Wöhlerit

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Wöhlerit
Wöhlerite-296922.jpg
Wöhlerit aus Langesundsfjorden, Larvik, Vestfold, Norwegen (Größe: 6,2 cm × 3 cm × 2,6 cm)
Allgemeines und Klassifikation
Chemische Formel Na2Ca4ZrNb[F|O3|(Si2O7)2][1]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Silikate und Germanate – Gruppensilikate (Sorosilikate)
System-Nr. nach Strunz
und nach Dana
9.BE.17 (8. Auflage: VIII/C.11)
56.02.04.05
Kristallographische Daten
Kristallsystem monoklin
Kristallklasse; Symbol monoklin-sphenoidisch; 2
Raumgruppe (Nr.) P21[1] (Nr. 4)
Gitterparameter a = 10,82 Å; b = 10,24 Å; c = 7,29 Å
β = 109,0°[1]
Formeleinheiten Z = 2[1]
Häufige Kristallflächen {100}[2]
Zwillingsbildung nach (100), pseudorhombische Zwillinge[2]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 6 bis 6,5[3]
Dichte (g/cm3) gemessen: 3,40 bis 3,44; berechnet: 3,42[3]
Spaltbarkeit deutlich nach {010}, undeutlich nach {100} und {110}[3]
Bruch; Tenazität muschelig bis splittrig; spröde[3]
Farbe hellgelb bis gelb, braun, grau
Strichfarbe hellgelb
Transparenz durchsichtig bis durchscheinend
Glanz Glasglanz, Harz- bis Fettglanz, matt
Kristalloptik
Brechungsindizes nα = 1,700 bis 1,705
nβ = 1,716 bis 1,720
nγ = 1,726 bis 1,728[4]
Doppelbrechung δ = 0,026[4]
Optischer Charakter zweiachsig negativ
Achsenwinkel 2V = 70 bis 77° (gemessen); 70 bis 76° (berechnet)[4]
Pleochroismus schwach: X = Y = hellgelb bis fast farblos; Z = weingelb[4]

Wöhlerit ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Silikate und Germanate“. Es kristallisiert im monoklinen Kristallsystem mit der chemischen Zusammensetzung Na2Ca4ZrNb[F|O3|(Si2O7)2],[1] ist also ein komplex zusammengesetztes Natrium-Calcium-Zirkon-Niob-Silikat mit Fluor und Sauerstoff als zusätzlichen Anionen. Strukturell gehört Wöhlerit zu den Gruppensilikaten (Sorosilikate).

Wöhlerit ist durchsichtig bis durchscheinend und entwickelt meist dicktafelige bis prismatische Kristalle und pseudorhombische Zwillinge, aber auch körnige Aggregate von hellgelber bis gelber, brauner oder grauer Farbe bei hellgelber Strichfarbe. Unverletzte Kristallflächen weisen einen glasähnlichen Glanz auf, Bruchflächen dagegen eher Harz- bis Fettglanz.

Mit einer Mohshärte von 6 bis 6,5 gehört Wöhlerit bereits zu den harten Mineralen, die sich ähnlich wie das Referenzmineral Orthoklas (6) mit Stahlfeile ritzen lassen.

Besondere Eigenschaften

Vor dem Lötrohr in einer Platinzange lässt sich Wöhlerit bis zum Glühen erhitzt werden, ohne dass er sich verändert. Bei stärkerer Glühhitze schmilzt das Mineral allerdings zu einem gelblichen Glas ohne Blasen zu werfen.[5]

Etymologie und Geschichte

Friedrich Wöhler (1800–1882)

Erstmals entdeckt wurde Wöhlerit in den Syenitpegmatitgängen einiger Steinbrüche unter anderem auf der Insel Løvøya (Løvø, Lovoya, Lövö, Lövöe) im Langesund-Fjord nahe der Stadt Brevik in der norwegischen Provinz Telemark und beschrieben 1843 durch Theodor Scheerer (1813–1875), der das Mineral nach dem deutschen Chemiker Friedrich Wöhler benannte.[5]

Klassifikation

Bereits in der veralteten, aber teilweise noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Wöhlerit zur Mineralklasse der „Silikate und Germanate“ und dort zur Abteilung der „Gruppensilikate (Sorosilikate)“, wo er zusammen mit Låvenit die „Wöhlerit-Låvenit-Gruppe“ mit der System-Nr. VIII/C.11 und den weiteren Mitgliedern Baghdadit, Burpalit, Dovyrenit, Hiortdahlit, Janhaugit, Låvenit, Marianoit, Niocalit und Normandit bildete.

