Diskussion:Ausbreitung des Menschen/Archiv/2013/4
Art, Richtung und Geschwindigkeit der Ausbreitung
Ich komme auf diese Frage durch einen Artikel in der heutigen SZ (S. 16, Hubert Filser, Der Stammbaum schrumpft. -- Über die Funde in Dmanissi). Da steht, eher nebenbei: "In 100 000 Jahren überbrückten die Auswanderer einer Entfernung von cira 4300 Kilometer Luftlinie." Macht also knapp 25 km pro Jahr. Ich erinnere mich, dass ich einmal gelesen habe -- ich glaube, in Johann Grolle, Darwins Finken, dass man von ca. 50 km / Jahr ausgehen kann. Hier im Artikel heißt es: "... Dabei handelt es sich nicht um zielgerichtete Wanderungen; in den meisten Fällen genügt es anzunehmen, dass eine Gruppe ihren Siedlungsbereich um wenige Kilometer pro Generation erweiterte [?]."
Wie dem auch sei, meine Überlegung ist die Folgende: Frühmenschen hatten keinen Kompass und keine Landkarten. Sie hatten auch kein Ziel, etwa Europa, Asien oder Australien zu erreichen. Sie haben sich wahrscheinlich in bestimmte Richtungen bewegt: a) aus Neugierde ("Was ist hinter dem nächsten Berg?"), b) aus Notwendigkeit (unüberwindbare Hindernisse, Bergketten, Flüsse, Seen) und c) zur Verbesserung ihrer Ernährung (hinter diesen Herden her). Nun aber die Frage: Wenn dem so ist, dann würden diese Menschengruppen sich vollkommen unregelmäßig bewegen. Vom Ausgangspunkt aus gesehen vorwärts, seitwärts und auch mal rückwärts. Oder seitwärts, dann rückwärts. Auf diese Weise müssten dann viel, viel mehr Kilometer / Jahr zurückgelegt werden, um nach Zufallsgesichtspunkten 1000 Kilometer von Afrika weg oder z. B. in Richtung Europa zu kommen.
Gibt es zu dieser Frage Forschungen, die man hier einbauen könnte? --Delabarquera (Diskussion) 11:07, 18. Okt. 2013 (CEST)
- Meiner Kenntnis nach: nein. Man hat Fossilien- oder archäologische Funde, die mehr oder weniger (un)genau datiert sind. Nur daraus kann man diese "Wanderungen" rekonstruieren, daher auch die abweichenden km-Schätzungen. Das "warum" der Wanderungen ist weitgehend unklar - Bevölkerungsdruck? Klimaveränderungen (so wie im Bereich der Sahara, wo die Feuchtgebiete nach der Eiszeit verschwanden)? Überhaupt: Wo fanden die "Wanderungen" in bewaldeten Regionen statt - entlang von Flüssen? Entlang der Meeresküste? Letzteres gilt zumindest für H. erectus als warscheinlich, nur, dass die damaligen Küstenstreifen heute unter Wasser liegen. Die km-Schätzungen besagen eigentlich nur, dass es möglich war, diese weiten Strecken ohne großen Aufwand zurückzulegen, mehr nicht. --Gerbil (Diskussion) 14:05, 18. Okt. 2013 (CEST)
- Dank, Gerbil, für die Anmerkungen. Am meisten würde mich doch die "Richtungsfindung" interessieren. Denn die "Geschwindigkeiten", die da gelegentlich angegeben werden, sind ja vollständig davon abhängig. ("Wer im Kreis geht, kommt nicht so recht vorwärts." ;-) -- Grüße! --Delabarquera (Diskussion) 14:43, 18. Okt. 2013 (CEST)
- Es gibt Korrelationen mit Temperaturänderungen in Afrika, soll heißen, südlich wurde es unwirtlicher, die Tierherden zogen immer weiter nach Norden, aber es gibt halt auch Trends in den Wissenschaften, die mal dieses, mal jenes in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen, und momentan ist öko die große Masche - das macht mich zögerlich, diese Öko-Hypothese allzu ernst zu nehmen, auch wenn sie plausibel klingt. --Gerbil (Diskussion) 15:15, 18. Okt. 2013 (CEST)
- Nur ganz kurz, Gerbil: Es geht mir nicht um die -- sicher extrem schwer zu fassenden -- Gründe für die Wanderungsbewegungen und die Ausbreitung der frühen Menschen, sondern um die Richtungsfindung an sich. Weil von dieser Richtungsfindung der Umfang der jährlichen Wanderungskilometer abhängt. Wie es scheint, gibt es da, bei der Richtungsfindung, eine vollständig offene und dabei sehr wichtige Größe. --Delabarquera (Diskussion) 08:31, 21. Okt. 2013 (CEST)
- Ich hatte in meiner ersten Antwort ja schon gesagt, dass ich keine Studien dazu kenne. Nur wildes Denken, vulgo: Hypothesen. Die Frage nach dem warum ist meines Erachtens zugleich auch eine wesentliche Frage im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Hin und Her der Wanderungen, denn heute sind die Tierwanderungen in der Serengeti ja ein Kreislauf, und viel passendere Modelle für Tierwanderungen (am Boden ) in Afrika haben wir ja nicht. --Gerbil (Diskussion) 10:07, 21. Okt. 2013 (CEST)
- @Gerbil Danke! Ich werde mich irgendwann mal zu einer Uni-Leute-Befragung aufmachen. Das soll deine Einschätzung nicht um ein Jota infragestellen. Ich bin nur neugierig, ob es da nicht zumindest informelle Spekulationen im Vorveröffentlichungsbereich gibt. Sollte ich was erfahren, dann mache ich hier einen neuen Diskussionspunkt auf. ;-) --Delabarquera (Diskussion) 08:18, 23. Okt. 2013 (CEST)
Delabarqura: mh.... !! 4300 km in 100 000 Jahren ? Das sind nicht 25 km pro Jahr, sondern 25 Jahre pro km.... oder 40m pro Jahr. das ist selbst für heutige überfettete H.sapiens kein Problem, sogar ohne Taschenrechner.
