Supersymmetrie

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Die Supersymmetrie (SUSY) ist eine hypothetische Symmetrie der Teilchenphysik, die Bosonen (Teilchen mit ganzzahligem Spin) und Fermionen (Teilchen mit halbzahligem Spin) ineinander umwandelt. Dabei werden Teilchen, die sich unter einer SUSY-Transformation ineinander umwandeln, Superpartner genannt.

Aufgrund ihres Potenzials, offene Fragen der Teilchen- und Astrophysik zu beantworten, sind supersymmetrische Theorien insbesondere in der theoretischen Physik sehr populär. Die meisten Großen vereinheitlichten Theorien und Superstringtheorien sind supersymmetrisch. Die minimal mögliche, mit bisherigen Erkenntnissen kompatible Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik (SM), das Minimale supersymmetrische Standardmodell (MSSM), ist der experimentell meistuntersuchte Kandidat für Physik jenseits des Standardmodells (BSM-Physik).

Allerdings konnte trotz vielversprechender theoretischer Argumente bisher kein experimenteller Nachweis erbracht werden, dass Supersymmetrie tatsächlich in der Natur existiert – insbesondere wurden noch keine Superpartner bekannter Teilchen beobachtet. Das bedeutet, dass diese Symmetrie, wenn sie existiert, gebrochen ist. Der Brechungsmechanismus und die Energie, ab der die Symmetrie gelten würde, sind unbekannt.

Formulierungsgeschichte: Wess-Zumino-Modell und MSSM

1966 arbeitete erstmals Hironari Miyazawa an einer Baryon-Meson-Symmetrie, doch wurde dies kaum beachtet. Als eigentliche Begründer der Supersymmetrie gelten 1971 Juri A. Golfand und sein Student Jewgeni Lichtman (Evgeni Likhtman) in Moskau und unabhängig D. V. Volkov und Wladimir Akulow in Charkiw/Charkow mit einer etwas späteren Veröffentlichung. Beide behandelten Supersymmetrie in der vierdimensionalen Raumzeit. Etwa um die gleiche Zeit wurde im Rahmen von Stringtheorien Supersymmetrie (zunächst nur auf der zweidimensionalen String-Weltfläche) von Jean-Loup Gervais, Bunji Sakita, André Neveu, John Schwarz und Pierre Ramond eingeführt.

Im Westen wurden die sowjetischen Beiträge kaum rezipiert und die Supersymmetrie erhielt im Rahmen eines Modells der Teilchenphysik erst 1974 größere Aufmerksamkeit durch die unabhängige Arbeit von Julius Wess und Bruno Zumino.[1] Dieses unter dem Namen Wess-Zumino-Modell bekannte Modell beschreibt zwei skalare Bosonen, die mit sich selbst und mit einem chiralen Fermion wechselwirken. Das Wess-Zumino-Modell ist zwar kein realistisches Modell für die Teilchenphysik, aber wegen seiner Einfachheit beliebt, an dem sich Eigenschaften supersymmetrischer Feldtheorien untersuchen ließen.

Ein erstes realistisches supersymmetrisches Modell für die Teilchenphysik schlugen 1981 Howard Georgi und Savas Dimopoulos vor, das Minimale Supersymmetrische Standardmodell (MSSM). Es machte Vorhersagen für die Massen der Superpartner der gewöhnlichen Teilchen des Standardmodells im Bereich von 100 GeV/c² bis 1 TeV/c², Das lag im Energiebereich des 2009 in Betrieb gegangenen Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC). Die Hoffnungen erfüllten sich allerdings nicht,[2] diskutiert werden aber noch Erweiterungen des MSSM mit höherer Komplexität.

Generelle Eigenschaften

Supersymmetriealgebra

Die Supersymmetrietransformationen, die Fermionen und Bosonen ineinander umwandeln, erweitern die Raumzeitsymmetrie, die Poincaré-Gruppe.

