Demokratie fördern, Vielfalt gestalten, Extremismus vorbeugen.[6] Die fehlende Präzision wurde in den Medien kritisiert.[7]
Entwicklung
Die Auftaktkonferenz von Demokratie leben fand im Februar 2015 statt.[3] Das Förderbudget für 2015 betrug 40,5 Millionen Euro. Dadurch wurde die Zahl der Lokalen Aktionspläne (LAP) „für demokratisches Handeln und gegen rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische Tendenzen“ von 170 auf 220 gesteigert.[2] Außerdem wurde die Förderung von „Modellprojekten gegen Islamfeindlichkeit, Antiziganismus, Antisemitismus, Homophobie und Transgender-Diskriminierung sowie für die Demokratieentwicklung im ländlichen Raum“ ausgeweitet, indem bei einem Gesamtbudget von 6 Millionen Euro die Förderzuschüsse von zuvor bis zu 50 % auf bis zu 80 % der Projektkosten erhöht wurden.[2] Zudem sollten Demokratiezentren in den Bundesländern zur „Vernetzung und Förderung von mobiler Beratung und Opferberatung“ mit bis zu 400.000 Euro gefördert werden.[2]
Auch der durch das BMFSFJ geförderte Deutsche Engagementpreis erhielt ein höheres Budget, um in verschiedenen Kategorien, wie „Chancen schaffen“, „Grenzen überwinden“, „Leben bewahren“, „Generationen verbinden“ und „Demokratie stärken“ mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnungen zu verleihen.[8]
2016 wurde das Budget auf 50 Millionen Euro erhöht und anschließend 2017 auf 104,5 Millionen Euro verdoppelt.[9][4] In Kooperation mit Scholz & Friends startete 2017 eine groß angelegte Werbekampagne, um Demokratie leben bekannter zu machen und für demokratisches Engagement zu werben.[7][10][11]
2018 betrug das Gesamtbudget 120,5 Millionen Euro, über 600 Projekte wurden gefördert.[12]
2019 betrug das Gesamtbudget 115,5 Millionen Euro.[13][14]
Kritik am Programm
Markus Wehner kritisierte 2017 in der FAZ nach den G20-Ausschreitungen in Hamburg, Demokratie leben würde zu wenig Fördergelder in Projekte gegen Linksextremismus stecken.[15]
2018 geriet Demokratie leben in die Kritik, als bekannt wurde, dass das BMFSFJ insgesamt 51 Projektträger heimlich durch das Bundesamt für Verfassungsschutz durchleuchten ließ.[16][12]
Evaluation
Das Programm wird in wesentlichen Teilen durch die Außenstelle des Deutschen Jugendinstituts in Halle an der Saale, welches bereits seit 2001 auch die Vorläuferprogramme begleitet, evaluiert. Es hat die wissenschaftliche Begleitung im Handlungsbereich Land, im Handlungsbereich Bund, im Handlungsfeld „Demokratieförderung“ und „Prävention und Deradikalisierung in Strafvollzug und Bewährungshilfe“ inne sowie die Gesamtevaluation des Programms.[17]
Das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik begleitet den Handlungsbereich Kommune und das Handlungsfeld „Extremismusprävention“.
Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)[18] übernimmt die wissenschaftliche Begleitung im Handlungsfeld „Vielfaltgestaltung“.[19]
Kürzungsdiskussion, Umstrukturierungen, Forderung nach Demokratie-Fördergesetz
Ende September 2019 wurde bekannt, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz und die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Franziska Giffey eine Kürzung um 8 Millionen Euro planten.[20][21] Darüber hinaus könnten viele seit Jahren etablierte und erfolgreich arbeitende Projekte nicht weiter gefördert werden, da die Förderung dieser sogenannten Modellprojekte nach den derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen auslaufen müsse.[22][23] Franziska Giffey forderte deshalb ein sogenanntes Demokratie-Fördergesetz, was bisher auf Ablehnung der CDU/CSU stieß.
Am 9. Oktober direkt nach dem Mordattentaten von Halle erklärten Scholz und Giffey dann, die geplante Kürzung für ein Jahr zurückzunehmen und auf der gleichen Höhe wie 2019, die nächsten fünf Jahre fortzuführen. Zum angestrebten Demokratie-Fördergesetz soll die CDU/CSU nun Gesprächsbereitschaft erklärt haben.[24][25][26] Da jedoch viele etablierte und erfolgreiche Programme nicht weiter verlängert wurden und nun vor dem Aus stehen, verfassten 120 Organisationen der Zivilgesellschaft sowie rund 120 Unterstützer[27] unter Federführung der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD), einen gemeinsamen offenen Brief an Franziska Giffey.[28][29]
Auch nach dem Anschlag in Hanau 2020 wurde erneut über die sogenannte „Demokratieförderung“ diskutiert; ein mögliches Gesetz zur Ermöglichung von dauerhaften Förderungen für Demokratieprojekten sei durch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion blockiert worden.[30]
Audios
- Fördermittel für Demokratie-InitiativenGeld ist da, aber Dauerförderung ist verboten, von Claudia van Laak, Deutschlandfunk 14. November 2019, Audio-Version 8.09 Minuten (1/2 Jahr online)
- Modellprojekte gegen Antisemitismus vor dem Aus, 7 Minuten, Sendung „Schalom“, Deutschlandfunk 1. November 2019 (1/2 Jahr online)
- Kürzung von Bundesmitteln Zivilgesellschaftliche Initiativen vor dem Aus, von Claudia van Laak, Deutschlandfunk 7. Oktober 2019, Audio-Version 4.48 Minuten (1/2 Jahr online)
Video
- Zivilgesellschaft im Osten auf dem Rückzug 10.47 Minuten, Monitor (Fernsehmagazin) 5. November 2019
Siehe auch
- Initiativen gegen Rechtsextremismus in Deutschland
- Rechtsextremismus in Deutschland#Gegeninitiativen
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Anett Baron: Ministerin Manuela Schwesig fordert mehr echte Anerkennung für das Ehrenamt. In: Berliner Woche. 10. März 2015, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ a b c d Miriam Hollstein: Manuela Schwesig: „Linksextremismus ist ein aufgebauschtes Problem“. Hrsg.: Die Welt. 30. Juni 2014 (welt.de [abgerufen am 11. September 2019]).
