Transphobie
Transphobie (wie lateinisch und englisch transphobia von lateinisch trans „jenseitig, darüber hinaus“, und von „Phobie“ von altgriechisch phóbos „Furcht, Schrecken“) oder Transfeindlichkeit bezeichnet eine soziale Abneigung (Aversion) oder Feindseligkeit (Aggressivität) gegen Personen, die transgeschlechtlich sind oder eine transgender Geschlechtsidentität zum Ausdruck bringen (zusammengefasst als „Trans*personen“[1] oder „trans Personen“). Eine transphobe Einstellung kann mit Vorurteilen und Ekeln gegenüber trans Personen verbunden sein und zu Aggressionen und gesellschaftlichen Diskriminierungen gegen sie führen.[1] Transphobie kann sich ausdrücken durch Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen sowie durch psychische und körperliche Gewalt bis hin zur Ermordung von trans Menschen.[2][3] In öffentlichen Debatten kommt transfeindliche Gewalt allerdings kaum oder gar nicht vor.[4]
Stellenweise wird auch die Bezeichnung cisgender verwendet für eine Geschlechtsidentität, die mit dem Geschlecht übereinstimmt, das bei der Geburt zugewiesen wurde.[5] Ein starker Zusammenhang besteht zwischen Transphobie und Homophobie (Aversion gegen homosexuelle Personen): Beide Phobien sind Ängste vor der Abweichung von den geschlechterordnenden Normen des biologischen und des sozialen Geschlechts (Gender) von Mann oder Frau. Viele Transgender-Formen stellen auch heteronormative Sexualvorstellungen in Frage, worauf traditionell eingestellte Personen mit Abwehr reagieren können.[6]
Begriffsgeschichte
Das Wort Transphobie entstand in den 1990er Jahren als Abwandlung des Wortes für Homophobie (Abneigung gegen Homosexualität).[7] Es besteht aus zwei Teilen:
- Die Vorsilbe trans- (lateinisch für „jenseits“) bezieht sich auf Transgender-Geschlechtlichkeit. Als transgeschlechtlich verstehen sich viele Menschen, deren Geschlechterrollen-Verhalten oder Geschlechtsidentitäts-Erleben nicht mit ihrer bei Geburt zugewiesenen Geschlechtsrolle und Geschlechtsidentität zusammenfällt. Zugewiesen ist, was gesellschaftlich aufgrund körperlicher Geschlechtsmerkmale von einem Menschen erwartet wird. Beispielsweise wird bei der Geburt eines Menschen ausgerufen: „Es ist ein Mädchen“, denn das Kind hat eine Vulva; die Person empfindet und lebt jedoch später als Mann.
- Die Endung -phobie (altgriechisch phóbos für „Angst, Furcht“) stammt aus der Psychiatrie und bezeichnet dort eine ausgeprägte Angst, die als unbegründet oder krankhaft angesehen wird.[7] Gemeint ist damit die Abneigung gegen Transgeschlechtlichkeit.
Mit dem Wort Transphobie wird eine Wendung vorgenommen: Ursprünglich haben Forscher versucht herauszufinden, warum Menschen transgender sind und wie man sie an die zweigeschlechtliche Norm angleichen könne. Dem zuwider wird unter dem Stichwort Transphobie untersucht, warum Menschen ablehnend und gewaltvoll gegen Transgeschlechtlichkeit sind.[7] Um deutlich zu machen, dass es sich in den unter dem Phänomen beschriebenen Fällen nicht um Phobien im Sinne von krankhaften Ängsten, sondern um umfassende Formen der Diskriminierung handelt, wird verstärkt auch der Begriff Transfeindlichkeit genutzt.[8][9] Der Ausdruck soll den Fokus auch klarer auf die von Diskriminierung Betroffenen und ihre Wahrnehmung der jeweiligen Situation als Anfeindungen legen.[10]
Transphobie im zwischenmenschlichen Bereich
Viele Morde an und gewaltsame Übergriffe auf trans Personen sind transphob motiviert.[11] Aspekte von Transphobie sind dagegen aber auch, transgender und transgeschlechtliche Menschen nicht für sich selbst sprechen zu lassen, ihr Geschlecht zu ignorieren, sie nach ihrem Coming-out weiter mit ihrem alten, gegebenen Vornamen und dementsprechend falschen Pronomen anzusprechen (Deadnaming) oder die Person ohne Berücksichtigung ihrer Selbstdefinition als heterosexuell zu lesen. Auch wird trans Personen mit Voyeurismus begegnet, ihnen wird die selbstgewählte Geschlechtsidentität (transgender) oder ihre geschlechtliche Normvariation (transgeschlechtlich) abgesprochen, und sie werden mit Fremdzuschreibungen überhäuft. Transphobie bedeutet auch, dass nicht-transgender und nicht-transsexuelle Menschen meinen, über das Authentisch-Sein von transsexuellen und transgender Menschen urteilen zu können.[6]
