Klaus Hurrelmann

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Klaus Hurrelmann (2020)

Klaus Hurrelmann (* 10. Januar 1944 in Gotenhafen) ist ein deutscher Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler. Nach langjähriger Tätigkeit an der Universität Bielefeld arbeitet er seit 2009 als Professor of Public Health and Education an der Hertie School in Berlin.

Biografie

Durch Flucht vor der nahenden Roten Armee gelangte Hurrelmann als Kleinkind mit seiner Mutter aus Gotenhafen, heute Gdynia bei Danzig, zunächst nach Leipzig. Nach der Rückkehr seines Vaters aus der Gefangenschaft Ende 1947 zog die Familie nach Norddeutschland, wo er in Nordenham aufwuchs. Sein Abitur machte er an der Humboldtschule Bremerhaven.[1]

Aus seiner ersten Ehe mit Bettina Hurrelmann, spätere Professorin für Germanistik an der Universität Köln, verstorben 2015, stammen ein Sohn und eine Tochter. In zweiter Ehe ist er verheiratet mit Doris Schaeffer, Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld.[2]

Ausbildung

Hurrelmann studierte an den Universitäten in Münster und Freiburg und der University of California in Berkeley (USA) Soziologie, Psychologie und Pädagogik. 1968 absolvierte er sein Diplom, 1971 die Promotion in Soziologie an der Universität Münster. Die Doktorarbeit hatte das Thema „Unterrichtsorganisation und schulische Sozialisation“. 1975 habilitierte er sich an der Universität Bielefeld mit der Arbeit „Erziehungssystem und Gesellschaft“.[3]

Berufsleben

Von 1968 bis 1970 war Hurrelmann Projektleiter der „Arbeitsgruppe Hauptschule“ an der Pädagogischen Hochschule in Münster. Von 1970 bis 1974 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld in der Fakultät für Soziologie mit den Arbeitsschwerpunkten Sozialisations- und Bildungsforschung.[2]

Nach der Habilitation übernahm er 1975 den Lehrstuhl Bildung und Sozialisation an der Universität Essen. 1980 folgte er einem Ruf der Universität Bielefeld auf den Lehrstuhl Sozialisationsforschung. Hurrelmann war erster Dekan der neu gegründeten „Fakultät für Pädagogik“. Von 1986 bis 1998 leitete er den von ihm mit begründeten Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter“.[2]

1993 wechselte Hurrelmann an die neu gegründete Fakultät für Gesundheitswissenschaften in Bielefeld. Er wurde zum Gründungsdekan gewählt und war für den Aufbau der bis heute einzigen voll ausgebauten deutschen School of Public Health verantwortlich. In der Fakultät für Gesundheitswissenschaften übernahm er die Erforschung des Gebietes Prävention und Gesundheitsförderung. Er baute im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation das Collaboration Centre for Child and Adolescent Health Promotion auf. Das Zentrum koordinierte bis 2012 die repräsentativen Gesundheitserhebungen bei 11- bis 15-jährigen Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland, die alle vier Jahre im Rahmen der europaweiten Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) durchgeführt wurden. Von 1996 bis 2004 war er außerdem Direktor am Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik.[2] Er hatte Gastprofessuren an der New York University (1998) und an der University of California in Los Angeles (1999) inne.

Seit März 2009 ist Hurrelmann Professor für Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Verbindung von Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik, um umfassende Interventionsstrategien zur Prävention von sozialen und gesundheitlichen Benachteiligungen zu entwickeln. Außerdem führt er vergleichende Studien zu Einstellungen, Wertorientierungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen durch. Dazu gehören die Shell-Jugendstudien und Jugendstudien in 15 osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern, die durch die Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert werden.[3] Seit 2019 veröffentlicht er zusammen mit Simon Schnetzer die regelmäßig erscheinenden Trendstudien „Jugend in Deutschland“, die auf repräsentativen Stichproben von 14 bis 29-Jährigen beruhen.[4]

Hurrelmann war Mitglied des Expertenrats Demografie beim Bundesminister des Innern, der von 2010 bis 2017 den Ausschuss von Staatssekretären verschiedener Bundesministerien beim Thema „Gestaltung der demografischen Entwicklung“ beriet.[5] Er fungierte als stellvertretender Sprecher eines Expertenkreises, der 2018 den Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz erstellte.[6]

