Deutsche Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest
Bei der deutschen Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest der Europäischen Rundfunkunion wird der deutsche Beitrag gewählt bzw. vorgestellt. Nachdem der Eurovisions-Wettbewerb 1956 gegründet worden war, fand in Deutschland ab 1960 fast in jedem Jahr eine Vorentscheidung statt, die im Fernsehen übertragen wurde. Bis auf 1976, 1996, 1999 und 2015 nahm der jeweils ausgewählte Beitrag auch an der internationalen Endrunde des Wettbewerbs teil.
Verantwortliche Sendeanstalten
Für die Organisation und Durchführung der deutschen Vorentscheidung ist normalerweise eine der Landesrundfunkanstalten der ARD verantwortlich, in einigen Jahren wurden die Vorentscheidungen auch von mehreren Anstalten gemeinsam veranstaltet. Von 1964 bis 1992 trugen die deutschen Vorentscheidungen den Titel Ein Lied für …, ergänzt durch den Namen der Stadt, in der im jeweiligen Jahr der Eurovision Song Contest stattfand. Die Einschaltquoten waren in vielen Jahren beachtlich hoch. In den 1980er-Jahren wurden bei der Vorentscheidung rund 15 Millionen Zuschauer gezählt; das waren zum Teil mehr als beim europäischen Wettbewerb.
In den 1950er- bis 1970er-Jahren war der Hessische Rundfunk Ausrichter der deutschen Vorentscheidung. 1979 war erstmals der Bayerische Rundfunk Veranstalter, der bis einschließlich 1991 die Vorentscheidung austrug. Der Mitteldeutsche Rundfunk war von 1992 bis 1995 für die deutsche Vorentscheidung verantwortlich, wobei jedoch nur 1992 ein Wettbewerb ausgetragen wurde und in den übrigen Jahren die Kandidaten per Juryentscheidung bestimmt wurden.
Seit 1996 veranstaltete der Norddeutsche Rundfunk die deutsche Vorentscheidung. 2004 und 2005 wurde der Sendetitel in Germany 12 Points! geändert; jeweils mit dem Untertitel der deutsche Vorentscheid. 2009 wurde der Siegertitel unter Regie des NDR nicht durch einen Wettbewerb, sondern eine interne Juryentscheidung ermittelt.
Aufgrund des schlechten Abschneidens in den letzten Jahren wurde das Konzept für das Jahr 2010 erneut geändert. Als Mitveranstalter wurde Stefan Raab gewonnen, der in verschiedenen Funktionen selbst dreimal einstellige Platzierungen beim ESC erreicht hatte. Da Raab vertraglich an den Privatsender ProSieben gebunden ist, kam es erstmals zu einer Kooperation der ARD mit einem privaten Fernsehsender. Ergebnis war eine Staffel mit insgesamt acht Casting-Shows unter dem Titel Unser Star für Oslo. Für die Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest 2011 produzierten ARD und ProSieben wieder eine gemeinsame Show-Reihe mit dem Titel Unser Song für Deutschland.[1] Auch für die Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest 2012 wurde diese Zusammenarbeit unter dem Titel Unser Star für Baku fortgesetzt.
Im November 2015 entschied die ARD, dass Xavier Naidoo ohne die bis dahin üblichen Vorentscheidungen Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten solle. Die Zuschauer hätten am 18. Februar 2016 lediglich über den Song abstimmen dürfen. Die Entscheidung wurde im Hinblick auf Naidoos politisch umstrittene Aussagen teilweise heftig kritisiert, unter anderem von der Süddeutschen Zeitung, Zeit, Spiegel und auch in den sozialen Netzwerken.[2][3][4] Am 21. November 2015 zog der NDR seine Entscheidung, Xavier Naidoo beim ESC 2016 auftreten zu lassen, aufgrund der heftigen Proteste zurück.[5]
Endrunden-Teilnahme
Nach der Aufnahme der osteuropäischen Länder in die EBU Anfang der 1990er-Jahre war die Zahl der teilnahmeberechtigten Länder zu groß geworden, um deren Lieder den Zuschauern alle an einem Fernsehabend zu präsentieren. Bei der Vorauswahl durch eine Jury fiel 1996 der deutsche Beitrag durch. Da danach das Interesse der großen Beitragszahler der EBU (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien) an der Sendung gefährdet war, wurden die Regeln so modifiziert, dass die großen EBU-Länder immer an der Endrunde des Wettbewerbs teilnehmen dürfen.