Problematisch ist außerdem, dass die Geschlechtsidentität oft als weitere sexuelle Orientierung neben schwul, lesbisch und bisexuell missverstanden wird, was der Selbstwahrnehmung von transgeschlechtlichen und transgender Personen nicht entsprechen muss. Ebenso problematisch ist, wenn trans Personen zu „Vorreitern“ bei der Auflösung von Geschlechterkategorien im Sinne des Postgenderansatzes stilisiert werden, denn für gesellschaftliche Veränderungen von Geschlechterbildern sind Menschen aller Geschlechtsidentitäten verantwortlich. Als transphob gilt auch der Vorwurf an transgeschlechtliche oder transgender Menschen, sie würden traditionelle Geschlechterstereotypen verstärken, indem sie sich durch Operationen „an die Norm“ anpassten.[6]
Transphobie kann auch durch transgender oder transgeschlechtliche Personen selber ausgeübt werden.[12] Einige transgeschlechtliche oder Gruppen transgeschlechtlicher Menschen kritisieren das Konzept „queer“, weil sie sich durch die Bezeichnungen transgender, trans*, queer oder LGBTQIA nicht vertreten oder davon vereinnahmt fühlen und daher ihre Sichtbarkeit sowie ihre Interessen bedroht sehen.[13][14] Das ist eine Kritik, wie sie ähnlich von einer Initiative intergeschlechtlicher Menschen sowohl gegenüber LGBT, queer als auch gegenüber der transgeschlechtlichen Community formuliert wird.[15]
Für einige Menschen ist an dieser Stelle der Unterschied zwischen transgender und transgeschlechtlich als Identitätsbezeichnung sehr wichtig. Transgender sind Menschen, die sich mit ihrem zugewiesenen Geschlecht falsch oder unzureichend beschrieben fühlen oder auch jede Form der Geschlechtszuweisung oder -kategorisierung grundsätzlich ablehnen. Transgeschlechtliche Personen dagegen ordnen sich biologisch eindeutig einem Geschlecht zu, empfinden sich selbst aber als einem anderen Geschlecht zugehörig. Für wieder andere transgender oder transgeschlechtliche Personen ist diese Abgrenzung nicht so relevant, ihnen ist wichtiger, Teil einer größeren Community von Menschen mit ähnlichen Interessen zu sein. Sie fühlen sich in dieser Hinsicht nicht vereinnahmt oder sehen sich jenseits von „Schubladendenken“.[16][17][18][19]
Strukturelle Transphobie als gesellschaftliches Problem
Darstellungen von transgeschlechtlichen und transgender Menschen werden in der westlichen Kultur exotisiert, fetischisiert und skandalisiert.[20]
Transphobie in Psychologie, Psychiatrie und Gesundheitswesen
Transgeschlechtlichkeit (veraltend: Transsexualität) war per Gesetz (Transsexuellengesetz) und bis 2019 im ICD-10 (F 64.0) beziehungsweise bis 2013 im DSM 4 als psychische Krankheit definiert. Im DSM 5 wurde gender identity disorder aus dem Leitfaden gestrichen mit der Erklärung dass „Gender-Nonkonformität an sich keine psychische Störung“ ist.[21] Auch die ICD-11 hat Gender-Nonkonformintät aus dem Kapitel Psychische und Verhaltensstörungen gestrichen und in das neue Kapitel „Zustände im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit“ verschoben. Dies spiegele die Erkenntnisse wider, „dass transidente und geschlechtsspezifische Identitäten keine Bedingungen für psychische Erkrankungen sind, und dass ihre Klassifizierung als solche eine enorme Stigmatisierung verursachen kann“.[22]
Transgeschlechtliche und transgender Personen galten entgegen ihrer Selbstdefinition als „geschlechtsidentitätsgestörte Frau oder Mann“ und damit als kranke, behandlungsbedürftige Menschen. Ihnen wird also vom Staat nicht zugestanden, ihre Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen, Experten ihres eigenen Zustandes zu sein.[23]
Exemplarisch für einen veralteten und transphoben Umgang mit trans Personen in Medizin bzw. staatlichen Fürsorgeinstitutionen war der Fall Alexandra.[24] Infolge des Bekanntwerdens dieses Falls formierte sich ein Aktionsbündnis von Trans-Aktivisten, das eine Demonstration zur Unterstützung der betroffenen Personen und zur Sichtbarmachung von struktureller Transphobie organisierte.[25]
