Parlamentarische Untersuchungskommission
Die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ist im politischen System der Schweiz eine von Parlamentariern gebildete temporäre Kommission, welche politische Oberaufsicht über die Regierung, die Verwaltung oder die Gerichte ausüben kann. Sie wird in ausserordentlichen Fällen von grosser Tragweite gebildet, um kontroverse Vorkommnisse zu untersuchen, und wird nach dem Schlussbericht aufgelöst. Die Parlamentarische Untersuchungskommission existiert auf eidgenössischer, kantonaler und zum Teil auch auf kommunaler Ebene. Das Resultat ihrer Untersuchung wird in einem Bericht dargelegt. Die Einsetzung einer PUK wird auf allen Ebenen gesetzlich geregelt.
Eidgenössische Ebene
Rechtsgrundlage und Einberufung
Auf eidgenössischer Ebene wird die Parlamentarische Untersuchungskommission im neunten Titel des Parlamentsgesetzes definiert (Art. 163 ff. ParlG). Demnach ist die Parlamentarische Untersuchungskommission ein Oberaufsichtsorgan, das «Vorkommnisse von grosser Tragweite» untersuchen kann. Der Einsatz einer Untersuchungskommission kann von Fraktionen, Parteien, Kommissionen oder einzelnen Ratsmitgliedern (Nationalräte oder Ständeräte) durch eine parlamentarische Initiative gefordert werden. Nach Anhörung des Bundesrates wird die Untersuchungskommission durch einen einfachen Bundesbeschluss geschaffen – er regelt insbesondere «den Auftrag und die finanziellen Mittel der Untersuchungskommission» –, dem beide Kammern zustimmen müssen. Die Kommission wird sodann mit «gleich vielen Mitgliedern jedes Rates» sowie einem Präsidium und einem eigenen Sekretariat bestückt, wobei das «notwendige Personal von den Parlamentsdiensten zur Verfügung gestellt wird».
Verfahren und Kompetenzen
Die PUK muss den betroffenen Behörden, Behördenmitgliedern, Staatsangestellten und Privatpersonen in allen Fragen der zu prüfenden Vorwürfe und der gewonnenen Erkenntnisse rechtliches Gehör leisten. Beweismittel, die der betroffenen Person nicht genannt werden, dürfen nicht gegen diese verwendet werden.
Die Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten einer PUK bezüglich Einsichtnahme, Befragung und Sachverhaltsabklärungen gehen deutlich über den Aufgabenbereich einer ständigen Oberaufsichtskommission, zum Beispiel der Geschäftsprüfungskommission (GPK), hinaus. Die PUK übt politische, aber keine gerichtliche Kontrolle aus (Gewaltentrennung) und kann deshalb weder die Rechtmässigkeit des Verwaltungshandelns direkt prüfen, noch einzelne Personen disziplinieren, strafen, in vermögensrechtlicher Hinsicht zur Verantwortung ziehen oder entlassen. Sie kann Sachverständige beiziehen und Zeugen und Auskunftspersonen anhören. Die Behörden müssen der PUK Amts- und Rechtshilfe leisten.
Bisher eingesetzte PUK
- 1964: Vorgehen bei der Beschaffung von Mirage-Kampfflugzeugen («Mirage-Affäre»). Sinngemäss eine PUK, aber nicht mit dieser Bezeichnung, weil es dieses Instrument 1964 noch nicht gab.
- 1989: Vorkommnisse im EJPD (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement). Eine PUK im Zusammenhang mit der Amtsführung im EJPD und dem Rücktritt von Bundesrätin Elisabeth Kopp. Diese PUK löste den «Fichenskandal» aus (siehe auch PUK und Fichenskandal).