Warum diese Richtung ? Es ging (neben der Neugierde wahrscheinlich) immer dort entlang, wo genügend Nahrung vorhanden war. Mir scheint, die Wanderung erfolgte immer in einem bestimmten Abstand zum Eisrand, nämlich dort, wo optimale Bedingungen für die Beutetiere unserer Vorfahren herrschten. Hier können Geologen und Biologen helfen.
(keine Ahnung, wie ich unterschreiben muß, bin erst vor 10.000 Jahren hier eingetroffen...)
In diesem Zusammenhang: "Geht man von diesem Datum [60000 Jahre Australien] aus, benötigte die Menschheit ca. 2000 Generationen seit dem Verlassen Afrikas, um die Erde zu besiedeln". Das wären ja bei 20 Jahren pro Generation 40000 Jahre. Was ist damit gemeint? Ich dachte, die eigentliche Ausbreitung des Homo sapiens von Afrika hätte (abgesehen vom Nahen Osten, dieser Versuch ist ja aber wohl gescheitert) erst vor etwa 70000 Jahren, nach dem vermuteten genetischen Flaschenhals begonnen. Dann wären es ja nur einige tausend Jahre von Afrika bis Australien, was vielleicht fünf Kilometer pro Jahr macht, also immer noch denkbar. Oder wurde der Nahe Osten doch schon vor ca. 100000 Jahren in Richtung Australien verlassen? Was ist dann mit dem Flaschenhals? Ich weiß nicht, wie der Forschungsstand dazu ist, ich finde aber, dass der Artikel dazu widersprüchlich oder mindestens unklar ist, wenn ich nichts falsch verstehe oder übersehe. --Pelotes71 (Diskussion) 13:00, 2. Jan. 2019 (CET)
- Es hat möglicherweise mehrere Wellen der 'Auswanderung' gegeben, u.a. eine erfolgreiche frühe bis nach Australien; das ist momentan aber leider alles noch sehr im Ungefähren, wie übrigens auch die Annahmen für die 'Wanderungsgeschwindigkeit'. Das Kernproblem ist: Die Wanderungen erfolgten vermutlich entlang der Küsten, bei eiszeitlich bedingtem niedrigerem Wasserstand als heute, so dass mögliche frühe Siedlungsspuren von 'unterwegs' heute unter Wasser liegen. Gerbil (Diskussion) 13:10, 2. Jan. 2019 (CET)
- Na gut, danke, dann ist der genetische Flaschenhals vor 70.000 Jahren wohl auch noch sehr im Ungefähren... --Pelotes71 (Diskussion) 19:38, 3. Jan. 2019 (CET)
- Ich würde nicht allzu viel Geld für eine Wette einsetzen, dass es diese hypothetischen Flaschenhälse alle gab. Die würden ja voraussetzen, dass es zwischenzeitlich mehrfach eine Art Bevölkerungsexplosion gegeben hätte. Dafür gibt es aber meines Wissens keine Daten (Belege). Ich bin bezüglich dieser genet. "Berechnungen" skeptisch, weil es z.B. krasse Differenzen gibt zwischen Fossilfunden und genet. Daten zu den Abzweigungen von nicht-menschlichen Menschenaffen und den Hominini. Dass es in diesem Feld Abweichungen von mehreren Millionen Jahren gibt, merkt man ja nur, weil es neben den genet. Daten völlig unabhängige und meist sauber datierte Befunde gibt. Eine solche Gegenkontrolle gibt es für die Flaschenhälse nicht, einzig die Toba-Katastrophentheorie, die aber nur korreliert, die unterstellte Kausalität scheint sich ja inzwischen in Luft aufgelöst zu haben. Gerbil (Diskussion) 20:25, 3. Jan. 2019 (CET)
- Na gut, danke, dann ist der genetische Flaschenhals vor 70.000 Jahren wohl auch noch sehr im Ungefähren... --Pelotes71 (Diskussion) 19:38, 3. Jan. 2019 (CET)
Halbamphibische Ausbreitung?
