Senatus consultum Velleianum

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Das Senatus consultum Velleianum ist ein auf Antrag eines eponymen (namengebenden) Konsuls Mitte des ersten Jahrhunderts, wohl 46 n. Chr., ergangener Beschluss des römischen Senats. Durch ihn wurden die Gerichte angehalten, gegen Frauen gerichtete Ansprüche nicht zur Verhandlung zuzulassen, wenn diese aus Verbindlichkeiten herrührten, die der Absicherung von gegen Männer gerichteten Forderungen (zumeist Ehemänner) dienten (pro aliis reas fieri). Typischerweise lagen Interzessionen aus Darlehen (mutuum) oder Bürgschaft (sponsio, später fideiussio) zugrunde.

Der vellejanische Senatsbeschluss diente dem geschlechtsspezifischen Schutz der Frau. Ohne das senatorische Verbot hätte sich der Beklagte unterschiedlichen Rückforderungsansprüchen ausgesetzt gesehen, je nachdem ob der Geldbetrag bestimmt oder nur bestimmbar war.[1] Geltend gemacht wurde die Undurchsetzbarkeit der Forderung mittels haftungsausschließender Einrede; zwar war das Interzessionsgeschäft der Frau nach ius civile gültig, aber vollständig entkräftbar.

Geschichte

Das Interzessionsverbot beschäftigte bereits die Kaiser Augustus und Claudius[2], die per Edikt schon Maßnahmen verfügten.[3] Sie sollten Frauen vor Nachteilen im Geschäftsverkehr bewahren, vornehmlich ging man allerdings davon aus, dass Finanzgeschäfte Männersache seien.[3] Der darauf folgende, ursprüngliche Senatsbeschluss muss dann sehr fadenscheinig und unverbindlich formuliert gewesen sein, denn Fritz Schulz würdigte ihn in einem englischsprachigen Kontext als „superficial and clumsily worded enactment“ (übersetzt: „oberflächliche und ungeschickt formulierte Verordnung“). Seiner Auffassung nach enthielt der Beschluss bestenfalls den Charakter einer Absichtserklärung.[4] Das änderte sich in den Folgejahren allerdings, denn es wurden Konturen für den Beschluss geschaffen, was auch den anfänglichen Streit befriedete, ob Senatskonsulte, neben den überragend bedeutsamen leges, überhaupt durchsetzbare Maßregeln erfassen könnten.[5] Nach heutigem Verständnis umfasste das Verbot nicht nur die geschützten „Verpflichtungen“ aus Bürgschaft und Darlehenskredit, sondern alle Formen eines Schuldbeitritts oder einer Schuldübernahme. Unerheblich war zudem, ob eine derartige Schuld in eigener Sache oder zugunsten eines Dritten (intercedere pro aliis) übernommen wurde.[6]

Nahezu zeitgleich erging ein weiteres Verbot, das sich an die Haussöhne des pater familias richtete, das so genannte Senatus consultum Macedonianum.[7] Die Anordnung gegenüber Haussöhnen schloss den Kreis der Schutzregeln zugunsten des Umfeldes der patria potestas.[8][9] Bereits im antiken Rom wurde das Verbot der heute so genannten unbenannten Zuwendung, das ist eine Schenkung unter Ehegatten, sehr ernst genommen.[10]

Kompliziert wurden die Interzessionsregelungen dann unter Justinian während der Spätantike.[11] Er ordnete an, dass Frauen generell keine Haftung mehr für den Mann übernehmen durften, sofern nicht ausnahmsweise ein Befreiungsvorbehalt vorlag.[6] Solche Befreiungstatbestände konnten mittels öffentlicher Urkunde schriftlich erbracht werden. Sie dienten dem Nachweis übereinstimmender Zeugenerklärungen.[12] Anfänglich nichtige Interzessionen konnten geheilt werden. Dazu wurde das Rechtsgeschäft einfach schriftlich wiederholt.[13] Zugunsten des eigenen Ehemannes nutzte das im Geschäftsverkehr freilich nichts, denn in dieser Rechtsbeziehung blieben alle Geschäfte grundsätzlich absolut nichtig.[14]

Interzessionen von Frauen waren auch während des Mittelalters und während der frühen Neuzeit unklagbar.[15] Um dieses Abwehrrecht rechtssicher herleiten zu können, wurde auf die justinianischen Novellae (Authenticum) zurückgegriffen, diese Bestandteil des später so genannten Corpus Iuris Civilis. Darin war ein Erlass zur Ehefrauengesetzgebung enthalten,[16] der mit dem leicht abweichenden ursprünglichen Senatsbeschluss vermischt und angewendet wurde. Konnten eidliche Bekräftigungen vorgebracht werden, oder standen die Frauen als Kauffrauen im Geschäftsleben, konnte die Unwirksamkeit der Interzessionsregeln aufgrund handelsrechtlicher Aspekte ausnahmsweise durchbrochen werden.[17]

