Necip Fazıl Kısakürek

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Necip Fāzıl Kısakürek (* 25. Mai 1905 in Çemberlitaş Istanbul; † 25. Mai 1983 in Istanbul) war ein türkischer Dichter, Autor, Dramatiker und antisemitisch-islamistischer Ideologe.

Leben

Sein Vater war Abdülbaki Fazıl Bey, seine Mutter Mediha Hanım. Die Familie des Vaters kam ursprünglich aus Kahramanmaraş. Necip Fazıl Kısakürek hieß eigentlich Ahmed Necip. Er wurde in Çemberlitaş in der Villa seines Großvaters, eines ehemaligen Vorsitzenden Richters eines Gerichtes für Mordsachen, geboren. Kısakürek besuchte eine amerikanische und eine französische Schule sowie weitere Grund- und Mittelschulen. Die Mittelschule schloss er auf Heybeliada ab. Kısakürek besuchte fünf Jahre lang die Marineschule, ohne einen Abschluss zu erlangen, bevor er 1924 nach einem angefangenen, aber nicht beendeten Studium der Philosophie an der Darülfünun nach Paris an die Sorbonne wechselte und sich dort mit einem staatlichen Stipendium ebenfalls bis 1925 in die philosophische Fakultät einschrieb. In Paris absolvierte er kein reguläres Studium, sondern lebte im Stil eines Bohémien. Nachdem er in die Türkei zurückkehrte, arbeitete Kısakürek in verschiedenen Funktionen als Bankangestellter. Er gab Unterricht an einer französischen Schule am Robert College, am Staatlichen Konservatorium Ankara und an der Akademie der Schönen Künste der Mimar Sinan Üniversitesi. Nach 1942 gab er diese Arbeitsverhältnisse auf und lebte als Herausgeber und Autor.

Politischer Einfluss

Kısakürek entwickelte, beeinflusst durch Abdülhakim Arvâsi (1865–1943), in den 40er Jahren die Idee des „Islamischen Großen Ostens“ (İslami Büyük Doğu), wobei mehrere Staaten zu einer großen islamischen Einheit zusammengefasst werden sollen. Der spätere Gründer der militant-islamistischen İBDA-C, Salih Mirzabeyoğlu, lernte als 18-Jähriger Kısakürek kennen und wurde von ihm und seinen Ideen stark beeinflusst. [1] Die İBDA-C orientierte sich infolgedessen stark an Mirzabeyoğlus Interpretationen von Kısaküreks Texten.

In Anlehnung an antisemitische Ideen aus Europa, aber auch unter dem Einfluss des wirkmächtigen islamistischen Intellektuellen und Antisemiten Nurettin Topçu (1909–1975), betrachtete Kısakürek die Juden als das korrumpierende Element innerhalb der westlichen Zivilisation und bezeichnete sie als Urheber des Marxismus und Kapitalismus[2]. Zu den Veröffentlichungen von Kısakürek gehörten die türkische Übersetzung der „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Lobpreisung von Henry Fords „Der internationale Jude“ sowie ein politisches Programm, in dem er schrieb: „Zu diesen verräterischen und heimtückischen Elementen, die beseitigt werden müssen, gehören vor allem die Dönme und die Juden“[3]. Die Dönme und Juden der Türkei sollten entschädigungslos vertrieben werden, Griechen, Armeniern und anderen Minderheiten hingegen die Gelegenheit gegeben werden durch Übertritt zum Islam die Vertreibung abzuwenden[4]. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel bezeichnete Kısakürek 2016 als „einen ordinären Antisemiten, der dazu aufrief, Aleviten und andere Abweichler vom sunnitischen Islam ‚wie Unkraut auszureißen und wegzuwerfen‘“[5]. Allerdings war Kısakürek der einzige Intellektuelle, der die von kemalistischen Truppen 1937 und 1938 an separatistischen Kurden begangenen Massaker thematisierte und verurteilte, jedoch erfolgte seine Kritik, ohne zu erwähnen, dass es sich bei den Opfern um nicht-türkische Aleviten gehandelt hatte.[6] Kısakürek adressierte die Opfer ausschließlich als „Moslems“, welche Opfer der Kemalisten geworden wären, und vereinnahmte sie so; an seiner eigenen Frontstellung gegenüber den Aleviten, in denen er Häretiker sah, änderte dies nichts[4].

Werke

Kısakürek schrieb eine große Anzahl von Büchern, Zeitungsartikeln, Theaterstücken und Gedichten, die ihm neben zahlreichen Preisen auch einige Jahre Gefängnis wegen „starker Opposition“ zu İsmet Paşa und der Republikanischen Volkspartei einbrachten.

Literatur

  • Suzan Stutz: Islam und Moderne. Ein Abriss über die innermuslimische Diskussion im 20. Jahrhundert. KIT Scientific Publ., Karlsruhe 2013 (zugl. Diss. phil. KIT, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften 2012), ISBN 386644995X, S. 194–236.[7]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Deutsches Orient-Institut: Exilopposition als politischer Akteur (I): Oppositionsgruppen aus der Türkei@1@2Vorlage:Toter Link/www.giga-hamburg.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. 4. Oktober 2002
  2. Vgl. Burhanettin Duran, Cemil Aydın: „Competing Occidentalisms of Modern Islamist Thought: Necip Fazıl Kısakürek and NurettinTopçu on Christianity, the West and Modernity“, academia.edu, 2014
  3. Vgl. Kısakürek, Necip Fazıl (1968). İdeolocya örgüsü (10. Auflage). Istanbul: Büyük Doğu Yayınları, S. 71. ISBN 9789758180325; sowie: Marc David Baer: „An Enemy Old and New: The Dönme, Anti-Semitism, and Conspiracy Theories in the Ottoman Empire and Turkish Republic“, Jewish Quarterly Review 103.4 (2013), S. 523–555, Project MUSE. Web. 12. Aug. 2014
  4. a b Sean R. Singer: ERDOGAN'S MUSE: The School of Necip Fazil Kisakurek. In: World Affairs. Band 176, Nr. 4, 2013, ISSN 0043-8200, S. 81–88, hier 84.
  5. So Deniz Yücel in seinem Buch „Taksim ist überall – die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei“, Nautilus-Verlag, 2016
  6. Dilşa Deniz: Re-assessing the Genocide of Kurdish Alevis in Dersim, 1937-38. In: Genocide Studies and Prevention: An International Journal. Band 14, Nr. 2, 4. September 2020, ISSN 1911-0359, doi:10.5038/1911-9933.14.2.1728 (usf.edu [abgerufen am 12. April 2021]).
  7. Partiell lesbar im Online-Buchhandel. Vollständig lesbar auf dem Server des KIT als .pdf, erreichbar auch über den Server der DNB