Clemens von Ketteler (Diplomat)
Freiherr Clemens August von Ketteler (* 22. November 1853 in Potsdam; † 20. Juni 1900 in Peking) war ein deutscher Diplomat.
Herkunft
Clemens von Ketteler entstammte der adeligen Familie von Ketteler aus dem Münsterland. Kurz nach seiner Geburt in Potsdam zog die Familie nach Münster. Sein Onkel war der Bischof und Zentrumspolitiker Wilhelm Emmanuel von Ketteler,[1] sein Neffe der Diplomat Wilhelm Freiherr von Ketteler und ein weiterer Verwandter der französische Marschall Louis Franchet d’Esperey.
Leben
Ausbildung und Militärdienst
Clemens von Ketteler besuchte das Gymnasium Paulinum in Münster und das Gymnasium Nepomucenum in Coesfeld, an dem er 1873 das Abitur ablegte. Anschließend trat Ketteler in die preußische Armee ein. Im Jahr 1879 wurde er in den Auswärtigen Dienst berufen: Er war zunächst von 1880 bis 1889 Dolmetscher bei den deutschen Konsulaten in Kanton und Tientsin. Nach einer kurzen Tätigkeit im Auswärtigen Amt war er von 1892 bis 1896 Gesandter in den Vereinigten Staaten, wo er 1897 in Detroit die Amerikanerin Matilda Cass Ledyard (1871–1960) heiratete, anschließend von 1896 bis 1899 Gesandter in Mexiko. Am 11. April 1899 wurde Ketteler als deutscher Gesandter in Peking bestellt.
Todesumstände
Am Morgen des 20. Juni 1900 wollte er sich während des Boxeraufstands in Begleitung seines Dolmetschers Heinrich Cordes ins Zongli Yamen, das chinesische Außenministerium, begeben, um Verhandlungen zu führen. Zuvor, am 17. Juni, war es mit der Beschießung und Erstürmung der Taku-Forts bei Tianjin zu den ersten echten Kampfhandlungen zwischen internationalen Streitkräften und chinesischen Regierungstruppen gekommen, nachdem ein Ultimatum der vereinigten acht Staaten an die chinesische Regierung verstrichen war. Die Qing-Regierung hatte daraufhin diesen Staaten den Krieg erklärt. Trotz Warnungen verzichtete Ketteler auf eine militärische Eskorte.
Nach Verlassen des Legationsviertels und Passieren des Ha-Ta-Men Tors wurde Ketteler von einem Korporal namens En-Hai des dort Dienst versehenden mandschurischen Regimentes aus nächster Nähe erschossen. Der Täter gab später an, auf Befehl seiner Vorgesetzten und wegen einer versprochenen Geldbelohnung gehandelt zu haben. Er wurde im Dezember 1900 durch Enthauptung hingerichtet. Der Hergang und Hintergrund der Tat sind bis heute umstritten. Chinesische Historiker geben Ketteler eine Mitschuld an seinem Tod, da er eine Pistole bei sich getragen und sofort geschossen habe, als er angehalten wurde.[2]
Laut der Darstellung von Sterling Seagrave hatte Ketteler bereits am 12. Juni auf der Gesandtschaftsstraße einen Chinesen verprügelt, der sein Messer auf „herausfordernde Weise“ an seinem Stiefel gewetzt hatte. Als dieser die Flucht ergriff, fand Ketteler im Wagen des Chinesen einen 10- oder 11-jährigen Jungen, verprügelte ihn ebenfalls, sperrte ihn in der deutschen Botschaft ein und erschoss ihn offenbar später in einem Tobsuchtsanfall. Am 14. Juni leitete von Ketteler einen Feuerüberfall deutscher Soldaten auf chinesische Boxer in der Nähe der Tatarenmauer, wobei sieben Boxer getötet worden sein sollen. Am 17. Juni eröffneten Österreicher und Deutsche auf sein Betreiben das Feuer auf einige Chinesen, welche europäische Soldaten mit Steinen beworfen hatten.[3]
Nachwirkungen
Die Ermordung Kettelers reiht sich in eine Kette von Zwischenfällen zwischen Boxern und Ausländern in Peking, die begannen, als erstere Anfang Juni in die inneren Stadtbezirke vorrückten und ausländische Truppen zum Schutz der Gesandtschaften eintrafen. So war am 11. Juni der Sekretär der japanischen Botschaft Sugiyama Akira von muslimischen Truppen des Generals Dong Fuxiang am Yongding-Tor ermordet worden. Kettelers Tod bildete den Auftakt zur Belagerung des Pekinger Gesandtschaftsviertels, die bis zum 14. August andauerte, als alliierte Truppen die Stadt stürmten.
Das Deutsche Reich beteiligte sich an der Militärintervention mit einem Expeditionskorps und beanspruchte – nicht zuletzt im Kontext des Todes Kettelers – eine Führungsrolle. Die Intervention endete mit einer Niederlage der Chinesen und dem Abschluss des sogenannten „Boxerprotokolls“ im September 1901. In Artikel I verpflichtete sich die chinesische Regierung, sich für den Mord zu entschuldigen, eine „Sühnegesandtschaft“ nach Deutschland zu senden und ein mit dem Rang des Diplomaten korrespondierendes Denkmal an der Stelle des Mordes zu errichten[5]. Das Denkmal sollte den Angriffskrieg der Vereinigten acht Staaten beschwichtigen helfen. Im September 1901 vollzog der angereiste Prinz Chun II. in Potsdam einen zeremoniellen Sühneakt.