Die während der Neuzeit ergangenen Kodifikationen hoben das velleianische Interzessionsverbot in Teilen auf oder schwächten es zumindest deutlich ab, denn es wurden besondere Formzwänge beziehungsweise Ergänzungspflegschaften eingeführt. Wurden diese Formvorschriften eingehalten, waren die zugrunde liegenden Geschäfte auch vollwirksam.[18]

Ende des 19. Jahrhunderts griffen die Gesetzesväter anlässlich der Beratungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) auf einen Beschluss des im Jahr 1861 abgehaltenen zweiten deutschen Juristentages zurück und hoben in Bezug auf Frauenbürgschaften die noch bestehenden Einschränkungen zur Geschäftsfähigkeit auf. Im Jahr 1988 wurde auch im schweizerischen Zivilgesetzbuch der Vorbehalt der Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes bei Verpflichtungsgeschäften der Ehefrau gegenüber Dritten und zugunsten des Mannes aufgehoben. In Südafrika erlebte das Senatus Consultum Velleianum 1971 sein Ende.[19]

Bundesverfassungsgericht zu Angehörigenbürgschaften

Die Rechtsprechung zur Angehörigenbürgschaft steht noch heute im Kontext zum traditionellen Senatus Consultum Velleianum. Eine markante Spur legte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahr 1993, als es die Instanzen der Zivilgerichtsbarkeit mit seinem Bürgschafts-Beschluss anwies, Rechtsgeschäfte dieses Bürgschaftstyps zukünftig eingehender zu prüfen.[20]

Das Verfassungsorgan beanstandete, dass es in einer Vielzahl von Fällen eine (eklatante) strukturelle Unterlegenheit der Bürgin ausmachen musste, dieser Umstand im Prozessweg aber nicht hinreichende Beachtung fand. Das BVerfG kam zu der Erkenntnis, dass diese Unterlegenheit vornehmlich auf die Unerfahrenheit der Einstehenden in Kredit- und Finanzgeschäften zurückzuführen war, was zur Folge hatte, dass sie die Bedeutung und Tragweite derartiger Geschäfte nicht erfassten und sich mit ihrer Bindung wirtschaftlich überforderten.[21] Seit diesem Gerichtsbeschluss sehen sich die Zivilgerichte dazu angehalten, verdächtige Geschäfte auf Anhaltspunkte für eine rechtsversagende Sittenwidrigkeit zu überprüfen. Maßstab dafür ist § 138 BGB. Die Rechtsprechung betreibt mittlerweile gar spezifische Interzessionskontrolle und unterteilt die Sachverhalte dabei in Fallgruppen (vergleiche insoweit die neuere Rechtsprechung im Bürgschaftsrecht und die sittenwidrige Ehegattenbürgschaft).

Literatur

  • Wolfgang Ernst: Interzession. Vom Verbot der Fraueninterzession über die Sittenwidrigkeit von Angehörigenbürgschaften zum Schutz des Verbrauchers als Interzedeneten. In: Reinhard Zimmermann, Rolf Knütel, Jens Peter Meincke (Hrsg.): Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik. C. F. Müller, Heidelberg 1999, ISBN 3-8114-9915-7, S. 395–430, hier 397 f.
  • Berthold Kupisch: Die römische Frau im Geschäftsleben. Ein Anweisungsbeispiel: Ulpian, Julian, Marcellus D.16,1,8,2. In: Ulrich Hübner, Werner F. Ebke (Hrsg.): Festschrift für Bernhard Großfeld zum 65. Geburtstag. Verlag Recht und Wirtschaft, Heidelberg 1999, ISBN 3-8005-1207-6, S. 659–670.
  • Dieter Medicus: Zur Geschichte des Senatus Consultum Velleianum (= Forschungen zum römischen Recht. 8, ZDB-ID 503908-3). Böhlau, Graz u. a. 1957, (Zugleich: Münster, Universität, Dissertation, 1956).
  • Ulrike Mönnich: Frauenschutz vor riskanten Geschäften. Interzessionsverbote nach dem Velleianischen Senatsbeschluß (= Dissertationen zur Rechtsgeschichte. 10). Böhlau, Köln u. a. 1999, ISBN 3-412-14598-X (Zugleich: Universität, Dissertation, Köln 1998, unter dem Titel Das Senatus Consultum Velleianum.).
  • Heinrich Vogt: Studien zum senatus consultum Velleianum. Röhrscheid, Bonn 1952.
  • Reinhard Zimmermann: The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition. Juta, Kapstadt u. a. 1990, ISBN 0-7021-2347-1, S. 145 ff.

