Johann Lukas Schönlein

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Johann Lukas Schönlein
Büste Schönleins in Bamberg am Schönleinsplatz

Johann Lukas Schönlein (* 30. November 1793 in Bamberg; † 23. Januar 1864 ebenda) war ein deutscher Mediziner, Internist und Pathologe, Medizinhistoriker[1] und Paläobotaniker. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet „Schönl.“.

Leben

Ausbildung

Schönlein, Sohn eines Seilermeisters, studierte von 1811 bis 1816 in Landshut und Würzburg Naturwissenschaften und Medizin. 1816 verfasste er bei Ignaz Döllinger seine Dissertation Von der Hirnmetamorphose über vergleichende embryonale Gehirnentwicklung bei Säugetieren und Menschen. Es folgten zwei praktische Jahre in Bamberg, Jena, Göttingen und München.

Würzburg

Im Jahr 1817 habilitierte er sich an der Universität Würzburg. Als erster Privatdozent für pathologische Anatomie Deutschlands lehrte er ab 1817 in Würzburg im Gartenpavillon des Juliusspitals, wo bereits 1720 anatomische und chirurgische Demonstrationen stattgefunden haben.[2] 1819 wurde er Professor für Innere Medizin und hielt zunächst stellvertretend für den erkrankten Nicolaus Anton Friedreich den klinischen Unterricht. 1824 wurde er ordentlicher Professor für Spezielle Pathologie und Therapie[3] sowie Leiter der Medizinischen Klinik des Juliusspitals. Zu seinen vielen Schülern dort gehörten unter anderem sein Nachfolger Carl Friedrich von Marcus, August Siebert, Karl von Pfeufer und Franz von Rinecker.

Zürich und Berlin

Im Jahr 1832 aus politischen Gründen[4] seiner akademischen Ämter in Würzburg enthoben, flüchtete Schönlein nach Zürich, wo er 1833 Professor für klinische Medizin wurde. Dort gehörten unter anderem Wilhelm Griesinger und Hermann Lebert zu seinen Schülern. 1839 folgte er einem Ruf an die Universität Berlin, wo er 1840 Ordinarius und Leibarzt von König Friedrich Wilhelm IV. wurde. In Berlin war er unter anderem Lehrer von Robert Remak, Ludwig Traube und Rudolf Virchow. Nach dem Thronverzicht des Königs im Jahr 1858 trat Schönlein ein Jahr später in den Ruhestand und kehrte in seine Heimatstadt Bamberg zurück. Im Jahr 1844 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.

Werk

Aufbauend auf den im 19. Jahrhundert nach Deutschland gelangten pathologisch-anatomischen und physikalisch-physiologischen Erkenntnissen der Wiener Schule (etwa Leopold Auenbrugger und Josef von Škoda) und der Pariser Schule (etwa Jean-Nicolas Corvisart und René Laennec) reformierte und modernisierte Schönlein, vom Würzburger Juliusspital ausgehend und weitergeführt von seinen Nachfolgern,[5] grundlegend die deutsche Medizin durch die Einführung naturwissenschaftlicher Methoden statt spekulativer naturphilosophischer Betrachtungsweisen[6] in der Diagnostik auf Basis der pathologischen Anatomie und physikalischen Diagnostik. Hierzu führte er auch eine zur Überprüfung von Diagnosen regelmäßig durchzuführende Obduktion von verstorbenen Patienten ein.[7] Richtungweisend wurde sein 1818/19 verfasstes Manuskript Über den Keuchhusten, in dem er die kausale Analyse auf einer genauen Beschreibung des zeitlichen und räumlichen Krankheitsverlaufes aufbaute. Seit 1826 nutzte er damals neuartige physikalische und chemische Untersuchungsverfahren wie Perkussion und Auskultation sowie Blut- und Urinanalysen. Schönlein war der Erste, der den klinischen Unterricht zur Methode ausgebaut hat.

