LNG-Terminal Wilhelmshaven
Das LNG-Terminal Wilhelmshaven ist ein Projekt zur Errichtung und zum Betrieb von zwei Flüssigerdgasterminals (LNG-Terminal) in Wilhelmshaven in Niedersachsen. Der Bau einer Anlage hat im Mai 2022 begonnen, diese soll Ende Dezember 2022 in Betrieb gehen. Die zweite Anlage soll ein Jahr später fertiggestellt sein.
Vorgeschichte
Seit langem war unter dem Eindruck der durch die bewaffneten Konflikte zwischen weiten Teilen der arabischen Welt und Israel ausgelösten Ölpreiskrise Anfang der 1970er Jahre ein Terminal für Flüssigerdgas (LNG) in Wilhelmshaven vorgesehen, da der dortige Jadehafen bereits ein großer Öl-Einfuhrhafen war. Da man sich mit den vorgesehenen algerischen Lieferanten nicht über den Preis des Flüssigerdgases einigen konnte, wurde das Terminal nicht gebaut.[1]
Im Rahmen der Schwefel-Verbote und CO2-Emissionen in der Schifffahrt wurde in Flüssigerdgas eine Alternative zum Schiffstreibstoff gesehen und Wilhelmshaven wurde als Bunkerhafen gehandelt. Außerdem spielte LNG eine Rolle bei der deutschen Energieversorgung. Aufgrund geringer Nachfrage und dem Bau der Unterwasserpipeline Nordstream 2 wurden dem Projekt wenig Realisierungschancen eingeräumt. Daher wurden die Pläne ab 2020 nicht mehr verfolgt.[2]
Weitere Entwicklung
Kurz nachdem die Pläne zum Bau eines „LNG-Terminal in Wilhelmshaven“ nicht mehr verfolgt wurden, änderten sich die Nachfrage, die politische Situation und die Erdgaspreise. 2021 teilte die Internationale Energieagentur mit, dass die EU in dem Jahr rund 155 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland importiert hatte. Um vom russischen Gas unabhängiger zu werden, wollte die Energiekommissarin Kadri Simson Mitte März 2022 einen Vorschlag vorlegen.
Am 27. Februar 2022 kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz aus Anlass des russischen Überfalls auf die Ukraine im Rahmen einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages an, dass in Deutschland kurzfristig zwei Flüssigerdgasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven errichtet werden sollen. Damit soll die Energieabhängigkeit von Russland beendet werden.[3] Tatsächlich können zwei Flüssigerdgasterminals jedoch lediglich etwa ein Drittel des Gas-Volumens, das Deutschland in der jüngeren Vergangenheit jährlich aus Russland bezog, ersetzen.[4] Daher beschloss die Bundesregierung später den Bau weiterer Terminals.[5] Neben dem German LNG Terminal in Brunsbüttel sollen dies ein zweites Terminal in Wilhelmshaven sowie das LNG-Terminal Stade und zwei Terminals in Lubmin sein. Am Terminal in Wilhelmshaven sollen neun Milliarden Kubikmeter Gas angelandet werden, was 20 Prozent des zu ersetzenden Erdgases aus Russland ausmacht.[6]
Der Energiekonzern Uniper nahm vor diesem Hintergrund die Planungen für das LNG-Terminal Wilhelmshaven wieder auf. Bereits vor dem Beschluss, das Projekt nicht zu realisieren, wurden viele Vorarbeiten für ein schwimmendes Terminal durchgeführt und ein Gutachten zur Energiedrehscheibe „WHV 2.0“ wurde erstellt.[7] Wilhelmshavens Oberbürgermeister Carsten Feist teilte mit, dass die Stadt sofort in das Projektmanagement einsteigen will.
