Pocahontas

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Pocahontas auf einem Kupferstich aus dem Jahre 1616

Pocahontas [ˈpɒkəˌhɒntəs] („die Verspielte“, „die, die alles durcheinanderbringt“; * um 1595 in Virginia; † März 1617 in Gravesend, südöstlich von London; eigentlich Matoaka, später verheiratet Rebecca Rolfe) wurde als Lieblingstochter eines Algonkinhäuptlings zur Vermittlerin zwischen den Stämmen der Virginia-Algonkin und den englischen Kolonisten. Sie bildet den historischen Kern eines Geschichtsmythos über die angeblich friedliche Besiedlung Nordamerikas durch die Europäer.

Leben

Pocahontas war die Tochter des Häuptlings Wahunsonacock, besser bekannt als Powhatan, dem Powhatan-Sachem und wurde Amonute und auch Matoaka genannt. Pocahontas war ihr Kosename.[1] Sie wird als eine der Lieblingstöchter ihres Vaters beschrieben.[2]

Powhatan heiratete entsprechend der Tradition zahlreiche Frauen, die weggeschickt wurden, nachdem sie ein Kind geboren hatten. Sie wurden von ihm unterstützt, bis sie einen zweiten Ehemann fanden.[3]

Nach dem Bericht des Kapitäns John Smith soll sich Pocahontas schützend vor ihn geworfen haben, als ihr Vater ihn töten wollte. Pocahontas hatte als eine der Lieblingstöchter des Häuptlings einen gewissen Einfluss auf ihn. Während er und die soziale Gruppe der Krieger die Anwesenheit der Weißen zunächst nicht dulden wollten, war Pocahontas der Meinung, dass eine friedliche Koexistenz und ein Austausch der Kulturen möglich sein müsse. Außerdem half sie den europäischen Siedlern in Amerika, indem sie ihnen beibrachte, welche Pflanzen essbar waren. Auch brachte sie John Smith die Sprache ihres Stammes bei.[1]

William Strachey berichtet 1616, dass Pocahontas vor ihrer Ehe mit dem Virginia-Pflanzer John Rolfe zwei Jahre lang mit einem Krieger namens Kocoum verheiratet gewesen sei (der Bruder des Patawomeck weroance Japazaws) und mit diesem ein Kind namens Ka-Okee gehabt habe, das von den Patawomecks aufgezogen worden sei. Weitere Hinweise gibt es nicht; und es gibt eine Kontroverse darüber, ob Strachey von Rolfe gesprochen hatte.[4]

1613 lockten die Engländer Pocahontas bei Stafford[5] auf ein Schiff. Dort wurde sie zunächst als Geisel gefangen gehalten. Während ihrer Gefangenschaft wurde sie von Alexander Whitaker im christlichen Glauben unterwiesen. Sie konvertierte zum Christentum, wurde getauft und „Rebecca“ genannt. Unter Historikern herrscht Unklarheit darüber, ob die Taufe freiwillig oder erzwungenermaßen stattfand. Der Name Rebecca weist auf die biblische Rebekka, „Mutter zweier Nationen“ durch ihre Söhne Jacob und Esau, hin. So wurde auch Pocahontas teilweise von Zeitgenossen gesehen. 1614 heiratete sie John Rolfe. Sowohl Pocahontas als auch Rolfe betonten, nicht aus Fleischeslust geheiratet zu haben. Vielmehr war in der sozialen Schicht von Pocahontas (ähnlich wie im europäischen Adel) das Heiraten aus politischen Gesichtspunkten üblich. Pocahontas hoffte nach eigenen Worten, mit ihrer Heirat zur Sicherung des Friedens und zum freundschaftlichen Miteinander der Kulturen beizutragen sowie die soziale Stellung ihrer Familie zu festigen. Rolfe sagte, er habe nicht aus Fleischeslust, sondern zum Wohl der Pflanzung, zur Ehre seines Landes und zum Ruhme Gottes geheiratet.[6] Rolfe hoffte also, durch die Heirat seine Interessen bezüglich seiner Pflanzung zu wahren. Auch glaubte er, Pocahontas Seele durch die Heirat zu retten. Zudem hoffte er, durch die Hochzeit zur Freilassung englischer Gefangener beizutragen. Die Hochzeit führte zu einem acht Jahre andauernden Frieden zwischen den Jamestown-Kolonisten und den Virginia-Algonkin und einem Aufblühen der Handelsbeziehungen. 1615 schrieb Ralph Hamor:

“Since the wedding we have had friendly commerce and trade not only with Powhatan but also with his subjects round about us.”