Transphobie im Rechtswesen
Zur Personenstandsänderung, also der Änderung des Geschlechtseintrags, brauchen transgeschlechtliche (transsexuelle) und transgender Menschen zwei Gutachten von zwei unabhängigen Gutachtern, die aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Erfahrung mit Transgeschlechtlichkeit ausreichend vertraut sind.[4][23]
Das Transsexuellengesetz gibt es momentan nicht in einer gültigen Fassung. Das Bundesverfassungsgericht bewertete 2011 die alte transphobe Fassung als rechtswidrig, weil sie gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit verstößt. Personenstandsänderungen wurden dort nur erlaubt, wenn die betreffenden Personen durch sogenannte geschlechtsangleichende Operationen ihre äußeren Geschlechtsmerkmale operativ verändern ließen, sowie zeugungs- und gebärunfähig gemacht wurden. Heute gibt es an dieser Stelle zumindest ein Problembewusstsein, wenn auch das Ende der staatlichen Transphobie und der Pathologisierung von trans Personen noch nicht in Sicht ist.[6][26]
Transphobie in der römisch-katholischen Kirche
Die Römische Kurie (Vatikan) erließ zunächst „sub secretum“ im Jahr 2000, später offiziell im Jahre 2003 ein Dekret, dass nach dem Verständnis der katholischen Kirche eine geschlechtsangleichende Operation „so oberflächlich und äußerlich sei, dass sie die Persönlichkeit nicht verändere. Wenn eine Person männlich sei, bleibe sie männlich. Wenn sie weiblich sei, bleibe sie weiblich“.[27] Außerdem verändere eine gesetzliche Personenstandsänderung nicht den „kanonischen Status“ einer Person, der besage, dass eine Person „männlich oder weiblich sei vom Moment der Geburt an“.[27]
Im Zusammenhang mit einem konkreten Fall im spanischen Cádiz wurde transgeschlechtlichen Menschen das Recht und die Fähigkeit abgesprochen, Taufpate oder -patin zu werden.[28]
Im Mai 2016 protestierten hochrangige amerikanische Bischöfe gegen eine Anordnung von Präsident Obama. Dieser hatte erlassen, dass in öffentlichen Schulen, Hochschulen und Universitäten in den USA transgeschlechtliche Schüler die Toilette ihrer Wahl benutzen dürften, die „ihrer geschlechtlichen Identität entspreche“. Zuvor war im Bundesstaat North Carolina ein entgegengesetztes transphobes „WC-Gesetz“ erlassen worden. Zwei Ausschussvorsitzende der katholischen US-Bischofskonferenz betonten, Obamas Anordnung für die Schulen sei „zutiefst beunruhigend“, und „widerspreche einem grundlegenden Verständnis der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen“.[29]
Transphobie in den Medien
Von den Medien wurden transphobe Vorstellungen verbreitet, zum Beispiel in einem Beitrag von Arno Frank in der taz über den trans Mann Thomas Beatie vom 2. Juli 2008. Frank hatte etwa über ihn geschrieben, er sei „kein Mann, sondern eine schrecklich verstümmelte Frau“.[30] In diesem Fall war zum ersten Mal der Deutsche Presserat wegen diskriminierender und dem Pressekodex zuwiderlaufender Berichterstattung über transgeschlechtliche und transgender Menschen eingeschritten, nachdem sich in sozialen Netzwerken und unter den Lesern der taz Protest formiert hatte. TransInterQueer meinte dazu: „Da fiel es einem Journalisten besonders schwer, geschlechtliche Vielfalt wahrzunehmen und professionell abzubilden.“[4]
Unter der Bezeichnung Transface (entsprechend zu Blackface) wird der Einsatz von Cisgender-Schauspieler(inne)n in Spielfilmen gefasst, die in Rollen eingesetzt werden, die transgender oder transgeschlechtliche Personen darstellen sollen.[31]
Unsichtbarkeit der Diskriminierung von trans Personen in der Gesellschaft
Im Jahr 2008 veröffentlichte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die von ihr in Auftrag gegebene Fallstudie zur „Wahrnehmung von Diskriminierung und Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft“.[32] Die Zahlen dieser Studie sind die einzigen offiziellen Zahlen, die es zum Thema Transphobie in Deutschland gibt.