Kettelers Nachfolger als Gesandter in Peking wurde Alfons Mumm von Schwarzenstein. Kettelers Leichnam wurde zunächst durch Chinesen in einer hölzernen Kiste begraben, nach dem Aufstand im Garten der deutschen Gesandtschaft in Peking beigesetzt, ehe er nach Deutschland überführt wurde. Sein Grab befindet sich heute auf dem Zentralfriedhof in Münster.
Gedenken
Auf dem Zentralfriedhof Münster wurde am 23. September 1902 ein Denkmal für den ermordeten Diplomaten aufgestellt. Es entstand auf Initiative des deutschen Kaisers Wilhelm II., wurde von Anton Rüller aus Laaser Marmor geschlagen und auf ein Granitpodest gesetzt. Es trägt die Inschrift „Hier ruht Clemens Freiherr v. Ketteler, kaiserlich deutscher Gesandter, gefallen zu Peking, China, 20. Juni 1900 im 47. Lebensjahr. R.I.P.“[6]
Offenbar gab es kurze Zeit später ein weiteres Denkmal für von Ketteler, das aus dem Atelier des Bildhauers Hermann Hidding stammt, ebenfalls vom Kaiser Wilhelm II. persönlich begutachtet und genehmigt worden war. Das Denkmal sollte im Jahr 1903 im Schlossgarten von Münster eingeweiht werden.[7] Dieses Denkmal fiel schließlich aber deutlich kleiner aus als ursprünglich geplant, da eine großangelegte Spendenaktion nur einen Bruchteil der veranschlagten Bausumme erbracht hatte.[8]
Nach Clemens von Ketteler ist die Kettelerstraße in Münster benannt.[9]
Literatur
Fach- und Sachliteratur
- Susanne Kuß, Bernd Martin (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Boxeraufstand. Iudicium-Verlag, München 2002, ISBN 3-89129-781-5 (Erfurter Reihe zur Geschichte Asiens 2).
- Jean Mabire: Blutiger Sommer in Peking. Der Boxeraufstand in Augenzeugenberichten. C.A. Koch's Verlag Nachf., Berlin, Darmstadt, Wien 1978.
- Thoralf Klein: Clemens von Ketteler: Denkmäler für einen "gefallenen Helden der Zivilisation" in Münster und Beijing. In: Sebastian Bischoff u. a. (Hrsg.): Koloniale Welten in Westfalen. Schöningh, Paderborn 2021 (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte; 89), ISBN 978-3-00-063343-0, S. 65–86.
Belletristik
- Hermann Schreiber: Opfergang in Peking – Ein Buch um das Sterben des Gesandten von Ketteler. Scherl, Berlin 1936.
Verfilmung
Der 1963 gedrehte US-Kinofilm 55 Tage in Peking mit Charlton Heston, Ava Gardner und David Niven thematisiert das Attentat auf Freiherr von Ketteler und seinen Dolmetscher Heinrich Cordes.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Deutsches Staatshandbuch, 1963, S. 652.
- ↑ Thomas Morlang: Verweigerte Erinnerung – Das Ketteler-Denkmal in Münster. In: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland. Sutton Verlag, Erfurt 2007, ISBN 978-3-86680-269-8, S. 288–292 (hier: S. 289f., siehe auch Endnote 8 mit verschiedenen Quellen zum möglichen Tathergang).
- ↑ Sterling Seagrave: Die Konkubine auf dem Drachenthron. Leben und Legende der letzten Kaiserin von China, 1830–1908. Wilhelm Heyne Verlag, München 1996, ISBN 3-453-08202-8, S. 438, 441, 444, 457.
- ↑ Walter Boy-Ed: Peking und Umgebung im Jahre 1900; Heckners Verlag, 1908 Wolfenbüttel
- ↑ 1901, Boxer Protocol - Multilateral. Abgerufen am 14. Dezember 2016.
- ↑ Das Grabdenkmal für Freiherrn v. Ketteler, in: Vossische Zeitung, 24. September 1902.
- ↑ Unter Vermischtes findet sich die Bewertung durch den Kaiser sowie eine detaillierte Beschreibung des Denkmals, in: Vossische Zeitung, 24. Mai 1902.
- ↑ Morlang 2007, S. 291.
- ↑ Kettelerstraße in Straßennamen in Münster. Bedeutungen und Hintergründe, abgerufen am 29. Juni 2019.
Personendaten | |
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NAME | Ketteler, Clemens von |
ALTERNATIVNAMEN | Ketteler, Clemens August von (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Diplomat |
GEBURTSDATUM | 22. November 1853 |
GEBURTSORT | Potsdam |
STERBEDATUM | 20. Juni 1900 |
STERBEORT | Peking |