Um die Jahrtausendwende machte die Theorie die Runde, dass sich der Homo erectus oder Homo sapiens halbamphibisch, also zwar als Landsäuger, aber mit deutlicher Affinität zum Meer entwickelt haben soll. Als Belege dafür wurden körperliche Eigenarten angeführt, die die nächsten noch lebenden Verwandten, Schimpansen und Gorillas, nicht aufweisen: Die Form der Nase (Tauch- und Schwimmfähigkeit ohne Strömungswasserdruck auf Atemwegen und Schädelhöhlen), rudimentäre Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen, Schließreflex der Atemwege unter Wasser, angeblich soll sogar die Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit mit der damaligen des Wassers des Roten Meeres fast übereinstimmten.
Wenn das richtig wäre, wäre das ein schlüssiger Grund für die vorrangige Ausbreitung entlang der Küsten und weshalb auch Meerengen kein Hindernis darstellten. Die bis heute andauernde starke Affinität des Menschen zum Meer kann nicht wirklich bestritten werden. Selbst Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt vollständig fernab von Meerwasser haben, nutzen fast jede Möglichkeit, wenigstens zur Erholung zum Meer zu reisen und verbringen die Freizeit auch im Binnenland mit Vorliebe am Wasser. Reine Landsäuger verhalten sich fast überall anders. Für sie ist das Meer uninteressant, Süßwasser eine reine Trinkwasser, manchmal auch Nahrungsquelle, mehr nicht. Eine Ausbreitung folgt Trinkwasser- und Nahrungsangeboten, aber nicht den Küsten.
Gibt es gezielte Untersuchungen zu diesem Thema? --93.192.73.69 00:16, 22. Okt. 2013 (CEST)
- Es gibt keinerlei fossile Belege, die diese Hypothesen stützen. Was es gibt, sind recht viele fossile Belege, die entweder unter Wasser in Schlamm eingebettet wurden und so erhalten blieben (oder aus Höhlen stammen). Warum? Weil die Knochen an Land schlichtweg von anderen Tieren zertreten wurden. Die sogenannte Wasseraffen-Theorie, auch in ihren abgemilderten Varianten, ist eine primär fossilbeleg-freie Behauptung, die alle irgendwie passenden Pro-Argumente versammelt und glauben machen will, dass daraus ein Ganzes wird, das mehr ist als die Summe seiner Teile. --Gerbil (Diskussion) 09:54, 22. Okt. 2013 (CEST)
- Die Wasseraffentheorie in ihrer Absolutheit wird kaum beweisbar sein, ebenso wie die gesicherte Ausbreitung entlang der Küsten, weil die dafür benötigten Fundstellen inzwischen tief unter Wasser und teilweise etliche zig km von der heutigen Küstenlinie entfernt liegen. Ich halte es aber auch für falsch, in solchen Punkten auf Absolutheit zu bestehen. Der Mensch und seine Vorgänger waren immer mobil, und es gibt überhaupt keinen Grund, einen einheitlichen Lebensraum zu postulieren. Ich sehe nirgendwo ein Indiz, das dagegen spräche, dass sich einzelne Verhaltensweisen und Körpereigenschaften nicht in einem Lebensraum initial entwickelt haben sollten und im anderen einen Vorteil darstellten, der dort weiterentwickelt wurde. Sowohl ein genetischer als auch ein Erfahrungsaustausch waren problemlos möglich.
- Es gibt für alle Theorien klare Beweise, die eine Absolutheit der Theorie widerlegen. Den Schluss, dass deshalb keine der Theorien richtig sein kann, halte ich aber für falsch. Viel logischer ist, dass alle fossil und genetisch belegten Theorien einen Teil Wahrheit enthalten und sie sich gegenseitig ergänzen. Welchen Beleg gibt es, dass nicht ein Teil der Urmenschen an der Küste und ein Teil in der Savanne gelebt hat und sich diese Teile ausgetauscht haben? --93.192.76.135 18:05, 22. Okt. 2013 (CEST)
- Paläoanthropologische Hypothesen sollten von belegbaren paläoanthropologischen Fakten ausgehen, und es sollte nicht umgekehrt, von Phänomenen bei rezenten Menschen ausgehend, eine phantasievoll ausgemalte Vergangenheit konstruiert werden. --Gerbil (Diskussion) 21:19, 22. Okt. 2013 (CEST)