Die Studie kommt dabei zu dem Schluss: „Das Thema Diskriminierung und die Gleichbehandlung bzw. die Förderung benachteiligter Gruppen in unserer Gesellschaft brennen der Mehrheit der Deutschen nicht wirklich auf den Nägeln. Die Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema [… ist] eher gering.“[33] „Verbreitet ist eine Haltung des ‚Jeder ist sich selbst der Nächste‘, […] Lediglich 15 Prozent der Bevölkerung können als harter Kern der Gleichbehandlungsbefürworter gelten. Das sind diejenigen, die die Aussage ‚Antidiskriminierungspolitik halte ich für überflüssig‘ entschieden ablehnen (insgesamt 40 Prozent stimmen der Aussage zu).“[34]
71 % der Befragten bejahten, dass für transgeschlechtliche Menschen nichts oder weniger getan werden solle. 5 % waren der Ansicht, für transgeschlechtliche Menschen solle viel mehr getan werden.[35] 49 % geben an, keine Diskriminierung transgeschlechtliche Menschen erkennen zu können. 15 % der Bevölkerung sehen eine starke oder sehr starke Diskriminierung.[36] 45 % haben kein Verständnis für transgeschlechtliche oder transgender Menschen (40 % der Frauen, 50 % der Männer).[37]
Mehrfachdiskriminierungen
Nichtweiße und materiell weniger begüterte trans Personen erleben in unserer Gesellschaft oft Mehrfachdiskriminierung im Sinn der Intersektionalität und damit verbundene vielfältigere Unsichtbarmachung und Ausgrenzung.[6][38] Auch Misogynie und Transphobie treten oft zusammen auf und führen zu einer verstärkten Diskriminierung von trans Frauen (Transmisogynie).
Transphobie in radikalfeministischen, schwul-lesbischen bzw. queeren Zusammenhängen
Frauen wie die trans Frau Sandy Stone erfuhren Transphobie in den 1970er-Jahren in feministischen, lesbischen und schwulen Zusammenhängen.[39] Die „Lesbian Organization of Toronto“ entschied sich beispielsweise offen dafür, trans Frauen aus ihrer Gruppe auszuschließen. Grundlage dafür waren damals vorherrschende essentialistische Geschlechtsrollenbilder. Eine Transition von weiblich nach männlich könne demnach als „Verrat“ an der Weiblichkeit, als Wechsel auf die „Täterseite“ empfunden werden. Als eine transphobe Publikation ist in diesem Zusammenhang The Transsexual Empire der Feministin Janice Raymond zu nennen. Sie schreibt beispielsweise: „Alle Transsexuellen vergewaltigen weibliche Körper, indem sie die reale weibliche Gestalt auf einen Artefakt, auf ein vom Menschen geschaffenes Objekt reduzieren, um sich dieses anzueignen […]“.[40] Lesbisch sozialisierte trans Männer wurden etwa nach ihrer Transition aus lesbischen Gruppen ausgeschlossen und waren möglicherweise gleichzeitig in der schwulen Community nicht akzeptiert.[6]
Insbesondere in den USA und im UK – dort vor allem angestoßen durch die 2017 begonnene Debatte um die Reform des Gender Recognition Acts – kam es von Seiten sogenannter „genderkritischer“ Feministinnen oder TERFs, die häufig in Lobbygruppen wie der „LGB Alliance“ oder „Fair Play for Women“ organisiert sind,[41] zu Bemühungen, trans Frauen aus für Frauen vorgesehenen Räumen auszuschließen. Einige Vertreterinnen dieser Strömungen behaupten, trans Frauen würden Frauentoiletten benutzen, um andere Frauen auszuspionieren oder um Frauen zu vergewaltigen.[42] Grundannahme entsprechender Strömungen ist es, dass das bei Geburt zugewiesene Geschlecht stets das Geschlecht einer Person bleibe und dass nur Menschen, die ihr ganzes Leben als Frauen gelebt haben, die Unterdrückung von Frauen nachvollziehen könnten. Trans Frauen werden innerhalb des „genderkritischen“ Feminismus deshalb als Männer bezeichnet, die psychisch krank seien und z. B. durch Konversionstherapie behandelt werden müssten.[43] Damit einher geht ein verstärkter Fokus auf das biologische Geschlecht (sex) von Menschen.[44] „Genderkritische“ Feministinnen engagieren sich außerdem gegen eine LGBTIQ-inklusive Pädagogik und die mediale Repräsentation von trans Menschen, die sie als Folge einer „Gender-Ideologie“ darstellen.[45] Im feministischen Aktivismus gegen Transrechte kommt es zu inhaltlichen und personellen Überschneidungen mit antifeministischen und anti-trans-Diskursen auf Seiten konservativer Christen und Politiker.[45][44][41]