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Wöhlerit ebenfalls in die Abteilung der „Gruppensilikate (Sorosilikate)“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der Struktur der Silikatgruppen, der möglichen Anwesenheit weiterer Anionen und der Koordination der beteiligten Kationen, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „Si2O7-Gruppen mit zusätzlichen Anionen; Kationen in oktaedrischer [6]er- und größerer Koordination“ zu finden ist, wo es zusammen mit Baghdadit, Burpalit, Cuspidin, Hiortdahlite, Janhaugit, Låvenit, Marianoit, Niocalit und Normandit die „Cuspidingruppe“ mit der System-Nr. 9.BE.17 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Wöhlerit in die Klasse der „Silikate und Germanate“ und dort in die Abteilung der „Gruppensilikate: Si2O7-Gruppen und O, OH, F und H2O“ ein. Hier ist er zusammen mit Cuspidin in der „Cuspidin-Wöhlerit-Gruppe“ mit der System-Nr. 56.02.04 und den weiteren Mitgliedern Baghdadit, Burpalit, Cuspidin, Hainit, Hiortdahlit, Janhaugit, Jennit, Kochit, Komarovit, Kristiansenit, Låvenit, Marianoit, Mongolit, Natrokomarovit, Niocalit, Rosenbuschit und Suolunit innerhalb der Unterabteilung „Gruppensilikate: Si2O7-Gruppen und O, OH, F und H2O mit Kationen in [4] und/oder >[4]-Koordination“ zu finden.

Bildung und Fundorte

Wöhlerit (zitronengelb, teilweise umschlossen von durchsichtigem Analcim) und Titanit (orange) aus dem Steinbruch Poudrette, Mont Saint-Hilaire, Québec, Kanada (Sichtfeld: 2,0 mm × 2,8 mm)

Wöhlerit bildet sich als akzessorischer Bestandteil in der Spätphase der Kristallisation alkalischer Pegmatite, findet sich aber auch in Nephelin-Syeniten, Feniten und Karbonatiten. Entsprechend seiner Bildungsbedingungen kann er mit vielen anderen Mineralen vergesellschaftet vorkommen, so unter anderem Aegirin, Albit, Astrophyllit, Betafit, Biotit, Cancrinit, Katapleiit, Eudialyt, Ferrohornblende, Fluorit, Latrappit, Låvenit, Mosandrit, Nephelin, Pyrochlor, Rosenbuschit und Zirkon sowie niobhaltiger Perowskit und Zirkonolith.

Als seltene Mineralbildung konnte Wöhlerit nur an wenigen Fundorten nachgewiesen werden, wobei bisher (Stand 2014) rund 70 Fundorte bekannt sind.[6] Neben seiner Typlokalität Løvøya trat das Mineral in Norwegen noch an mehreren Stellen im Langesundsfjord sowie in den Gebieten um Bjørkedalen, Langangen und Mørje in der Provinz Telemark auf. Des Weiteren wurde es an vielen Orten in der Provinz Vestfold entdeckt.

In Deutschland fand man Wöhlerit bisher vor allem in der rheinland-pfälzischen Vulkaneifel, so unter anderem bei Niedermendig, am Wingertsberg und am Krufter Ofen in der Nähe des Laacher Sees, im Steinbruch „Löhley“ bei Üdersdorf und am Hüttenberg in der Gemeinde Glees. Daneben trat es noch im Steinbruch Badloch am Badberg im Kaiserstuhl in Baden-Württemberg auf.

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Angola, Australien, Grönland, Guinea, Italien, Kanada, Malawi, Mali, Rumänien, Russland, Schweden und den Vereinigten Staaten von Amerika (New Hampshire).[7]

Kristallstruktur

Wöhlerit kristallisiert monoklin in der Raumgruppe P21 (Raumgruppen-Nr. 4)Vorlage:Raumgruppe/4 mit den Gitterparametern a = 10,82 Å; b = 10,24 Å; c = 7,29 Å und β = 109,0° sowie zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle.[1]

Siehe auch

Literatur

  • Th. Scheerer: Ueber den Wöhlerit, eine neue Mineralspecies. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 59, 1843, S. 327–336 (PDF 663 kB).
  • R. I. Shibayeva, N. V. Belov: Crystal structure of wöhlerite, Ca2Na(Zr,Nb)Si2O7(O,F)2. In: Doklady Akademii Nauk SSSR. Band 146, 1960, S. 897–900 (PDF 269,4 kB; russisch).
  • Michael Fleischer: New mineral names. In: American Mineralogist. Band 46, 1961, S. 241–244 (PDF 297,7 kB).
  • M. Golyshev, L. P. Otroshchenko, V. I. Simonov, N. V. Belov: Refining the atomic structure of wöhlerite, NaCa2(Zr,Nb)[Si2O7](F,O)2. In: Soviet Physics - Doklady. Band 8, 1973, S. 287–289.
  • M. Mellini, S. Merlino: Refinement of the crystal structure of wöhlerite. In: Tschermaks Mineralogische und Petrographische Mitteilungen. Band 26, 1979, S. 109–125.
  • Friedrich Klockmann: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. Hrsg.: Paul Ramdohr, Hugo Strunz. 16. Auflage. Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 694 (Erstausgabe: 1891).

Weblinks

Commons: Wöhlerite – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 576.
  2. a b Helmut Schröcke, Karl-Ludwig Weiner: Mineralogie. Ein Lehrbuch auf systematischer Grundlage. de Gruyter, Berlin/ New York 1981, ISBN 3-11-006823-0.
  3. a b c d Wöhlerite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001. (PDF 76 kB)
  4. a b c d Mindat - Wöhlerite
  5. a b Th. Scheerer: Ueber den Wöhlerit, eine neue Mineralspecies. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 59 1843, S. 327–336 (PDF 663 kB)
  6. Mindat - Anzahl der Fundorte für Wöhlerit
  7. Fundortliste für Wöhlerit beim Mineralienatlas und bei Mindat