Jakob Segal

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Jakob Segal (* 17. April 1911 in Sankt Petersburg, Russisches Kaiserreich; † 30. September 1995 in Berlin) war ein Biologe und bis zu seiner Emeritierung der Leiter des Instituts für Allgemeine Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Studien über Struktur und Rolle der Proteinmoleküle und der Immunologie. Bekanntheit erlangte er zuletzt durch die Unterstützung der Verschwörungstheorie, das HI-Virus sei nicht natürlichen Ursprungs, sondern in einem amerikanischen Militärlabor mit Mitteln der Gentechnik künstlich erzeugt worden.[1] Er war bis 1955 Informant des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.[2]

Grab von Jakob Segal auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin

Leben und Werk

Segal stammte aus einer jüdischen Familie aus Litauen.[3] Mit acht Jahren kam er mit seinen Eltern nach Königsberg in Ostpreußen, wo er die Schule mit dem Abitur abschloss. Die ersten Semester seines Biologiestudiums absolvierte er in Königsberg, Berlin und München, bevor er wegen antifaschistischer Aktivitäten im Roten Studentenbund und in der KPD emigrieren musste, sein Studium in Toulouse, Frankreich, fortsetzte und mit der „Licence des Sciences“ beendete. Dort lernte er auch seine spätere Frau Lilli (geborene Schlesinger) kennen.

Nach Beendigung des Studiums begann er seine Forschungsarbeit in Paris am Sinnesphysiologischen Laboratorium des Collège de France. Anschließend war er am Centre national de la recherche scientifique (Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung) in Paris tätig. 1940 promovierte Segal zum „Docteur des Sciences“ (Fach Physiologie) an der Sorbonne (Universität von Paris). Er nahm während des Zweiten Weltkrieges aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus in den internationalen Kampfgruppen (M.O.I.) und im Komitee „Freies Deutschland“ für den Westen (CALPO) teil. So stellte er u. a. gefälschte Ausweise und andere Dokumente für die Widerstandsbewegung her. Nach dem Krieg kehrte er ans „CNRS“ zurück und wurde dort zum „Chargé de Recherches“ ernannt. Er übernahm einen Forschungsauftrag über die Sinnesfunktionen der Hirnrinde.

1952 siedelten Segal und seine Frau, die beide die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen hatten, auf sowjetische Empfehlung in die DDR über, wo er als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig wurde. Ende 1955 erhielt sein Führungsoffizier bei der Staatssicherheit die Anweisung von einem sowjetischen KGB-Offizier, keine Treffen mehr mit Segal durchzuführen, weil sie selbst mit ihm arbeiten wollten.[2][4] 1953 wurde er an die Humboldt-Universität zu Berlin berufen und mit dem Aufbau eines Instituts für Allgemeine Biologie beauftragt, das sich in der Folge auf die Ausbildung von Biophysikern spezialisierte. Er leitete das Institut bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1971. Zwischendurch lehrte er drei Jahre in Kuba sowie drei Semester in Mexiko.

Seine Forschungsgebiete waren die Struktur der Proteinmoleküle, die Rolle der Proteine in elementaren Zellfunktionen und die Immunologie. Nach seiner Emeritierung setzte seine Arbeiten mit verstärkter Orientierung auf biophysikalische Probleme der Medizin fort.

Seine Urne wurde auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde in der Gräberanlage für die Opfer und Verfolgten des Naziregimes beigesetzt.

HIV-Forschung

In seinen letzten Lebensjahren bildete das HI-Virus Segals hauptsächliches Forschungsgebiet, dem er mehrere Buchveröffentlichungen widmete. In einem Buch von 1991 schlägt er vor, eine Impfung gegen AIDS mit Antigenen der inneren Proteinstruktur des Virus (Nukleokapsid Eiweiß p24) zu entwickeln. Die äußere Hülle (env, Eiweiß gp120) hätte Funktionen für das Immunsystem, deshalb störe eine Impfung mit diesem Antigen. Beim Eindringen des Virus in die Wirtszelle bleibt ein Teil des p24 an der Oberfläche der Wirtszelle hängen. Nach einer erfolgreichen Immunisierung gegen p24 vernichte das Immunsystem somit die befallenen Zellen (durch die produzierten Antikörper anti p24) und verringere die Viruslast.[5] AIDS könne geheilt werden durch Bestrahlung von Blut mit ultraviolettem Licht.[6] Beide Thesen gelten in der Forschung zu AIDS und HIV als irrig.

