Peter Gingold
Peter Philipp Gingold (geboren am 8. März 1916 in Aschaffenburg; gestorben am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main), deutsch-jüdischer Herkunft, war ein kommunistischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, der sein antifaschistisches Engagement nach dem Ende des NS-Regimes in vielfältigen Aufgabenbereichen fortsetzte.
Leben
Gingold wuchs in einem jüdischen Elternhaus in Aschaffenburg und Frankfurt am Main (ab 1922) auf. Seine Eltern waren polnischstämmige Juden, die sich, dem zunehmenden Antisemitismus im ländlichen Raum entfliehend, in Aschaffenburg ansiedelten und sich dort ihren Lebensmittelpunkt schufen. Sie besaßen zwar ein Aufenthaltsrecht, aber keine deutschen Papiere.[1] Sein Vater wurde Konfektionsschneider. In Frankfurt besuchte Peter Gingold die Jüdische Volksschule, begann 1930 eine kaufmännische Lehre in einer Musikgroßhandlung und trat in die Gewerkschaftsjugend des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA-bund) ein. 1931 wurde er im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) Mitglied. Ab 1933 wurde er im illegalen Widerstand tätig. Im Mai 1933 emigrierten seine Eltern und Geschwister nach Frankreich. Gingold wurde im Juni bei einer Razzia der SA verhaftet und bekam nach mehreren Monaten Gefängnis die Anordnung, Deutschland zu verlassen.
Er emigrierte im Herbst 1933 nach Frankreich, arbeitete bei der deutschsprachigen antifaschistischen Tageszeitung „Pariser Tageblatt“ und war in einer kleinen Gruppe des KJVD in Paris politisch tätig. Im Juni 1936 gründete er in Paris mit anderen jungen deutschen Antifaschisten die Freie Deutsche Jugend (FDJ) und lernte dort Ettie Stein-Haller, seine spätere Frau, kennen. 1937 trat er in die Kommunistische Partei Deutschlands ein. Im Januar 1940 heiratete er Ettie Stein-Haller und wurde im Mai als „deutschstämmiger Staatenloser“ von den Franzosen interniert. Im Juni wurde ihre erste Tochter Alice geboren.
Peter Gingold kehrte im Oktober nach Paris zurück und war im deutschen antifaschistischen Widerstand aktiv. Im Frühjahr 1941 gab er die Tätigkeit auf, da die Gestapo nach ihm fahndete. Er ging im April nach Dijon und wurde in der Travail allemand (TA), einer Gruppe in der Résistance, tätig, die antifaschistische Flugblätter unter den deutschen Soldaten verbreitete. Seine Aufgabe war unter anderem, den Kontakt zu den Soldaten der Wehrmacht herzustellen, um Hitler-Gegner herauszufinden und für die Zusammenarbeit in der Résistance zu gewinnen. Im Juli 1942 wurden zwei seiner Geschwister in Paris verhaftet und in das KZ Auschwitz deportiert. Im Februar 1943 wurde er in Dijon von der Gestapo verhaftet und mehrere Wochen lang verhört und gefoltert. Gingold wurde nach Paris überführt, dort gelang ihm im April die Flucht und nach ein paar Wochen war er wieder in der Résistance tätig. Im August 1944 beteiligte er sich am Aufstand zur Befreiung von Paris und ging als Frontbeauftragter der Bewegung Freies Deutschland für den Westen (CALPO) mit dem 1. Pariser Regiment nach Lothringen. 1945 wurde er von der US-Armee inhaftiert und kam wegen falschen Verdachts für kurze Zeit in ein französisches Kriegsgefangenenlager. Ende April war er als Frontbeauftragter bei den Partisanen in Norditalien und erlebte dort das Ende des Zweiten Weltkrieges.
Gingold kehrte im August 1945 nach Frankfurt am Main zurück und wurde wieder zusammen mit seiner Frau Ettie in der KPD aktiv. Er wurde Mitglied des Sekretariats der hessischen KPD und Schulungsleiter dort; für den Grenzapparat von Richard Stahlmann bei der SED-Führung in Berlin arbeitete er als Kurier. Im Herbst 1956 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Gingold war somit nominell noch „polnischer Herkunft“. Die Familie bekam damit einen Fremdenpass. Es bedurfte langjähriger politischer Auseinandersetzungen, bis eine Einbürgerung erreicht werden konnte.[1]
Seit der Gründung der DKP 1968 war er dort Mitglied. Er war in den 1970er Jahren Vorsitzender der Bezirksschiedskommission der Partei, die satzungsgemäß die Ideologietreue der Mitglieder zu prüfen und zu gewährleisten hat. Er lebte bis zu seinem Tod in Frankfurt am Main und war unter anderem politisch aktiv in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA), im Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ e.V. (DRAFD) und im Auschwitzkomitee. 1990 kandidierte er auf der offenen PDS-Liste für den Deutschen Bundestag. Er war als Zeitzeuge in ganz Deutschland aktiv.