Strategien gegen Transphobie
Selbsthilfestrukturen und privates Umfeld
Hilfreich zur Bewältigung transphober Übergriffe sind geschützte Räume von und für transgeschlechtliche und transgender Personen im Sinn des Empowerments. Das sind Orte, wo ihre Identität und ihr Selbstausdruck selbstverständlich akzeptiert sind. Dort kommen sie in Kontakt zu Menschen mit ähnlichen Erfahrungen und bekommen Unterstützung.[6]
Jannik Franzen vom Berliner TransInterQueer e.V. empfiehlt folgende Strategien zur Reduzierung von Transphobie für Cisgender-Menschen:
- offen dafür sein, nicht zu wissen, welches Geschlecht ein Mensch hat bzw. wie sie/er sich definiert
- Menschen fragen, mit welchem Namen und Pronomen sie angesprochen werden möchten
- diese Selbstdefinitionen respektieren
- sich mit der Bezeichnung trans* beschäftigen, die vielen verschiedenen Identitäten, die möglich sind, mitdenken
- Mehrfachzugehörigkeiten mitdenken, etwa zu People of Color und Menschen mit Behinderungen
- falls Neugier aufkommt, die Grenzen der trans Person respektieren (Fragen nach Körper oder Operationen – Überlegung, ob ähnliche Fragen Nicht-Trans-Personen, also Cisgender-Personen gestellt werden würden)
- eigene Bilder von Geschlecht hinterfragen
- Zweigeschlechtlichkeit hinterfragen
- Raumpolitiken entsprechend überdenken[6]
Der Autor Matt Kailey stellte für Menschen, die sich im zwischenmenschlichen Umgang mit trans Personen unsicher sind, zehn unpassende Fragen und eine kleine Trans Etiquette for Non-Trans People zusammen und begründet seine Empfehlungen. Unter diesen unpassenden Fragen sind z. B. solche nach Operationen, nach Passing, nach Sexualität, nach Geschlechtsidentität, nach Erfahrungen mit Transphobie. Seine Forderungen beziehen sich u. a. darauf, trans Personen als solche nicht zu outen (im Unterschied zum freigewählten Coming-out), den korrekten Namen und das korrekte Pronomen zu verwenden, nur dann persönliche Fragen zu stellen, wenn man dazu eingeladen wird, die Person nicht ungewollt zu berühren und die Person so respektvoll zu behandeln, wie man auch andere Menschen behandeln würde.[46][47]
Politische Forderungen
Weiterhin stellen trans Personen folgende politische Forderungen zur Reform des Transsexuellengesetzes:
- Abschaffung der Begutachtung und des gerichtlichen Verfahrens – Recht auf Selbstbestimmung
- statt des gerichtlichen Verfahrens Änderung des Vornamens und des Personenstandes auf Antrag bei der für das Personenstandswesen zuständigen Behörde
- Ausbau des Offenbarungsverbots; Einbeziehung in das Ordnungswidrigkeitenrecht;
- rechtliche Absicherung der Leistungspflicht der Krankenkassen
- u. a. rechtliche Regelungen[26]
Herstellung der Sichtbarkeit von Transphobie
Im Jahr 2009 hat das Komitee von IDAHO (Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie am 17. Mai), eine Kampagne zum Thema Geschlechtsidentität durchgeführt. Das Motto lautete „Transphobie ablehnen, Respekt vor der geschlechtlichen Identität“. Dem Aufruf folgten 300 Verbände aus 75 Ländern. Zu den bekanntesten Unterzeichnern zählen der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, Judith Butler, der ehemalige Präsident der EG-Kommission Jacques Delors sowie Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Zu den Hauptforderungen gehörte auch der Appell an die Vereinten Nationen, die Menschenrechtsverletzungen zu prüfen, die transgeschlechtlichen und transgender Personen weltweit erleiden müssen, und Maßnahmen zu ergreifen, die diese Missbräuche beenden.[48]