- 1990: Klärung von Vorkommnissen von grosser Tragweite im Eidgenössischen Militärdepartement (Nachrichtendienst und Abwehr, Personendaten, Geheime Dienste – siehe auch P-26 und P-27)
- 1996: Abklärung von Organisations- und Führungsproblemen bei der Eidgenössischen Versicherungskasse
Abgelehnte PUK-Anträge (ab 1995)
Einreichungsdatum | Geschäftsnummer | Zweck | Eingereicht von |
---|---|---|---|
23. Juni 1995 | 95.412 | Abklärung von Organisations- und Führungsproblemen bei der EVK | Peter Hess (CVP) |
20. März 1996 | 96.411 | Prüfung der Amtsführung des EMD | Pierre Chiffelle (SP) |
18. Juni 1998 | 98.420 | Zur Überwachung und Kontrolle der Atomenergie | Grüne Fraktion |
31. August 1999 | 99.443 | Zur Untersuchung von strafbaren Handlungen des Nachrichtendienstes der Armee | Christiane Jaquet-Berger (PdA) |
6. Oktober 1999 | 99.453 | Zur Untersuchung des «Falls Bellasi» | Cécile Bühlmann (Grüne) |
21. Juni 2001 | 01.427 | Zur Untersuchung der Fehler der Bundesverwaltung in Bezug auf die BSE-Krise | Fernand Cuche (Grüne) |
4. Oktober 2001 | 01.448 | Zur Untersuchung der Beziehung der schweizerischen Nachrichtendienste zum südafrikanischen Geheimdienst während der Apartheidzeit |
Jean-Nils de Dardel (SP) |
16. Oktober 2001 | 01.458 | Swissair-Krise | CVP-Fraktion |
27. Oktober 2001 | 01.459 | Verletzung der Aufsichtspflicht im UVEK im Zusammenhang mit dem Swissair-Debakel | SVP-Fraktion |
26. September 2002 | 02.451 | Finanzierung der Expo.01/02 | Grüne Fraktion |
3. Oktober 2002 | 02.455 | Klärung des Bedarfs an Bundesgeldern zur Finanzierung der Expo.01/02 | SVP-Fraktion |
28. November 2002 | 02.464 | Beziehungen der schweizerischen Nachrichtendienste zum südafrikanischen Geheimdienst | Paul Günter (SP) |
20. März 2003 | 03.405 | Swissair-Debakel | SVP-Fraktion |
18. März 2004 | 04.416 | Transparenz und Wahrnehmung der Führungsverantwortung im UVEK | SVP-Fraktion |
12. November 2004 | 04.2028 (Petition) |
Schaffung einer Ombudsstelle und Einsetzung einer PUK UVEK. Bereich Zivilluftfahrt | Fluglärmopfergemeinschaft |
7. Oktober 2005 | 05.446 | Untersuchung der Ursachen der Finanzprobleme der Bundes- und bundesnahen Pensionskassen | SVP-Fraktion |
14. März 2006 | 06.403 | Komplizenschaft der Schweiz mit dem Apartheid-Regime in Südafrika | SP-Fraktion |
23. März 2007 | 07.421 | Zur Abklärung der politischen Verantwortung im Swissair-Debakel | SVP-Fraktion |
5. Oktober 2007 | 07.482 | Zur Abklärung der von der GPK erhobenen Vorwürfe gegen den Justizminister | SVP-Fraktion |
19. März 2008 | 08.405 | Zur Abklärung der politischen Verantwortung bei SBB Cargo | SVP-Fraktion |
11. Juli 2008 | 08.433 | Betreffend Aktenvernichtung | Grüne Fraktion |
11. Dezember 2009 | 09.512 | Zur Finanzkrise und ihren Folgen | SP-Fraktion |
5. Februar 2010 | 10.401 | Zur Finanzkrise/UBS | Büro NR |
Siehe auch
In Deutschland und Österreich entspricht die Parlamentarischen Untersuchungskommission dem Untersuchungsausschuss.
Literatur
- Nicole Schwager, Cornelia Theler, Elisabeth Noser: Art. 163-171. In: Martin Graf, Cornelia Theler, Moritz von Wyss (Hrsg.): Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung. Kommentar zum Parlamentsgesetz (ParlG) vom 13. Dezember 2002. Basel 2014, ISBN 978-3-7190-2975-3, S. 1107–1156. (Online)
- Tomas Poledna: Die parlamentarische Untersuchungskommission in der Schweiz – eine Problemübersicht mit Lösungsansätzen und Thesen. Aktuelle Juristische Praxis, 9/95