Seit 2020 arbeitet er als Senior Expert am Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS), das von Dieter Dohmen geleitet wird. Als wissenschaftlicher Berater verantwortet er unter anderem die seit 2021 vom FiBS regelmäßig durchgeführte Cornelsen Schulleitungsstudie.[7]

Wissenschaftliches Werk

Im Zentrum des wissenschaftlichen Werkes von Klaus Hurrelmann steht die Sozialisationstheorie. 1983 konzipierte er dafür das „Modell der produktiven Verarbeitung der inneren und äußeren Realität“, das den konzeptionellen Rahmen für die Auswahl von Einzeltheorien aus Soziologie, Psychologie, Gesundheits- und Neurowissenschaften setzt.[8] Dieses Modell dient als Ausgangspunkt für seine Forschung im Bereich von Kindheit, Jugend, jungem Erwachsenenalter und Generationenbeziehungen. Mit dem Konzept der „Entwicklungsaufgaben“ werden die wichtigsten körperlich-psychischen und gesellschaftlich-ökologischen Herausforderungen für die Persönlichkeitsentwicklung in den verschiedenen Lebensphasen analysiert.

Das „Modell der produktiven Realitätsverarbeitung“ (abgekürzt MpR) dient auch als Kristallisationspunkt für seine an die Salutogenese angelehnte Definition von Gesundheit und seine Forschungsarbeit in der Gesundheitsförderung und Prävention.[9]

In den Lehrbüchern „Einführung in die Sozialisationstheorie“, „Lebensphase Jugend“, „Kindheit heute“ und „Gesundheits- und Medizinsoziologie“ werden diese Ansätze ausformuliert. Diese  Lehrbücher und sie ergänzende Handbücher wurden und werden von Klaus Hurrelmann seit vielen Jahren unter anderem zusammen mit Erik Albrecht, Sabine Andresen, Ullrich Bauer, Heidrun Bründel, Gudrun Quenzel, Katharina Rathmann und Matthias Richter permanent aktualisiert und weiterentwickelt.[10] Sie sind alle auch in englischer Sprache erschienen. Das MpR hat dadurch Eingang in zahlreiche schulische und hochschulische Lehrpläne gefunden und ist zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren Bestandteil der Abiturprüfungen in Pädagogik und Sozialwissenschaft.

Auszeichnungen

  • Preis der Schweizer Margrit-Egnér-Stiftung für sein Lebenswerk (dotiert mit 25.000 Franken), 2003
  • Verleihung des Titels Dr. phil. h. c. durch die PH Freiburg, 2018

Publikationen (Auswahl)

Lehrbücher

  • Developmental Tasks in Adolescence (2019). Routledge, New York, ISBN 978-1-138-32243-1
  • Einführung in die Kindheitsforschung (2003). Beltz, Weinheim, ISBN 978-3-407-25282-1.
  • Einführung in die Sozialisationstheorie (2020). Beltz, Weinheim, ISBN 978-3-407-25843-4.
  • Erziehungssystem und Gesellschaft (1975). Rowohlt, Reinbek, ISBN 978-3-499-21070-9.
  • Gesundheits- und Medizinsoziologie (2013). Beltz Juventa, Weinheim, ISBN 978-3-7799-2605-4.
  • Human Development and Health (1989). Springer, New York, ISBN 978-3-642-74330-6.
  • Kindheit (2010). Beltz, Weinheim, ISBN 978-3-407-34202-7.
  • Kindheit heute (2017). Beltz, Weinheim, ISBN 978-3-407-25774-1.
  • Lebensphase Jugend (2016). Beltz Juventa, Weinheim, ISBN 978-3-7799-2619-1.
  • Socialisation During the Life Course (2018). Routledge, New York, ISBN 978-1-138-50218-5.
  • Social Structure and Personality Development (2009). Cambridge University Press, New York, ISBN 978-0-521-35747-0.
  • Understanding Public Health (2020). Routledge, New York, ISBN 978-0-367-36076-4.

