Histamin-Intoleranz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Klassifikation nach ICD-10
T78.1 Sonstige Nahrungsmittelunverträglichkeit, anderenorts nicht klassifiziert
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Unter einer Histamin-Intoleranz (Histaminose) versteht man die Unverträglichkeit von Histamin, das mit der Nahrung aufgenommen wird. Diese Unverträglichkeit gibt es als angeborene Störung, aber auch als erworbene Folge von Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts oder infolge von Medikamenten oder Giftstoffen. Nach Aufnahme histaminreicher Nahrung kommt es zu verschiedenen, oft unspezifischen Symptomen, die häufig Ähnlichkeit mit allergischen Reaktionen haben.

Symptome

Mögliche Symptome nach Aufnahme histaminreicher Nahrung sind:

Pathomechanismus

Histamin wird im Körper extrazellulär durch das Enzym Diaminoxidase (DAO), sowie intrazellulär durch die Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) und Aldehydoxidasen (AOX1) abgebaut.[2] Bei einer Histamin-Intoleranz ist die Aktivität der DAO eingeschränkt, und durch die Nahrung aufgenommenes und im Körper gebildetes Histamin kann nur teilweise abgebaut werden. Beim Verzehr histaminhaltiger Nahrung (z. B. Rotwein oder Hartkäse) kommt es zu einer pseudoallergischen Reaktion des Körpers.

Es gibt einen angeborenen Mangel an DAO, der häufig, aber nicht ausnahmslos mit Histamin-Unverträglichkeit einhergeht. Nach Ansicht einiger Autoren ist die Histamin-Intoleranz nicht angeboren, sondern ein erworbenes Krankheitsbild, von dem knapp 1 % der europäischen Bevölkerung betroffen sei.[3][4] 80 % der erkrankten Patienten sind weiblichen Geschlechts mittleren Alters. Die Krankheitssymptome können in der Schwangerschaft verschwinden, treten jedoch nach der Schwangerschaft wieder auf.

Potentiell unverträgliche Nahrungsmittel

Verschiedene Hartkäse

Histamin entsteht in mit Bakterien oder mit Pilzen fermentierten Nahrungsmitteln, so:

  • geräuchertes Fleisch, Salami, Schinken, Innereien, Schwein
  • viele Fischprodukte, insbesondere Fischkonserven
  • Meeresfrüchte
  • gereifte Käsesorten („Hartkäse“), je höher der Reifegrad, desto höher der Histamingehalt
  • Sauerkraut
  • Bier, vor allem obergäriges, trübes, gefärbtes[5]
  • Essig, essighaltige Produkte wie Senf sowie in Essig eingelegte Lebensmittel (z. B. eingelegtes Gemüse)
  • Rotwein, je höher der Reifegrad, desto höher der Histamingehalt. Trockene Weißweine enthalten praktisch kein Histamin, Sekt ist ebenfalls zu empfehlen. R. Jarisch warnt hingegen[6] vor Champagner mit seinen 670 µg/l Histamin (Champagner wird teilweise aus roten Trauben hergestellt.).
  • Schokolade: Schokolade enthält zwar kein Histamin, aber die anderen biogenen Amine Tyramin und Phenylethylamin. Diese Amine stammen aus dem Kakao. Bei der Minimierung der Histaminaufnahme durch die Nahrung sind auch Kakaogetränke und Schokolade (in diversen Süßspeisen) zu meiden.[6][7]
  • Pilze, auch Schimmelpilze (z. B. Edelschimmel auf verschiedenen Käsesorten)

Aber auch frische Nahrungsmittel wie

  • Außerdem soll es Nahrungsmittel (wie z. B. Ananas, Papayas, Nuss- und Kakaoprodukte[8]) und Medikamente geben, die den Abbau von Histamin verzögern,[7] oder sogenannte Histaminliberatoren (z. B. gehören dazu bestimmte Lebensmittelzusatzstoffe), die verstärkt Histamin im Körper freisetzen.[8]
  • Alkoholkonsum steigert die Durchlässigkeit der Zellmembran und senkt damit die Histamintoleranzgrenze, weshalb insbesondere beim Mischen von Alkohol und histaminreicher Nahrung (z. B. Rotwein und Käse) überaus starke Reaktionen auftreten können.

