Workfare

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Demonstration, Oktober 2011.

Workfare ist ein in den 1990er Jahren in den USA entstandenes arbeitsmarktpolitisches Konzept, das staatliche Transferleistungen mit einer Verpflichtung zur Arbeitsaufnahme verknüpft. Die englische Bezeichnung workfare ist in Anlehnung an Work + Social Welfare = Workfare, also "Arbeit und Sozialhilfe", letzteres in den USA auch als Wohlfahrt bezeichnet, entstanden.

Das Modell ist ein wichtiges Element der Sozialsysteme vor allem in den USA. Es zielt darauf ab, ohne zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen „möglichst viele Transferbezieher dazu zu bringen, eine unsubventionierte Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt anzunehmen“. Damit unterscheidet es sich von anderen Konzepten wie dem ursprünglichen Verständnis von Bürgerarbeit.[1]

Idee

Workfare sind Aktivierungsmaßnahmen, die vor allem darauf abzielen, die Arbeitssuche und -aufnahme durch verbindliche Absprachen und durch Androhungen von Sanktionen zu erhöhen. Folgende drei Merkmale sind bestimmend:[2]

  1. Es besteht eine Verpflichtung zur Teilnahme am Workfare-Konzept mit Auswirkungen auf die Rechte der Betroffenen: Eine Verweigerung zieht das Risiko der Verminderung oder Streichung von Sozialleistungen nach sich. Darin verdeutlicht sich zugleich die implizite Annahme des Konzepts, der Grund für Arbeitslosigkeit liege nicht primär in einem Fehlen an Arbeitsplätzen, sondern am Mangel an Motivation und Anstrengung bei den Betroffenen.
  2. Der Schwerpunkt von Workfare liegt auf der Aufnahme von Arbeit und weniger auf Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen oder sonstigen Formen der Aktivierung. Ob dabei als Ziel die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt oder der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit relevant ist, wird dabei zunächst offengelassen.
  3. Workfare ist entweder eine Bedingung zum Erhalt von Sozialleistungen, oder aber es stellt (z. B. durch eine Lohnzahlung) einen adäquaten Ersatz für diese bereit. Voraussetzung zur Teilnahme ist wie bei Sozialleistungen eine individuelle Bedürftigkeit der Betroffenen (vgl. Koch u. a., 2005).

Beispiel USA/Wisconsin

Besonders verfolgt der US-Bundesstaat Wisconsin mit seinem Programm „Wisconsin Works“ in Milwaukee die Workfare-Idee unter den Maximen „no work, no pay“ bzw. „Whoever can work must work“. Verwirklicht wurde dies in einem gestuften Maßnahmensystem:

  • Arbeitsgewöhnung für Schwervermittelbare, maximal 24 Monate, 28 Stunden Arbeit und 12 Stunden Qualifizierung pro Woche.
  • Kommunale Servicearbeit für Nichtvermittelbare, maximal 9 Monate mit 30 Stunden Arbeit und 10 Stunden Qualifizierung pro Woche.
  • Arbeit auf Probe mit Lohnkostenzuschuß im ersten Arbeitsmarkt, maximal für 6 Monate, volle Arbeitszeit und volles Gehalt.
  • Reguläre Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt.[3]

Wie nahezu alle Sozialleistungen für Arbeitsfähige in den USA ist die Leistung aufgrund des Personal Responsibility and Work Opportunity Act (PRWORA) von 1996 auf zwei Jahre am Stück und fünf Jahre über das gesamte Berufsleben befristet.

Deutschland

Eine Pflicht zur Arbeit besteht für Arbeitslose in Deutschland faktisch seit jeher.[4] Dies war aber in der Vergangenheit an Zumutbarkeitskriterien, in Form eines Berufsklassenschutzes der über die Zeit der Arbeitslosigkeit abnahm, gebunden. Eine Heranziehung zu gemeinnütziger Arbeit ergab sich genaugenommen für Langzeitarbeitslose ebenfalls schon immer, aber erst im Verlauf der 1990er Jahre starteten einige Kommunen (Bielefeld, Köln, Krefeld, Leipzig, Nordhausen, Offenbach, Osnabrück, Paderborn, Pforzheim, Saarbrücken, Siegen und Stuttgart)[3] Modellprojekte, die dem heutigen, sogenannten Ein-Euro-Job-Modell (Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung) unter Arbeitslosengeld II entsprechen. Viele weitere Kommunen kopierten diese Modelle im Verlauf der Jahre, bis es mit dem Hartz-Konzept zu einer bundesweit einheitlichen Grundlage kam. Allerdings sind bis heute immer nur ein Teil der Langzeitarbeitslosen in solchen Maßnahmen, während im reinen Workfare-Konzept die Arbeitsaufnahme obligatorisch, also für alle Arbeitslosen umgesetzt werden soll.

