Robert Gilbert

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Robert Gilbert (* 29. September 1899 in Berlin; † 20. März 1978 in Minusio, Schweiz; eigentlich David Robert Winterfeld; Pseudonym: u. a. David Weber bzw. Rudolf Bertram) war ein deutsch-US-amerikanischer Textdichter, Lyriker, Komponist und Kabarettist. Sein Vorname wird deutsch ausgesprochen, sein Nachname französisch.[1]

Leben

Robert Gilberts Vater war der Kapellmeister und Operettenkomponist Max Winterfeld, der sich mit Künstlernamen Jean Gilbert nannte, seine Mutter Rosa geb. Wagner arbeitete als Modistin, und sein Bruder war der Kinder- und Jugendbuchautor Henry Winterfeld.

Beide Eltern sind in der Geburtsurkunde als „mosaischen Glaubens“ verzeichnet. Robert Gilbert nahm 1913 an einer Einsegnung teil, bei der es sich mutmaßlich um die Bar Mitzwa handelte. Beim Studium in Freiburg gab Gilbert an, evangelisch zu sein. Aus der Jüdischen Gemeinde Berlins trat er am 21. November 1929 aus. Nach Ansicht seiner Tochter Marianne sahen sich Gilbert und seine Frau als Atheisten.[2]

Robert Gilbert wurde im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs 1918 Soldat und kam in Kontakt zu den Spartakisten (Spartakusbund), die das politische Bewusstsein des 19-Jährigen weckten. Von 1919 bis 1921 studierte er u. a. Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin und Freiburg im Breisgau und war aktiv an politischen Demonstrationen und an Wahlkämpfen beteiligt.

Er verfasste, zuerst noch zusammen mit seinem Vater, Operetten, Schwänke, Revuen und Schlager. Im Laufe seines Lebens schrieb er für rund 60 Operetten die Libretti, für rund 100 Tonfilme die Gesangstexte und komponierte als musikalischer Autodidakt zahlreiche Schlager mit eigenen Texten. Als er 24-jährig heiratete, schrieb er für den später als Frederick Loewe bekannt gewordenen Komponisten seinen ersten Schlagertext Kathrin, du hast die schönsten Beine von Berlin.[3] Bald wurde Gilbert auch einer der begehrtesten Texter für die Musikfilme und Komponisten seiner Zeit. Ob nun für die Regisseure und Komponisten Frederick Loewe, Nico Dostal, Hermann Leopoldi, Friedrich Hollaender, Werner Richard Heymann, Fred Raymond, Robert Stolz, Ralph Benatzky und Erik Charell oder für die Schauspieler Lilian Harvey, Willy Fritsch, Heinz Rühmann, Paul Hörbiger, Zarah Leander und Willi Forst, stets waren seine Lieder erfolgreich.

Außerdem verfasste er politische Couplets, wie Die Ballade vom Nigger Jim für Hanns Eisler. Zusammen mit Eisler arbeitete er unter dem Pseudonym David Weber an Arbeiterkampfliedern (Auf den Straßen zu singen, Stempellied, Ballade von der Krüppelgarde, Das Lied eines Arbeitslosen), die auch Ernst Busch in sein Repertoire aufnahm, sowie an einer Oper über die Arbeitslosigkeit 150 Mark. 1929 waren Gilbert und Eisler beim Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) in Baden-Baden mit der Rundfunkkantate Tempo der Zeit vertreten.

