Herstellungskosten

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Unter Herstellungskosten versteht man in der Betriebswirtschaftslehre und im betrieblichen Rechnungswesen eine Kostenart, die durch die Produktion von Vermögensgegenständen, Wirtschaftsgütern und Dienstleistungen verursacht werden.

Allgemeines und Abgrenzungen

In Deutschland und Österreich gibt es eine übereinstimmende Legaldefinition des Rechtsbegriffs Herstellungskosten (§ 255 Abs. 2 HGB, § 203 UGB). Danach handelt es sich nicht nur um Kosten für die Herstellung eines Vermögensgegenstands, sondern auch für dessen Erweiterung und für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung. Herstellungskosten sind wesentlich schwieriger zu ermitteln als die Anschaffungskosten, weil letztere meist aufgrund von Rechnungen genau bestimmt werden können.[1] Um die Herstellungskosten eines Vermögensgegenstandes zu ermitteln, bedient sich ein Unternehmen in der Regel seiner Kostenrechnung. Grundlage ihrer Ermittlung ist die Produktion im Betrieb, die nicht nur den eigentlichen Produktionsprozess, sondern auch die Beschaffung, den Transport und die Lagerung der zur Fertigung benötigten Produktionsfaktoren umfasst.[1] Die Herstellungskosten enthalten jedoch nicht alle Kosten, die in die Herstellkosten der Kostenrechnung einbezogen werden. Insbesondere Kosten, die nicht auf geleistete oder zukünftige Anzahlungen zurückzuführen sind, werden nicht zu den Herstellungskosten gerechnet.

In Deutschland und Österreich wird zwischen Herstellungskosten und Anschaffungskosten unterschieden. Anschaffungskosten sind Kosten für Vermögensgegenstände, die außerhalb des Unternehmens erworben wurden. Andere Rechnungslegungssysteme, wie zum Beispiel die International Financial Reporting Standards (IFRS) und die US-amerikanischen United States Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) kennen nur einen Bewertungsmaßstab, Anschaffungs- und Herstellungskosten (englisch Historical Cost) genannt, der die Bewertungsmaßstäbe Anschaffungskosten und Herstellungskosten vereint.[2]

Die Herstellungskosten von Vermögensgegenständen unterscheiden sich von den Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen des § 275 HGB und des § 231 UGB, die auch Umsatzkosten genannt werden. Bei der Präsentation der Gewinn- und Verlustrechnung nach dem Umsatzkostenverfahren sind Umsatzkosten alle Aufwendungen des Material- und Fertigungsbereichs, die notwendig waren, um die Absatzleistung des laufenden Geschäftsjahres zu erzielen. Sie umfassen unter anderem auch Leerkosten und außerplanmäßige Abschreibungen.

Anwendungsbereich der Herstellungskosten

Nach den Vorschriften des deutschen Handelsgesetzbuches (HGB) und österreichischen Unternehmensgesetzbuches (UGB) sind die Herstellungskosten der Bewertungsmaßstab für hergestellte Vermögensgegenstände. Aufgrund des dort in § 253 Abs. 1 HGB bzw. den §§ 203 bis 208 UGB verankerten Anschaffungswertprinzips sind die (fortgeführten) Herstellungskosten der höchste Wert, mit dem ein Vermögensgegenstand in der Folgezeit bewertet werden kann. Bei abnutzbaren Vermögensgegenständen des Anlagevermögens dienen die Herstellungskosten der Bemessung der planmäßigen Abschreibung. Die um planmäßige Abschreibungen verminderten Herstellungskosten werden auch fortgeführte Herstellungskosten genannt. Im deutschen Bilanzrecht sind Vermögensgegenstände, die ausschließlich der Erfüllung von Altersversorgungsverpflichtungen dienen und dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind, gemäß § 253 Abs. 1 Satz 4 HGB mit dem Zeitwert anzusetzen.

Nach den IFRS und den US-GAAP sind die Herstellungskosten der Bewertungsmaßstab für die Erstbewertung von Vermögenswerten. So sind zum Beispiel hergestellte Vorräte zunächst mit den Herstellungskosten zu bewerten. Bestimmte Finanzinstrumente sind schon bei der Erstbewertung mit dem Fair Value anzusetzen. Das Anschaffungswertprinzip gilt in diesen Rechnungslegungssystemen für etwa für Vorräte und bei den US-GAAP für das Anlagevermögen.

In Deutschland sind aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips die Herstellungskosten auch in der Steuerbilanz der Bewertungsmaßstab für die Erstbewertung von hergestellten Vermögensgegenständen. Auch hier gilt das Anschaffungswertprinzip analog zum deutschen Handelsrecht.