Die Bauarbeiten für das erste Terminal in Wilhelmshaven haben am 5. Mai 2022 an der bereits vorhandenen Umschlaganlage Voslapper Groden[8] im Beisein von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) und den niedersächsischen Ministern Bernd Althusmann (CDU) und Olaf Lies (SPD) begonnen.[9] Ende Dezember 2022 soll das LNG-Terminal den Betrieb aufnehmen.[10]
Im August 2022 kündigte das Bundeswirtschaftsministerium den Bau eines zweiten Terminals in Wilhelmshaven an, das Ende 2023 den Betrieb aufnehmen soll.[11]
Die Terminals werden durch den Neubau einer etwa 26 km langen Gasversorgungsleitung mit bis zu 100 bar Betriebsdruck durch die Open Grid Europe GmbH an die Kavernenanlage Etzel angebunden werden.[12][13] Nachdem bereits Vorarbeiten an der Trasse begonnen hatten, erfolgte der offizielle Baubeginn am 4. August 2022.[14]
Schwimmendes Importterminal FSRU
Für Wilhelmshaven ist das LNG-Terminalschiff Höegh Esperanza als Flüssiggastanker geplant. Dabei handelt es sich um ein schwimmendes Importterminal nach dem Prinzip einer FSRU (Floating Storage and Regasification Unit) als schwimmende Speicher- und Wiederverdampfungseinheit. Es ist ein spezielles Schiff, das in der Nähe des Hafens liegt, und die Anlandung, Speicherung und Wiederverdampfung von flüssigem tiefkalten Gas ermöglicht. Für die Erwärmung des LNGs wird Seewasser genutzt. Das wiederverdampfte Gas wird aus der FSRU über eine kurze Verbindungsleitung in Zwischenspeicher gepumpt und von dort ins Gasfernleitungsnetz eingespeist. FSRUs lassen sich schneller realisieren und sind in der Regel kostengünstiger als Landterminals. Bei Bedarf können sie auch in einen anderen Hafen verlegt werden.
Die Bundesregierung charterte im Mai 2022 insgesamt vier FSRU-Schiffe. Für die zehn Jahre laufenden Verträge wurde ein Betrag von fast drei Milliarden Euro bereitgestellt.[15] Zwei FSRUs gehören der norwegischen Reederei Höegh LNG (Höegh Esperanza und Höegh Galleon) und werden von Uniper betrieben. Die beiden anderen FSRUs gehören der griechischen Dynagas (Transgas Force und Transgas Power) und werden von RWE betrieben. Davon sollen mindestens zwei in Wilhelmshaven und Brunsbüttel bis zum Winter 2022/23 ans Netz gehen. Weitere Anlagen sollten im Frühjahr 2023 folgen. Als weitere mögliche Standorte waren laut Bundeswirtschaftsministerium Stade, Rostock und Hamburg im Gespräch.[16]
Weltweit gibt es nur 48 dieser FSRU-Schiffe (Stand: Ende Mai 2022). Das erste entstand 1977 durch den Umbau des Flüssiggastankers Golar Freeze. Es liegt heute als Importterminal zur Versorgung eines Kraftwerks vor Jamaica. Insgesamt gibt es wenige Eigentümer bzw. Betreiber dieser hochspezialisierten Schiffe. Folgende Reedereien sind hier zu nennen: Excelerate Energy (10 FSRU), Höegh LNG (8 FSRU), Golar LNG (6), Mitsui O.S.K. Lines, Vopak, Exmar Ship Management, Dynagas und New Fortress Energy (5).
Kritik
Die Deutsche Umwelthilfe hielt im Jahr 2019 das Projekt eines LNG-Terminals in Wilhelmshaven aus Umwelt- und Sicherheitsgründen für nicht genehmigungsfähig.[17] Auch nach dem Realisierungsbeschluss von 2022 kritisierte die Deutsche Umwelthilfe den Ausbau wegen des mittelfristig rückläufigen Erdgasbedarfs.
