Pädosexualität

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Obgleich der Begriff Pädosexualität nicht nur in der Vergangenheit,[1] sondern auch in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussion und der medialen Berichterstattung, oftmals synonym mit Pädophilie verwendet wird, ist eine Differenzierung notwendig.[2]

Pädosexualität bedeutet, als erwachsener Mensch sexuelle Handlungen an oder mit Kindern (unter 14 Jahren) durchzuführen, was in den meisten Ländern einen strafrechtlichen Tatbestand darstellt. In Abgrenzung dazu sagt der Begriff Pädophilie nichts über das tatsächliche sexuelle Verhalten einer Person aus, sondern lediglich über die sexuelle Ausrichtung, welche einen integralen Bestandteil der jeweiligen Sexualpräferenz darstellt.[2][3]

In einer Fachpublikation beziffert der Herausgeber Klaus Michael Beier den Anteil an Sexualstraftaten, die durch pädophil veranlagte Täter an Kindern verübt werden bei 30 bis 50 Prozent, während für die restlichen Taten sogenannte Ersatz- oder Ausweichtäter verantwortlich sind, deren sexuelles Interesse auf Erwachsene ausgerichtet ist.[4]

Differenzierung

Pädosexualität

Der Begriff Pädosexualität beschreibt realisierte sexuelle Handlungen von Erwachsenen an oder mit Kindern und wurde erstmals 1987 von Martin Dannecker definiert, der damals als Sexualwissenschaftler am Universitätsklinikum Frankfurt tätig war. Die damalige Definition ist im Kern erhalten und bezeichnet sexuelle Kontakte jeglicher Art zwischen Erwachsenen und Kindern als sexuellen Missbrauch. Dies beinhaltet sämtliche sexuelle konnotierte Kontakte, einschließlich der gewaltlosen Verführung, der pädosexuellen Beziehung und gewaltsamen Übergriffen. Dabei ist es unwesentlich, ob es sich um eine langjährige inzestuöse Beziehung oder einen einmaligen Gelegenheitsübergriff handelt. Auch Handlungen, wie Exhibitionismus, die ohne Körperkontakt vollzogen werden, zählen lauf Dannecker zur Pädosexualität.[5]

Kritiker monierten zunächst, dass nicht länger zwischen Handlungen, die unter Gewalteinwirkung zu Stande kamen und vermeintlich „freiwillig“ ausgeführten Handlungen unterschieden wurde. Zu den weiblichen Forscherinnen, die noch in den 1990er Jahren monierten, der sexuelle Akt werde durch diese Verallgemeinerung isoliert und per se als traumatisierendes Ereignis bewertet, zählte Hertha Richter-Appelt. Auch Eberhard Schorsch hatte ursprünglich eingewendet, der Beziehungshorizont werde bei dieser Form von Definition nicht ausreichend berücksichtigt. Mittlerweile ist sich die Fachwelt überwiegend einig, dass jede sexuelle Handlung, an der Kinder beteiligt sind, als sexueller Missbrauch im Sinne von Pädosexualität einzustufen ist. Da sich die Beteiligten auf einem unterschiedlichen Entwicklungsstand befinden, ist eine Einwilligung des Kindes ebenso unmöglich, wie eine Entlastung des erwachsenen Partners durch Nichtanwendung körperlicher Gewalt.[5]

Strafrechtlich werden pädosexuelle Handlungen in den meisten Ländern als sexueller Kindesmissbrauch verfolgt.[2] Ausgelebte Handlungen an oder mit Kindern sind dabei separat von einer pädophilen Disposition zu betrachten, da die nicht ausgelebte Neigung nicht mit einer Täterschaft gleichzusetzen ist.[6]

Pädophilie

Pädophilie zählt zu den Paraphilien und bezeichnet die Disposition, sexuelles Interesse an Kindern zu verspüren, und zwar unabhängig davon, ob diese Neigung ausgelebt wird. Wenn dies nicht der Fall ist, die Präferenz also nicht ausgelebt wird (auch nicht durch die Nutzung von Kinderpornografie), besteht kein Straftatbestand.[6][2]

Nach Schätzungen des deutschen Präventionsnetzwerkes Kein Täter werden hat rund ein Prozent der männlichen Bevölkerung in Deutschland eine pädophile Neigung im Sinne einer klinisch diagnostizierbaren Pädophilie. Da Pädophilie fast ausschließlich bei Männern diagnostiziert wird, können zur Häufigkeit betroffener Frauen derzeit keine Angaben gemacht werden.[7]

Zu sexuellen Phantasien, in denen Kinder eine Rolle spielen, bekannten sich laut sexualwissenschaftlichen Untersuchungen zwischen 4,1 und 9,5 Prozent der männlichen Probanden, während 3,2 bis 3,8 Prozent der Befragten sogar sexuelles Verhalten mit Kindern einräumten.[7]

Als klinische Krankheitsbild wird Pädophilie zu den Störungen der Sexualpräferenz gezählt, wobei die Motivation, sich in Behandlung zu begeben, eng an den Leidensdruck der Betroffenen gebunden ist. Behandlungsmöglichkeiten sind psychotherapeutische Verhaltenstherapie und medikamentöse Behandlung.[3] Dabei ist Prävention ein wichtiges Ziel, nicht nur wenn es um konkretes Ausleben von Pädosexualität geht, sondern auch hinsichtlich des Konsums von Kinderpornografie.[8]