Bestandteile der Herstellungskosten

Für Abschlüsse nach deutschen handelsrechtlichen Vorschriften definiert § 255 Absatz 2 HGB die Bestandteile der Herstellungskosten. Diese Definition gilt über das Maßgeblichkeitsprinzip auch für die Steuerbilanz. In Österreich definiert § 203 UGB die Herstellungskosten. Beide Vorschriften unterscheiden zwischen Kosten, die in die Herstellungskosten mit einbezogen werden müssen (Pflichtbestandteile), Kosten die in die Herstellungskosten einbezogen werden dürfen (Wahlbestandteile), und Kosten, die nicht in die Herstellungskosten einbezogen werden dürfen (Verbote). Die Summe der Pflichtbestandteile bildet die Wertuntergrenze der Herstellungskosten, die Summe aus allen Pflicht- und Wahlbestandteilen die Wertobergrenze der Herstellungskosten. Von den IFRS werden die Herstellungskosten innerhalb des Begriffs „Anschaffungs- und Herstellungskosten“ in den Standards IAS 2 für Vorräte und IAS 16 für Sachanlagen definiert. Nach IAS 2 sind sämtliche Kosten, die dem Produktionsprozess zuzurechnen sind, in die Herstellungskosten einzubeziehen.[3] Die Zusammensetzung der Historical Cost nach US-GAAP gleicht Zusammensetzung der „Anschaffungs- und Herstellungskosten“ nach IAS 2 im Wesentlichen.

Die Herstellungskosten setzen sich demnach wie folgt zusammen:

Kostenart § 255 HGB § 203 UGB IAS 2
Materialkosten Pflicht Pflicht Pflicht
Fertigungsmaterial Pflicht Pflicht Pflicht
Fertigungslohn Pflicht Pflicht Pflicht
Sondereinzelkosten der Fertigung Pflicht Pflicht Pflicht
Materialgemeinkosten, soweit keine Leerkosten Pflicht Pflicht[4] Pflicht
Fertigungsgemeinkosten, soweit keine Leerkosten Pflicht Pflicht[5] Pflicht
freiwillige Sozialkosten, Aufwendungen für soziale Einrichtungen, Aufwendungen für betriebliche Altersversorgung (herstellungsbezogen) Wahlrecht Wahlrecht Pflicht
freiwillige Sozialkosten, Aufwendungen für soziale Einrichtungen, Aufwendungen für betriebliche Altersversorgung (nicht herstellungsbezogen) Wahlrecht Wahlrecht Verbot
Allgemeine Verwaltungskosten, die der Produktion zugerechnet werden[3] Wahlrecht Verbot Pflicht
Allgemeine Verwaltungskosten, die nicht der Produktion zugerechnet werden[3] Wahlrecht Verbot Verbot
Zinsen auf Fremdkapital, das für die Herstellung des Vermögensgegenstandes (qualifizierten Vermögenswertes) aufgenommen wurde Wahlrecht Wahlrecht Pflicht[6]
außerplanmäßige Abschreibungen[7] Verbot Verbot Verbot
Bereitstellungszinsen für Fremdkapital[8] Verbot Verbot Verbot
Forschungskosten Verbot Verbot Verbot
Kalkulatorische Kosten Verbot Verbot Verbot
Leerkosten Verbot Verbot Verbot
Vertriebskosten Verbot Verbot Verbot
Umsatzsteuer, soweit das Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt ist Verbot Verbot Verbot

Sondereinzelkosten der Fertigung sind zum Beispiel Vorleistungen, wie Kosten für Modelle und Entwürfe sowie Zölle und Verbrauchsteuern.

Zu den Material- und Fertigungsgemeinkosten zählen auch:

  • Angemessene Teile des durch die Fertigung veranlassten Werteverzehrs des Anlagevermögens (Abschreibungen),
  • Verwaltungskosten, die im Material- und Fertigungsbereich anfallen.[9]

Zinsen für Fremdkapital dürfen nur insoweit einbezogen werden, soweit sie auf den Zeitraum der Herstellung entfallen. Sie müssen dem Vermögensgegenstand sachlich und zeitlich möglichst direkt zurechenbar sein. Nach IAS 23 sind sie Teil der Herstellungskosten von qualifizierten Vermögenswerten, für die ein längerer Zeitraum erforderlich ist, um sie in ihren beabsichtigten gebrauchs- oder verkaufsfähigen Zustand zu versetzen.

In Österreich regelt § 206 Abs. 3 UGB ein Ausnahmetatbestand für Ermittlung der Herstellungskosten von Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens, die im Rahmen von langfristigen Fertigungsaufträgen erstellt werden. Im Gegensatz zum Einbeziehungsverbot für allgemeine Verwaltungskosten und Vertriebskosten dürfen diese Kosten in die Herstellungskosten einbezogen werden, wenn eine verlässliche Kostenrechnung vorliegt und soweit aus der weiteren Auftragsabwicklung keine Verluste drohen.