Sidney Coleman und Jeffrey Mandula zeigten 1967 unter, wie es schien, allgemein gültigen Bedingungen, dass – außer den Erzeugenden der Poincaré-Gruppe – alle Erzeugenden von physikalisch relevanten Symmetrien unter Poincaré-Transformationen invariant sein müssen, dass also jede größere Symmetrie eines physikalischen Modells eine Produktgruppe der Poincaré-Gruppe mit einer Gruppe sein müsse, die nichts mit der Raumzeit zu tun hat (Coleman-Mandula-Theorem).[3]

Nachdem aber Wess und Zumino 1974 gezeigt hatten, dass es auch fermionische Erzeugende von Symmetrien geben kann, die sich wie Teilchen mit Spin 1/2 bei Drehungen ändern und die von Coleman und Mandula nicht bedacht worden waren, klassifizierten 1975 Rudolf Haag, Jan Łopuszański und Martin Sohnius die möglichen Symmetriealgebren mit bosonischen und fermionischen Erzeugenden (Haag-Łopuszański-Sohnius-Theorem).[4]

Die einfachste supersymmetrische Erweiterung der Poincarégruppe ist im Wess-Zumino-Modell realisiert und erweitert sie um zwei Weyl-Spinoren . Die relevanten Kommutator- und Antikommutatorrelationen sind

Dabei bezeichnen die Pauli-Matrizen und den Viererimpuls.

Schleifenkorrekturen

Korrekturbeiträge zur Higgsmasse. Die quadratische Divergenz der Fermionenschleife im oberen Diagramm wird durch das untere Diagramm eines skalaren Superpartners kompensiert.

Die Existenz zusätzlicher Elementarteilchen liefert zusätzliche Beiträge zu den Schleifenkorrekturen für beobachtbare physikalische Parameter. Besitzen Superpartner außer dem Spin exakt gleiche Quantenzahlen, so sind die Schleifenkorrekturen identisch im Betrag, unterscheiden sich jedoch (aufgrund des unterschiedlichen Spins) im Vorzeichen: die Korrekturen addieren sich zu Null.

In gebrochenen, insbesondere spontan gebrochenen SUSY-Modellen addieren sich die Korrekturen nicht notwendigerweise zu Null, liefern aber oft vergleichsweise kleinere Effekte.

Die (teilweise) Kompensation der Schleifenkorrekturen durch Superpartner hat zwei Effekte, die stark zur Attraktivität supersymmetrischer Ansätze beigetragen haben:

  • Supersymmetrie bietet eine Möglichkeit zur Lösung des Natürlichkeitsproblems (engl. Naturalness problem oder fine-tuning problem). Dieses Problem besteht darin, dass mit der Energieskala quadratisch divergente Schleifendiagramme zu störend großen Korrekturbeiträgen zur renormierten Masse des Higgs-Bosons führen. Zu jedem quadratisch divergenten Korrekturterm könnte nun ein äquivalenter Term des jeweiligen Superpartners mit entgegengesetztem Vorzeichen existieren, die problematischen Korrekturen würden sich zu Null addieren.
  • In spontan oder nicht gebrochenen SUSY-Theorien ist im Gegensatz zum Standardmodell der Erwartungswert der Energiedichte im feldfreien Raum endlich. Somit scheint es einfacher, die Gravitation, für deren Feld die Energiedichte die Quelle ist, in ein quantentheoretisches Modell einzubeziehen (s. u. Supergravitation).

Dunkle Materie

Um nicht in Widerspruch zu experimentellen Ergebnissen zu geraten, muss man annehmen, dass Zerfallsprozesse von Superpartnern in Standardmodellteilchen (ohne einen weiteren Superpartner als Zerfallsprodukt) stark unterdrückt oder unmöglich sind (R-Paritätserhaltung). Dadurch ist das leichteste supersymmetrische Partnerteilchen (LSP) praktisch stabil. Da nach aktuellen kosmologischen Modellen in den Frühphasen des Universums Teilchen beliebiger Masse erzeugt werden konnten, stellt ein elektrisch neutrales LSP – etwa das leichteste Neutralino – einen Kandidaten für die Erklärung Dunkler Materie dar.[5]

Ausgewählte Aspekte

MSSM: Minimales Supersymmetrisches Standardmodell

Das MSSM ist die im Sinne der Teilchenzahl kleinste Möglichkeit, ein realistisches supersymmetrisches Teilchenphysikmodell aufzubauen. Das MSSM erweitert das Standardmodell um ein zusätzliches Higgs-Dublett und um SUSY-Partnerteilchen für alle Teilchen des Modells. Dabei wird kein expliziter Mechanismus angegeben, der begründet, warum die neuen Teilchen andere Massen besitzen als ihre Standardmodellpartner. Stattdessen werden alle supersymmetriebrechenden Terme, die renormierbar, eichinvariant und R-paritätserhaltend sind, explizit mit zunächst unbekannten Kopplungskonstanten in das Modell aufgenommen.

