Enthüllungsplattform

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Unter dem Begriff Enthüllungsplattform wird eine Website bzw. die hinter ihr stehende Organisation verstanden, die es sich zum Ziel setzt, vertrauliche, geheime oder zensierte Dokumente anzunehmen und unter Gewährleistung der Anonymität des Hinweisgebers, des sogenannten Whistleblowers, den journalistischen Medien zur Verfügung zu stellen und auch selbst im Internet für jedermann zugänglich zu machen und zu archivieren. Damit wird investigativer Journalismus ermöglicht. Um die Informanten zu schützen, werden Verschlüsselungstechniken angewendet und zum Eigenschutz der Mitarbeiter eine eher konspirative Vorgehensweise angewendet, was Interviews und Stellungnahmen einzelner nicht ausschließt. Der Begriff wurde vom Journalismus geprägt, um bei steigender Bekanntheit von WikiLeaks einen Oberbegriff für das neuartige Phänomen zur Verfügung zu haben.

Geschichte

Die Forderung nach freiem Zugang zu Informationen, verbunden mit einer ablehnenden Haltung gegenüber staatlicher Autorität, gehörte zur Vorstellungswelt der Hacker, die seit Mitte der 1980er-Jahre begannen, nationale und internationale Computernetzwerke zu erforschen und ihre Sicherheitslücken auszunutzen. Aus dieser Gedankenwelt gingen Cryptome und WikiLeaks hervor. Die Entwicklung und zunehmende Verbreitung des World Wide Web, in dem einmal publizierte Informationen kaum noch zurückgenommen werden können, sondern im Gegenteil massenhaft kopiert und international weiterverbreitet werden, trug zur Entstehung von Enthüllungsplattformen bei.

Plattformen

Cryptome

Vorreiter ist die seit 1996 von John Young betriebene amerikanische Webseite Cryptome. Young übernahm 2006 für das damals neue Projekt WikiLeaks die Registrierung der Domains wikileaks.org, wikileaks.cn und wikileaks.info. Nach einem Streit mit Julian Assange über die Höhe der für WikiLeaks zu sammelnden Spendengelder stieg er dort aus und distanzierte sich seit diesem Zeitpunkt scharf von WikiLeaks.[1]

WikiLeaks

Im Jahr 2006 gegründet, erlangte WikiLeaks durch spektakuläre Veröffentlichungen vor allem seit der Mitte des Jahres 2010 internationale Bekanntheit und hohe mediale und politische Aufmerksamkeit. Der Gedanke lag nahe, das Konzept zu modifizieren und ähnliche Organisationen und Webseiten zu gründen.[2]

OpenLeaks

Im Dezember 2010 angekündigt, ging OpenLeaks Ende Januar 2011 in einer Startphase online und sollte im Laufe des Jahres den uneingeschränkten Betrieb aufnehmen. OpenLeaks entstand aus einer Abspaltung von WikiLeaks unter Beteiligung von Daniel Domscheit-Berg und Herbert Snorrason, die WikiLeaks zusammen mit anderen Mitarbeitern im September 2010 verließen.[3]

Aljazeera Transparency Unit

Mit dem Aljazeera Transparency Unit bietet der arabische Nachrichtensender Al Jazeera seit Anfang 2011 die Möglichkeit, Dokumente zur Auswertung und Veröffentlichung hochzuladen. Dabei werden die Daten automatisch verschlüsselt. Zusätzlich werden PGP und Tor empfohlen, um größtmögliche Anonymität und Sicherheit zu gewährleisten. Al Jazeera gibt an, keine IP-Adressen von Informanten zu speichern.[4]

Bereits im Januar 2011 veröffentlichte Al Jazeera geheime Verhandlungsdokumente zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde, die als Palestine Papers bekannt wurden.[5][6][2]

Brussels Leaks

Brussels Leaks, gegründet im Dezember 2010, bestehend aus Journalisten und Mitarbeitern aus der Kommunikationsbranche, hat als beabsichtigten Schwerpunkt die Lobbyarbeit bei der Europäischen Kommission mit Sitz in Brüssel. Es stellt auf seiner Webseite ein Formular für sichere Kontaktaufnahme zur Verfügung. Eingesendete Dokumente sollen überprüft werden. Eine eigene Veröffentlichung ist nicht geplant, sondern die Weitergabe an die Medien.[7][8]