Folgende Anekdote über ihn ist bei Steinbart[8] überliefert: Er „lehrte seinen Studenten im Diagnosefach: Gründlichkeit, Selbstverleugnung und scharfe Beobachtungsgabe. So sollte man sich, wie er spitzbübisch meinte, am Krankenbett nicht mit der Farbprüfung des Urins begnügen. Alle früheren Ärzte hätten den Zuckergehalt mit dem Finger an der Zunge erprobt. Er demonstrierte das, und alle Schüler machten es ihm gehorsam nach. ‘Nun, meine Herren’, ließ sich Schönlein daraufhin vernehmen, ‘Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Gründlichkeit und Selbstverleugnung; leider fehlt es Ihnen aber noch sehr an richtiger Beobachtungsgabe, sonst hätten Sie bemerkt, daß ich meinen Ringfinger in das Harnglas tauchte, aber den Mittelfinger ableckte’!“[9]

Schönlein erkannte die Tuberkulose als eigenständiges Krankheitsbild, Rudolf Virchow[10] war einer seiner Schüler. Schönlein differenzierte zwischen Typhus abdominalis und Fleckfieber und entdeckte 1839 einen pathogenen Hautpilz (Achorion Schoenleinii, heute: Trichophyton schoenleinii). Seinen Plan, ein natürliches[11] Krankheitssystem vergleichbar der biologischen Nomenklatur zu entwickeln, konnte er nicht verwirklichen.

Schönlein prägte die Begriffe Hämophilie und Tuberkulose. Seine Beschreibung der Purpura rheumatica (als „Peliosis rheumatica“[12]), einer Sonderform der Purpura anaphylactoides, wurde von einem seiner Schüler niedergeschrieben. Letztere heißt heute auch Purpura Schönlein-Henoch.

Er hielt unter anderem auch Vorlesungen über Kinderkrankheiten sowie Krankheiten des Nervensystems und der Verdauungsorgane.[13]

Ein beachtlicher Teil seiner Forschungstätigkeit beschäftigte sich mit medizinhistorischen Themen, vor allem der Seuchengeschichte. Seine insbesondere dazu angelegte, vor allem epidemiologische Quellen enthaltende und 3479 Bände umfassende Büchersammlung (die „Schönleiniana“) vermachte Schönlein zwei Jahre vor seinem Tod der Würzburger Universität.[1]

Schönlein ist auch als Paläobotaniker bekannt,[14][15] wobei er besonders in seiner Zeit in Würzburg im unteren Keuper von Franken sammelte, möglicherweise angeregt durch seinen Jugendfreund, den Professor für Mineralogie und pharmazeutische Chemie in Würzburg Ludwig Rumpf (1793–1862). Schönleins Sammlung ist – soweit noch erhalten – teilweise im Naturkundemuseum Berlin,[16] teilweise in der Sammlung der Universität Würzburg. Er ließ genaue Zeichnungen der fossilen Pflanzen anfertigen (sie wurden postum veröffentlicht mit Text von Joseph August Schenk) und arbeitete mit den Paläobotanikern Adolphe Brongniart und Joseph August Schenk zusammen, denen er Fossilmaterial zur Beschreibung überließ. Abbildungen aus seinem Buch fanden auch ihren Weg in weitere Standardwerke der Paläobotanik im 19. Jahrhundert (Wilhelm Philipp Schimper, Albert Charles Seward). Der fossile Schachtelhalm Neocalamites schoenleinii und der Samenfarn Sphenopteris schoenleiniana sind ihm zu Ehren benannt.

Ehrungen

Schriften

  • Von der Hirnmetamorphose: Inauguralabhandlung. F. E. Nitribitt, Universitätsbuchdrucker, Würzburg 1816 (Dissertation; Digitalisat).
  • Theses ex universa Medicina. Quas Gratiosi in Inclyta Universitate Herbipolitana Medicorum Ordinis consensu pro Gradu Doctoris in Medicina, Chirurgia et Arte Obstetricia Rite Obtinendo Pubice, Defendet Die XXIV. Februarii MDCCCXVI. Horis Matutinis Consuetis Joannes Lucas Schoenlein, Bambergensis. Würzburg 1816 (Thesenverteidigung Schönleins im Jahre 1816)
  • Allgemeine und specielle Pathologie und Therapie. Nach J. L. Schönlein’s Vorlesungen. Niedergeschrieben und herausgegeben von einem seiner Zuhörer. 4 Bände. 2. Auflage: C. Etlinger, Würzburg 1832; 3. Auflage: Literatur-Comptoir, Herisau 1837 (Digitalisat); 4. Auflage: Verlags-Comptoir, St. Gallen / Leipzig 1839; 6. Auflage: St. Gallen 1846.
  • Krankheitsfamilie der Typhen. Nach dessen neuesten Vorlesungen niedergeschrieben und herausgegeben von einem seiner Zuhörer. Mann, Zürich 1840.
  • Klinische Vorträge in dem Charité-Krankenhause zu Berlin. Redigirt und herausgegeben von Ludwig Güterbock. Veit & Comp, Berlin 1842 (Digitalisat).
  • Günter Klemmt: Johann Lukas Schönleins unveröffentlichtes Vorlesungsmanuskript über den „Keichhusten“ (= Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Band 53). Matthiesen, Husum 1986, ISBN 3-7868-4053-9.
  • Abbildungen von fossilen Pflanzen aus dem Keuper Frankens. Mit erläuterndem Texte nach dessen Tode herausgegeben von August Schenk. Kreidel, Wiesbaden 1865 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).