Medikamentenunverträglichkeit

  • Unverträglichkeit von entzündungshemmenden und schmerzhemmenden Medikamenten bei Personen mit Histaminintoleranz:
Unverträglich sind antiinflammatorische/analgetische Medikamente, die die allergenspezifische Histaminfreisetzung bei Allergikern steigern:
Auszug aus Liste auf S. 125 in:[7]
Wirksubstanz Medikamente mit der Wirksubstanz
Mefenaminsäure Parkemed
Diclofenac Dedolor, Deflamat, Diclo B, Diclobene, Diclomelan, Diclostad, Diclovit, Dolo-Neurobion, Neurofenac, Tratul, Voltaren
Indometacin Flexidin, Indobene, Indocid, Indohexal, Indomelan, Idometacin, Indoptol, Luiflex, Ralicid
Acetylsalicylsäure Aspirin
Verträglich sind antiinflammatorische/analgetische Medikamente, die die allergenspezifische Histaminfreisetzung bei Allergikern hemmen:
Auszug aus Liste auf S. 126 in:[7]
Wirksubstanz Medikamente mit der Wirksubstanz
Fenbufen Lederfen
Levamisol Ergamisol
Ibuprofen Avallone, Brufen, Dismenol neu, Dolgit, Ibudol, Ibumetin, Ibupron, Ibuprofen Genericon, Kratalgin, Nurofen, Tabcin, Ubumetin, Urem

Diese Schmerzmittel (Analgetika, Antipyretika, Antiphlogistika) hemmen die Prostaglandinsynthese[9] und können daher als Nebenwirkung zur Bildung von Ödemen führen. Umgekehrt ist bei vorhandenen Ödemen die Einnahme von Fenbufen, Levamisol oder Ibuprofen zu vermeiden. Des Weiteren sollte bei Ödemen neben Arzneimittelnebenwirkungen auch andere Ursachen wie Venenschwäche, Niereninsuffizienz oder Herzinsuffizienz gedacht werden.[10]

  • Röntgenkontrastmittel-Allergie:

R. Jarisch schreibt, dass eine Kontrastmittel-Unverträglichkeit fälschlicherweise als Allergie bezeichnet wird. Und da Kontrastmittel Jod enthalten, wird sie fälschlicherweise fast immer als Jod-Allergie konkretisiert. „Kontrastmittel setzen Histamin frei. Der Grund, warum in den meisten Fällen bei der Gabe von Kontrastmitteln nichts passiert, ist, dass die meisten Patienten keine Histaminintoleranz haben. Aber wenn sie betroffen sind, ist ein anaphylaktischer Schock vorprogrammiert.“ Daher sollte aus Sicherheitsgründen bei Personen mit Histaminintoleranz immer ein Antihistaminikum vor der Untersuchung mit einem Röntgenkontrastmittel verabreicht werden. Darüber hinaus sei es sinnvoll, 24 Stunden vor Röntgenuntersuchungen mit Kontrastmitteln zur Minimierung der Histamin-Belastung eine histaminfreie Diät einzuhalten.[6] S. 127/128 in[7]

Diagnose

Für die Diagnose ist eine Anamnese (Erhebung der Vorgeschichte) wichtig. Da aber viele Beschwerden wie z. B. Kopfschmerzen, Migräne, Asthma bronchiale, Hypotonie, Herzrhythmusstörungen und Dysmenorrhö auch andere Ursachen als eine Histamin-Intoleranz haben können, überrascht es nicht, dass die Hälfte der Verdachtsdiagnosen sich nicht bestätigt.