Familie
Gingolds Tochter Silvia erhielt aufgrund des Radikalenerlasses als Mitglied der von den Behörden als verfassungsfeindlich eingestuften DKP keine Anstellung als Beamtin in Hessen.[2][1]
Auszeichnungen
- Die Stadt Frankfurt am Main zeichnete ihn 1991 mit der Johanna-Kirchner-Medaille aus.
- Am 12. Dezember 2004 wurde ihm in Berlin gemeinsam mit Esther Bejarano, Percy MacLean und Martin Löwenberg von der Internationalen Liga für Menschenrechte die Carl-von-Ossietzky-Medaille verliehen.
Filme, Musik
- Reichsfeind, Volksfeind, Verfassungsfeind. Dokumentarfilm über das Leben von Peter Gingold. Von Ralf Küster aus dem Jahr 2005.
- Über den Kampf deutscher Antifaschisten in der Resistance drehten Frank Gutermuth und Wolfgang Schoen den Film Frankreichs fremde Patrioten – Deutsche in der Résistance[3]
- Hannes Wader: Boulevard St. Martin. Lied, das die Pariser Flucht von Peter Gingold aus der Nazigefangenschaft thematisiert (Album Nah dran, 2012)
Gingold-Preis
Der Verein Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim stiftete den Ettie und Peter Gingold-Preis für Personen, „die sich in der antifaschistischen Jugend- und Kulturarbeit engagieren“. Der Preis, der ab 2008 alle zwei Jahre vergeben wird, ist mit 3000 Euro dotiert.[4]
Zitat
„Zuviel an Not und Tod, an KZ-Qualen, an Verwüstung und Vernichtung, an millionenfachen Mord hat der Faschismus gebracht, sodass es nichts Wichtigeres geben kann, als Aufstehen gegen jede Erscheinung von Rassismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Neofaschismus, Militarismus.“
„1933 wäre verhindert worden, wenn alle Gegner der Nazis ihren Streit untereinander zurückgestellt und gemeinsam gehandelt hätten. Dass dieses gemeinsame Handeln nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern!“
Literatur
- Karl Heinz Jahnke: Sie haben nie aufgegeben. Ettie und Peter Gingold. Widerstand in Frankreich und Deutschland. Pahl-Rugenstein, Bonn 1998, ISBN 3-89144-255-6
- Peter Gingold: Paris - Boulevard St. Martin No. 11. Ein jüdischer Antifaschist und Kommunist in der Résistance und der Bundesrepublik. Hrsg. Ulrich Schneider, PapyRossa Verlag, Köln 2009, ISBN 978-3-89438-407-4
- Joachim Kahl (Hrsg.): Etty, Peter und Silvia Gingold. Porträt einer Familie. Ein Bilderbuch über deutsche Zustände. Pahl-Rugenstein, Köln 1978, ISBN 3-7609-0357-6
- Wolfgang Bittner: Verfassungsfeindlichkeit zur Disposition. Eine Reportage über den Fall Silvia Gingold. In: Manfred Funke (Hrsg.): Extremismus im demokratischen Rechtsstaat. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1978, ISBN 3-921352-23-1, S. 376–386
Weblinks
- Literatur von und über Peter Gingold im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Peter Gingold in der Internet Movie Database (englisch)
- Peter Gingold: Frankfurter in der Résistance. In: Frankfurter Rundschau. 17. Juli 2004, archiviert vom Original am 19. August 2011 .
- Autonome und antiimperialistische Rede auf der Trauerfeier für Peter Gingold. In: antifa-frankfurt.org.
- Frank Bärmann: Nachruf: Die Hoffnung nie aufgeben – Peter Gingold (1916–2006). In: Graswurzelrevolution. 1. Dezember 2006 .
- Peter Gingold im DRAFD-Wiki
- Episode 21: Der Widerstandskämpfer Peter Gingold, Podcast des Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg in Aschaffenburg 2.0 Das partizipative Stadtlabor
Einzelnachweise
- ↑ a b c Ulrich Schneider: Die Gingolds. In: Antifa. Ausgabe 2017-11, 19. November 2017, abgerufen am 1. April 2019.
- ↑ Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 11. August 1977. Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte, Folge 8/1977, Seite 57 ff. http://starweb.hessen.de/cache/BEIL/1977/00008.pdf
- ↑ Frank Gutermuth, Wolfgang Schoen: Frankreichs fremde Patrioten – Deutsche in der Résistance. In: tvschoenfilm.com. Archiviert vom Original am 28. September 2007; abgerufen am 1. April 2019.
- ↑ Den Gingolds künftig zu Ehren. In: Frankfurter Rundschau. 12. Juli 2007, Seite D8.
Personendaten | |
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NAME | Gingold, Peter |
ALTERNATIVNAMEN | Gingold, Peter Philipp (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Widerstandskämpfer |
GEBURTSDATUM | 8. März 1916 |
GEBURTSORT | Aschaffenburg |
STERBEDATUM | 29. Oktober 2006 |
STERBEORT | Frankfurt am Main |