BalkanLeaks

BalkanLeaks wird von Bulgaren im Pariser Exil betrieben und will sich auf organisiertes Verbrechen und Korruption auf hoher Ebene innerhalb der Region konzentrieren. Zur Anonymisierung werden kanadische Server und Tor verwendet. Erste Dokumente wurden 2010 veröffentlicht.[8][9][10]

GreenLeaks

Der australische, in Berlin lebende Dokumentarfilmer Scott Millwood teilte Reuters im Januar 2011 mit, die Domain GreenLeaks in 36 Ländern und unter den Top-Level-Domains .com und .biz registriert zu haben. Die neugegründete Plattform will die Thematiken Umwelt- und Klimaschutz in den Vordergrund stellen.[2]

Sie befindet sich wegen des gleichartigen Namens, der auch als Markenname registriert wurde, in einer Auseinandersetzung mit den dänischen Betreibern der thematisch gleich gelagerten und ebenfalls neugegründeten Website GreenLeaks.org, zu denen auch die isländische Parlamentsabgeordnete Birgitta Jónsdóttir, eine ehemalige Aktivistin von WikiLeaks zählt. Beide Plattformen befinden sich noch im Aufbau.[11]

WAZ-Gruppe

Auch das Rechercheteam von DerWesten.de, dem Nachrichtenportal der WAZ-Mediengruppe, wird in diesem Zusammenhang genannt, da im Dezember 2010 eine durch GnuPG gesicherte Möglichkeit eingerichtet wurde, anonym Dokumente hochzuladen. Es ist jedoch nicht geplant, diese grundsätzlich zu veröffentlichen, sondern sie sollen in erster Linie als Grundlage journalistischer Arbeit dienen, womit, neben dem kommerziellen Hintergrund, ein deutlicher Unterschied zu anderen Projekten der beschriebenen Art besteht.[7][12] David Schraven, der Leiter des Rechercheteams, hatte sich zuvor sehr kritisch über WikiLeaks geäußert.[13][14] Die Veröffentlichung geleakter Dokumente hält er aus Sicherheitsgründen nur für einen gangbaren Weg, wenn dadurch keine Informanten gefährdet werden. Er zog nach drei Monaten eine positive Zwischenbilanz, gab jedoch zu, die Hälfte des ihm angebotenen Materials sei nicht zu verwertender „Bullshit“[10]

Wall Street Journal (eingestellt)

Im Mai 2011 richtete das Wall Street Journal unter dem Namen SafeHouse ein Portal ein, auf dem Dokumente anonym hochgeladen werden können. Der Hacker und WikiLeaks-Unterstützer Jacob Appelbaum kritisierte umgehend Aspekte der technischen Sicherheit. Die Tatsache, dass sich das Wall Street Journal die Weitergabe der Informationen an Strafverfolgungsbehörden oder an Dritte vorbehielt, sorgte für zusätzliche Kritik.[15][16] Das Portal wurde mittlerweile wieder eingestellt.

RuLeaks.net

Bei RuLeaks.net, einer aus dem Umfeld der russischen Piratenpartei betriebenen Website, wurden anfangs schon von WikiLeaks veröffentlichte Materialien weiterverbreitet, die einen Bezug zu Russland aufweisen. Inzwischen wurden aber auch Fotos veröffentlicht, die einen Bezug zur angeblichen Fehlverwendung von Spendengeldern aufweisen.[10][17]

Rospil.info

Der Anwalt und Blogger Alexei Nawalny, der sich gegen Korruption engagiert, eröffnete die Seite rospil.info[10][18]

