Saša Stanišić

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Sasa Stanisic)
Saša Stanišić (2019)

Saša Stanišić ([saʃa ˈstaniʃit͡ɕ ]; * 7. März 1978 in Višegrad, Jugoslawien) ist ein deutsch-bosnischer[1] Schriftsteller. Er ist unter anderem Träger des Preises der Leipziger Buchmesse (Vor dem Fest, 2014) und des Deutschen Buchpreises (Herkunft, 2019).

Leben und Werk

Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad, einer Kleinstadt im östlichen Bosnien, als Sohn einer bosniakischen Politikprofessorin und eines serbischen Betriebswirts geboren. Nach der Besetzung Višegrads durch bosnisch-serbische Truppen im Rahmen des Bosnienkriegs flüchteten seine Eltern mit ihm im Jahre 1992 zu einem Onkel nach Heidelberg, der dort als Gastarbeiter tätig war. Seine Mutter fand Arbeit in einer Wäscherei, während sein Vater auf dem Bau tätig war; 1998 wanderten die Eltern in die USA aus.[2]

Stanišić wohnte im Heidelberger Stadtteil Emmertsgrund und besuchte die Internationale Gesamtschule Heidelberg, an der sein schriftstellerisches Talent von seinem Deutschlehrer gefördert wurde,[3] und wechselte nach der Vorbereitungsklasse zum Gymnasialzweig. Nach dem Abitur (1997)[4] studierte er an der Universität Heidelberg Deutsch als Fremdsprache und Slawistik. Während des Studiums entstanden immer mehr literarische Texte, und „der Kindheitstraum vom ‚nur Schreiben‘ wurde größer und größer“.[5]

Für seine Magisterarbeit über Wolf Haas wurde Stanišić 2004 der Jürgen-Fritzenschaft-Preis der Universität Heidelberg verliehen.[6] Zum Wintersemester 2004/2005 nahm er ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig auf. 2005 war er mit Was wir im Keller spielen … beim Ingeborg-Bachmann-Preis vertreten.[7] Die autobiographisch gefärbte Erzählung, die den Krieg in Ex-Jugoslawien aus der Sicht eines Kindes Revue passieren lässt, erhielt den Kelag-Publikumspreis. Im Jahr 2005 war er außerdem Teilnehmer einer Schreibwerkstatt im Künstlerhaus Edenkoben; 2018 war er dort Dozent, gemeinsam mit Angelica Ammar.

2006 legte Stanišić mit Wie der Soldat das Grammofon repariert seinen Debütroman vor. In der semiautobiographischen Geschichte, die erneut vor dem Hintergrund des Bosnienkrieges angesiedelt ist, porträtiert der Autor den jungen Bosnier Aleksandar aus Višegrad, der mit seinen Eltern nach Deutschland flieht und sich in der neuen Heimat in eine Welt aus Geschichten und Erinnerungen flüchtet. Für die Recherche stattete die Robert Bosch Stiftung den Autor mit dem Grenzgänger-Stipendium aus.[8] Stanišićs Romanerstling war enorm erfolgreich bei Lesern und Kritikern und wurde in 30 Sprachen übersetzt.[9]

Der als poetisch und komisch zugleich bewertete Roman war 2006 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises vertreten und erhielt 2007 den Förderpreis zum Literaturpreis der Stadt Bremen. Außerdem wurde Wie der Soldat das Grammofon repariert im Jahr seiner Veröffentlichung als Hörspiel vom Bayerischen Rundfunk/Hörspiel und Medienkunst adaptiert und 2007 für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert. 2008 wurde Stanišic mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis,[10] dem Lydia-Eymann-Stipendium und dem Förderpreis zum Heimito von Doderer-Literaturpreis ausgezeichnet.

2006/2007 war Stanišić der Stadtschreiber von Graz. Das Schauspielhaus Graz brachte 2008 die dramatisierte Fassung von Wie der Soldat das Grammofon repariert auf die Bühne.[11] Stanišićs erstes Theaterstück, Go West, wurde im März 2008 uraufgeführt.

Im Jahre 2013 erhielt Stanišić das vierte „Feuergriffel“-Stadtschreiber-Stipendium für Kinder- und Jugendliteratur der Stadt Mannheim. Er gastierte im Turm der Alten Feuerwache Mannheim.[12] Für das Romanmanuskript Anna erhielt er im selben Jahr den Alfred-Döblin-Preis[13] und für Frau Kranz malt ein Bild von Hier den Hohenemser Literaturpreis.

