Kerntechnik

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Schematische Darstellung einer Uran-Kernspaltung – Grundlage vieler kerntechnischer Anwendungen

Die Kerntechnik oder Nukleartechnik, auch Kerntechnologie, Kernenergetik oder umgangssprachlich Atomtechnik genannt, ist eine technische Disziplin, die sich mit der Nutzung von Kernreaktionen und Radioaktivität für die Zwecke des Menschen befasst. Auf der naturwissenschaftlichen Basis von Kernphysik und -chemie und Strahlenbiologie entwickelt die Kerntechnik technische Verfahren, Geräte und Anlagen.

Teilgebiete

Kernenergietechnik

Das Kernkraftwerk Bruce in Kanada, eines der leistungsstärksten der Welt

Das Feld innerhalb der Kernenergietechnik (und wohl auch der gesamten Kerntechnik) mit der derzeit größten Bedeutung für den Menschen ist die Nutzung der freigesetzten Energie von Kernspaltungsprozessen für die zivile Energieversorgung in Kernkraftwerken. Die Reaktortechnik beschreibt das ‚Herz‘ dieser Kraftwerke. Die Kernspaltungstechnologie ist seit Jahrzehnten großtechnisch erprobt und derzeit (Stand 2011) in mehr als 400 Kraftwerksreaktoren weltweit im Einsatz. Besondere Bedeutung kommt bei der Kernspaltungstechnik der Überwachung der Anlagensicherheit durch Anlagenerrichter, -betreiber, Behörden und Sachverständige zu.

Weitgehend unabhängig von der Kernenergietechnik auf Basis der Kernspaltung (Fission) ist die zivile Energiegewinnung durch Kernverschmelzung (Fusion), die sich noch im Erforschungsstadium befindet. Diese Technik beruht auf einem grundlegend unterschiedlichen Prozess und erfordert daher völlig andere Anlagen und Verfahren. Experten sehen zwar ein großes Entwicklungspotential für diese Technik, erwarten aber eine Bereitschaft für die großtechnische Nutzung frühestens um 2050.

Ein Nebenbereich der Kernenergietechnik ist die Nutzung der Kernenergie als Fahrzeugantrieb, wobei je nach Art des Fahrzeuges (auch für die Raumfahrt) sehr unterschiedliche Technologien zum Einsatz kommen.

Kernwaffentechnik

Eine andere Form der Nutzung der Kernenergie, jedoch in ihrer zerstörerischen Form, ist die Kernwaffentechnik. Diese befasst sich mit der Entwicklung von Sprengsätzen auf der Basis von Kernspaltung ("klassische Atombombe") und -fusion (Wasserstoffbombe). Solche Waffen dienen überwiegend militärischen Zwecke, nur ganz vereinzelt erfolgte eine zivile Nutzung.

Brennstoff- und Abfallbehandlung

Die Kernbrennstofftechnik befasst sich mit der Gewinnung und Aufbereitung der notwendigen Kernbrennstoffe für Kernkraftwerke und -waffen sowie die Wiederaufarbeitung von Brennstoff nach dem Gebrauch.

Ein weiteres Fachgebiet innerhalb der Kerntechnik ist die Behandlung und die Lagerung von radioaktiven Abfälle, die beim Betrieb von kerntechnischen Anlagen aller Art – nicht nur Kernkraftwerken – anfallen, sowie der Rückbau kerntechnischer Anlagen nach der Stilllegung.

Radionuklidtechnik

Ein vielfältiges Nebenfeld der Nukleartechnik ist die Nutzung der ionisierenden Strahlung von Radionukliden. Es ergeben sich hier die unterschiedlichsten Anwendungsmöglichkeiten in Medizin, Industrie und Forschung.[1][2]

Das wohl wichtigste Anwendungsgebiet bildet hierbei die Medizintechnik, wo Radionuklide und deren Strahlung in der Radiologie und der Nuklearmedizin sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung von Krankheiten zum Einsatz kommen.

In der Medizintechnik, aber auch in der Werkstoffprüfung und in anderen Industrie- und Forschungszweigen kommen vielfältige kernphysikalische Mess-, Diagnose- und Analyse- und Prüftechniken zum Einsatz.

