Handbetriebene Bahn

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Handbetriebene Bahn in Taiwan zur Zeit, als es eine Kolonie des Japanischen Kaiserreichs war

Eine handbetriebene Bahn, auch Kuli-Bahn oder Trollybahn genannt, stellte eine Sonderform einer schienengebundenen Bahn aus dem 19. und 20. Jahrhundert dar, bei der die Wagen von Menschen gezogen oder geschoben wurden. Grundvoraussetzung war das Vorhandensein billiger Arbeitskräfte. Auch für den Einsatz auf normalen Bahnen wurden handgetriebene Fahrzeuge in Form der Handdraisine entwickelt und eingesetzt.

Überblick

Am weitesten waren sie im japanischen Einflussgebiet dieser Zeit verbreitet. In den heutigen Staaten Japan, Nordkorea, der Insel Taiwan und Südkorea existierten mehr als 80 Betriebe dieser Art, 60 allein auf Taiwan. Weitere 18 gab es in den europäischen Kolonien in Afrika, die meisten in Mosambik. Trotz dieses Antriebes erreichten sie, wie die Atami-Bahn zwischen Odawara und Atami, Streckenlängen von mehr als 25 Kilometer.

Bis auf einen Betrieb waren alle bis Ende des Zweiten Weltkrieges eingestellt. Einzig die Anlage in Shenten in Taiwan überlebte bis Ende der 1990er als Touristen-Attraktion. Sie fuhr von Wulai, einem Dorf südlich von Taipeh zu den Wulai-Wasserfällen, einem beliebten Ausflugsziel. Die Wulai Taiche genannte Bahn existiert zwar noch heute, musste im Jahr 2000 aber aus Sicherheitsgründen (zu gefährlich für die Fahrer der Wagen, häufige Unfälle) auf Dieselbetrieb umgestellt werden.

Taiwanische Lore mit Griff­stangen und Seilschlaufen, 1936

Die japanischen Wagen für diese Bahnen waren fast allesamt in Leichtbauweise ausgeführt, um sie möglichst effizient einsetzen zu können. Sie wurden über vertikal angebrachte Griffstangen geschoben oder über Seilschlaufen oder Handgriffe an den Frontseiten gezogen. Für die Fahrt bergab gab es Trittbretter. Gebremst wurden sie mittels Handbremsen. Die Spurweite dieser Fahrzeuge betrug im Allgemeinen 610 Millimeter. Die beiden letzten erhaltenen Fahrzeuge dieser Art von Bahn kann man in einem kleinen Verkehrsmuseum in der Stadt Matsuyama in der Präfektur Miyagi und im Verkehrsmuseum Tokio sehen. Ein zweiter Wagen in Matsuyama ist ein Nachbau und wird einmal im Jahr beim Cosmos-Festival in einem Park in Betrieb vorgeführt. Das Original wurde von 1922 bis 1928 in Matsuyama-Machi auf der Strecke zwischen Ort und Bahnhof eingesetzt.

Geschichte

Die Geschichte[1] der handbetriebenen Bahnen begann in Frankreich. Paul Decauville gründete das Unternehmen Decauville im Jahr 1875. Seine Idee war es, ein Schmalspursystem mit 400 bis 600 mm Spurweite und vorgefertigten, leicht transportablen Schienenelementen zu schaffen. Die französische Armee nutzte diese Bahnen, um den Nachschub mittels der Antriebskraft von Soldaten oder Pferden an die Front zu bringen. Erst etwa ab 1888 wurden dann auch Dampflokomotiven zum Antrieb eingesetzt.

In Japan begann Kaiser Meiji zur selben Zeit, sein Land von der Feudalherrschaft ins Industriezeitalter zu führen. Dazu wurden ausländische Berater eingestellt, die das Land bei der Modernisierung unterstützen sollten. Mit den französischen Beratern für die Armee kamen auch die transportablen Schienen (Spurweite 500 mm) und die kleinen handgeschobenen Wagen von Decauville ins Land.

Während der japanischen Kriege und Besetzungen setzte die Armee dieses Bahnsystem in vielen weiteren asiatischen Ländern ein. Auch die beiden japanischen Kolonien Chōsen (heutiges Nord- u. Südkorea) und Taiwan wurden so infrastrukturell aufgerüstet.