Hypothese eines künstlichen HIV-Ursprungs

These

Segal stellte 1985 die These auf, dass das HI-Virus das Ergebnis militärischer Experimente in Fort Detrick, Maryland, USA im dort angesiedelten United States Army Medical Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID), einem P4-Forschungslabor zum Studium von Infektionskrankheiten in Fort Detrick, durch den US-Forscher Robert Charles Gallo sei. Er knüpfte damit an Behauptungen der KGB-Desinformationskampagne Operation Infektion an. Im Unterschied zu den vom KGB gestreuten Darstellungen, HIV sei als neuartiges Virus von amerikanischen Forschern in Afrika entdeckt und in die USA gebracht worden, beruhte Segals Theorie auf der Annahme, HIV sei durch Gallo künstlich aus zwei natürlichen Viren, und zwar Visna und HTLV-1, kreiert worden.[7][8]

Argumentation

Segals Argumentation baute auf mehreren Säulen auf. Er zog in Zweifel, dass HIV vor 1978 in der Bevölkerung existiert habe, und verweist darauf, dass in afrikanischen Blutkonserven der 1970er und frühen 1980er Jahre, auch bei späteren Analysen keine HIV-positiven Proben gefunden werden konnten. Stattdessen beschrieb Segal, wie die AIDS-Pandemie von New York und San Francisco ausgehend Ende der 1970er Jahre ihren Anfang nahm. Erst in solchen afrikanischen Blutkonserven, die zeitlich nach ersten Epidemien in den beiden amerikanischen Städten angelegt wurden (nach 1981), sei HIV dann – in rapide steigender Häufigkeit – nachweisbar. Weiterhin behauptete Segal, dass sowohl Analysen aus Heteroduplex-Hybridisierung als auch computergestützte Vergleiche der Nukleotidsequenzen die Vermutung nahelegen, dass HIV-1 tatsächlich ein Visna-Virus sei, das um eine etwa 300 Nukleotide lange Sequenz aus HTLV-I ergänzt worden sei, und die Verwandtschaft von HIV-1 zu den damals bekannten SIV-Stämmen sei wesentlich geringer als zum Visna-Virus. Das Auftreten von HIV-2 und pathogener SIV-Stämme, die erstmals bei in Gefangenschaft lebenden Affen in den USA entdeckt wurden, interpretierte Segal als Resultate weiterer US-amerikanischer Experimente. In freier Wildbahn vorkommendes SIV sei grundsätzlich apathogen und habe keinerlei Eigenschaften eines Immunschwächevirus, die Namensgebung Simiane Immundefizienz-Virus sei eine gezielte Irreführung. Als dritten Strang zitierte Segal das Protokoll einer Sitzung der Unterkommission des Bereichs für das US-Verteidigungsbudget für 1970 mitsamt Abdruck des angeblichen Originaltexts als Faksimile, demnach im Juni 1969 geplant worden sei, aufgrund der starken Fortschritte der molekularbiologischen Möglichkeiten eine nicht-natürliche Biowaffe zu erforschen, gegen die keine Immunabwehr erworben werden kann. Das Ausbrechen von HIV in den USA deutete Segal als Folge der sehr langen Latenzzeit von AIDS, die es ermöglicht habe, dass scheinbar nicht-erkrankte Häftlinge, an denen das Virus getestet würde, freigelassen worden seien. Schließlich referierte Segal die Fachliteratur als auch die damaligen Standpunkte der WHO, demnach auch im internationalen Fachkreis vielfach die Position vertreten würde, dass ein natürlicher Ursprung von HIV in Afrika als unwahrscheinlich anzunehmen sei.[7]

Eine inhaltliche Diskussion Segals Hypothese in wissenschaftlichen Publikationen erfolgte zu keinem Zeitpunkt. Jedoch stellte der Virologe Erhard Geißler klar, dass er Segals Fort Detrick-Hypothese in Bezug auf HIV als abwegig einschätzt.[9] Da Segal annahm, dass Viren nicht zur Rekombination in der Lage wären, erschien ihm eine künstliche Entstehung plausibel.[10] Nach Segals Tod wurde nachgewiesen, dass auch HIV, wie viele anderen Viren auch, zur Rekombination befähigt ist und diese sogar häufig auftritt.[11] Diese Möglichkeit natürlicher Evolution von Viren, bei der es auch zum genetischen Austausch zwischen unterschiedlichen Viren kommen kann, findet in Segals Überlegungen keine Berücksichtigung.