Weitere Anwendungen für Radionuklide und deren Strahlung sind beispielsweise die Lebensmittelkonservierung durch Bestrahlung, Ionisationsrauchmelder, Tritiumgaslichtquellen und Leuchtfarben, Radionuklidbatterien und -heizelemente, Betavoltaik und viele andere mehr.

Strahlenschutztechnik

Im weiteren Sinne zum Nukleartechnik wird auch der Strahlenschutz gezählt, der in allen oben genannten Bereichen berücksichtigt wird. Dieser befasst sich nicht direkt mit der Nutzung der Radioaktivität, sondern im Gegenteil mit der Minderung der negativen Auswirkungen radioaktiver und sonstige ionisierende Strahlung künstlichen oder natürlichen Ursprungs. Die Strahlenschutztechnik entwickelt auf der Basis der Erkenntnisse von Strahlenbiologie und der Radioökologie Techniken zur Minderung oder Vermeidung schädlicher Einwirkung auf den menschlichen Organismus und die Umwelt.

Berufsausbildung und -tätigkeit

Der Bedarf an Fachkräften für den Bereich der Kerntechnik wird von Fachleuten auch langfristig als hoch eingeschätzt. Dies gilt auch für Länder, die einen Atomausstieg beschlossen haben (Deutschland, Schweiz, …), denn für kerntechnische Anlagen, die mittelfristig stillgelegt werden sollen, besteht dennoch weiterhin ein hoher Personalbedarf für den verbleibenden Betrieb, die Überwachung, die geordnete Stilllegung und den Rückbau der Anlagen sowie die Behandlung der Abfälle. Der hohen Nachfrage nach Fachkräften steht ein überalterter Personalbestand und eine sinkende Zahl an Bewerbern gegenüber,[3] so dass die Berufsaussichten für den Nachwuchs entsprechend gut bewertet werden.[4]

Wegen des anspruchsvollen theoretischen Hintergrundes und der Komplexität des Fachgebietes sowie der hohen Verantwortung für den sicheren Umgang mit den Risiken der Technik wird für eine berufliche Tätigkeit im Bereich der Kerntechnik in der Regel eine höhere Ausbildung in Form eines Hochschulstudiums oder einer Weiterbildung zur Fachkraft vorausgesetzt.

Das Studium der Kerntechnik gehört meist zu den Ingenieurwissenschaften, entweder als eigenständiger Studiengang oder als Studienrichtung innerhalb eines anderen Faches, meist des Maschinenbaus oder der Verfahrenstechnik. Alternativ kann der Einstieg über eine entsprechende Spezialisierung in naturwissenschaftlichen Studiengängen (Kernphysik in der Physik, Kernchemie in der Chemie, …) erfolgen.

Auch im Bereich der Ausbildungsberufe gibt es Weiterbildungsangebote im Bereich der Kerntechnik, so etwa eine Spezialisierungsrichtung Kerntechnik für Kraftwerker und Kraftwerksmeister oder die der Fachkraft für Dekontamination / Radioaktive Stoffe (Dekontfachkraft).

Informationen zu Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich Kerntechnik bieten die Online-Datenbanken BERUFENET[5] und KURSNET[6] der Bundesagentur für Arbeit.

Studienangebote in Deutschland

In Deutschland hat im Zuge des Atomausstiegs das Interesse an einer Tätigkeit in der Kerntechnik stark abgenommen.[3] Infolge der zurückgehenden Nachfrage wurde auch das Ausbildungsangebot an deutschen Hochschulen deutlich reduziert, obwohl es an deutschen Hochschulen noch zahlreiche Lehrstühle gibt, die auf dem Gebiet der Kerntechnik tätig sind.[7] Nur noch wenige Hochschulen bieten im Bereich Kerntechnik Studiengänge, Vertiefungsrichtungen oder Schwerpunkte an:

In der deutschen Hochschulpolitik wird die "Angewandte Kernphysik" als Kleines Fach eingestuft. Eine Übersicht über die Fachstandorte und die Entwicklung der Zahl der Professuren gibt eine Karte der Arbeitsstelle Kleine Fächer.[16]

Verbände

Unternehmen und Personen, die im Bereich der Kerntechnik arbeiten, sind in verschiedenen Ländern in Berufs-, Branchen- und Fachverbänden organisiert:

Kritik

Kritiker lehnen die Kerntechnik – insbesondere die Kernenergie- und -waffentechnik – wegen der großen potentiellen Schäden für die Menschheit, Natur und Umwelt ab. Nach Einschätzung der Gegner sind die mit der Kernenergietechnik verbundenen Gefahren zu gravierend und die Risiken nicht ausreichend beherrschbar. Als Beleg führen sie die verschiedenen teils schweren Unfälle an, die sich in der Vergangenheit bereits in kerntechnischen Anlagen ereignet haben. Sie verlangen daher, auf die Nutzung der Kernkraft zu verzichten.