AnonLeaks

Aus dem Internetkollektiv Anonymous hervorgegangen, veröffentlichte AnonLeaks tausende E-Mails der Firma HBGary Federal, die unter anderem für die US-Regierung arbeitet; zuerst über BitTorrent, später auch auf der russischen Website anonleaks.ru.[19] Dies geschah laut Eigenaussage aus Rache,[20] weil der CEO der Firma, Aaron Barr, versucht hatte, „führende“ (das Kollektiv ist per Eigendefinition führerlos) Mitglieder von Anonymous zu enttarnen. Wie sich später außerdem herausstellte, hatten die Bank of America und die US-Handelskammer indirekt über die Kanzlei Hunton & Williams HBGary beauftragt, die von Julian Assange angekündigten Veröffentlichungen zu US-Banken zu untersuchen bzw. deren Glaubwürdigkeit zu diskreditieren.[21] Sowohl die US-Handelskammer als auch die Bank of America dementierten dies jedoch.[21] Die Daten wurden dabei illegal durch Cracken der Server-Infrastruktur von HBGary beschafft. In einer Twitter-Nachricht verkündeten sie, dass sie, da Wikileaks offensichtlich Probleme habe, ihre eigene Enthüllungsplattform aufbauen würden.[22] Als Team geben sie fünf Personen an, deren Namen jedoch nur Pseudonyme sind.[23]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Marcel Rosenbach, Holger Stark: Staatsfeind WikiLeaks. Wie eine Gruppe von Netzaktivisten die mächtigsten Nationen der Welt herausfordert. S. 55, 60f. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011, ISBN 978-3-421-04518-8.
  2. a b c Zeit online, Blog am 25. Januar 2011: Die Welle rollt – Al Jazeera, GreenLeaks, New York Times. Abgerufen am 30. Januar 2011.
  3. Spiegel online am 25. September 2010: Querelen bei Enthüllungsplattform. Deutscher Wikileaks-Sprecher geht im Streit. Abgerufen am 30. Januar 2011.
  4. Aljazeera Transparency Unit: Is the submission secure? (engl.). (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 3. Februar 2011; abgerufen am 31. Januar 2011.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ajtransparency.com
  5. Zeit online am 24. Januar 2011: Wie Israel den Frieden verspielt hat. Die Veröffentlichung der Nahost-Geheimakten ist brisant – vor allem in einer Region, in der die Geheimniskrämerei zum diplomatischen Alltag gehört. Abgerufen am 31. Januar 2011.
  6. Al Jazeera Transparency Unit: Search the Palestine Papers (engl.). (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 29. Januar 2011; abgerufen am 31. Januar 2011.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ajtransparency.com
  7. a b Meedia.de am 16. Dezember 2010: Whistleblowing abseits von Assange und Co. Das sind die Wikileaks-Alternativen. (Nicht mehr online verfügbar.) Ehemals im Original; abgerufen am 30. Januar 2011.@1@2Vorlage:Toter Link/meedia.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  8. a b Presseurop.eu am 14. Dezember 1010: Brussels Leaks sucht Europas Geheimnisse. Abgerufen am 31. Januar 2011.
  9. Homepage von BalkanLeaks (engl.). Archiviert vom Original am 11. Dezember 2010; abgerufen am 31. Januar 2011.
  10. a b c d taz.de am 7. März 2011: Die WAZ-Kinder von WikiLeaks: Die Hälfte ist Spam. Abgerufen am 9. März 2011.
  11. Financialpost.com am 28. Januar 2011: The next generation of WikiLeaks. Abgerufen am 31. Januar 2011.
  12. Deutschlandfunk-Magazin am 23. Dezember 2010: Petz-Netz. WAZ will eigenes WikiLeaks. Abgerufen am 31. Januar 2011.
  13. Der Westen.de am 28. November 2011: Wikileaks handelt leichtfertig – von D. Schraven. Abgerufen am 31. Januar 2011.
  14. Der Westen.de am 29. September 2010: David Schraven: Die Microsoft-Lobbyistin und WikiLeaks. Abgerufen am 31. Januar 2011.
  15. Cicero Online, Mai 2011: Die Wikileaks-Revolution und wie Nachahmer daran scheitern. Abgerufen am 15. Mai 2011.
  16. Golem .de am 6. Mai 2011: Onlinebriefkasten mit beschränkter Anonymität. Abgerufen am 15. Mai 2011.
  17. taz.de am 15. Februar 2011: Ein Heim für Putin? Abgerufen am 9. März 2011.
  18. Russland heute am 24. Januar 2011: Ein Blogger kämpft gegen die Korruption. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 28. Januar 2011; abgerufen am 9. März 2011.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/russland-heute.de
  19. anonleaks.ru (Memento des Originals vom 12. Februar 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/anonleaks.ru, abgerufen am 12. Februar 2011
  20. Blog Artikel zum AnonLeaks Hack von HBGary, abgerufen am 12. Februar 2011
  21. a b New York Times Artikel von AnonLeaks Hack von HBGary vom 11. Februar 2011, abgerufen am 12. Februar 2011
  22. Ankündigung von AnonymousIRC auf Twitter zu AnonLeaks, abgerufen am 12. Februar 2011
  23. Meet the Team von anonleaks.ru (Memento vom 14. Februar 2011 im Webarchiv archive.today), Wohnorte der Mitglieder sind fiktive Orte z. B. aus Computerspielen, abgerufen am 12. Februar 2011