Marktbeherrschende Stellung

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Marktbeherrschende Stellung ist ein Begriff des Kartellrechts. Er bezeichnet eine Situation, in der ein Unternehmen keinem oder nur ungenügendem Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist. Die genaue Definition unterscheidet sich je nach Gesetzgebung. Ein Unternehmen kann als Anbieter oder Nachfrager marktbeherrschend sein. Es besteht die Möglichkeit, dass auf einem Markt mehrere Unternehmen gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung besitzen. In diesem Fall wird von gemeinsamer bzw. kollektiver Marktbeherrschung gesprochen.

Unternehmen in marktbeherrschender Stellung unterstehen der Missbrauchsaufsicht durch die Wettbewerbsbehörde. Zudem untersagt das Kartellrecht in der Regel Unternehmenszusammenschlüsse, durch die eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird.

Definition in Gesetzen

Deutschland

Gemäß dem deutschen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist ein Unternehmen marktbeherrschend, wenn es auf dem relevanten Markt, der durch eine Marktabgrenzung bestimmt wird,

  • ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder
  • eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat.

Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wurde bis zur 8. Novelle ab einem Marktanteil von einem Drittel (§ 19 Abs. 3 Satz 1 GWB)[1], seit dem 30. Juni 2013[2] ab 40 Prozent (§ 18 Abs. 4 GWB) vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist. Diese Vermutungen sind jedoch keine im zivilprozessualen Sinne (§ 292 ZPO). Vielmehr haben Kartellbehörde und Kartellgericht die Marktverhältnisse aufzuklären. Nur wenn diese Aufklärung erfolglos ist, und die Marktbeherrschung nicht einwandfrei festgestellt werden kann, setzt sich die Vermutung durch.[3]

Eine Gesamtheit von Unternehmen gilt als marktbeherrschend, wenn sie aus höchstens drei Unternehmen, die zusammen einen Marktanteil von 50 Prozent erreichen, oder aus höchstens fünf Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln erreichen (§ 19 Abs. 3 Satz 2 GWB). Dies ist, aufgrund der angeordneten Beweislastumkehr ("es sei denn, die Unternehmen weisen nach, dass...") eine echte Vermutung im Zivilprozess. Der Marktanteil ist dabei in der Regel nach dem Umsatz zu bestimmen, nur subsidiär ist auf die Absatzzahlen abzustellen.[4]

Von der marktbeherrschenden Stellung ist im deutschen Recht die marktstarke Stellung zu unterscheiden.

Schweiz

Im Schweizer Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen vom 6. Oktober 1995 (Kartellgesetz, KG, SR 251) gelten als marktbeherrschende Unternehmen einzelne oder mehrere Unternehmen, welche auf einem Markt in der Lage sind, sich von anderen Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten (Art. 4 Abs. 2 KG). In der am 1. April 2004 in Kraft getretenen Revision des Kartellgesetzes wurde die Klammerformulierung "(Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern)" eingefügt. Ob dieser Einschub eine Präzisierung oder eine Ausweitung des Marktbeherrschungsbegriffs (auf sog. relative Marktbeherrschung) darstellt, ist in der Lehre strittig. Vermutungstatbestände in Bezug auf die marktbeherrschende Stellung kennt das Schweizer Kartellgesetz nicht.

Bestimmung

Zur Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung sind der relevante Markt und die Stellung des Unternehmens auf diesem Markt zu bestimmen. Kriterien zur Bestimmung der Stellung auf dem Markt können sein:

  • die Verteilung der Marktanteile auf dem Markt,
  • die Entwicklung der Marktanteile,
  • die Finanzkraft,
  • der Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten,
  • Verflechtungen mit anderen Unternehmen,
  • rechtliche oder reale Marktzutrittsbeschränkungen,
  • Anzahl und Stärke der Konkurrenten.