Liste handbetriebener Bahnen

Europa

Land Stadt/Strecke Spurweite Länge Beförderung Betriebsjahre
Frankreich Kloster Mont des Cats 600 mm ? Erde um 1898
Brauerei in Issy-les-Moulineaux 600 mm 8 km Bier um 1930
Österreich Wien-Lainz
(Feldbahn Geriatriezentrum Am Wienerwald)
500 mm 4,0 km Güter 1904–1925

Afrika

Gouverneur und General­sekretär der Caminho da Repartição in Beira
Rufisque, 1912
Land Stadt/Strecke Spurweite Länge Beförderung Betriebsjahre
Elfenbein­küste Grand-Bassam 600 mm ? Holz und Güter um 1906
Gambia Bathurst 600 mm 1,9 km Güter 1907–-1956
Guinea Conakry (Feldbahn) ? ? Güter/Personen 1904/1905
Kamerun Ebenholztransport 600 mm ? Holz um 1905
Kenia Mombasa 600 mm ca. 7 km Güter/Personen 1910/1914
Kongo Vivi 500 m ca. 0,8 km Güter 1884
Libyen Leptis Magna 600 mm ca. 50 m Aushub 1960
Madagaskar Fidirana–Tompoko ? ? Güter/Personen ?
Mandrapihaona ? ? ? ?
Mosambik Angoche ? ? ? ?
Beira 600 mm ca. 10 km Personen/Güter 1925/1927/1930
Chinde ? ? ? ?
Inhambane ? ? ? ?
Quelimane
Companhia da Zambézia
? ? ? ?
Tete ? ? ? ?
Vila de João Belo ? ? ? ?
Sambia Livingstone ? ca. 7 km ? ?
Senegal Rufisque 600 mm ca. 14 km Güter 1885
Simbabwe Victoria Falls 600 mm ca. 4 km Güter/Personen 1920–1957
Tansania Muansa ? ? Güter ?
Tanga 600 mm ? Personen 1909/1911
Togo Lomé 1000 mm ca. 2 km Personen 1910

Amerika

Land Stadt/Strecke Spurweite Länge Beförderung Betriebsjahre
Brasilien Bau der Madeira-Mamoré-Eisenbahn 600 mm ? Aushub um 1907
Companhia Agricola Bom Retiro 600 mm ? Banananen um 1931
Panama 1. Versuch des Kanalbaus 600 mm ? Aushub 1881–1889

Japan

Präfektur Stadt Strecke Spurweite Länge Beförderung Betriebsjahre
Akita Futatsui Nakanishi-Linie 610 mm 0,78 km Güter 1922–1936
Chiba Ichikawa Tōkatsu-Bahn 610 mm 12,3 km Güter/Personen 1909–1918
Isumi Isumi-Bahn 610 mm 15,5 km Güter/Personen 1912–1927
Noda Noda-Bahn 762 mm 3,5 km Güter 1900–1926
Fukui Takasaki Hongō-Bahn ? ? ? ?
Gunma Takasaki Taishaku-Bahn 762 mm 3,12 km Güter 1921–1932
Hokkaidō Ebetsu Städtische Straßenbahn Ebetsu ? ? ? ?
Ibaraki Kasama Kasama-Bahn 610 mm 1,4 km Personen 1915–1930
Sakuragawa Kabaho-Kōgyō-Bahn 609 mm 3,7 km Güter 1900–1916
Iwate Kitakami Waga-Bahn 762 mm 20,1 km Güter/Personen 1907–1922
Kanagawa Yokohama Trinkwasserversorgung 600 mm Aushub und Rohre 1886–1887
Miyagi Matsuyama Matsuyama-Bahn 610 mm 2,5 km Güter/Personen 1922–1928
Shizuoka AtamiOdawara Atami-Bahn 610 mm 25,3 km Personen 1895–1907
Iwata Nakaizumi-Bahn 762 mm 5,78 mm Güter/Personen 1909–1932
Shimada Shimada-Bahn 610 mm 2,94 km Güter 1898–1959
Yaizu Fujieda-Yaizukan-Bahn 610 mm 4,5 km Güter/Personen 1891–1900
Tochigi Iwafune Iwafune-Bahn 635 mm 4,3 km Güter 1900–1916
Ōtawara Nasu-Bahn 762 mm 5,2 km Güter/Personen 1908–1925
Oyama Otome-Bahn 610 mm 1,6 km Güter 1899–1917
Sakura Kitsuregawa-Bahn 610 mm 8,2 km Güter/Personen 1902–1918
Tochigi Nabeyama-Bahn 610 mm 15,9 km Güter/Personen 1900–1933
Utsunomiya Utsunomiya-Steinbruchbahn 610 mm 29,5 km Güter/Personen 1897–1928
Tokio Katsushika Tashaku-Bahn 610 mm 1,5 km Personen 1899–1912
Yamagata Akayu Straßenbahn Akayu 610 mm 1,9 km Personen 1919–1926

