Yuval Noah Harari

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Yuval Noah Harari (* 24. Februar 1976 in Kiryat Ata, Bezirk Haifa)[1] ist ein israelischer Historiker. Er lehrt seit 2005 an der Hebräischen Universität Jerusalem und ist mit Forschungen zur Militärgeschichte und universalhistorischen Thesen hervorgetreten. Seine populärwissenschaftliche Monographie Eine kurze Geschichte der Menschheit wurde zu einem internationalen Bestseller. Auch die dystopisch in die Zukunft zielende Nachfolgepublikation Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen sowie die auf Orientierung in der Gegenwart gerichteten 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert erreichten in zahlreichen Übersetzungen eine breite Leserschaft. Harari, der als Gesellschaftsanalytiker und Vordenker auch von internationalen Spitzenpolitikern geschätzt und empfangen wird, schreibt regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Haaretz.

Leben und Werk

Harari studierte von 1993 bis 1998 an der Hebräischen Universität Jerusalem Geschichtswissenschaft und spezialisierte sich zunächst auf die Geschichte des Militärs im Mittelalter.[2] Er wurde daraufhin am Jesus College der University of Oxford unter der Betreuung von Steven J. Gunn promoviert.[3] Harari erhielt dort 2002 seinen Doktorgrad (Ph.D.) mit der Arbeit History and I. War and the Relations between History and Personal Identity in Renaissance Military Memoirs, c. 1450–1600 (zu Deutsch: „Geschichte und Ich. Krieg und die Beziehungen zwischen Geschichte und persönlicher Identität in Memoiren von Militärs der Renaissance“). Seitdem hat er verschiedene militärhistorische Studien zu verschiedenen Epochen und Zugängen veröffentlicht. 2003 wurde Harari als Post-Doktorand Yad-Hanadiv-Fellow an der Hebräischen Universität Jerusalem, an der er seit 2005 lehrt.

Seit einiger Zeit beschäftigt er sich mit Weltgeschichte und makrohistorischen Prozessen. So gibt sein Buch Eine kurze Geschichte der Menschheit einen Überblick über die Entwicklung der Menschheit von ihren prähistorischen Anfängen bis zur Jetztzeit.[4] Die hebräischsprachige Originalausgabe ist in Israel zu einem Bestseller geworden und hat Harari zuerst dort bekannt gemacht. Seine Vorlesungen zur Weltgeschichte wurden zehntausendfach bei YouTube abgerufen, und er wurde zum Autor einer vierzehntäglichen Kolumne in der israelischen Tageszeitung Haaretz.[5] Seitdem wurde das Buch zuerst in englisch- und deutschsprachigen Ausgaben erfolgreich und inzwischen in fast 50 Sprachen übersetzt.[6] Im November 2012 wurde Harari mit 25 weiteren Nachwuchswissenschaftlern in die neugegründete Israelische Akademie der Wissenschaften gewählt, die junge Forscher aus Israel fördern soll.[7]

Harari lebt mit seinem Ehemann Itzik Yahav im Moschaw Mesilat Zion bei Bet Schemesch westlich von Jerusalem.[8] Er lebt vegan und hat mehrfach in Büchern und Artikeln das Elend domestizierter Tiere kommentiert.[9][10] In einem 2015 im Guardian erschienenen Artikel nannte er die industrialisierte Massentierhaltung eines der schwersten Verbrechen der Menschheitsgeschichte und das Schicksal industriell aufgezogener Tiere eine der dringendsten ethischen Fragen unserer Zeit.[11]

Mit seinem Ehemann betreibt Harari in Tel Aviv eine Firma mit 12 Angestellten, die Yahav-Harari Group Ltd. Laut Spiegel beschäftigt die Firma vor allem die vielfältige mediale Aufbereitung und Diversifizierung von Hararis Erfolgspublikationen. Eine weitere Firmengründung Yahavs und Hararis unter dem Namen Sapiensship soll als soziales Unternehmen dazu beitragen, so Der Spiegel, „die Probleme dieser Welt zu lösen.“[12] Das Buch Eine kurze Geschichte der Menschheit erscheint in Zusammenarbeit mit David Vandermeulen und Daniel Casanave als vierteilige Comicadaption. Die beiden ersten Teile (Sapiens. Der Aufstieg; Sapiens. Die Falle) liegen bereits vor.[13] Im Jahr 2020 hielt er beim Weltwirtschaftsforum den Vortrag „Wie können wir das 21. Jahrhundert überleben“ über drei existenzielle Bedrohungen: Atomkriege, ein Zusammenbruch des Ökosystems und technologische Umwälzungen.[14]

Yuval Harari berichtete, dass seine Meditations-Praxis von täglich zwei Stunden sein Leben verändert und seine Arbeit beeinflusst habe.[15][16]

