Sozialverträgliches Frühableben
Sozialverträgliches Frühableben war das Unwort des Jahres 1998 in Deutschland. Damals anlässlich der Gesundheitsreform projektierte weitere Einsparungen führten zu Leistungen- und Qualitätskürzungen, die auch Altgewordene in ihrem letzten Lebensjahrzehnt, wenn die meisten Leistungen der Gesundheitssolidargemeinschaft nötig werden, trafen.
Der Bremer Chirurg und Ärztekammerpräsident Karsten Vilmar verwendete den Begriff in einem Radiointerview mit dem NDR. Das Thema war die Gesundheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung, die weitere Einsparungen plante, um steigende Kosten zu begrenzen.
Geänderte Entgeltsysteme (diagnosebezogene Fallgruppen) verringerten z. B. erheblich die Liegezeiten und die Anzahl der Krankenhäuser. Die vorzeitige Entlassung verlagert Kosten in die auch zeitlich begrenzte Anschlussheilbehandlung und verkürzt diese zum Nachteil der Kranken.
Vilmar sagte wörtlich: „Dann müssen die Patienten mit weniger Leistung zufrieden sein, und wir müssen insgesamt überlegen, ob diese Zählebigkeit anhalten kann, oder ob wir das sozialverträgliche Frühableben fördern müssen.“ Auf die Nachfrage, ob die Pläne der Regierung zu einem früheren Tod von Patienten führen würden, meinte Vilmar: „Wird diese Reform so fortgesetzt, dann wird das die zwangsläufige Folge sein.“
Die Empörung über die Verwendung dieses Begriffes war groß. Während manche, wie der Journalist Peter Dittmar, in Vilmars Aussage Ironie erkannten,[1] sahen andere eine zynische Begriffsbildung[2] und hielten diese in Erinnerung an die nationalsozialistischen Krankenmorde für unangemessen.
Weblinks
- Sprachkritische Aktion (abgerufen am 1. Oktober 2015)
- Die Welt (abgerufen am 1. Oktober 2015)
- Wenn Junge aus der Hüfte schießen (abgerufen am 1. Oktober 2015)
Einzelnachweise
- ↑ Peter Dittmar: "Sozialverträgliches Frühableben". In: Die Welt. 27. Januar 1999, abgerufen am 16. Oktober 2021.
- ↑ Unwort des Jahres 1998. Abgerufen am 16. Oktober 2021: „Hier schlägt Ironie und Satire endgültig in blanken Zynismus um, der eines Sprechers der Ärzteschaft unwürdig ist, zumal deutsche Ärzte bereits am Ende des 2. Weltkriegs vorzeitiges Sterben nach Therapie- und Medikamentenentzug als »Frühableben« umschrieben hatten.“