„Seit der Hochzeit haben wir freundlichen Handel nicht nur mit Powhatan, sondern auch mit seinen Untertanen rund um uns herum.“[7]

1615 wurde ihr Sohn Thomas Rolfe geboren. Als Botschafterin ihres Vaters kam sie an den englischen Königshof. Dort wurde Pocahontas 1616 als einzige vom englischen Königshaus anerkannte „Indianerprinzessin“ und Botschafterin ihres „königlichen“ Vaters Powhatan bei Hofe empfangen. Aufgrund ihrer Anmut und ihres aufgeweckten Geistes war sie unter den Adeligen sehr beliebt; dennoch missbilligte der Hof Rolfes Heirat mit Pocahontas, da dieser im Gegensatz zu ihr nicht von königlichem Geblüt war. Pocahontas, jetzt „Rebecca Rolfe“ genannt, verstarb kurz vor dem Antritt der Rückreise nach Virginia in Gravesend (im Nordwesten der Grafschaft Kent). Nach den Aussagen von Rolfe starb sie mit den Worten, dass alle sterblich seien und es ihr genug sei zu wissen, dass ihr Kind lebe.[8] Als Ursache für ihren frühen Tod werden je nach Quelle Lungenentzündung, Tuberkulose, Typhus oder die Pocken genannt. Das Begräbnis fand am 21. März 1617 in der St George’s Church in Gravesend statt. Sie wurde vermutlich unter der Kanzel beerdigt;[9] da jedoch die Kirche 1727 durch ein Feuer zerstört wurde, ist der genaue Ort ihres Grabes unbekannt. Aus ihrer Zeit am Hof ist ein Kupferstich erhalten, der sie in der damaligen Hoftracht zeigt.

Der Kuppelraum des Kapitols in Washington ist mit einem Wandgemälde der Taufe der amerikanischen Ureinwohnerin geschmückt.

Familie

Über ihren Sohn Thomas hatte Pocahontas zahlreiche Nachfahren, die größtenteils Mitglieder der weißen Oberschicht waren. Viele der „ersten Familien Virginias“ (FFV), wie sich die reichen und prominenten Familien dort nennen, führen sich noch heute auf Pocahontas und Rolfe zurück.

Zu den Personen, die von ihr abstammen, gehören Edith Bolling Galt Wilson, Frau von Woodrow Wilson, Anwalt und Brigadegeneral George Wythe Randolph, Admiral Richard Byrd, Virginias Gouverneur Harry F. Byrd, Mode-Designerin Pauline de Rothschild; die frühere First Lady Nancy Reagan, Schauspieler Glenn Strange, George W. Bush[10] und Mathematiker Percival Lowell.[11]

Rezeption

Geschichtsmythos

Alonzo Chappel: Rettung des John Smith durch Pocahontas, circa 1865
Datei:Pocahontas gravesend.jpg
Statue der Pocahontas, St George’s Church, Gravesend, Kent, England

Pocahontas steht im Mittelpunkt eines weißen Geschichtsmythos: Sie wird als weibliche Edle Wilde vorgestellt, als assimilationswillige Eingeborene, welche die Tugenden der Weißen quasi von Natur aus besaß. Dieser Mythos dient dazu, die gewaltsame Eroberung Amerikas zu legitimieren.[12] Smiths Rettung erscheint in diesem Narrativ als Beleg für die Bereitschaft der Algonkin, die Werte der europäischen Kultur anzunehmen, die eine Basis für eine harmonische Beziehung der beiden Gruppen hergestellt hätte, was aber durch andere, bösartige Eingeborene zunichtegemacht wurde.[13]

Ortsnamen

Zahlreiche Orte in den USA sind nach Pocahontas benannt, unter anderem:

Außerdem:

Weitere Benennungen

Pocahontas war Namenspatin für eines der ergiebigsten Steinkohlevorkommen in West Virginia. Von 1930 bis 1960 wurde einer der Luxus-Züge von Norfolk and Western Railway’s Pocahontas genannt. Vier Schiffe der United States Navy hießen USS Pocahontas, und eines USS Princess Matoika. Diese Namensgebung war umstritten, da Pocahontas zeitlebens Pazifistin war.

Ex-US-Präsident Donald Trump bezeichnet Kandidatin Elizabeth Warren spöttisch als Pocahontas, nachdem diese angab, indianische Vorfahren zu haben.