In Deutschland wird das Workfare-Konzept in Form von Ein-Euro-Jobs und Kombilohn praktiziert. Alternative Ansätze zum Workfare, insbesondere Lohnbezuschussungen wie der Kombilohn oder die aktivierende Sozialhilfe werden jedoch immer wieder diskutiert. Roland Koch gilt als einer der Vorreiter dieser Idee.

Im Zukunftsbericht 2009 des Landes Nordrhein-Westfalens unter Jürgen Rüttgers heißt es: „Der entstehende Anreiz, anstelle einer staatlicherseits angebotenen gemeinnützigen Ganztagstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt auch solche Angebote anzunehmen, die gegenwärtig in rationaler Entscheidung zumeist kaum in Betracht gezogen werden, kann ein erhebliches Beschäftigungspotenzial bei einer gleichzeitigen massiven Haushaltsentlastung mobilisieren.“[5] Ebenso präsentierte Horst Seehofer im Juli 2009 den Abschlussbericht der Zukunftskommission des Landes Bayern, in dem eine „intensivere Einforderung von Gegenleistung“[6] für staatliche Transferzahlungen gefordert wird.[7]

Infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 zum Arbeitslosengeld II[8] wurde in der Sozialrechtswissenschaft die Frage wieder intensiver erörtert, ob Workfare-Elemente im Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches, z. B. Leistungskürzungen des Arbeitslosengeldes II nach Ablehnung einer Arbeitsgelegenheit, mit dem Menschenwürdekonzept des Art. 1 des Grundgesetzes vereinbar sind.[9]

Siehe auch

Literatur

  • Christian Brütt (2011): Workfare als Mindestsicherung: Von der Sozialhilfe zu Hartz IV. Deutsche Sozialpolitik 1962 bis 2005. Bielefeld: transcript, ISBN 978-3-8376-1509-8. Leseprobe: Inhalt und Einleitung (PDF; 167 kB)
  • Volker Eick, Britta Grell, Margit Mayer, Jens Sambale (2004): Nonprofit-Organisationen und die Transformation lokaler Beschäftigungspolitik. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, ISBN 3-89691-564-9
  • Helga Spindler (2003): Fördern und Fordern – Perspektivenwechsel im sozialstaatlichen Handeln. In: Andrea Grimm (Hg.): Forum Jugendsozialarbeit, Bestandsaufnahme und Perspektiven für Niedersachsen. Loccumer Protokolle 24/02, Rehburg – Loccum 2003, S. 121–134 (PDF)
  • Kurt Wyss (2007): Workfare. Sozialstaatliche Repression im Geist des globalisierten Kapitalismus, Zürich: edition 8, ISBN 978-3-85990-125-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Christine Heinz u. a.: Modellversuch Bürgerarbeit. Zwischen Workfare und Sozialem Arbeitsmarkt. IAB-Forschungsbericht 14/2007, S. 4.
  2. Susanne Koch, Gesine Stephan, Ulrich Walwei (2005): Workfare: Möglichkeiten und Grenzen (PDF; 465 kB)
  3. a b http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-BCDECA31/bst/besch.pdf
  4. Vgl. Wolfgang Ayaß: Pflichtarbeit und Fürsorgearbeit. Zur Geschichte der „Hilfe zur Arbeit“ außerhalb von Anstalten, in: Frankfurter Arbeitslosenzentrum - FALZ (Hrsg.), Arbeitsdienst - wieder salonfähig? Zwang zur Arbeit in Geschichte und Sozialstaat, Frankfurt/M. 1998, S. 56–79.
  5. Zukunftskommission des Landes Nordrhein-Westfalen: Bericht der Arbeitsgruppe 2, Vom Hort der alten Industrien zum Magneten der Moderne? 2009, S. 89.
  6. Abschlussbericht der Kommission „Zukunft Soziale Marktwirtschaft“, München, 14. Juli 2009, S. 68.
  7. Telepolis: Daumenschrauben bringen keine Jobs vom 2. August 2009
  8. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 = BVerfGE 125, 175.
  9. Ausführlich: Spellbrink, Deutsches Verwaltungsblatt 2011, 661 ff.; Richers/Köpp, Die Öffentliche Verwaltung 2010, 997 ff.