Weitere asiatische Länder

Handbetriebene Eisenbahn in Taiwan zur Zeit, als es zum Japanischen Kaiserreich gehörte
Land Stadt/Strecke Spurweite Länge Beförderung Betriebsjahre
Hongkong Praya East Reclamation 600 mm ca. 1 km Sand 1922
Indonesien Trinil-Expedition 600 mm ca. 100 m Aushub 1907–1908
Korea (Chōsen)[2] Heijō[3] 610 mm 1,93 km Personen 1914
Chinampo–Pjöngjang
(NampoPjöngjang)
533 mm 88 km Güter/Personen 1895
Wakan–Rakutoko
(Wäkan–Naktongkang)
610 mm 1,12 km Personen 1914
Hoangkang
(Station der Keifu-Linie)
? ca. 22 km Güter 1914
Taiwan[4] Ro Liao-Yu Na-Wu Tu[5]
(zwischen Taipeh und Keelung)
500 mm ca. 6 km Güter/Personen 1895–1978
Wulai/Neu-Taipeh
(Wulai Taiche)[6]
545 mm 1,6 km Güter/Personen 1928–1974
Shui Nan Tung[7]
(südlich von Keelung)
? 10 km Güter bis 1973
Shen Ao Li[7]
(südlich von Keelung)
500 mm ? Güter bis 1974
Gwaishatei-Fumpo-Dairin-Horisha[8]
(in der Nähe des Sonne-Mond-Sees)
? ? Güter/Personen bis 1926
Horisha[9] ? 8 km Güter/Personen bis 1926
Vietnam Halong-Bucht 1000 mm 3 km Kohle 1899–1930

Literatur

Österreich

  • Andreas Mausolf: Die Schmalspurbahn des Geriatriezentrum Lainz. In: Eisenbahn Kurier. Heft 10. EK-Verlag, 2011, S. 72–73.

Guinea, Kenia, Madagaskar, Mosambik, Sambia, Senegal, Simbabwe, Tansania, Togo

  • Martin Pabst: Tram & Trolley in Africa. Röhr, Krefeld 1983, ISBN 3-88490-152-4 (deutsch/englisch).

Japan, Taiwan

  • Charles S. Small: Rails to the Mines, Taiwan's Forgotten Railways. Railroad Monographs. Greenwich CT 1980 (englisch).
  • Richard Goldschmidt: Neu-Japan. Reisebilder aus Formosa, den Ryukyuinseln, Bonininseln, Korea und dem südmandschurischen Pachtgebiet. Springer, Berlin 1927.

Chōsen

  • Preyer-Elberfeld: Die Eisenbahnen in Korea. In: Archiv für Eisenbahnwesen. Springer, Berlin 1914, S. 402–418, 720–743.
  • Norbert Weber: Im Lande der Morgenstille. Reiseerinnerungen an Korea. Seidel, München 1915.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Charles S. Small: Rails to the Mines. S. 1, Vorwort
  2. Preyer-Elberfeld: Die Eisenbahnen in Korea. 1914, S. 738
  3. Norbert Weber: Im Lande der Morgenstille. archive.org: S. 387: Bild aus dem Jahre 1911, das einen handbetriebenen Bahnwagen für vier Personen zeigt.
  4. Aufzählung unabhängig von der Staatszugehörigkeit
  5. Charles S. Small: Rails to the Mines. S. 14
  6. Charles S. Small: Rails to the Mines. S. 45
  7. a b Charles S. Small: Rails to the Mines. S. 51
  8. Richard Goldschmidt: Neu-Japan. Ab Seite 59 berichtet der Autor von der etwa vierstündigen Reise auf dieser Strecke zwischen Gwaishatei und Fumpo. Dabei verwendet er die damals üblichen japanischen Namen. Von der Haltestelle Fumpo unternimmt er eine Wanderung zum Sonne-Mond-See
  9. Richard Goldschmidt: Neu-Japan. Ab Seite 47 berichtet der Autor von einer Reise auf dieser Strecke (mit japanischen Namen). Die Strecke liegt am Ende der vorhergehenden Linie