Gilbert stand der KPD zumindest nahe, stellte sich aber in den innerparteilichen Auseinandersetzungen auf die Seite der oppositionellen KPD-O bzw. der „Versöhnler“, die er auch finanziell unterstützte.[4] 1931 wurde in Berlin seine Tochter Marianne geboren. Gilbert hatte seiner Frau vor der Geburt immer erklärt, dass er sie verlassen würde, wenn sie ein Kind bekäme. Etwa ein Jahr nach der Geburt verschwand er „zum Zigarettenholen“ aus der gemeinsamen Wohnung und blieb weg. Vier Jahre später kehrte er zu seiner Frau Elisabeth, genannt Elke, und seiner Tochter zurück. Da befanden sie sich schon im Exil.[5]

In der Zeit seiner größten Erfolge wurde er nach der „Machtergreifung“ als Jude im Sinne der nationalsozialistischen Gesetze verfemt und musste wegen der antisemitischen und rassistischen Politik Deutschlands emigrieren. Erste Station seines Exils war Wien, wo er unter Pseudonym noch Texte für Robert Stolz und andere schrieb. Er nannte sich selbst daher „Tarner-Brother“. In den Exil-Blättern Neue Deutsche Blätter und Neue Weltbühne schrieb er unter dem Pseudonym Ohle Gedichte, die teilweise Agitprop-Charakter hatten.[6] Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 musste er weiter und ging nach Paris. Am 25. März 1939 verließ er mit seiner Familie in Cherbourg Frankreich, um in die USA zu fliehen.

Das Leben der Familie im Exil in New York wird in einem Buch von Marianne (Gilbert Finnegan) beschrieben.[7] Insbesondere die Darstellungen der Berliner, Wiener und Pariser Zeit Robert Gilberts in diesem Buch der Tochter basieren nach deren eigener Darstellung auf den in ihrer Kindheit gehörten Familiengeschichten. Sie haben sich als eher unzuverlässig erwiesen.[8] In den USA schrieb Gilbert auch einen Band politischer Lyrik mit dem Titel Meine Reime deine Reime. Berliner, Wiener und andere Gedichte. Eine Reihe dieser Gedichte wurde in den in Deutschland erscheinenden Gedichtbänden erneut publiziert. 1944 nahm Gilbert die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an.

1949 kam Gilbert nach Europa zurück, lebte zunächst in Zürich und in München. Er konnte beruflich fast nahtlos an seine Erfolge vor der Emigration anknüpfen, beispielsweise mit Liedtexten für das Stück Feuerwerk und darin dem Erfolgstitel Oh mein Papa. Zugleich komponierte und dichtete er für das Münchner Kabarett Die Kleine Freiheit, für das auch Erich Kästner tätig war. Die stalinistische KPD sah Gilbert in seinen Texten nicht als erstrebenswerte Opposition an.[9]

Ab Ende der 50er Jahre machte sich Gilbert seine englischen Sprachkenntnisse zunutze und verdiente sich seinen Lebensunterhalt zu einem großen Teil als Übersetzer von insgesamt 20 US-amerikanischen Musicals, darunter My Fair Lady, Oklahoma!, Hello, Dolly!, Cabaret und Annie Get Your Gun.[3] 1961 kam Gilberts Schlager Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehn – 30 Jahre nach seiner Entstehung – als Musik in einem Schlagerfilm in die Hitparaden. Inzwischen hatte er auch endgültig seine Frau Elke verlassen.[10] Beide arbeiteten auch nach der Trennung zeitweilig gemeinsam an Übersetzungen.

1954 wurde Gilbert wieder deutscher Staatsbürger und übersiedelte in den Schweizer Kanton Tessin. Im selben Jahr heiratete er seine zweite Frau Gisela Scholz, mit der er einen Sohn hatte: Stephan (geb. 14. September 1955, gest. 31. August 1989). Gilbert war seit seiner Jugend mit Heinrich Blücher und seit 1938 auch mit dessen späterer Ehefrau, der Philosophin Hannah Arendt, befreundet.[11] Er starb im Alter von 78 Jahren in seinem Haus in Minusio.