Moderatoren
- Heinz Piper (1956)
- Hans-Joachim Kulenkampff (1957, 1966)
- Anaid Iplicjian (1958)
- Kurt A. Jung (1958)
- Hilde Nocker (1960, 1964)
- Werner Fullerer (1960)
- Heinz Schenk (1961)
- Klaus Havenstein (1962)
- Henno Lohmeyer (1965)
- Marie-Louise Steinbauer (1969–1970)
- Günther Schramm (1971)
- Karin Tietze-Ludwig (1972, 1975)
- Renate Bauer (1972)
- Edith Grobleben (1973)
- Max Schautzer (1976)
- Carolin Reiber (1979–1980, 1982–1983)
- Thomas Gottschalk (1979–1980)
- Katja Ebstein (1981)
- Rudolf Rohlinger (1981–1983)
- Sabine Sauer (1984)
- Margit Geissler (1985)
- Wolfgang Mascher (1985)
- Wencke Myhre (1986)
- Sabrina Lallinger (1986)
- Ingrid Peters (1987)
- Christoph Deumling (1987)
- Jenny Jürgens (1988)
- Hape Kerkeling (1989–1991)
- Sylvia Wintergrün (1991)
- Carmen Nebel (1992)
- Jens Riewa (1996–1997)
- Nena (1998)
- Axel Bulthaupt (1998–2003)
- Sandra Studer (1999)
- Sarah Kuttner (2004)
- Jörg Pilawa (2004)
- Reinhold Beckmann (2005)
- Thomas Hermanns (2006–2008)
- Sabine Heinrich (2010–2011)[6]
- Matthias Opdenhövel (2010–2011)[6]
- Sandra Rieß (2012)
- Steven Gätjen (2012)
- Anke Engelke (2013)
- Linda Zervakis (2018–2019)
- Elton (2018)
- Barbara Schöneberger (2014–2017, 2019, 2022)
Liste der Vorentscheidungen
Die folgende Liste gibt einen Überblick über alle im Fernsehen ausgestrahlten Vorentscheidungen. Die Zahl der Beiträge bezieht sich auf die in der Fernsehvorentscheidung gesungenen Lieder (nicht zwangsläufig der Interpreten, da in manchen Jahren ein Interpret alle Beiträge sang oder mehrere Teilnehmer je zwei). „Keine Vorentscheidung“ bedeutet, dass die Vorentscheidung nicht im Fernsehen stattfand. Für 1976 und 1999 ist neben dem später disqualifizierten Sieger der Vorentscheidung der nachgerückte Beitrag aufgeführt, ebenso für 2015, als der Gewinner nicht am internationalen Wettbewerb teilnehmen wollte.
Für das Jahr 2009 gab es keine deutsche Vorentscheidung. Ein Direktkandidat vertrat Deutschland im Finale in Moskau. Bis Januar 2009 hatten Musiker, Komponisten und Texter die Möglichkeit, sich zu bewerben, um dann dort antreten zu dürfen. Mit dieser Maßnahme erhoffte man sich eine höhere Teilnahmebereitschaft internationaler Künstler, um den direkten Weg ins Finale nehmen zu können. Die Entscheidung für den deutschen Teilnehmer lag letztlich bei einer Jury.[7] Für das Jahr 2020 haben eine Jury aus 100 Zuschauern sowie eine 20-köpfige Expertenjury den Siegertitel und -interpreten bestimmt, der in der Sendung Unser Lied für Rotterdam vorgestellt wurde.[8]
Jahr | Name | Zahl der Beiträge | Ort | Federführende Sendeanstalt |
Sieger bzw. ausgewählter Interpret | Lied |
---|---|---|---|---|---|---|
1956a | – | 12 | Köln | Nordwestdeutscher Rundfunk (NWDR) | Freddy Quinn | So geht das jede Nacht |
Walter Andreas Schwarz | Im Wartesaal zum großen Glück | |||||
1957 | Zwei auf einem Pferd | 4 | Frankfurt am Main | Hessischer Rundfunk (hr) | Margot Hielscher | Telefon, Telefon |
1958 | – | 12 | Dortmund | Westdeutscher Rundfunk Köln (WDR) | Margot Hielscher | Für zwei Groschen Musik |
1959 | – | keine Vorentscheidung | Hessischer Rundfunk (hr) | Alice und Ellen Kessler | Heute abend wollen wir tanzen geh’n | |
1960 | Schlagerparade | 10 | Wiesbaden | Wyn Hoop | Bonne nuit, ma chérie | |
1961 | Die Schlagerparade | 13 | Bad Homburg vor der Höhe | Lale Andersen | Einmal sehen wir uns wieder | |
1962 | Deutsche Schlager-Festspiele 1962 | 12 | Baden-Baden | Südwestfunk (SWF) | Connie Froboess | Zwei kleine Italiener |