Vereinheitlichte Theorien

Kopplungskonstanten der Grundkräfte (s: starke, w: schwache, em: elektromagnetische Wechselwirkung) als Funktion der Energie , sie treffen im Standardmodell nur „fast“ zusammen. Die Gravitation ist mit g bezeichnet.

Die Existenz der neuen Teilchen ab einer Masse von 100 bis 1000 GeV beeinflusst das Running, d. h. die Energieabhängigkeit der Parameter („Kopplungskonstanten“), die die Stärke der drei im Standardmodell vorkommenden Wechselwirkungen charakterisieren, so dass sie sich bei extrem hohen Energien von  GeV einem gemeinsamen Wert nähern. Im Standardmodell treffen sie nur fast an einem Punkt zusammen, während supersymmetrische Theorien einen sehr viel genaueren „Vereinigungspunkt“ liefern.[6] Dies wird manchmal als ein Hinweis auf vereinheitlichte Theorien interpretiert, in denen die drei Wechselwirkungen des Standardmodells nur verschiedene Effekte einer einzigen übergeordneten Wechselwirkung sind, analog der elektrischen und der magnetischen Wechselwirkung.

Supergravitation

Die um die SUSY-Generatoren erweiterten Raumzeitsymmetrien sind zunächst wie auch im Standardmodell globale Symmetrien. Deklariert man SUSY jedoch als lokale Symmetrie, so erzwingt dies zwei neue Teilchen: das Graviton mit Spin 2, von dem erwartet wird, das Wechselwirkungsteilchen der Gravitation zu sein,[7] und das Gravitino mit Spin 3/2. Daher werden lokale SUSY-Theorien auch Supergravitation (SUGRA) genannt.

Diese besitzt gegenüber lokaler Raumzeitsymmetrie innerhalb des Standardmodells, die nicht renormierbar ist, zwei potentielle Vorteile, die insbesondere in der Anfangsphase supersymmetrischer Ansätze die Hoffnung nährten, dass SUSY einen möglichen Mechanismus für eine Theorie der Quantengravitation liefert:

  • Der unterschiedliche Spin von Graviton und Gravitino könnte dazu führen, dass sich nicht renormierbare Terme kompensieren und die Theorie insgesamt renormierbar wird.
  • Die Vakuumenergiedichte des Raumes, nach der Relativitätstheorie ein Quellterm für Gravitation, ist für SUGRA endlich, im Fall der ungebrochenen Supersymmetrie sogar exakt Null. Dagegen ist im Standardmodell der Erwartungswert der Energiedichte bereits im Vakuum unendlich, s. o. Schleifenkorrekturen.

Bisher ist es jedoch – mit potentieller Ausnahme von Superstringansätzen, die über einfache Supersymmetrie hinausgehen – nicht gelungen, eine realistische Theorie der Supergravitation aufzustellen, weshalb sie im Lauf der 1980er Jahre zugunsten von Superstringtheorien aufgegeben wurde. SUGRA könnte allerdings eine effektive Theorie unterhalb der Planck-Skala sein: sie ist ein möglicher Mechanismus für spontane Brechung der Supersymmetrie. Erneutes Interesse entstand nach der „zweiten Superstring-Revolution“. Dabei erwies sich, dass die elfdimensionale Supergravitation, das heißt die Supergravitation von maximaler möglicher Dimension, die Niedrigenergienäherung der hypothetischen, noch nicht vollständig formulierten und von Edward Witten eingeführten M-Theorie ist, die die verschiedenen Superstring-Theorien vereinigt.

In manchen Modellen ist der Nachweis des Gravitinos an Beschleunigerexperimenten wie dem LHC denkbar.[8]

Supersymmetrie in anderen Bereichen der Physik

Als Dynamische Symmetrie fand die Supersymmetrie Anwendung zum Beispiel in der Kernphysik (Interacting Boson Model) und in der Festkörperphysik und bei ungeordneten Systemen, zum Beispiel durch Konstantin Efetov.