Veröffentlichung und Wirkung

Noch 1985 nahm Segal Kontakt mit dem Kölner Molekularbiologen Benno Müller-Hill auf, um sich mit diesem über seine These auszutauschen. Der Schriftverkehr zog sich bis April 1986 und endete mit der Einschätzung Müller-Hills: „Gerade weil das von ihnen [sic?] vermutete (nicht bewiesene) Verbrechen so groß ist, ist es meiner Ansicht nach unverantwortlich … damit an die Öffentlichkeit zu gehen“.[12]

Als er seine Hypothese dennoch in der DDR veröffentlichen wollte, erteilte ihm das Politbüro, das er eigentlich um Unterstützung gebeten hatte, im Zeichen der „friedlichen Koexistenz mit den USA“ Veröffentlichungs- und Forschungsverbot. Da Segal sowjetischer Staatsbürger war, blieb es ihm möglich, im Westen zu publizieren, solange Moskau nicht intervenierte – was auch nicht geschah, da Gorbatschow zu dieser Zeit Glasnost eingeleitet hatte. Eine Publikation gelang Segal erstmals in Form einer Broschüre, die auf einer Konferenz der Blockfreien Staaten verbreitet wurde, die im Spätsommer 1986 in Harare stattfand.[13] Segal ließ hierbei afrikanischen Journalisten ein Manuskript über seine Theorie zukommen, die dazu eine englischsprachige Buchbesprechung erstellten und unter dem Titel „Aids: USA – Home-Made Evil“ im simbabwischen Magazin Social Change and Development veröffentlichten. Diese Buchbesprechung wurde von Zeitungen im Vereinigten Königreich aufgegriffen.

Eine Veröffentlichung in der Bundesrepublik Deutschland gestaltete sich schwierig. Der Frankfurter Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch lehnte die Veröffentlichung einer Monographie Segals zum Thema ab, nachdem er das Manuskript gelesen hatte.[13] Stefan Heym organisierte daraufhin ein ausführliches Interview, das zunächst in der Zeit erscheinen sollte. Als diese ablehnte, ebenso wie in der Folge Der Spiegel, Stern und Quick,[14] erschienen Segals vermeintliche Enthüllungen in der taz.[15] Dieses Interview erregte internationale Aufmerksamkeit und inspirierte weitere Varianten der AIDS-Verschwörungstheorie.[16]

Segals Verschwörungstheorie ist bis in die Gegenwart beispielsweise in Afrika (wie Sam Nujoma, bis 2005 Präsident von Namibia oder Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai) und in den USA populär.[17] In Deutschland verteidigt noch heute die MLPD die Thesen Jakob Segals.[18] Neben der Behauptung des US-amerikanischen Ursprungs von AIDS wurden dabei bis vor wenigen Jahren auch Behandlungsstrategien gegen AIDS, wie sie Segal vorschlug, propagiert und teilweise auch erprobt. Dies erfolgte im Rahmen des der MLPD nahestehenden Fördervereins Neue Wege in der HIV-Therapie (FNV), der sich 2012 auflöste.[19]