Zeitraum der Herstellung und nachträgliche Herstellungskosten

Teil der Herstellungskosten sind nur solche Kosten, die im Zeitraum der Herstellung angefallen sind. Zum Zeitraum der Herstellung gehören auch vorbereitende Handlungen, sofern der Vermögensgegenstand durch externe Aufträge oder betriebsinterne Vorgaben konkretisiert wurde. Wird der Herstellungsvorgang durch Ereignisse unterbrochen, die nicht zum Produktionsprozess gehören, so sind die dort entstehenden Kosten den Herstellungskosten nicht zuzurechnen. Der Herstellungsvorgang ist beendet, wenn der Vermögensgegenstand bestimmungsgemäß genutzt werden kann.[10]

Nach dem ursprünglichen Herstellungszeitraum gehören die nachträglichen Herstellungskosten zu den Herstellungskosten. Diese sind Aufwendungen, die dafür aufgewendet werden, um den Vermögensgegenstand zu erweitern oder über seinen ursprünglichen Zustand wesentlich zu verbessern. Treffen diese Kriterien nicht zu, ist auf Erhaltungsaufwand zu erkennen.

Bilanzpolitische Spielräume

Durch Wahlrechte bei der Zuordnung von Kosten gibt es einen Spielraum bei der Ermittlung der Herstellungskosten. Dieser kann als Herstellungskosten jeden Wert zwischen Wertuntergrenze und Wertobergrenze festlegen, der sich aus der Kostenrechnung ergibt. Legt er sich einmal fest, welche Kosten er in die Herstellungskosten einbeziehen will, so ist er durch das Stetigkeitsgebot des § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB an seine Wahl für die Zukunft gebunden. Nur in Ausnahmefällen darf er davon abweichen.

Herstellungskosten von Gebäuden

Teil der Herstellungskosten eines Gebäudes können nach EStH 6.4 folgende Kosten sein:

Nicht zu den Herstellungskosten von Gebäuden gehören:

  • Außenanlagen wie Hofbefestigungen und Straßenzufahrt,
  • Bauzeitversicherung (= vorweggenommene Betriebsausgaben),
  • Eigenleistung,
  • erstmaliger Anschluss an Erdgasnetz bei Umstellung einer bereits vorhandenen Heizungsanlage (Erhaltungsaufwand),
  • Gartenanlage und Vorgarten (selbständiges Wirtschaftsgut)
  • Säumniszuschläge und Aussetzungszinsen für Grunderwerbsteuer,
  • Waschmaschine (selbständig nutzbares Wirtschaftsgut).

Siehe auch

Literatur

  • Adolf G. Coenenberg, u. a.: Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse: Betriebswirtschaftliche, handelsrechtliche, steuerrechtliche und internationale Grundlagen; HGB, IAS/IFRS, US-GAAP, DRS. 22. Auflage. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-7910-3182-8.
  • Michael Griga, Raymund Krauleidis: Bilanzen erstellen und lesen für Dummies, 2. Auflage, Wiley-VCH Verlag 2010, ISBN 978-3527705986.
  • Gerhard Scherrer: Rechnungslegung nach neuem HGB, 3. Auflage, Verlag Franz Vahlen, München 2011, ISBN 978-3800637874.
  • Harald Wedell, Achim A. Dilling: Grundlagen des Rechnungswesens: Buchführung und Jahresabschluss. Kosten- und Leistungsrechnung, 13. Auflage, NWB-Verlag 2010, ISBN 978-3482547836.

Weblinks

Wiktionary: Herstellungskosten – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b Günter Wöhe in Wolfgang Lück (Hrsg.), Lexikon der Betriebswirtschaft, 1983, S. 504.
  2. Vgl. IAS 2
  3. a b c Vgl. Adolf Coenenberg u. a.: Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 21. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2009, S. 112
  4. ADVOKAT Unternehmensberatung: § 203 UGB (Unternehmensgesetzbuch), Anschaffungs- und Herstellungskosten - JUSLINE Österreich. Abgerufen am 15. Dezember 2018.
  5. ADVOKAT Unternehmensberatung: § 203 UGB (Unternehmensgesetzbuch), Anschaffungs- und Herstellungskosten - JUSLINE Österreich. Abgerufen am 15. Dezember 2018.
  6. IAS 23.8; Coenenberg, u. a.; Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 2012, Seite 109; IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Einzelfragen zur Bilanzierung von Fremdkapitalkosten nach IAS 23 (IDW RS HFA 37), Tz. 2
  7. IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Aktivierung von Herstellungskosten (IDW RS HFA 31), Tz. 22
  8. IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Aktivierung von Herstellungskosten (IDW RS HFA 31), Tz. 26
  9. IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Aktivierung von Herstellungskosten (IDW RS HFA 31), Tz. 17
  10. Vgl. IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Aktivierung von Herstellungskosten (IDW RS HFA 31), Tz. 6 bis 12