Die integrierte Optik wurde 2013[9] als neues Anwendungsfeld supersymmetrischer Konzepte erschlossen. So wird es möglich, mit Hilfe optischer Modellsysteme ausgewählte Eigenschaften supersymmetrischer Konfigurationen in leicht zugänglichen Laboranordnungen zu erforschen. Bei diesem Ansatz bedient man sich der analogen mathematischen Struktur der quantenmechanischen Schrödinger-Gleichung und der Wellengleichung, die die Propagation von Licht in eindimensionalen Systemen beschreibt. Die räumliche Verteilung des Brechungsindex entspricht dabei einer Potentiallandschaft, in der sich optische Wellenpakete ausbreiten. Neben Aspekten der Grundlagenforschung sind supersymmetrische optische Systeme für Anwendungen in den Bereichen Phasenanpassung, Modenkonversion[10] und räumlichem Multiplexing von Interesse.

Siehe auch

Literatur

  • Ian J. Aitchison: Supersymmetry in particle physics – an elementary introduction. Cambridge Univ. Pr., Cambridge 2007, ISBN 978-0-521-88023-7
  • Harald J. W. Müller-Kirsten, Armin Wiedemann: Introduction to Supersymmetry. 2nd ed. World Scientific, Singapore 2010, ISBN 978-981-4293-41-9 (revised ed. of 1st ed. of 1987)
  • Sergio Ferrara, Rudolf M.Mössbauer: Searching for the superworld. World Scientific, Singapore 2007, ISBN 978-981-270-018-6
  • Michael Dine: Supersymmetry and string theory – beyond the standard model. Cambridge Univ. Press, Cambridge 2007, ISBN 0-521-85841-0
  • John Terning: Modern supersymmetry – dynamics and duality. Clarendon Press, Oxford 2007, ISBN 978-0-19-856763-9
  • Jonathan A. Bagger: Supersymmetry, supergravity and supercolliders. World Scientific, Singapore 1999, ISBN 981-02-3816-9
  • Luisa Cifarelli et al.: Properties of SUSY particles. World Scientific, Singapore 1993, ISBN 981-02-1424-3

Weblinks

  • S.P. Martin: A Supersymmetry Primer. (PDF; 1,6 MB) Sehr beliebte englischsprachige Quelle zum Thema. Ausgehend von bekannter Quantenfeldtheorie wird über das Wess-Zumino-Modell das MSSM motiviert und begründet. Phänomenologische Aspekte des MSSM und mögliche Erweiterungen werden kurz behandelt.

Einzelnachweise

  1. J. Wess, B. Zumino: Supergauge transformations in four dimensions. in: Nuclear physics. B. Amsterdam 70.1974, 39–50. ISSN 0550-3213
  2. https://home.cern/news/news/physics/highlights-2019-moriond-conference-electroweak-physics Highlights from the 2019 Moriond conference (electroweak physics) - The latest experimental data provide more stringent tests of the Standard Model and of rare phenomena of the microworld; 29 March, 2019; abgerufen am 28. April 2019
  3. Sidney Coleman, Jeffrey Mandula: All possible symmetries of the S-matrix., Physical Review, Bd. 159, 1967, S. 1251–1256. ISSN 0031-899X
  4. Haag, Lopuszanki, Sohnius: All possible generators of supersymmetries of the S-matrix. in: Nuclear physics. B. Amsterdam 88.1975, 257. ISSN 0550-3213
  5. Siehe z. B. D. Hooper, T. Plehn: Supersymmetric Dark Matter – How light can the LSP be? in: Physics letters. B. Amsterdam 562.2003, 18–27. ISSN 0031-9163
  6. U. Amaldi, W. de Boer, H. Fürstenau, Comparison of Grand Unified Theories with electroweak and strong coupling constants measured at LEP, Physics Letters Bd. 260, 1991, S. 447
  7. Takeo Moroi: Effects of the Gravitino on the Inflationary Universe.
  8. Nanopoulos u. a.: Light-Gravitino Production at Hadron Colliders. in: Physical review. D. Melville 57.1998, 373–382. ISSN 0556-2821
  9. Mohammad-Ali Miri, Matthias Heinrich, Ramy El-Ganainy, Demetrios N. Christodoulides: Supersymmetric optical structures. In: APS (Hrsg.): Physical Review Letters. 110, Nr. 23, 2013, S. 233902. doi:10.1103/PhysRevLett.110.233902. Abgerufen im April 2014.
  10. Matthias Heinrich, Mohammad-Ali Miri, Simon Stützer, Ramy El-Ganainy, Stefan Nolte, Alexander Szameit, Demetrios N. Christodoulides: Supersymmetric mode converters. In: NPG (Hrsg.): Nature Communications. 5, 2014, S. 3698. doi:10.1038/ncomms4698. Abgerufen im April 2014.