Publikationen

  • mit Lilli Segal: AIDS – die Spur führt ins Pentagon, zusammen mit Manuel Kiper, Biokrieg, Verlag Neuer Weg, 2. ergänzte Auflage Oktober 1990, ISBN 3-88021-199-X.
  • mit Lilli Segal, Christoph Klug: AIDS ist besiegbar. Die künstliche Herstellung, die Frühtherapie und deren Boykott, Verlag Neuer Weg, Essen 1995 ISBN 3-88021-296-1.
  • AIDS. Zellphysiologie Pathologie und Therapie, Verlag Neuer Weg 1992, ISBN 3-88021-211-2.
  • mit Gunther Seng: Methoden der UV-Bestrahlung von Blut – HOT und UVB. Grundlagen, Klinik, Praxis. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-7773-0984-2.
  • Jakob Segal, Ute Körner, Kate P. Leiterer: Die Entstehung des Lebens aus biophysikalischer Sicht, VEB Gustav Fischer Verlag 1983.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1992 als sowjetische Desinformations-Kampagne entlarvt ("Operation Infektion")
  2. a b Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter: Konspiration: Soziologie des Verschwörungsdenkens. Springer-Verlag, 19. Oktober 2013, ISBN 978-3-531-19324-3, S. 127.
  3. charlotte böhm: „Wir bleiben auf den Barrikaden“. In: Die Tageszeitung: taz. 7. Januar 1989, ISSN 0931-9085, S. 9 (taz.de [abgerufen am 25. Dezember 2021]).
  4. Erhard Geißler: Der Mythos vom Ursprung des Aids-Virus. In: ZEIT ONLINE . ZEIT ONLINE. 14. Januar 2010. Abgerufen am 28. Oktober 2015.
  5. Jakob Segal: AIDS – Zellphysiologie, Pathologie und Therapie. Verlag Neuer Weg, Essen 1992.
  6. Jakob Segal und Gunther Seng: Methoden der UV-Bestrahlung von Blut – HOT und UVB. Grundlagen, Klinik, Praxis. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1998.
  7. a b Jakob und Lilli Segal: AIDS – die Spur führt ins Pentagon, zusammen mit Manuel Kiper, Biokrieg, Verlag Neuer Weg, 2. ergänzte Auflage Oktober 1990, ISBN 3-88021-199-X.
  8. Christopher Andrew and Vasili Mitrokhin: The Mitrokhin Archive. The KGB in Europe and the West, Gardners Books 2000, ISBN 0-14-028487-7, S. 319.
  9. https://www.prof-dr-erhard-geissler.de/jakob-segals-aids-mythos/
  10. Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter: Konspiration: Soziologie des Verschwörungsdenkens. Springer-Verlag, 19. Oktober 2013, ISBN 978-3-531-19324-3, S. 121.
  11. Jonathan M. O. Rawson, Olga A. Nikolaitchik, Brandon F. Keele: Recombination is required for efficient HIV-1 replication and the maintenance of viral genome integrity. In: Nucleic Acids Research. 2018. doi:10.1093/nar/gky910.
  12. http://www.prof-dr-erhard-geissler.de/30-jahre-aids-l%C3%BCge/
  13. a b Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter: Konspiration: Soziologie des Verschwörungsdenkens. Springer-Verlag, 19. Oktober 2013, ISBN 978-3-531-19324-3, S. 123.
  14. Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter: Konspiration: Soziologie des Verschwörungsdenkens. Springer-Verlag, 19. Oktober 2013, ISBN 978-3-531-19324-3, S. 130.
  15. Jan Feddersen, Wolfgang Gast: Wie das Aids-Virus nach Fort Detrick kam. In: taz.de . taz.de. 9. Januar 2010. Abgerufen am 28. Oktober 2015.
  16. Jack Z. Bratich: AIDS. In: Peter Knight (Hrsg.): Conspiracy Theories in American History. An Encyclopedia. ABC Clio, Santa Barbara/ Denver/ London 2003, Band 1, S. 43 f.
  17. Johanna Lutteroth: „Das Propaganda-Virus des KGB“. In: Zeitgeschichten auf Spiegel-online. 22. Juni 2012, abgerufen am 25. November 2013.
  18. https://www.mlpd.de/2012/kw29/enthuellungen-zum-aids-ursprung-2013-alles-andere-als-201everschwoerungstheorie201c
  19. Douglas Selvage und Christopher Neuring: Die AIDS-Verschwörung. Das Ministerium für Staatssicherheit und die AIDS-Desinformationskampagne des KGB, Seite 128–136. (PDF, ISBN 978-3-942130-76-9) In: BF informiert 33. Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, 2014, abgerufen am 19. November 2014.