Die Diagnose wird üblicherweise durch eine Provokation gestellt. Da aber Histamin potentiell lebensbedrohliche Zustände auslösen kann, empfiehlt sich folgende Vorgehensweise: Vor und nach einer 14-tägigen Diät wird Blut zur Bestimmung des Histamin- und Diaminoxidasespiegels abgenommen und verglichen. Statt Histamin zuzuführen, wird durch die Diät Histamin weggenommen. Diese Vorgangsweise gefährdet den Patienten nicht, ganz im Gegenteil: Bei Vorliegen einer Histamin-Intoleranz sind die Beschwerden gebessert oder ganz verschwunden. Gleichzeitig halbiert sich der Histaminspiegel und die DAO steigt an (beides signifikant). Liegt keine Histamin-Intoleranz vor, ändern sich die Blutwerte nicht und auch nicht die Beschwerden. Gleichzeitig müssen eine Nahrungsmittelallergie, Kreuzreaktionen mit Pollen, eine Fruktosemalabsorption, eine Laktoseintoleranz und eine Zöliakie ausgeschlossen werden.

Die wissenschaftliche Evidenz für die postulierten Zusammenhänge ist begrenzt, eine verlässliche Laborbestimmung zur definitiven Diagnose nicht vorhanden.

Therapie

Die Grundlage der Behandlung besteht in einer Reduktion des mit der Nahrung zugeführten Histamins durch Einhalten einer histaminarmen Diät. Eine Maximalvariante ist die von den Dermatologen seit Jahrzehnten bei der Urticaria mit Erfolg verwendete „Kartoffel-Reis-Diät“, also nur Kartoffeln, Reis, Salz, Zucker und Wasser. Außerdem sollen auch Nahrungsmittel (z. B. Zitrusfrüchte) und bestimmte Medikamente (beispielsweise Morphin) gemieden werden, die zwar selbst kein oder nicht viel Histamin enthalten, aber im Körper gespeichertes Histamin freisetzen (Histaminliberation).[11]

Wenn sich der Verzehr histaminhaltiger Nahrungsmittel nicht vermeiden lässt, können Antihistaminika und Cromoglicinsäure wirksam sein. Die Einnahme von Diaminoxidase (DAO) in Kapselform mit den Mahlzeiten kann die Symptome einer Histaminintoleranz mindern.[12]

Als Therapie bei sehr hohen Glutaminsäurewerten (Glutamat) im Blutbefund, wie sie z. B. bei Ekzemen und/oder Histamin-Intoleranz vorkommen können, empfiehlt Reinhart Jarisch[13] eine Vitamin-B6-Gabe. Dies fördert auch die körpereigene Synthese der DAO und bekämpft so ursächlich die Auswirkungen der Histamin-Intoleranz. Die Referenzbereiche (Normalwerte) für Glutaminsäure im Blutbefund sind bei Säuglingen 20–107, bei Kindern 18–65 und bei Erwachsenen 28–92 µmol/ml.[14]