1963 | – | b | 5Frankfurt am Main | Hessischer Rundfunk (hr) | Heidi Brühlb | Marcel |
1964 | Ein Lied für Kopenhagen | 6 | Frankfurt am Main | Nora Nova | Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne | |
1965 | Ein Lied für Neapel | 6 | Hamburg | Norddeutscher Rundfunk (NDR) | Ulla Wiesner | Paradies, wo bist du? |
1966 | – | keine Vorentscheidung | Hessischer Rundfunk (hr) | Margot Eskens | Die Zeiger der Uhr | |
1967 | keine Vorentscheidung | Inge Brück | Anouschka | |||
1968 | keine Vorentscheidung | Wencke Myhre | Ein Hoch der Liebe | |||
1969 | Ein Lied für Madrid | 9 | Frankfurt am Main | Siw Malmkvist | Primaballerina | |
1970 | Ein Lied für Amsterdam | 6 | Frankfurt am Main | Katja Ebstein | Wunder gibt es immer wieder | |
1971 | Ein Lied für Dublin | b | 6Frankfurt am Main | Katja Ebsteinb | Diese Welt | |
1972 | Ein Lied für Edinburgh | 12 | Berlin | Sender Freies Berlin (SFB) | Mary Roos | Nur die Liebe läßt uns leben |
1973 | Ein Lied für Luxemburg | 12 | Frankfurt am Main | Hessischer Rundfunk (hr) | Gitte | Junger Tag |
1974 | – | keine Vorentscheidung | Cindy & Bert | Die Sommermelodie | ||
1975 | Ein Lied für Stockholm | 15 | Frankfurt am Main | Joy Fleming | Ein Lied kann eine Brücke sein | |
1976 | Ein Lied für Den Haag | 12 | (keine Live-Sendung)[9] | Tony Marshall | Der Star | |
Tony Marshall wurde nachträglich disqualifiziert, für ihn nahmen die Les Humphries Singers mit Sing Sang Song am ESC teil. | ||||||
1977 | – | keine Vorentscheidung | Silver Convention | Telegram | ||
1978 | – | 15 | (Vorentscheidung im Radio)[10] | Südwestfunk (SWF) | Ireen Sheer | Feuer |
1979 | Ein Lied für Jerusalem | 12 | München | Bayerischer Rundfunk (BR) | Dschinghis Khan | Dschinghis Khan |
1980 | Ein Lied für Den Haag | 12 | Unterföhring | Katja Ebstein | Theater | |
1981 | Ein Lied für Dublin | 12 | Unterföhring | Lena Valaitis | Johnny Blue | |
1982 | Ein Lied für Harrogate | 12 | Unterföhring | Nicole | Ein bißchen Frieden | |
1983 | Ein Lied für München | 12 | Unterföhring | Hoffmann & Hoffmann | Rücksicht | |
1984 | Ein Lied für Luxemburg | 12 | München | Mary Roos | Aufrecht geh’n | |
1985 | Ein Lied für Göteborg | 12 | München | Wind | Für alle | |
1986 | Ein Lied für Bergen | 12 | München | Ingrid Peters | Über die Brücke geh’n | |
1987 | Ein Lied für Brüssel | 12 | Nürnberg | Wind | Laß die Sonne in dein Herz | |
1988 | Ein Lied für Dublin | 12 | Nürnberg | Maxi & Chris Garden | Lied für einen Freund | |
1989 | Ein Lied für Lausanne | 10 | München | Nino de Angelo | Flieger | |
1990 | Ein Lied für Zagreb | 10 | München | Chris Kempers & Daniel Kovac | Frei zu leben | |
1991 | Ein Lied für Rom | 10 | Berlin | Sender Freies Berlin (SFB) in Kooperation mit Deutscher Fernsehfunk (DFF) | Atlantis 2000 | Dieser Traum darf niemals sterben |
1992 | Ein Lied für Malmö | 6 | Magdeburg | Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) | Wind | Träume sind für alle da |
1993 | – | keine Vorentscheidung | Münchener Freiheit | Viel zu weit | ||
1994 | – | keine Vorentscheidung | MeKaDo | Wir geben ’ne Party | ||
1995 | – | keine Vorentscheidung | Stone & Stone | Verliebt in Dich | ||
1996 | Ein bisschen Glück | 10 | Hamburg | Norddeutscher Rundfunk (NDR) | Leon | Planet of Blue |
1997 | Der Countdown läuft | 9 | Lübeck | Bianca Shomburg | Zeit | |
1998 | Countdown Grand Prix 1998 | 10 | Bremen | Guildo Horn & die Orthopädischen Strümpfe | Guildo hat euch lieb! | |
1999 | Countdown Grand Prix 1999 | 11 | Bremen | Corinna May | Hör den Kindern einfach zu | |