Verwendung der Begriffe Pädophilie vs. Pädosexualität

Weil es eine Schnittmenge zwischen pädophil veranlagten und pädosexuell aktiven Tätern gibt, sollte nach Ansicht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine Differenzierung erfolgen, um von Pädophilie Betroffene, die ihre Neigung kontrollieren, nicht zusätzlich zu stigmatisieren. Eine ungenaue und teilweise falsche Verschmelzung der Begriffe erschwert darüber hinaus eine eindeutige diagnostischen Zuordnung, was sich auf die therapeutische Behandlung potenzieller Täter auswirken kann.[2]

Auf der Webpräsenz der unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs werden die Begriffe ebenfalls gegeneinander abgegrenzt. Die Autoren der Seite empfehlen, den Begriff Pädosexualität anstelle von Pädophilie zu verwenden, da Pädosexualität einerseits das sexuelle Begehren in den Vordergrund stelle und der Begriffs „Pädophilie“ in den Sozialwissenschaften umstritten ist, da -philie (griech.) „Liebe“ bedeutet. Auch die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hält den Begriff Pädosexualität für angemessener. Beide Stellen empfehlen, bei der Umsetzung von pädosexuellen Wünschen, in Form von strafbaren, sexuellen Handlung von Erwachsenen oder Jugendlichen an oder mit Kindern von „Pädokriminalität“ zu sprechen.[9][10]

Was über die Opfer bekannt ist

Für die MiKADO-Studie befragten Forscher der Universität Regensburg fast 8000 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 30 Jahren anonym online. Von den Befragten gaben 8,5 Prozent an, als Kind sexuelle Übergriffe erlebt zu haben, die über unerwünschtes Berühren bis hin zu schweren sexuellen Übergriffen und zu belastenden sexuellen Onlineerfahrungen reichten.

Der Anteil der betroffenen Mädchen war mit 11,6 Prozent mehr als doppelt so hoch wie der betroffener Jungen mit 5,1 Prozent.[11]

Die Opfer waren beim ersten Übergriff im Durchschnitt 7,9 Jahre alt, wenn es sich um Jungen handelt, während Mädchen im Schnitt 10,5 Jahre alt waren. Drei Faktoren erhöhten dabei zusätzlich das Risiko, zum Opfer zu werden:[11][12]

  • das Leben in einer Großstadt
  • zerrüttete Familienverhältnisse (englisch Broken Home)
  • vergleichsweise niedriger Bildungsgrad (bei weiblichen Opfern)

Je jünger das Opfer zum Zeitpunkt des Übergriffs war, desto ausgeprägter sind die psychischen Spätfolgen. Häufige Spätfolgen beinhalten unter anderem eine posttraumatische Belastungsstörung und Depressionen. Zwei Drittel der Betroffenen hatten sich, bevor sie an der Befragung teilnahmen, niemandem anvertraut und entsprechend auch keine misshandlungsbezogene therapeutische Hilfe in Anspruch genommen.[11]

Was über die Täter bekannt ist

In einer für die Universität Wien entstandenen Diplomarbeit aus dem Jahr 2014 wurden insgesamt 473 Täter untersucht, die Kinder sexuell missbraucht hatten. Im Ergebnis konnte dabei zwischen drei unterschiedlichen Sexualpräferenzen unterschieden werden:[13]

  • 26,2 Prozent (124 Personen) hatten überhaupt keine pädophile Disposition
  • 62,6 Prozent (296 Personen) waren sexuell nicht ausschließlich an Kindern interessiert
  • 11,2 Prozent (56 Personen) waren sogenannt Kernpädophile, die ausschließlich an sexuellem Kontakt mit Kindern interessiert sind

Im Rahmen der MiKADO-Studie aus dem Jahr 2015 konnte darüber hinaus nachgewiesen werden, dass Kindesmissbraucher männlichen Geschlechts folgende Eigenschaften überdurchschnittlich oft aufwiesen:[14]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der Diskurs um Pädophilie/Pädosexualität im Bundesverband pro familia in den 1970er bis 1990er Jahren. Studie zur Unterstützung der Selbstaufklärung des Bundesverbands der pro familia pro familia, aufgerufen am 28. April 2022
  2. a b c d e Pädophilie, Pädosexualität und sexueller Kindesmissbrauch: Über die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, aufgerufen am 28. April 2022
  3. a b Meike Fries, Dagny Lüdemann: Sexualforschung: Was ist Pädophilie? Die Zeit, aufgerufen am 28. April 2022
  4. Klaus Michael Beier (2018): Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch. Springer Psychoterapie: Manuale doi:10.1007/978-3-662-56594-0
  5. a b Volkmar Sigusch (2007): Sexuelle Störungen und ihre Behandlung. 23 Sexueller Missbrauch und Pädosexualität. Thieme E-Books doi:10.1055/b-0033-2853
  6. a b Gewerkschaft der Polizei: Pädosexualität: Die Folgen des Missbrauchs. Polizei, aufgerufen am 28. April 2022
  7. a b Kein Täter werden. Grundüberlegung Kein Täter werden, aufgerufen am 8. September 2022
  8. Kein Täter werden. Ansatz für Therapie Kein Täter werden, aufgerufen am 28. April 2022
  9. Begriffserklärung A bis Z. Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, abgerufen am 4. September 2022.
  10. Glossar. Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, abgerufen am 4. September 2022.
  11. a b c Von MiKADO lernen – Prävention verbessern. Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts S. 63 Universität Regensburg, aufgerufen am 5. Mai 2022
  12. Sexueller Missbrauch Die Kinder schützen - und die potenziellen Täter Der Spiegel, aufgerufen am 5. Mai 2022
  13. Nancy Panthen: Sexueller Kindesmissbrauch und Pädosexualität, S. 63 Universität Wien, aufgerufen am 5. Mai 2022
  14. MiKADO - Missbrauch von Kindern: Aetiologie, Dunkelfeld, Opfer Universität Regensburg, aufgerufen am 5. Mai 2022