Literatur

  • Abbot, Lieners, Mayer, Missbichler, Pfisterer, Schmutz: Nahrungsmittelunverträglichkeit (Histaminintoleranz). HSC, Mauerbach 2006, ISBN 3-9502287-0-5.
  • Reinhart Jarisch: Histamin-Intoleranz, Histamin und Seekrankheit. Thieme 2004, ISBN 3-13-105382-8.
  • Nadja Schäfers: Histaminarm kochen – vegetarisch. pala-Verlag, Darmstadt 2009, ISBN 978-3-89566-263-8.
  • Anja Völkel: Gesunde Küche: bewusst genießen – schmackhaft & lecker. AVA-Verlag, 2013, ISBN 978-3-944321-13-4.
  • I. Reese: Streitthema Histaminintoleranz. (CME zertifizierte Fortbildung) In: Der Hautarzt, 65, 2014, S. 559–566, doi:10.1007/s00105-014-2815-2.
  • Imke Reese, B. Ballmer-Weber, K. Beyer, S. Dölle-Bierke, J. Kleine-Tebbe, L. Klimek, S. Lämmel, U. Lepp, J. Saloga, C. Schäfer, Z. Szépfalusi, R. Treudler, T. Werfel, T. Zuberbier, M. Worm: Leitlinie zum Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. In: Allergologie. Band 44, Nr. 10, 2021, S. 761–772, doi:10.5414/ALX02269E.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bettina Wedi, Alexander Kapp: Aktuelle Positionsbestimmung zur Bedeutung von Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten bei der Urtikaria. In: Der Hautarzt. Band 57, Nr. 2, 1. Februar 2006, ISSN 1432-1173, S. 101–107, doi:10.1007/s00105-005-1078-3.
  2. Oriol Comas-Basté, Sònia Sánchez-Pérez, Maria Teresa Veciana-Nogués, Mariluz Latorre-Moratalla, María del Carmen Vidal-Carou: Histamine Intolerance: The Current State of the Art. In: Biomolecules. Nr. 10, 2020, S. 1181, doi:10.3390/biom10081181.
  3. Laura Maintz, Thomas Bieber, Natalija Novak: Die verschiedenen Gesichter der Histaminintoleranz. Konsequenzen für die Praxis. In: Deutsches Ärzteblatt. Nr. 103, 2006, S. A-3477, B-3027, C-2903. (aerzteblatt.de).
  4. Laura Maintz, Natalija Novak: Histamine and histamine intolerance. In: American Journal of Clinical Nutrition. Band 85, Nr. 5. Bethesda (Maryland) Mai 2007, S. 1185–1196, doi:10.1093/ajcn/85.5.1185 (englisch).
  5. Conny Becker: Wenn Käse und Wein kein Genuss sind. In: pharmazeutische-zeitung.de. 24. Februar 2006, abgerufen am 13. Juni 2022.
  6. a b c d Reinhart Jarisch: Pizza, Kontrastmittel, Seekrankheit, Biologicals als Anti-IgE-Antikörper. In: Ärztemagazin. Nr. 40, 2004 (aerztemagazin.at).
  7. a b c d e Reinhart Jarisch: Histamin-Intoleranz, Histamin und Seekrankheit. Thieme, Stuttgart 2004, ISBN 3-13-105382-8.
  8. a b Nadja Schäfers: Histaminarm kochen - vegetarisch köstliche Rezepte und Praxistipps bei Histaminintoleranz. Darmstadt 2009, ISBN 978-3-89566-263-8.
  9. Analgetica, Antipyretica, Antiphlogistica. In: Gerhard Bauer, Heinz Huber, Gerold Schuler. Hans Winkler (Hrsg.): Pharmainformation. Band 2, Nr. 3. Innsbruck Juni 1987 (i-med.ac.at).
  10. Ursachen & Risikofaktoren von Ödemen » Ödeme » Krankheiten » Internisten im Netz ». In: internisten-im-netz.de. Abgerufen am 13. Juni 2022.
  11. Axel Vogelreuter: Nahrungsmittelunverträglichkeiten. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-7776-2349-8, S. 99–121.
  12. Peter Komericki, Georg Klein, Norbert Reider, Thomas Hawranek, Tanja Strimitzer, Roland Lang, Bettina Kranzelbinder, Werner Aberer: Histamine intolerance: lack of reproducibility of single symptoms by oral provocation with histamine: A randomised, double-blind, placebo-controlled cross-over study. Wiener Klinische Wochenschrift, Nr. 1-2, 2011, doi:10.1007/s00508-010-1506-y, PMID 21165702 (englisch).
  13. Reinhart Jarisch: Histaminintoleranz Histamin und Seekrankheit. 2. Auflage. Thieme Verlag, Stuttgart / New York 2004, ISBN 3-13-105382-8, S. 151.
  14. Helmut Greiling, A. M. Gressner: Lehrbuch der klinischen Chemie und Pathobiochemie. Schattauer Verlagsgesellschaft, 1987, ISBN 3-7945-0949-8.