Literatur

  • Robert Schwab: Über die Bedeutung des Juliusspitals für die Entwicklung der Inneren Medizin. In: Das Juliusspital Würzburg in Vergangenheit und Gegenwart: Festschrift aus Anlaß der Einweihung der wiederaufgebauten Pfarrkirche des Juliusspitals am 16. Juli 1953. Hrsg. vom Oberpflegeamt des Juliusspitals. Würzburg 1953, S. 14–24, hier: S. 19–22.
  • Philipp Teichfischer, Eva Brinkschulte (Hrsg.): Johann Lukas Schönlein (1793–1864): Mon chèr Monsieur Schönlein. Briefe an den Arzt, Lehrer und Vater. Steiner, Stuttgart 2016.
  • Philipp Teichfischer, Eva Brinkschulte (Hrsg.): Johann Lukas Schönlein (1793–1864): Unveröffentlichte Briefe. Zum 150. Todestag. Steiner, Stuttgart 2014.
  • Philipp Teichfischer: Zur Geschichte medizinischer Klassifikationssysteme: Neue Erkenntnisse zu Johann Lukas Schönleins Klassifikationssystem der Krankheiten. In: Brinkschulte, Eva; Dross, Fritz; Magowska, Anita; Moskalewicz, Marcin; Teichfischer, Philipp (Hrsg.): Medizin und Sprache – die Sprache der Medizin/ Medycyna i język – język medycyny. Frankfurt a. M. 2015, S. 97–110.
  • Eva Brinkschulte, Philipp Teichfischer: „Nachlassgeschichten“ – über den Schönlein-Biographen Erich Ebstein (1880–1931) und die Wiederentdeckung eines Teils des Schönlein-Nachlasses. In: Medizinhistorisches Journal (Memento vom 20. Oktober 2014 im Internet Archive) 47, 1, S. 1–30.
  • Robert Arnholdt: Johann Lukas Schönlein als Tuberkulosearzt. In: Bayerisches Ärzteblatt. Nr. 6, 1978, S. 702–707.
  • Johannes Dietl: An Georg Büchners Totenbett. In: Bayerisches Ärzteblatt. 2013, Heft 12, S. 667 (online).
  • Heinz Rudolf Fuhrmann: Dr. Johann Lukas Schönlein, der Begründer einer neuen Zeit und der Medizin. In: Berichte der Phys.-med. Gesellschaft zu Würzburg. 1938, S. 130–179 (Dissertation).
  • Werner E. GerabekSchönlein, Johann Lukas. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 419 f. (Digitalisat).
  • Rudolf Herd: Dr. Johann Lukas Schönleins (1793–1864) fränkische Vorfahren und Verwandte. In: Bericht des Historischen Vereins Bamberg. Band 100, 1964, S. 551–557.
  • Julius PagelSchönlein, Johann Lukas. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 32, Duncker & Humblot, Leipzig 1891, S. 315–319.
  • Rudolf Virchow: Gedächtnissrede auf Joh. Lucas Schönlein, gehalten am 23. Januar 1865, dem ersten Jahrestage seines Todes in der Aula der Berliner Universität. August Hirschwald, Berlin 1865 (Digitalisat).
  • Universitätsbibliothek Würzburg: Katalog der Sammlung Schoenlein. Catalog of the Schonleinian Collection. G. K. Hall, Boston (Massachusetts) 1972.
  • Staatsbibliothek Bamberg: „… und ewig erklingen wird sein Ruhm …“ Johann Lukas Schönlein (1793–1864): Arzt und Mäzen. Ausstellung der Staatsbibliothek Bamberg. Bamberg 1993 (Digitalisat).
  • Ehrenmitglieder der naturforschenden Gesellschaft zu Bamberg, Stand Mai 1860. In: Fünfter Bericht der naturforschenden Gesellschaft zu Bamberg, Reindl, Bamberg 1861 S. V-VI Archive