Handbücher(Auswahl)

  • Handbuch Bildungsarmut (2018). VS, Wiesbaden, ISBN 978-3-658-19572-4
  • Geschlecht und Gesundheit (2016). Hogrefe, Göttingen, ISBN 978-3-456-85466-3.
  • Handbuch Gesundheitswissenschaften (2015). Beltz Juventa, Weinheim, ISBN 978-3-7799-0797-8.
  • Handbuch Sozialisationsforschung (2015). Beltz, Weinheim, ISBN 978-3-407-83183-5.
  • Health Hazards in Adolescence (1990). De Gruyter, Berlin/New York, ISBN 978-3-11-012448-4.
  • Health Risks and Developmental Transitions during Adolescence (1997). Cambridge University Press, New York, ISBN 978-0-521-48053-6.
  • Individualization in Childhood and Adolescence (1996). De Gruyter, Berlin/New York, ISBN 978-3-11-014681-3.
  • International Handbook of Public Health (1996). Greenwood Publishers, Westport, ISBN 978-0-313-29500-3.
  • International Handbook of Adolescence (1994). Greenwood Publishers, Westport, ISBN 978-0-313-28584-4.
  • Leistung und Wohlbefinden in der Schule (2018). Beltz Juventa, Weinheim, ISBN 978-3-7799-3859-0.
  • Social Networks and Social Support in Childhood and Adolescence (1994). De Gruyter, Berlin/New York, ISBN 978-3-11-014360-7.
  • Social Problems and Social Contexts in Adolescence (1996). Aldinge, New York, ISBN 978-0-202-36101-7.
  • Soziologie von Gesundheit und Krankheit (2016). Springer, Wiesbaden, ISBN 978-3-658-11010-9.
  • Referenzwerk Prävention und Gesundheitsförderung (2018). Huber, Bern, ISBN 978-3-456-85590-5.

Empirische Studien

  • 14. Shell Jugendstudie (2002). S. Fischer, Frankfurt am Main, ISBN 978-3-596-15849-2.
  • 15. Shell Jugendstudie (2006). S. Fischer, Frankfurt am Main, ISBN 978-3-596-17213-9.
  • 16. Shell Jugendstudie (2010). S. Fischer, Frankfurt am Main, ISBN 978-3-596-18857-4.
  • 17. Shell Jugendstudie (2015). S. Fischer, Frankfurt am Main, ISBN 978-3-596-03401-7.
  • 18. Shell Jugendstudie (2019). Beltz, Weinheim, ISBN 978-3-407-83195-8.
  • Jugend, Vorsorge, Finanzen (2019). Beltz Juventa, Weinheim, ISBN 978-3-7799-3967-2.
  • Kinder 2013. 3. World Vision Kinderstudie (2013). Beltz, Weinheim, ISBN 978-3-407-85950-1.
  • Lost in Democratic Transition (2015). Berlin: Friedrich Ebert Stiftung, ISBN 978-9958-884-42-9.
  • McDonald’s Ausbildungsstudie (2019). München: McDonald’s

Weblinks

Commons: Klaus Hurrelmann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Detlef Berentzen: Meister des magischen Dreiecks; in taz.de am 13.01.2014 (Memento vom 22. August 2018 im Internet Archive)
  2. a b c d Klaus Hurrelmann im Munzinger-Archiv, abgerufen am 1. Januar 2022 (Artikelanfang frei abrufbar)
  3. a b Universität Bielefeld: Curriculum Vitae.
  4. Jugend in Deutschland - Trendstudie: Sommer 2022. Abgerufen am 30. August 2022 (deutsch).
  5. Dritte Sitzung des Expertenrats Demografie. Abgerufen am 30. August 2022.
  6. Doris Schaeffer, Klaus Hurrelmann, Ullrich Bauer, Kai Kolpatzik, Attila Altiner, Marie-Luise Dierks, Michael Ewers, Annett Horn, Susanne Jordan, Ilona Kickbusch, Bernadette Klapper, Jürgen M. Pelikan, Rolf Rosenbrock, Alexander Schmidt-Gernig, Sebastian Schmidt-Kaehler, Heide Weishaar, Christiane Woopen: Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz. Hrsg.: Doris Schaeffer, Klaus Hurrelmann, Ullrich Bauer und Kai Kolpatzik. 1. überarbeitete Auflage. Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz, Berlin Februar 2020, S. 58.
  7. Cornelsen Schulleitungsstudie - FiBS. Abgerufen am 30. August 2022.
  8. Das Modell des produktiv realitätverarbeitenden Subjekts in der Sozialisationsforschung. Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 3, 1983, S. 91-103
  9. Klaus Hurrelmann: Einführung in die Sozialisationstheorie das Modell der produktiven Realitätsverarbeitung. 13. Auflage. Weinheim 2020, ISBN 978-3-407-25843-4.
  10. Gerlinde Unverzagt: Kinder stark machen für das Leben : Herzenswärme, Freiräume und klare Regeln. Kreuz Verlag, Freiburg 2014, ISBN 978-3-451-80189-1.