- ↑ a b Förderperiode 2015–2019. Abgerufen am 4. März 2021.
- ↑ a b Elke Halefeldt: Demokratie leben! – nur: welche genau? In: heise.de. 5. April 2017, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ Bundesprogramm 2015-2019 „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“. (PDF) In: BMFSFJ. 2014, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ Über „Demokratie leben!“ Abgerufen am 4. März 2021.
- ↑ a b Susanne Gaschke: Werbekampagne: 100 Millionen Euro für „Demokratie-Projekte“ – doch was bringen sie? Hrsg.: Die Welt. 7. Mai 2017 (welt.de [abgerufen am 11. September 2019]).
- ↑ Deutscher Engagementpreis 2015: Online-Abstimmung für Publikumspreis gestartet. In: www.demokratie-leben.de. BMFSFJ, 17. September 2015, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ Astrid Geisler: Regierung verdoppelt Ausgaben gegen rechts. In: Zeit Online. 19. März 2016, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ Frank Zimmer: So sieht die Regierungskampagne von Scholz & Friends aus | W&V. In: Werben & Verkaufen. 4. April 2017, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ Ingo Rentz: Scholz & Friends-Kampagne „Demokratie leben“: „Demokratie ist kein Produkt, das man kauft“. In: Horizont.net. 18. April 2017, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ a b Arne Semsrott: Familienministerium: Wenn bekannt wird, wie wir arbeiten, kann man uns nicht mehr vertrauen. In: netzpolitik.org. 18. Januar 2019, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ Konrad Litschko: Förderung von Anti-Rechts-Projekten: Nur noch bis zum Jahresende. In: Die Tageszeitung: taz. 21. Mai 2019, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 11. September 2019]).
- ↑ Die Demokratie verteidigen. In: www.bundesregierung.de. Bundesregierung Deutschland, 27. Juni 2019, abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ Markus Wehner: Wenig hilft wenig: Nur ein Prozent gegen Linksextremismus. Hrsg.: Frankfurter Allgemeine Zeitung. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 11. September 2019]).
- ↑ Martin Kaul: Verfassungsschutz überprüfte NGOs: Demokratieprojekte durchleuchtet. In: Die Tageszeitung: taz. 16. Mai 2018, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 11. September 2019]).
- ↑ DJI – Programmevaluation „Demokratie leben!“ Abgerufen am 16. März 2022.
- ↑ Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Abgerufen am 4. März 2021.
- ↑ Programmevaluation. Abgerufen am 3. März 2021.
- ↑ „Demokratie leben!“ Fatales Signal an Zivilgesellschaft, von Georg Sturm Neues Deutschland 25. September 2019
- ↑ Kürzung von Bundesmitteln Zivilgesellschaftliche Initiativen vor dem Aus, von Claudia van Laak, Deutschlandfunk 7. Oktober 2019, Audio-Version 1/2 Jahr online
- ↑ Projekt „Netzteufel“ bedroht Änderung in Bundesprogramm Evangelische Akademie Berlin 18. Oktober 2019, „Demokratie leben“Evangelische Akademie beendet Projekt gegen Hass-Sprache Deutschlandfunk Nachrichten 28. Oktober 2019
- ↑ Paket gegen Rechtsextremismus „Extremst enttäuscht von ihr“, sagt Ates über die Ministerin, von Sabine Menkens Die Welt 30. Oktober 2019
- ↑ Pressemitteilung Über 115 Mio. Euro für „Demokratie leben!“ im Jahr 2020, Pressemitteilung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 9. Oktober 2019
- ↑ Kampf gegen Extremismus Bundesregierung stockt Demokratieprogramm doch auf – für ein Jahr, von Ann-Katrin Müller, Der Spiegel 9. Oktober 2019
- ↑ Haushalt für Programm „Demokratie leben“ soll aufgestockt werden, EPD 9. Oktober 2019
- ↑ https://www.dissens.de/buendnis2019offenerbrief
- ↑ https://www.demokratie-mobilisieren.de/
- ↑ Wenn „Demokratie leben!“ eingeschläfert wird, Katharina Debus im Interview mit Radio LoRa
- ↑ Nach Anschlag von Hanau Demokratieförderung in der Warteschleife, Tagesschau (ARD) 27. Februar 2020