Grab Robert Gilberts in Minusio

Werke (Auswahl)

Schlagertexte, Libretti und Kompositionen (Auswahl)

Buchveröffentlichungen (Auswahl)

  • Meine Reime deine Reime. Berliner, Wiener und andere Gedichte. Gedichte. Peter Thomas Fisher, New York 1946.
  • Die Stimme des Mörders. Die Geschichte eines Verbrechens. Kriminalroman. Ibis Verlag u. a., Linz 1947. (verfilmt als Die Stimme des Anderen, 1952)
  • Meckern ist wichtig – nett sein kann jeder. Blanvalet, Berlin 1950. (Neuauflage: arani, Berlin 1982, ISBN 3-7605-8560-4)
  • Vorsicht! Gedichte. Vier lyrische Sektoren. Blanvalet, Berlin 1951.
  • Im Weissen Rössl — Roman von Verliebten und anderen seltsamen Leuten. Blanvalet, Berlin 1953.
  • Frischer Wind aus der Mottenkiste. Blanvalet, Berlin 1960.
  • Odyssee von der Spree. 1967.
  • Durch Berlin fließt immer noch die Spree. Blanvalet, Berlin-Wannsee 1971, ISBN 3-7645-2555-X.
  • Mich hat kein Esel im Galopp verloren — Gedichte aus Zeit und Unzeit. Mit Nachwort v. Hannah Arendt. Piper, München 1972.

Literatur

  • Christian Walther: Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. C. H. Links, Berlin 2019, ISBN 978-3-96289-056-8. (Überarbeitete Fassung der Dissertation, die 2016 im Verlag Peter Lang veröffentlicht wurde.)
  • Hannah Arendt: Robert Gilbert. In: Ursula Ludz (Hrsg.): Menschen in finsteren Zeiten. Piper, München 1989, ISBN 3-492-03360-1, S. 290–297.
  • Joachim Schlör: Leerstelle Berlin 1951. Robert Gilbert und die Folgen dieser heillosen Jahre. In: Nils Grosch, Wolfgang Jansen: Zwischen den Stühlen. Remigration und unterhaltendes Musiktheater in den 1950er Jahren (= Populäre Kultur und Musik. Band 4). Waxmann, Münster 2012, ISBN 978-3-8309-2726-6. (ursprünglich: Symposium der Universität der Künste Berlin 2010 Rezension)

Memoiren:

  • Marianne Gilbert Finnegan: Das gab’s nur einmal: verloren zwischen Berlin und New York. Aus dem Amerikan. v. Renate Orth-Guttmann. Diogenes, Zürich 2007, ISBN 978-3-257-06580-0. (Memoiren der Tochter Robert Gilberts)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Stephan Göritz: Der Liedtexter Robert Gilbert. Rundfunksendung, Deutschlandfunk, 10. Juli 2017. (Online)
  2. Christian Walther: Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Links, Berlin 2019, ISBN 978-3-96289-056-8, S. 313.
  3. a b Biographie
  4. Christian Walther: Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Berlin 2019, S. 36.
  5. Christian Walther: Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Berlin 2019, S. 28.
  6. Christian Walther: Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Berlin 2019, S. 107.
  7. Marianne Gilbert Finnegan Memories of a Mischling und Das gab’s nur einmal. Verloren zwischen Berlin und New York
  8. Christian Walther: Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Links, Berlin 2019.
  9. Christian Walther: Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Berlin 2019, S. 250.
  10. Marie Luise Knott: Deutschland im Dreck, eia weia weg. In: Der Tagesspiegel. 2. Juni 2007.
  11. Brief von Robert Gilbert an Hannah Arendt vom 8. Oktober 1974 (Memento vom 14. Juli 2007 im Internet Archive) Ferner öfters erwähnt in der Arendt-Biographie: Elisabeth Young-Bruehl: H. A. – Leben, Werk und Zeit. Fischer, Frankfurt 1986.
  12. In Liederbestenliste des Vereins deutschsprachige Musik, 2011: Robert Gilbert: Meckern ist wichtig – nett sein kann jeder (Memento vom 26. August 2014 im Internet Archive)