Einmotordrehgestell

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Ein Einmotordrehgestell, auch aus dem Französischen Monomoteur-Drehgestell, ist eine Bauform von Drehgestellen mit Gruppenantrieb, die bei Elektro- und Diesellokomotiven verwendet wird. Sie zeichnet sich durch einen großen Fahrmotor aus, der über ein Stirnradgetriebe die Radsätze des Drehgestells antreibt. Das Getriebe ist manchmal als Schaltgetriebe ausgeführt, dass im Stehen umgeschaltet werden kann. Die Bauart war vor allem in Frankreich und Italien verbreitet, wurde aber ab den 1980er Jahren kaum mehr gebaut.[1]

Geschichte

Dreiachsiges Einmotordrehgestell der Viersystemlokomotive SNCF CC 40100

Die Entwicklung des Einmotordrehgestells für Lokomotiven erfolgte primär bei der SNCF in Frankreich. Die Schnellfahrversuche mit der CC 7100 zeigten, dass die Schlingerbewegungen des Drehgestells hohe Kräfte auf das Gleis ausüben können, die zu dessen Zerstörung führen. Es war deshalb eine Konstruktion gesucht, deren Trägheitsmoment um die Drehachse möglichst klein war. Ein erster Schritt war, bei den dreiachsigen Drehgestellen der CC 6051 die Fahrmotoren der Endachsen gegen die Mitte anzuordnen und den Achsstand des Drehgestells zu verkürzen, indem der Motor der Mittelachse über dieser angeordnet wurde. Bei den Lokomotiven BB 9200, welche die ersten in Europa kommerziell mit 200 km/h verkehrenden Züge bespannten, wurden die Konstruktion des Drehgestells verfeinert, indem die beiden Motoren des Drehgestells ein gemeinsames Statorgehäuse kriegten, das zugleich auch strukturelles Teil des Drehgestells wurde. Es war danach nur noch ein kleiner Schritt, statt der beiden Anker im selben Statorgehäuse einen einzigen großen Fahrmotor zu verwenden, der die Achsen des Drehgestells über Stirnräder antreibt.

Die ersten Lokomotiven mit Einmotordrehgestellen war die von der Schweizer Industrie gebauten BB 20103 und 20104.[2] Ihre Drehgestelle stammten von SLM und wurden in Zusammenarbeit mit Fernand Nouvion, Ingenieur bei SNCF, entwickelt. Sie waren eine H-Rahmen-Konstruktion, wobei das Motorgehäuse als Querträger diente.[3] Die erste große Serie von Lokomotiven mit Einmotordrehgestellen waren die BB 9400, von der 135 Stück gebaut wurden.

Bei den von Alstom gebauten BB 16500 wurden erstmals Einmotordrehgestelle mit umschaltbarem Getriebe eingeführt, was die Lokomotive zur Universallokomotive macht, die sowohl für Güterzüge, wie auch für Schnellzüge verwendet werden konnte. Die Umschaltung war relativ einfach zu realisieren, weil das Stirnradgetriebe für die Verteilung des Drehmoments auf die Triebachsen bereits vorhanden war. Die Übersetzung konnte nur im Stillstand bedient werden, indem eine Wippe mit den beiden Zwischenzahnräder mit einem Handhebel in die richtige Position gebracht wurde.[4] Die Zwischenzahnräder standen in dauerndem Eingriff mit dem Motorritzel, eines war für die langsame Übersetzung für Güterzüge ausgelegt, das andere war eine schnelle Übersetzung für Personenzüge. Durch Bewegen der Wippe konnte das eine oder das andere Zahnrad mit demjenigen in Eingriff gebracht werden, das die Traktionskräfte auf die Radsätze verteilte.[5] Die Getriebe waren allerdings aufwändig und schwer. Dasjenige der CC 6500 hatte 14 Zahnräder, was eine regelmäßige und aufwändige Wartung nötig machte, weshalb das Konzept der Umschaltgetriebe in den 1960er Jahren nicht mehr weiter angewandt wurde. In Frankreich gipfelte die Entwicklung des Einmotordrehgestells in den Drehgestellen für die Familie der Nez-cassés-Lokomotiven der BB 7200, BB 15000 und BB 22200.[4]

Einzelnachweise

  1. Bendel, Helmut: Die elektrische Lokomotive Aufbau, Funktion, neue Technik. 2., bearb. und erg. Auflage. Berlin 1994, ISBN 3-344-70844-9, "19.4.3 Gruppenantriebe", S. 329–330.
  2. Clive Lamming: Chapitre IX. L’ère Nouvion: le bogie monomoteur et la biréduction. In: Cinquante ans de traction à la SNCF : Enjeux politiques, économiques et réponses techniques. CNRS Éditions, Paris 2020, ISBN 978-2-271-12826-3, S. 134–138 (französisch, openedition.org [abgerufen am 30. Mai 2021]): « Il ne reste qu’un seul pas à franchir pour remplacer ces deux moteurs accolés par un seul, opération réalisée à partir de 1957 sur les BB 20 103 et 20 104 bifréquence de construction suisse »
  3. Publié par Jehan-Hubert Lavie: Les BB 20103 et 104, des machines extraordinaires ! Abgerufen am 30. Mai 2021.
  4. a b Clive Lamming: Chapitre IX. L’ère Nouvion: le bogie monomoteur et la biréduction. In: Cinquante ans de traction à la SNCF : Enjeux politiques, économiques et réponses techniques. CNRS Éditions, Paris 2020, ISBN 978-2-271-12826-3, S. 134–138 (französisch, openedition.org [abgerufen am 30. Mai 2021]).
  5. Fernand Nouvion et la DETE. Abgerufen am 30. Mai 2021.