Anmerkungen

  1. Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht (= Böhlau-Studien-Bücher.) Böhlau, Wien u. a. 1981, ISBN 3-205-07171-9, S. 291–296.
  2. Ulpian, Digesten 16, 1, 2 pr.
  3. a b Handbuch der Altertumswissenschaft – X. Rechtsgeschichte des Altertums. 10,3,3. Max Kaser: Das römische Privatrecht. Verlag C. H. Beck, München 1955. S. 558 f.
  4. Fritz Schulz: Classical Roman Law. Clarendon Press, Oxford 1951, S. 569.
  5. Grundsätzlich zum Rechtsquellenverhältnis in Kurzausführung: Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. in: Forschungen zum Römischen Recht Band 36. Verlag Böhlau, Wien, Köln, Graz, 1986. ISBN 3-205-05001-0. S. 16 f. (unter Verweis auf Quellen der Hoch- und Spätklassiker Gaius und Ulpian).
  6. a b Wolfgang Ernst: Interzession. Vom Verbot der Fraueninterzession über die Sittenwidrigkeit von Angehörigenbürgschaften zum Schutz des Verbrauchers als Interzedenten. In: Reinhard Zimmermann u. a. (Hrsg.): Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik. 1999, S. 395–430, hier 397 f.
  7. Gustav Dietzel: Das Senatus consultum Macedonianum. Eine civilistische Monographie. Hirzel, Leipzig 1856, (Digitalisat).
  8. Digesten 14, 6; Codex Iustinianus 4, 28.
  9. Hans Hermann Seiler: Familia und Familienrecht oder: Familienrecht ohne Familie? – Eine rechtshistorische Betrachtung. In: Hans Hermann Seiler: Geschichte und Gegenwart im Zivilrecht. Ausgewählte Schriften. Herausgegeben von Elke Herrmann. Heymann, Köln u. a. 2004, ISBN 3-452-25387-2, S. 217–228, hier S. 219.
  10. Digesten 24, 1; Codex Iustinianus 5, 3 und 16.
  11. Hans Kreller: Das Verbot der Fraueninterzession von Augustus bis Justinian. In: Anzeiger der Philosophisch-Historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 1956, Nr. 1, S. 1–11, hier S. 10 f.; Max Kaser: Das römische Privatrecht. Abschnitt 2: Die nachklassischen Entwicklungen (= Handbuch der Altertumswissenschaft. Abt. 10: Rechtsgeschichte des Altertums. Teil 3, Bd. 3). 2., neu bearbeitete Auflage mit Nachträgen zum 1. Abschnitt. Beck, München 1975, ISBN 3-406-01429-1, S. 461 ff.
  12. Codex Iustinianus 4,29,23,2 (anno 530).
  13. Codex Iustinianus 4,29,22 (anno 530).
  14. Novellae 134,8.
  15. Wilhelm Girtanner: Die Bürgschaft nach gemeinem Civilrechte. Historisch-dogmatisch dargestellt. Abteilung 1: Historische Abteilung. Buch 2: Dogmengeschichte des Mittelalters und der neueren Zeit. Hochhausen, Jena 1850, S. 258 ff.; Helmut Coing: Europäisches Privatrecht. Band 1: Älteres gemeines Recht. (1500–1800). Beck, München 1985, ISBN 3-406-30306-4, S. 198 mit weiteren Nachweisen; Oskar Lehner: Senatus Consultum Velleianum – Die Wiederkehr einer antiken Rechtsfigur im frühneuzeitlichen österreichischen Recht. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung. Bd. 105, 1988, S. 270–288, hier S. 277 ff.
  16. Authentica si qua mulier (Codex ad Senatus Consultum Velleianum)
  17. Bernhard Windscheid: Lehrbuch des Pandektenrechts. Band 2. 9. Auflage, unter vergleichender Darstellung des deutschen bürgerlichen Rechts, bearbeitet von Theodor Kipp. Rütten & Loenig, Frankfurt am Main 1906, S. 1127 ff.; Matthias Kordes: Von der "Ansprache" zum "Libellus actionis". Köln und die Rezeption des Römischen Rechts an der Wende des Spätmittelalters zur Frühen Neuzeit (1450–1550). In: Rheinische Vierteljahrsblätter 66 (2002), S. 211–239 (besonders S. 224 ff.).
  18. Werner Schubert (Hrsg.): Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches. (Teil 4): Gottlieb Planck: Familienrecht. Band 1: Eingehung und Wirkungen der Ehe, Eheverträge. Unveränderter photomechanischer Nachdruck der als Manuskript vervielfältigten Ausgabe aus den Jahren 1876–1883. de Gruyter, Berlin u. a. 1983, S. 425.
  19. Reinhard Zimmermann: The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition. 1990, S. 145 ff. (151).
  20. BVerfGE 89, 214 = NJW 1994,36. (= Beschluss vom 19. Oktober 1993).
  21. Helmut Heinrichs in Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch (= Beck'sche Kurz-Kommentare. 7). 59., neubearbeitete Auflage. Beck, München 2000, ISBN 3-406-45570-0, § 138, Rn. 37 ff.; Dieter Medicus: Die Bedeutung von Erwartungen des Gläubigers beim Abschluss der Bürgschaft. In: Bernhard Großfeld, Rolf Sack, Thomas M. J. Möllers, Josef Drexl, Andreas Heinemann (Hrsg.): Festschrift für Wolfgang Fikentscher zum 70. Geburtstag. Mohr Siebeck, Tübingen 1998, ISBN 3-16-146704-3, S. 265–282.