Geldschein

Auf US-Geldscheinen wurden bisher nur zwei Frauen abgebildet: Martha Washington, die Frau von George Washington, und Pocahontas.[14]

Literatur

Arno Schmidt bezieht sich in seiner Erzählung Seelandschaft mit Pocahontas (1955) auf die Indianerprinzessin; der Protagonist benutzt ihren Namen als Kosewort für seine Urlaubsgeliebte.

In seinem postmodernen Roman Der Tabakhändler (1960) sexualisiert der amerikanische Schriftsteller John Barth den Pocahontas-Mythos in satirischer Absicht: Er erfindet einen indianischen Brauch, wonach der Bräutigam die Braut vor Eheschließung zu entjungfern habe. Wegen Pocahontas’ besonderer Anatomie seien daran bereits viele gescheitert. Captain Smith gelingt die Aufgabe nur mithilfe einer Pflanze.[15]

Sozialwissenschaften

Der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit macht Pocahontas zur Namensgeberin seiner These, dass Eroberer ihre Landnahme und Kolonisation vielfach durch Berichte über Königstöchter rechtfertigten. In diesen Mythen und Erzählungen bewundere die Frau den Fremden, verrate ihre Kultur und die traditionellen Besitzansprüche und übergebe mit ihrem Körper auch das Land.[16] Als Beispiele dienen ihm außer Pocahontas Medea, Dido, Kleopatra und Malinche.

Astronomie

Der Asteroid (4487) Pocahontas wurde 1987 entdeckt und 1991 nach Pocahontas benannt.[17]

Musik

Ein populäres musikalisches Denkmal wurde Pocahontas und Captain Smith in einer Textzeile des Songs Fever von Otis Blackwell (Pseudonym: John Davenport) und Eddie Cooley gesetzt. Der Titel wurde durch Interpreten wie Peggy Lee (1958) und Elvis Presley (1960) berühmt gemacht und wird bis heute immer wieder von namhaften Künstlern gecovert.

1979 veröffentlichte Neil Young auf dem Album Rust Never Sleeps seinen Song Pocahontas, der u. a. von Johnny Cash gecovert wurde.

Im Jahr 2016 veröffentlichte die deutsche Rockband AnnenMayKantereit ein Lied mit dem Titel Pocahontas, das in die deutschen Singlecharts einstieg und auch auf dem Nummer-1-Album Alles nix Konkretes der Band aus dem gleichen Jahr enthalten ist. Es handelt von einer zerrütteten Beziehung.

Filme

In einem Zeichentrickfilm der Walt-Disney-Studios und in dem US-Spielfilm The New World wird ihr eine Liebesgeschichte mit John Smith angedichtet. Tatsächlich hat es diese Romanze nie gegeben.

Literatur

  • Paula Gunn Allen: Pocahontas. Medicine woman, spy, entrepreneur, diplomat. HarperSanFrancisco, New York NY 2003, ISBN 0-06-053687-X.
  • Philip L. Barbour: Pocahontas and her world. A chronicle of America’s first settlement in which is related the story of the indians and the englishmen – particularly Captain J. Smith, Capt. S. Argall, and Master J. Rolfe. Hale, London 1970, (u. ö.).
  • Barbara Bartos-Höppner: Pocahontas Häuptlingstochter. Mit Bildern von Gerlinde Mader. Esslinger Verlag u. a., Esslingen u. a. 1996, ISBN 3-215-13086-6.
  • Stuart E. Brown Jr., Lorraine F. Myers: Pocahontas’ descendants. A revision, enlargement, and extension of the list as set out by Wyndham Robertson in his book „Pocahontas and her descendants“ (1887). 3rd corrections and additions. 2nd printing. Genealogical Publications, Baltimore MD 2003
  • Linwood „Little Bear“ Custalow, Angela L. Daniel „Silver Star“: The true story of Pocahontas. The other side of history. From the sacred history of the Mattaponi reservation people. Fulcrum, Golden CO 2007, ISBN 978-1-55591-632-9.
  • Tobias Döring: Pocahontas/Rebecca. In: Claudia Breger, Tobias Döring (Hrsg.): Figuren der/des Dritten. Erkundungen kultureller Zwischenräume (= Internationale Forschungen zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Bd. 30). Rodopi, Amsterdam u. a. 1998, ISBN 90-420-0592-0, S. 179–209.
  • Helen C. Rountree: Pocahontas, Powhatan, Opechancanough. Three Indian Lives Changed by Jamestown. University of Virginia Press, Charlottesville VA 2005, ISBN 0-8139-2323-9.
  • Klaus Theweleit:
    • Pocahontas. 1: Pocahontas in Wonderland. Shakespeare on Tour. Stroemfeld, Frankfurt am Main / Basel 1999, ISBN 3-87877-751-5 (deutsch);
    • Pocahontas. 2: Buch der Königstöchter. Von Göttermännern und Menschenfrauen. Mythenbildung, vorhomerisch, amerikanisch. Stroemfeld, Frankfurt am Main / Basel 2013, ISBN 978-3-87877-752-6.
    • Pocahontas. 4: „You give me fever“. Arno Schmidt. Seelandschaften mit Pocahontas. Die Sexualität schreiben nach WW II. Stroemfeld, Frankfurt am Main / Basel 1999, ISBN 3-87877-754-X.[21]