Seit 1998 gibt es den Transgenialen CSD in Berlin, der sich als politische Alternative zum kommerziellen Christopher Street Day versteht. Bei dieser Pride Parade sollen nicht nur die schwul-lesbischen Interessen, sondern gleichermaßen die Interessen von trans Menschen, intergeschlechtlichen Menschen und der zusätzlich durch Rassismus mehrfach diskriminierten Menschen repräsentiert werden. Im Jahr 2010 erfuhr der Transgeniale CSD mit etwa 5000 Teilnehmern großen Zulauf,[49] was auch auf die eine Woche zuvor von Judith Butler ausgelöste Rassismus-Kontroverse zurückgeführt wird. Im Zuge dessen hat sie den Zivilcouragepreis des CSD Berlin abgelehnt.[50] Im Jahr 2010 war auch die weltweite Kampagne „Stopp Trans-Pathologisierung 2012“ auf dem Transgenialen CSD vertreten, die sich für die Entpathologisierung von Trans-Identitäten und deren Streichung aus den Krankheitskatalogen (DSM und ICD) einsetzt.[51]
Am 20. November wird jährlich der Transgender Day of Remembrance (TDoR) begangen („Tag der Erinnerung an die Opfer von Trans*feindlichkeit“).[52] Dabei werden die Namen der im vorangegangenen Jahr im Rahmen von transphoben Hassverbrechen getöteten Menschen laut verlesen.[53][54] Der Transgender Day of Remembrance wurde 1998 von der Grafik-Designerin, Journalistin und Aktivistin Gwendolyn Ann Smith begründet, um an den Mord an Rita Hester in Allston (Massachusetts, USA) zu erinnern und um generell Transphobie und transphobe Morde weltweit öffentlich zu machen.[55][56][57]
Pädagogische Maßnahmen gegen Transfeindlichkeit
Auch pädagogischen Einrichtungen wie Schulen – in denen Transfeindlichkeit verbreitet ist[58] – wird im Einsatz gegen Transfeindlichkeit eine große Wichtigkeit zugesprochen. Maßnahmen dort setzen häufig darauf dass persönlicher Kontakt zu Mitgliedern einer Gruppe zu einer positiveren Bewertung der gesamten Gruppe führt. In diesem Sinne besuchen beispielsweise Aufklärungsprojekte Schulen und Jugendeinrichtungen. Auch von der Darstellung der Lebenswirklichkeiten von trans Menschen in Schulbüchern und anderen Medien wird ein Rückgang transfeindlicher Einstellungen erwartet. Als besonders erfolgreich haben sich Materialien gezeigt, die auf einzelne Personen und ihre Erfahrungen eingehen und Empathie mit diesen hervorrufen können.[59] In Bildungsplänen werden die Themen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt ebenfalls zunehmend stärker verankert.[60] Die entsprechenden Änderungen von Bildungsplänen zogen selbst größeren Protest nach sich, etwa im Zuge der sogenannten „Demos für Alle“.[58]
Kritische Reflexion von Transphobie in Medien, Öffentlichkeit und Kunst
Transphobie wird auch medial kritisch reflektiert. Ein Beispiel ist der Film Boys Don’t Cry, der den transphoben Mord an Brandon Teena darstellt. Teena wurde 1993 von einigen seiner Freunde vergewaltigt und ermordet, nachdem diese herausgefunden hatten, dass er als trans Mann weibliche körperliche Geschlechtsmerkmale hatte. Die Geschichte wurde außerdem als Theaterstück adaptiert.[61]
Siehe auch
- Yogyakarta-Prinzipien (2007: 29 Prinzipien zu Menschenrechten bezüglich sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität)
- Anti-Gender-Bewegungen (Deutschland, Frankreich, Polen, Ungarn)
Literatur
- 2018: Gayle Salamon: The Life and Death of Latisha King: A Critical Phenomenology of Transphobia. NYU Press, New York 2018, ISBN 978-1-4798-4921-5 (englisch).
- 2012: Carsten Balzer, Jan Simon Hutta (Hrsg.): Transrespect versus Transphobia Worldwide – A Comparative Review of the Human-rights Situation of Gender-variant/Trans People (= TvT Publication Series. Band 6). Berlin November 2012 (englisch; PDF; 5,4 MB, 124 Seiten auf transrespect.org).