Dankesrede von Saša Stanišić anlässlich der Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse 2014

2014 wurde Stanišić mit dem Preis der Leipziger Buchmesse (Kategorie: Belletristik) für den zweiten Roman Vor dem Fest geehrt.[14] Im selben Jahr wurde er für den Deutschen Buchpreis nominiert (Longlist). 2016 erhielt er den Rheingau Literatur Preis für den Erzählungsband Fallensteller und 2017 den Schubart-Literaturpreis.[15]

Bei den Hamburger Abiturprüfungen 2019 wurden als Aufgabe Fragen zum Roman Vor dem Fest im Unterrichtsfach Deutsch gestellt. Nach eigenen Angaben nahm Stanišić unter einem Frauennamen[16] an der Prüfung teil und erhielt für die Aufgaben, bei denen unter anderem im Sinne des Autors ein weiteres Kapitel hinzugefügt und das Buch literaturwissenschaftlich eingeordnet werden sollte, 13 von 15 möglichen Punkten.[17][18]

2019 erhielt Stanišić von der Hochschule RheinMain und der Landeshauptstadt Wiesbaden eine Poetikdozentur.[19]

Ebenfalls 2019 wurde er für den autobiografisch gefärbten Roman Herkunft mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Die Jury lobte Stanišić als fantasievollen und witzigen Erzähler: „Unter jedem Satz dieses Romans wartet die unverfügbare Herkunft, die gleichzeitig der Antrieb des Erzählens ist […] Mit viel Witz setzt er den Narrativen der Geschichtsklitterer seine eigenen Geschichten entgegen.“[20] In der Dankesrede kritisierte Stanišić die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke. Unter anderem sagte er: „Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt.“[21] Der österreichische Autor hatte sich im Zusammenhang der Jugoslawienkriege wiederholt auf die Seite der Serben gestellt.[22][23]

Seit 2015 ist Stanišić Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg.[24] Von 2015[25][26] bis 2022[27] war er Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.

Er war auf Vorschlag der Grünen-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg Mitglied der 17. Bundesversammlung.[28]

Saša Stanišić ist Vater eines Sohnes. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg-Altona. Seit 2013 ist Stanišić deutscher Staatsbürger.[2]

Einzeltitel

Romane, Erzählungen

  • 2006: Wie der Soldat das Grammofon repariert. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München, ISBN 3-630-87242-5.
  • 2014: Vor dem Fest. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München, ISBN 978-3-630-87243-8.
  • 2016: Fallensteller. Erzählungen. Luchterhand Literaturverlag, München, ISBN 978-3-630-87471-5.
  • 2019: Herkunft. Luchterhand Literaturverlag, München, ISBN 978-3-630-87473-9.

Kinderbücher

  • 2021: Hey, hey, hey, Taxi! Kinderbuch. Illustriert von Katja Spitzer. mairisch Verlag, Hamburg, ISBN 978-3-948722-05-0.[29] (Hörbuchausgabe: ISBN 978-3-948722-06-7)
  • 2021: Panda-Pand. Kinderbuch. Illustriert von Günther Jakobs. Carlsen Verlag, Hamburg, ISBN 978-3-551-52180-4. (Hörbuchausgabe: ISBN 978-3-7456-0312-5)

Hörspiele

Fantasy

  • 2002: Aus den Quellen des Harotrud. Der Reigen der fünf Schwestern. Zwei DSA-Abenteuer aus der Reihe Das schwarze Auge – Fluch vergangener Zeiten. ISBN 3-89064-379-5 (gemeinsam mit Stephanie von Ribbeck)

Beiträge in Zeitschriften und Anthologien

Erzählungen

  • 2001: In Silence I Trust. In: Krachkultur 9/2001
  • 2002: Zinke, in. 20 unter 30. Junge deutsche Autoren, hrsg. von Martin Brinkmann und Werner Löcher-Lawrence, DVA 2002
  • 2002: get done: strippen, kajal
  • 2003: Heinz Harald Frentzen hat Schnupfen
  • 2005: Träum! Traum, Traumata
  • 2005: Äcki spielt auf für die Jungs und Petra, den Funker
  • 2005: Was wir im Keller spielen …
  • 2005: Zwei Anweisungen für Strukturstabilität, jeweils mit Beispielen, dazu zwei kleinere Erledigungen
  • 2005: Zinke rennt. In: Unter Aves' Schwingen, Fanpro, Erkrath

Essays

  • 2005: Doppelpunktnomade

Auszeichnungen

Literatur

  • Anna Weidenholzer: Aspekte und Möglichkeiten einer interkulturellen Literatur aus Bosnien-Herzegowina am Beispiel von Saša Stanišić, Alma Hadžibeganović und Aleksandar Hemon. Diplomarbeit, Universität Wien. Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät, 2008.
  • Karin Janker: Saša Stanišić über Erinnerung. Interview, in: Süddeutsche Zeitung, 15. Juni 2019, S. 56.
  • Theo Breuer: Zwanzig Tage – Zwanzig Romane : Ein Buchspiel. In: Matrix. Zeitschrift für Literatur und Kunst, 58. Ausgabe, Pop Verlag, Ludwigsburg 2019, S. 7–167.