Literatur

  • Markus Borlein: Kerntechnik. Vogel, 2009, ISBN 3-8343-3131-7.
  • Dietrich Murswiek: Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik. Verfassungsrechtliche Grundlagen und immissionsschutzrechtliche Ausformung. Habilitation, 1984 (erste Habilitationsschrift auf dem Gebiet des Umweltrechts)

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. H. Vogg, H. Braun, R. Löffel, A. Lubecki, A. Merz, J. Schmitz, J. Schneider, J. Vehlow: Anwendung der Radionuklidtechnik in Chemie und Verfahrenstechnik. In: Journal of Radioanalytical and Nuclear Chemistry. Band 32, Nr. 2, S. 495–510, doi:10.1007/BF02517520.
  2. Anwendung der Radioaktivität in Medizin, Industrie und Forschung. Vorlesung. (Nicht mehr online verfügbar.) Lehrstuhl für Nukleartechnik, Technische Universität München, archiviert vom Original am 19. Januar 2012; abgerufen am 28. Dezember 2020.
  3. a b Timm Krägenow: Das letzte Aufgebot. In den Universitäten hat der Atomausstieg längst begonnen — der Nachwuchs meidet das Studienfach Kerntechnik. greenpeace magazin, abgerufen am 5. Oktober 2011.
  4. a b Hermann Horstkotte: Kerntechnik - Studiengang mit Restrisiko. ZEIT ONLINE, 25. März 2011, abgerufen am 4. Oktober 2011.
  5. BERUFENET - Berufsinformationen einfach finden. Bundesagentur für Arbeit, abgerufen am 4. Oktober 2011.
  6. KURSNET - Das Portal für berufliche Aus- und Weiterbildung. Bundesagentur für Arbeit, abgerufen am 4. Oktober 2011.
  7. Liste deutscher Lehrstühle für Kerntechnik und verwandter Gebiete. (Nicht mehr online verfügbar.) www.kernenergie-portal.de, archiviert vom Original am 16. September 2011; abgerufen am 28. Dezember 2020.
  8. Studium. Lehrstuhl für Nukleartechnik, Technische Universität München, abgerufen am 5. Oktober 2011.
  9. Nuclear Safety Engineering M.Sc. Studiengangbeschreibung. RWTH Aachen, abgerufen am 11. Februar 2014.
  10. Monika Schneiders: Kerntechnik studieren nach Fukushima. WDR, 3. Mai 2011, archiviert vom Original am 21. Februar 2014;.
  11. Studienrichtung Kerntechnik. (PDF; 958 kB) Fachhochschule Aachen, abgerufen am 2. Juli 2012.
  12. EMiNA. Fachhochschule Aachen, abgerufen am 2. Juli 2012.
  13. Schwerpunkt Kerntechnik und Fusionstechnologie. Institut für Fusionstechnologie und Reaktortechnik (IFRT), Karlsruher Institut für Technologie, abgerufen am 5. Oktober 2011.
  14. Kernenergietechnik. Anwendungsfach im Studiengang Technische Kybernetik. Universität Stuttgart, abgerufen am 4. Oktober 2011.
  15. Joerg Starflinger: Anwendungsfach Kernenergietechnik. (Powerpoint-Präsentation; 5,4 MB) (Nicht mehr online verfügbar.) Institut für Kernenergetik und Energiesysteme, Universität Stuttgart, 20. Juli 2011, archiviert vom Original am 19. Januar 2012; abgerufen am 28. Dezember 2020.
  16. siehe Seite der Arbeitsstelle Kleine Fächer mit den Fachstandorten der Angewandten Kernphysik, abgerufen 21. August 2015 (Memento vom 15. Oktober 2017 im Internet Archive)