Corinna May wurde nachträglich disqualifiziert, für sie nahmen Sürpriz mit Reise nach Jerusalem – Kudüs’e seyahat am ESC teil. | ||||||
2000 | Countdown Grand Prix 2000 | 11 | Bremen | Stefan Raab | Wadde hadde dudde da? | |
2001 | Countdown Grand Prix 2001 | 12 | Hannover | Michelle | Wer Liebe lebt | |
2002 | Countdown Grand Prix 2002 | 15 | Kiel | Corinna May | I Can’t Live without Music | |
2003 | Countdown Grand Prix 2003 | 14 | Kiel | Lou | Let’s Get Happy | |
2004 | Germany 12 Points! | 10 | Berlin | Max | Can’t Wait Until Tonight | |
2005 | Germany 12 Points! | 10 | Berlin | Gracia | Run & Hide | |
2006 | Der deutsche Vorentscheid 2006 – 50 Jahre Grand Prix | 3 | Hamburg | Texas Lightning | No No Never | |
2007 | Wer singt für Deutschland? | 3 | Hamburg | Roger Cicero | Frauen regier’n die Welt | |
2008 | Wer singt für Deutschland? | 5 | Hamburg | No Angels | Disappear | |
2009 | – | keine Vorentscheidung | Alex Swings Oscar Sings! | Miss Kiss Kiss Bang[11] | ||
2010 | Unser Star für Oslo | 20 | Köln | Norddeutscher Rundfunk (NDR) in Kooperation mit ProSieben | Lena Meyer-Landrut | Satellite |
2011 | Unser Song für Deutschland | 12b | Köln | Lena Meyer-Landrutb | Taken by a Stranger | |
2012 | Unser Star für Baku | 20 | Köln | Roman Lob | Standing Still | |
2013 | Unser Song für Malmö | 12 | Hannover | Norddeutscher Rundfunk (NDR) | Cascada | Glorious |
2014 | Unser Song für Dänemark | 8 | Köln | Elaiza | Is It Right | |
2015 | Unser Song für Österreich | 8 | Hannover | Andreas Kümmert | Heart of Stone | |
Andreas Kümmert lehnte die Teilnahme am ESC ab, für ihn nahm die Zweitplatzierte Ann Sophie teil. | ||||||
Ann Sophie | Black Smoke | |||||
2016 | – | c | 6||||
Die Entscheidung, Xavier Naidoo beim ESC 2016 auftreten zu lassen, wurde am 21. November 2015 zurückgezogen.[12] | ||||||
Unser Lied für Stockholm | 10 | Köln | Jamie-Lee Kriewitz | Ghost | ||
2017 | Unser Song 2017 | 5 | Köln | Levina | Perfect Life | |
2018 | Unser Lied für Lissabon | 6 | Berlin | Michael Schulte | You Let Me Walk Alone | |
2019 | Unser Lied für Israel | 7 | Berlin | S!sters | Sister | |
2020 | – | keine Vorentscheidung | Ben Dolic | Violent Thing | ||
2021 | – | keine Vorentscheidung | Jendrik | I Don't Feel Hate | ||
2022 | Germany 12 Points | 6 | Berlin | Malik Harris | Rockstars |
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ eurovision.ndr.de
- ↑ Carolin Gasteiger: Xavier Naidoo beim ESC ist ein schlechter Scherz. In: Süddeutsche Zeitung, 19. November 2015
- ↑ Twitter-Reaktionen zu Naidoo beim ESC: „Haarsträubende Fehlentscheidung“. Spiegel Online, 19. November 2015
- ↑ Matthias Breitinger: Deutsches Reich – twelve points. Zeit Online, 19. November 2015
- ↑ Xavier Naidoo fährt nicht zum ESC nach Stockholm. NDR.de, Presse, Mitteilungen
- ↑ a b Kooperation mit ARD: Raab soll den Song Contest retten. FOCUS Online, abgerufen am 21. Juli 2009.
- ↑ Keine Vorentscheidung beim „Grand Prix 2009“ – NDR sucht Kandidaten für Finale in Moskau lieber selbst. wunschliste.de
- ↑ DER SPIEGEL: ESC 2020: NDR bestimmt deutschen Beitrag 2020 ohne Publikumsabstimmung - DER SPIEGEL - Kultur. Abgerufen am 10. Februar 2020.
- ↑ Informationen zum Vorentscheid 1976. eurovision.ndr.de
- ↑ Informationen zum Vorentscheid 1978. eurovision.ndr.de
- ↑ Grand Prix: No-Name-Gruppe für Deutschland – „Alex swings, Oscar sings“ sollen in Moskau punkten. wunschliste.de
- ↑ Xavier Naidoo fährt nicht zum ESC nach Stockholm. NDR.de, Presse, Mitteilungen