- 2012: Horst-Jörg Haupt: Sie sind ihr Gehirn – Transsexualität im Spannungsfeld von Neurowissenschaft und Transphobie. Vortrag auf der Fachkonferenz Trans*Identitäten in Wien, 18. Oktober 2012 (PDF: 395 kB, 14 Seiten auf trans-evidence.com).
- 2011: LesMigraS – Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich der Lesbenberatung Berlin e. V. (Hrsg.): Empowerment in Bezug auf Rassismus und Transphobie in LSBTI-Kontexten – Verbindungen sprechen. Berlin 2011 (PDF: 2,4 MB, 48 Seiten auf lesmigras.de).
- 2010: Jannik Franzen, Arn Sauer: Benachteiligung von Trans*Personen, insbesondere im Arbeitsleben. Herausgegeben von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), Berlin Dezember 2010 (PDF: 900 kB, 118 Seiten auf antidiskriminierungsstelle.de).
- 2010: Thomas Hammarberg: Menschenrechte & Geschlechtsidentität – Themenpapier (= TvT-Schriftenreihe. Band 2). Herausgegeben von TransInterQueer und TGEU, Berlin 2010 (Menschenrechtskommissar des Europarats; PDF: 349 kB, 30 Seiten auf transrespect.org).
- 2009: Berthold Bodo Flaig: Diskriminierung im Alltag, Wahrnehmung von Diskriminierung und Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft (= Forschungsprojekt. Band 4). Herausgegeben von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), Berlin März 2009, ISBN 978-3-8329-4657-9 (PDF: 4,4 MB, 244 Seiten auf antidiskriminierungsstelle.de).
Weblinks
- Transgender Europe (TGEU), Carsten Balzer: Transrespect vs. Transphobia Worldwide. Portal (englisch; Forschungsergebnisse).
- Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus: „Gender Critical“-Bewegung: Transfeindliches Framing in den Medien. In: Belltower.News. 26. November 2021.
- Jule Govrin: Über den eigenen Körper bestimmen: eine Frage der Menschenrechte. In: GeschichteDerGegenwart.ch. 17. November 2021 („Die Philosophin Kathleen Stock hat in vergangenen Jahren beständig behauptet, Menschen, die trans sind, würden nicht existieren, da nur biologisches Geschlecht ‚real‘ sei“).
- Meldung: Morde an trans und nicht-binären Personen auf neuem Höchststand. In: Mannschaft.com. 19. November 2021 („375 Fälle wurden in den vergangenen 12 Monaten weltweit gezählt“).
- Simone Rafael, Veronika Kracher: Transfeindlichkeit online: Was ist problematisch an #SuperStraight? In: Belltower.News. 10. November 2021 („Auf Social Media bezeichnen sich manche Menschen, vor allem Männer, als ‚Super Straight‘. Warum diese Form von imaginierter Hyperhetereosexualität eine Abwertung ist – und warum sich Rechtsextreme das zu Nutzen machen“).
- Katja Thorwarth, Valérie Eiseler: Kritik an „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling – Emma Watson nimmt Stellung. In: Frankfurter Rundschau. 12. Juni 2020 (Äußerungen von J.K. Rowling werden als transfreindlich angesehen).
- Jens Martin Scherpe: Die Rechtsstellung von Trans*personen im internationalen Vergleich. Bundeszentrale für politische Bildung, 8. August 2018.
Einzelnachweise
- ↑ a b Jens Scherpe: Die Rechtsstellung von Trans*personen im internationalen Vergleich. Bundeszentrale für politische Bildung, 8. August 2018, abgerufen am 12. Juni 2020.
- ↑ TransInterQueer e. V. (TrIQ): TransInterQueer: ABC. Berlin 18. Mai 2017, S. 10: Transphobie (PDF: 383 kB, 12 Seiten auf transinterqueer.org).
- ↑ Tilman Steffen: Trans-Menschen: Unter Kollegen im falschen Körper. In: Die Zeit. 22. Dezember 2010, abgerufen am 12. Juni 2020.
- ↑ a b c TransInterQueer e. V. (TrIQ): Trans* in den Medien: Informationen für Journalist_innen. 2. Auflage. Berlin Dezember 2014 (PDF: 1,5 MB, 24 Seiten auf transinterqueer.org).