Missbrauchstatbestände

Der kartellrechtlich unzulässige Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung kann auf vielfältige Weise erfolgen. Die Kartellgesetze Deutschlands und der Schweiz kennen daher nur eine nicht abschließende Aufzählung von möglichen Missbrauchstatbeständen. Unzulässig können etwa das Verlangen unangemessener Ein- und Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sein (Ausbeutungsmissbrauch), die gezielte Unterbietung von Preisen (Behinderungsmissbrauch) oder die Verweigerung des Zugangs zu Infrastruktureinrichtungen (Strukturmissbrauch) sein.[5][6] Selbst wahre Tatsachenbehauptungen über Wettbewerber können unter bestimmten Voraussetzungen einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung darstellen.[7] Jüngst teilte hierzu die EU-Kommission mit, dass gegen das Unternehmen Teva ein Verfahren eingeleitet wurde, welches unter anderem eine Verunglimpfung des generischen Wettbewerbs durch eine gezielte Kommunikationskampagne untersucht.[8]

Illustrative Fälle aus der Praxis

Deutschland

2002 untersagte das Bundeskartellamt die Übernahme der Ruhrgas AG durch E.ON. Eine Ministererlaubnis ermöglichte jedoch daraufhin das Vorhaben.

Wegen der Verstärkung von marktbeherrschenden Stellungen untersagte das Bundeskartellamt am 19. Januar 2006 die Übernahme der ProSiebenSat.1 Media AG durch den Axel Springer Verlag.[9] Daraufhin gab der Axel Springer Verlag am 31. Januar 2006 bekannt, von der Übernahme Abstand zu nehmen.

2014 verfügte die Bundesnetzagentur gegen ein Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost, die Media Broadcast GmbH als marktbeherrschendes Unternehmen im UKW-Rundfunkmarkt eine Regulierungsverfügung[10] um erstmals Wettbewerb in diesem Markt zu ermöglichen.

Schweiz

In einer Verfügung vom 5. März 2001 stellte die Wettbewerbskommission fest, dass die Freiburger Elektrizitätswerke eine marktbeherrschende Stellung bei der regionalen Stromverteilung missbrauchen, indem sie sich weigern, Strom des Konkurrenzunternehmens Watt über ihr Netz zu leiten.[11] Der Entscheid wurde vom Bundesgericht am 17. Juni 2003 gestützt.

Swisscom Mobile wurde von der Wettbewerbskommission am 5. Februar 2007 mit einer Sanktion von 333 Millionen Franken belegt, weil sie im Zeitraum vom 1. April 2004 bis 31. Mai 2005 durch das Verlangen von unangemessen hohen Terminierungsgebühren eine marktbeherrschende Stellung bei der Terminierung von Anrufen auf ihre Mobilfunknetz missbraucht habe.[12] Gegen den Entscheid wurde Beschwerde angekündet.

Einzelnachweise

  1. sbr-net.de, Bundesregierung beschließt Entwurf der 8. GWB-Novelle, 5. April 2012 (Memento vom 4. November 2013 im Internet Archive)
  2. beck.de, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: 8. GWB-Novelle, abgerufen am 3. November 2013
  3. Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 19 Rdnr. 93 m.w.N.
  4. BGH, WuW/E BGH 2783, 2790 – Warenzeichenerwerb
  5. Florian Bien: Europäisches und deutsches Kartellrecht (Memento des Originals vom 7. April 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.jura.uni-wuerzburg.de Universität Würzburg, Stand: 7. Oktober 2014, S. 57 ff.
  6. Peter Krebs: Gliederungsvorschlag für die Prüfung des Missbrauchs absoluter Marktmacht (marktbeherrschende Stellung), des Missbrauchs bei erlaubten Kartellen und erlaubter Preisbindung gem. §§ 19, 20 Abs. 3 GWB (Memento vom 7. April 2016 im Internet Archive) Universität Siegen, (ohne Jahr)
  7. Nils Gildhoff/Robert Tubis: Die kartellrechtswidrige Behinderung von Wettbewerbern durch Verunglimpfung, in Betriebs-Berater 2016, S. 835 ff.
  8. Antitrust: Commission opens formal investigation into possible anticompetitive conduct of Teva in relation to a blockbuster multiple sclerosis medicine
  9. Beschluss des Bundeskartellamtes vom 19. Januar 2006 (Memento vom 6. Dezember 2006 im Internet Archive) (PDF; 216 kB)
  10. Bundesnetzagentur.de: Regulierungsverfügung für die Bereitstellung von terrestrischen Sendeanlagen und UKW-Antennen(mit)benutzung (Memento vom 23. Juli 2015 im Internet Archive)
  11. Redetext der Pressekonferenz vom 23. März 2001 (Memento vom 14. Juni 2007 im Internet Archive)
  12. Pressemitteilung der Wettbewerbskommission vom 16. Februar 2007 (Memento vom 9. Juni 2007 im Internet Archive)