Am 12. August 2022 protestierten etwa 300 Klimaaktivisten des Bündnisses Ende Gelände in Hooksiel gegen den Bau einer Gaspipeline sowie am JadeWeserPort gegen den Bau des Importterminals, dessen Baustelle sie besetzten.[18] Laut dem Niedersächsischen Innenministerium handelte es sich bei den Aktivisten um Teilnehmer eines Klimaprotestcamps in Hamburg aus dem linken Spektrum.[19]
Literatur
- Michael vom Baur: LNG – ein neuer Kraftstoff in den Häfen der Ostsee. In: Hansa, Heft 8/2013, S. 66–69, Schiffahrts-Verlag Hansa, Hamburg 2013, ISSN 0017-7504
- Hermann Garrelmann: LNG mit Zukunft – 2.000 Schiffe bis 2020. In: Hansa, Heft 3/2017, S. 54/55
Weblinks
- LNG-Terminal Wilhelmshaven: Niedersachsen will schnellen Bau bei ndr.de vom 28. Februar 2022
- Energiedrehscheibe Wilhelmshaven: Erster Schritt für LNG für Deutschland – Anbindung an das Gas-Fernleitungsnetz beim Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz vom 8. April 2022
- Lennart Stock: Schwimmende Terminals und 30 Kilometer-Pipeline: Das sind die Erdgas-Pläne für Niedersachsen in Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 8. April 2022
- FRSU für Wilhelmshaven bei Hochhaus Schiffsbetriebstechnik
Einzelnachweise
- ↑ Reinhard Bingener: In die Röhre geguckt. Vom Stadtgas zur Waffe des Kremls. Eine kurze Geschichte der deutschen Gasversorgung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Mai 2022, S. 8.
- ↑ Uniper stoppt Pläne für Flüssiggas. Manager Magazin, 6. November 2020, abgerufen am 13. Dezember 2020.
- ↑ Debatte zur Regierungserklärung des Kanzlers bei zdf.de vom 27. Februar 2022
- ↑ Claus Hecking, Philipp Kollenbroich: (S+) Sondermüll, radioaktiver Abfall – und jetzt noch Flüssigerdgas: Warum Brunsbüttel eine heikle Wahl für den geplanten Gasterminal ist (S+). In: Der Spiegel. 1. April 2022 (spiegel.de [abgerufen am 6. Mai 2022]).
- ↑ Weitere LNG-Terminals in Stade und Lubmin bei tagesschau.de vom 19. Juli 2022
- ↑ LNG soll ab 2023 über Wilhelmshaven nach Deutschland kommen bei ndr. de vom 8. April 2022
- ↑ Uniper prüft Möglichkeiten für LNG-Terminal in Wilhelmshaven in Der Stern vom 1. März 2022
- ↑ Vorhandene Seebrücke ermöglicht schnellstmögliche FRSU-Anbindung. (PDF) Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, 8. April 2022, abgerufen am 1. Mai 2022.
- ↑ Malte Kirchner: LNG-Terminal: Erster Rammschlag für Deutschlands neue Erdgasversorgung. Heise online, 5. Mai 2022, abgerufen am 5. Mai 2022.
- ↑ Wilhelmshaven: Arbeiten am LNG-Terminal liegen im Zeitplan bei ndr.de vom 8. September 2022
- ↑ Zweites LNG-Terminal in Wilhelmshaven ist beschlossen bei ndr.de vom 1. September 2022
- ↑ Nordwest-Zeitung: LNG-Import über Wilhelmshaven: Erdgas-Leitung nach Etzel soll nun schnell kommen. Abgerufen am 30. April 2022.
- ↑ Planfeststellungsverfahren für die LNG-Anbindungsleitung von Wilhelmshaven nach Etzel durch die Open Grid Europe GmbH | Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie. Abgerufen am 1. Juni 2022.
- ↑ Wilhelmshaven: Bau von Pipeline für LNG beginnt heute. In: ndr.de. 4. August 2022, abgerufen am 4. August 2022.
- ↑ Vier Schwimmende LNG-Terminals (FSRU) für Deutschland. Deutschland bestätigt die Charter von vier FSRUs; Bilder dieser Schiffe vom 7. Mai 2022
- ↑ / Tagesschau vom 5. Mai 2022
- ↑ Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 3. Dezember 2019
- ↑ 300 Klimaaktivisten besetzen LNG-Baustelle in Wilhelmshaven. In: buten un binnen. Radio Bremen, 12. August 2022, abgerufen am 20. August 2022.
- ↑ Aktivisten besetzen geplantes LNG-Terminal Wilhelmshaven in Nordsee-Zeitung vom 12. August 2022
Koordinaten: 53° 38′ 30,2″ N, 8° 6′ 32,1″ O