Weblinks

Commons: Johann Lukas Schönlein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Robert Herrlinger: Die Entwicklung des medizinhistorischen Unterrichts an der Julius-Maximilians-Universität. Mitteilungen aus dem Georg Sticker-Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Würzburg, Heft 1 (März 1957), S. 1–8; S. 3 f.
  2. Robert Schwab: Über die Bedeutung des Juliusspitals für die Entwicklung der Inneren Medizin. In: Das Juliusspital Würzburg in Vergangenheit und Gegenwart: Festschrift aus Anlaß der Einweihung der wiederaufgebauten Pfarrkirche des Juliusspitals am 16. Juli 1953. Hrsg. vom Oberpflegeamt des Juliusspitals. Würzburg 1953, S. 14–24, hier: S. 19 f.
  3. Werner E. Gerabek und Barbara I. Tshisuaka: Schönlein, Johann Lukas. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. Hrsg. von Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil und Wolfgang Wegner, Walter de Gruyter, Berlin und New York 2005 (ISBN 3-11-015714-4), S. 1305 f., hier: S. 1305.
  4. Vgl. auch Carl Köhl: Fränkische Hochverräter. Bürgermeister Behr, Universitätsprofessor Schönlein. Deutscher Verlag, Würzburg 1919.
  5. Robert Schwab: Über die Bedeutung des Juliusspitals für die Entwicklung der Inneren Medizin. In: Das Juliusspital Würzburg in Vergangenheit und Gegenwart: Festschrift aus Anlaß der Einweihung der wiederaufgebauten Pfarrkirche des Juliusspitals am 16. Juli 1953. Hrsg. vom Oberpflegeamt des Juliusspitals. Würzburg 1953, S. 14–24, hier: S. 19 f. und 22.
  6. Anne-Marie Mingers: Berühmte Wissenschaftler in Würzburg und ihre Beiträge zur Hämostaseologie. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 8, 1990, S. 73–83, hier: S. 73–75.
  7. Henry Ernest Sigerist: Johannes Müller und Johann Lukas Schönlein. In: Große Ärzte. Eine Geschichte der Heilkunde in Lebensbildern. München 1965, S. 273–285.
  8. Hiltrud Steinbart: Arzt und Patient in der Geschichte, in der Anekdote, im Volksmund. Stuttgart 1970.
  9. Friedrich v. Zglinicki: Die Uroskopie in der bildenden Kunst. Eine kunst- und medizinhistorische Untersuchung über die Harnschau. Ernst Giebeler, Darmstadt 1982, ISBN 3-921956-24-2, S. 149 (zitiert).
  10. Vgl. auch Rudolph Virchow: Gedächtnisrede auf Johann Lucas Schönlein, gehalten am 23. Januar 1865, dem ersten Jahrestage seines Todes in der Aula der Berliner Universität. Hirschwald, Berlin 1865.
  11. Vgl. Georg Friedrich Most: Ueber alte und neue medicinische Lehrsysteme im Allgemeinen und über Dr. J. L. Schönlein’s neuestes natürliches System der Medicin insbesondere. Ein historisch-kritischer Versuch. Brockhaus, Leipzig 1841.
  12. Anne-Marie Mingers: Berühmte Wissenschaftler in Würzburg und ihre Beiträge zur Hämostaseologie. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 8, 1990, S. 73.
  13. Robert Schwab: Über die Bedeutung des Juliusspitals für die Entwicklung der Inneren Medizin. 1953, S. 20.
  14. Klaus-Peter Kelber: J. L. Schönlein als Förderer der paläobotanischen Wissenschaft. Beiblatt (S. 1–4) zu: G. Mälzer: Johann Lukas Schönlein (1793–1864) und die Bibliotheca Schoenleiniana. Begleitheft der Schönlein-Ausstellung in der Universitätsbibliothek Würzburg. 1994.
  15. Klaus-Peter Kelber, Martin Okrusch: Die geologische Erforschung und Kartierung des Würzburger Stadtgebietes von den Anfängen bis 1925 (= Mainfränkische Hefte. Band 105). Würzburg 2006, S. 71–115-
  16. Paläobotanik: Mesophytikum, Pflanzenfossilien aus der Trias bis zur Kreidezeit, Naturkundemuseum Berlin (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.naturkundemuseum-berlin.de
  17. Jürgen Meyer-Kronthaler: Berlins U-Bahnhöfe. be.bra, Berlin 1995, ISBN 3-930863-07-3, S. 247.
  18. Johann-Lukas-Schönlein-Preis 1992. In: Innere Medizin. Band 19, Nr. 3, 1992, S. IV.
  19. www.forschern-foerdern.org: Johann-Lukas-Schönlein-Preis.