- ↑ Arn Sauer: Glossar: Rassismus im Zweigeschlechtersystem – Zentrale Konzepte und Begriffe. In: TransInterSektionalitaet.org. 2010, abgerufen am 12. Juni 2020 (Eintrag: Cisgender/Cissexismus).
- ↑ a b c d e f g h Jannik Franzen: Transphobie in LSBTI-Kontexten. In: LesMigraS – Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich der Lesbenberatung Berlin e. V. (Hrsg.): Empowerment in Bezug auf Rassismus und Transphobie in LSBTI-Kontexten: Verbindungen sprechen. Berlin 2011, S. 11–14, hier: S. 13 (PDF: 2,4 MB, 48 Seiten auf lesmigras.de).
- ↑ a b c Y. Gavriel Ansara, Erica J. Friedman: Transphobia. In: Nancy A. Naples u. a. (Hrsg.): The Wiley Blackwell Encyclopedia of Gender and Sexuality Studies. Chichester 2016, S. 2357–2360 (englisch).
- ↑ Persson Perry Baumgartinger: Die staatliche Regulierung von Trans: Der Transsexuellen-Erlass in Österreich (1980-2010). Eine Dispositivgeschichte. Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8394-4854-0, S. 32.
- ↑ Sibel Schick: Hä, was heißt -Phobie? In: Missy Magazine. 11. Mai 2020, abgerufen am 18. Juni 2021.
- ↑ Mari Günther, Barbara Stauber: „Das Transsexuellengesetz ist eine massive Menschenrechtsverletzung“: Zur institutionellen Diskriminierung von trans* Personen und den Möglichkeiten von Beratung. In: Diskriminierung und Antidiskriminierung. Transcript, 2021, ISBN 978-3-8394-5081-9, S. 213–228, doi:10.14361/9783839450819-013.
- ↑ Carsten Balzer: Jeden dritten Tag wird ein Mord an einer trans Person berichtet. Die vorläufigen Ergebnisse des neuen „Trans Murder Monitoring“-Projektes zeigen mehr als 200 berichtete Morde an trans Personen zwischen Januar 2008 und Juni 2009, in: Liminalis, Nr. 03 2009 (Juli 2009) (Memento vom 10. Dezember 2014 im Internet Archive)
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- ↑ Heide Oestreich: Wer wollte das rosa Einhorn? In: taz.de. 12. Januar 2012, abgerufen am 2. März 2013.
- ↑ Peter Nowak: Wider den Zwang. In: der Freitag. 27. März 2012, abgerufen am 2. März 2013.
- ↑ a b Bundesweiter Arbeitskreis TSG‐Reform: Forderungspapier zur Reform des Transsexuellenrechts, 1. Juni 2012, abgerufen am 8. Februar 2013 (PDF; 141 kB)
- ↑ a b John Norton (Catholic News Service): Vatican says “sex change” operation does not change a person’s gender. In: National catholic Reporter. 14. Januar 2003 (archiviert am 19. September 2011), abgerufen am 12. Juni 2020 (englisch); Zitate: „[…] the (transsexual) surgical operation is so superficial and external that it does not change the personality. If the person was male, he remains male. If she was female, she remains female […] The altered condition of a member of the faithful under civil law does not change one’s canonical condition, which is male or female as determined at the moment of birth.“
- ↑ Vatikan: Transsexuelle können objektiv keine Taufpaten sein. In: Katholisches.info. 2. September 2015, abgerufen im Januar 2018.
- ↑ Meldung: USA: Bischöfe kritisieren Transgenderanordnung. in: ORF.at. 18. Mai 2016, abgerufen am 21. Januar 2018.
- ↑ Cigdem Akyol, Arno Frank: Transsexueller schwanger – ein Pro und Contra: Mutter oder Vater? In: taz.de 2. Juli 2008, abgerufen am 14. Juni 2017.
- ↑ Sarah Pines: Transforming Hollywood. In: Jungle World. Nr. 51, 18. Dezember 2014 (englisch).
- ↑ Flaig: Diskriminierung im Alltag,… In: Forschungsprojekt. 2009.
- ↑ Flaig: Diskriminierung im Alltag,… In: Forschungsprojekt. 2009, S. 8.
- ↑ Flaig: Diskriminierung im Alltag,… In: Forschungsprojekt. 2009, S. 9.
- ↑ Flaig: Diskriminierung im Alltag,… In: Forschungsprojekt. 2009, S. 50.
- ↑ Flaig: Diskriminierung im Alltag,… In: Forschungsprojekt. 2009, S. 56.
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