Weblinks

Commons: Pocahontas – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Siehe auch

  • Squanto – bewahrte ähnlich wie Pocahontas die europäischen Neuankömmlinge vor dem Hungertod

Einzelnachweise

  1. a b Historic Jamestown – Pocahontas: Her Life and Legend. Eine Broschüre des National Park Service der USA.
  2. Ralph Hamor: A True Discourse of the Present Estate of Virginia. 1615. Reprint in: Edward Wright Haile (Hrsg.): Jamestown narratives. Eyewitness accounts of the Virginia Colony. The first decade, 1607–1617. RoundHouse, Champlain VA 1998, ISBN 0-9664712-0-2, S. 802.
  3. Henry Spelman: A Relation of Virginia. 1609. Reprint in: Edward Wright Haile (Hrsg.): Jamestown narratives. Eyewitness accounts of the Virginia Colony. The first decade, 1607–1617. RoundHouse, Champlain VA 1998, ISBN 0-9664712-0-2.
  4. Charles Dudley Warner: The Story of Pocahontas. In: Charles Dudley Warner: Captain John Smith (1579–1631), sometime Governor of Virginia and Admiral of New England. A Study of his Life and Writings. Henry Holt and Co., New York NY 1881, S. 200–246.
  5. Kevin White: Kidnapping of Pocahontas Highway Marker. The Historical Marker Database (hmdb.org), 30. August 2007, abgerufen am 21. März 2017 (englisch).
  6. André Maurois: Die Geschichte Amerikas. Rascher, Zürich 1947, S. 42.
  7. Ralph Hamor: A True Discourse of the Present Estate of Virginia. 1615. Reprint in: Edward Wright Haile (Hrsg.): Jamestown narratives. Eyewitness accounts of the Virginia Colony. The first decade, 1607–1617. RoundHouse, Champlain VA 1998, ISBN 0-9664712-0-2, S. 809.
  8. Rolfe. Letter to Edwin Sandys. S. 71
  9. St. George’s Church – Gravesend: Pocahontas.
  10. Suzi Parker: We are family. 31. März 2000.
  11. Robert S. Tilton: Pocahontas: The Evolution of an American Narrativ (= Cambridge Studies in American Literature and Culture. 83). Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1994, ISBN 0-521-46959-7, S. 191.
  12. Heike Paul: The Myths That Made America. An Introduction to American Studies. Transcript, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8376-1485-5, S. 91–94 (abgerufen über De Gruyter Online).
  13. Peter Hulme: Colonial Encounters. Europe and the native Caribbean, 1492-1797 Methuen, London/New York 1986, S. 172.
  14. Bank Note Museum – United States of America, Geldscheine mit Pocahontas
  15. Philip Young: The Mother of us all: Pocahontas. In: Derselbe: American Fiction, American Myth. Essays. Pennsylvania State University Press, University Park 2000, S. 38; Joseph Weixlmann: ‘…such a devotee of Venus is our Capt…’ : The Use and Abuse of Smith’s „Generall Historie“ in John Barth’s „The Sot-Weed Factor“. In: Studies in American Humor 2, Heft 2 (1975), S. 105–115; Heike Paul: The Myths That Made America. An Introduction to American Studies. Transcript, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8376-1485-5, S. 120 (abgerufen über De Gruyter Online).
  16. Ulrike Fokken, Edith Kresta: „Früher Götter, heute Menschen“. Interview mit Klaus Theweleit auf taz.de, 5. Oktober 2013, abgerufen am 21. März 2017.
  17. 1991 JAN. 30. Abgerufen am 15. Juni 2022.
  18. Pocahontas – Die Legende auf film-lexikon.de
  19. Pocahontas: The Legend in der Internet Movie Database (englisch)
  20. auch als Hörspielfassung bei Disky NL
  21. Alle 4 Bände der Tetralogie tragen den Titel Pocahontas (1–4), da sie Theweleit als exemplarisch gilt.