Weblinks

Commons: Saša Stanišić – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Stuart Evers: Where You Come From by Saša Stanišić review – memory in the wake of war. In: theguardian.com. 9. November 2021, abgerufen am 10. November 2021 (englisch).
  2. a b Saša Stanišić. In: Internationales Biographisches Archiv 30/2019 vom 23. Juli 2019 (abgerufen via Munzinger Online).
  3. Tina Gerhäusser: Deutschsprachig, ungebunden, jung … sucht Herausgeber. In: Deutschlandfunk. 10. November 2005, abgerufen am 18. Oktober 2019.
  4. Artikel Die IGH gratuliert Saša Stanišić zur Nominierung für den Deutschen Buchpreis bei igh.hd.bw.schule.de (Memento vom 22. März 2014 im Internet Archive)
  5. „Blockaden kenne ich nicht, nur langes Nachdenken“, abgerufen am 7. August 2015
  6. Oi Lin Lian und Sasa Stanisic ausgezeichnet. In: uni-protokolle.de. 25. Juni 2004, abgerufen am 15. Oktober 2019.
  7. archiv.bachmannpreis.orf.at
  8. a b Robert Bosch Stiftung, Grenzgänger Europa und seine Nachbarn
  9. Wie der Soldat das Grammofon repariert. Penguin Random House Verlagsgruppe, abgerufen am 18. Oktober 2021 (Website des Verlags).
  10. a b Pressemitteilung der Robert Bosch-Stiftung, 12. Oktober 2007 (Memento vom 16. Juni 2008 im Internet Archive)
  11. Spielplan, Schauspiel Graz 2007/08 (Memento vom 28. September 2007 im Internet Archive)
  12. Stadt Mannheim Pressemeldung vom 16. Januar 2013, abgerufen am 17. Januar 2013.
  13. a b Alfred-Döblin-Preis 2013 an Sasa Stanisic. In: Börsenblatt. 6. Mai 2013, abgerufen am 15. Oktober 2019.
  14. Meldung auf lvz-online.de (Memento vom 14. März 2014 im Internet Archive), abgerufen am 13. März 2014.
  15. a b Stadt Aalen: Schubart-Literaturpreis 2017 wird an Saša Stanišić verliehen. (Nicht mehr online verfügbar.) Stadt Aalen, 24. Februar 2017, archiviert vom Original am 25. Februar 2017; abgerufen am 25. Februar 2017.
  16. Schriftsteller, 41, schreibt heimlich Deutsch-Abi – über eigenen Roman. Spiegel Online, 26. Juni 2019, abgerufen am 11. Oktober 2019.
  17. Erfolgsautor: Saša Stanišić schreibt heimlich Deutsch-Abitur – zum eigenen Roman. mdr.de, 26. Juni 2019, abgerufen am 29. Juli 2019.
  18. Vgl. den vollständigen Text des Abituraufsatzes: Saša Stanišić: Experiment: Abitur über meinen Roman "Vor dem Fest". In: Zeitschrift für Germanistik XXXII (2022), H. 1, S. 199–205.
  19. „Lehrauftrag“ für Saša Stanišic. In: Wiesbaden lebt. 3. September 2019, abgerufen am 3. September 2019 (deutsch).
  20. Saša Stanišić erhält den Deutschen Buchpreis 2019. In: deutscher-buchpreis.de (PDF-Datei; abgerufen am 14. Oktober 2019).
  21. Schwedische Akademie verteidigt Nobelpreis für Handke. In: Tagesspiegel.de. 17. Oktober 2019, abgerufen am 20. Oktober 2019.
  22. Stanišić erhält Deutschen Buchpreis. In: tagesschau.de, 14. Oktober 2019 (abgerufen am 14. Oktober 2019).
  23. Sasa Stanisic zu Handke: „Erschüttert, dass sowas prämiert wird“. Dankesrede des neuen Trägers des Deutschen Buchpreises, Sasa Stanisic, im Wortlaut. In: orf.at. 14. Oktober 2019, abgerufen am 15. Oktober 2019.
  24. Akademie der Künste Hamburg/Mitglieder Abgerufen am 2. Juni 2016.
  25. Schillerpreis für Saša Stanišić. Abgerufen am 30. August 2022.
  26. PEN Deutschland – Mitglieder. In: pen-deutschland.de. Archiviert vom Original am 2. Juni 2016; abgerufen am 30. August 2022 (In der Mitgliederliste seit ca. Juni 2016 aufgeführt).
  27. PEN Deutschland – Mitglieder. In: pen-deutschland.de. Archiviert vom Original am 15. Juli 2022; abgerufen am 30. August 2022 (In der Version vom Mai war er noch Mitglied, in der Version Juli 2022 nicht mehr aufgeführt).
  28. Volker Müller: Deutscher Bundestag - Von den Landesparlamenten entsandte Mitglieder der Bundesversammlung,... Abgerufen am 14. Februar 2022.
  29. Süddeutsche Zeitung: Blinzelich! Elasnesk! Abgerufen am 10. April 2022.
  30. Saša Stanišić ist der neue Stadtschreiber | Mannheim.de. Abgerufen am 7. Mai 2021.
  31. Gymnasium Weilheim i. OB: Literaturpreis. Abgerufen am 1. August 2021.
  32. Schillerpreis für Saša Stanišić, boersenblatt.net, erschienen und abgerufen am 6. Mai 2021.
  33. Winnaar Europese Literatuurprijs 2021. In: Europese Literatuurprijs. Nederlands Letterenfonds, 2021, abgerufen am 1. September 2021 (niederländisch).