Kommentare zum Zeitgeschehen

Auswirkungen technologischer Entwicklungen auf die menschliche Existenz

Im Zuge der digitalen Revolution und der biotechnologischen Entwicklung erwartet Harari einschneidende Veränderungen menschlicher Existenzweisen. Das Smartphone etwa werde binnen 20 bis 30 Jahren für Menschen zu einer Art zweitem Gehirn werden, das wissen werde, was wir fühlen, wollen und denken, und das über unsere Alltags- und Lebensentscheidungen bestimmen werde. Aus Menschen würden, so zitiert Der Spiegel Harari, „hackable animals“ – Tiere, die man hacken kann.[17]

Corona-Pandemie

In der Corona-Krise plädiert Harari angesichts des sich ständig verlagernden Zentrums der Epidemie für verstärkte internationale Kooperation. „Solange sich das Virus in anderen Gegenden ausbreitet, sind auch wir in Gefahr – es kann und wird zu uns zurückkehren. Wenn wir anderen Ländern helfen, tun wir es nicht aus Mitleid. Sondern aus Eigeninteresse.“ Den Umgang mit der Pandemie im Alltag sieht Harari auch als „riesiges soziales Experiment“ mit dauerhaftem Veränderungspotenzial. Seit Jahren lediglich geplante Onlinekurse an Universitäten seien unter Corona-Bedingungen binnen Wochen eingerichtet worden; man werde nach der Krise nicht einfach zum Ausgangszustand zurückkehren. Warnend wendet sich Harari gegen Überwachungsmaßnahmen zur Corona-Eindämmung: „Sobald die Bevölkerung sich daran gewöhnt hat, dass es gewisse Überwachungsmaßnahmen gibt, hat die Regierung keinen Grund mehr, sie nicht mehr einzusetzen. Dann wird das Kriseninstrument zum Normalzustand.“[18]

Putins Ukraine-Angriffskrieg

Bereits in seinem Buch 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert kritisierte Harari Russlands Annexion der Krim 2014, indem er Wladimir Putins Behauptung, es habe keine Beteiligung russischer Truppen gegeben, als Beispiel für das postfaktische Zeitalter anführt. In der russischen Ausgabe des Buches fehlte diese Passage hingegen und wurde durch ein Beispiel mit Donald Trump ersetzt.[19]

Als spezielles Merkmal des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine 2022 gegenüber vielen früheren Konflikten bezeichnete es Harari in einem am 21. April 2022 in der Zeit erschienenen Interview, dass er im Wesentlichen als der Krieg einer einzelnen Person begonnen worden sei. Bislang sei es „Putins Krieg und keiner zwischen Nationen, Kulturen oder Ideologien.“ Dieser habe vorgehabt, die Unabhängigkeit der Ukraine in dem Glauben, dass eine ukrainische Nation gar nicht existiere, vollständig zu zerstören. Mittlerweile hätten die ukrainischen Reaktionen gezeigt, dass dieses ursprüngliche Kriegsziel für Putin unerreichbar sei. Europa und die Nato dürften zwar einerseits eine vollständige Vertreibung bzw. Auslöschung der ukrainischen Bevölkerung durch Putin gegebenenfalls nicht hinnehmen, sollten aber andererseits nicht ihrerseits den Konflikt eskalieren, indem sie einen Regimewechsel in Russland als Ziel ausgeben.

Putins Kriegsabsichten hält Harari für rückschrittlich aus der Zeit gefallen. Seit dem Zweiten Weltkrieg und der anschließenden atomaren Konfrontation seien die großen Erfolgsgeschichten friedliche gewesen, wie sich am Aufstieg der Kriegsverlierer Japan, Deutschland und Italien gezeigt habe. Auch China sei ohne Kriege zur Supermacht geworden, Russland hingegen zur zweitrangigen Macht mit scheiternder Wirtschaft. Imperiale Kriege, so Harari, lohnen sich nicht mehr. In einer wissensbasierten Ökonomie sei es damit vorbei, durch territoriale Expansion wirtschaftlich und an Einfluss hinzuzugewinnen. „Russland ist im Grunde nichts anderes als eine Tankstelle mit Atomwaffen.“ Doch falls Putin gewinne, sei die Friedensära der Nachkriegsjahre vorbei, weil damit Eroberungskriege für Autokraten wieder eine Option würden. „Wenn Putin gewinnt, werden die Militärausgaben weltweit in die Höhe schnellen. Unser Geld wird für Panzer und Raketen ausgegeben werden statt für Schulen und Krankenhäuser. Die ganze Welt wird ein wenig wie Russland aussehen.“

Andernfalls komme es für Europa nach dem Krieg darauf an, sich mit allen Mitteln für den Wiederaufbau der Ukraine zu engagieren und das Land an Europa anzubinden. Diese Perspektive bereits jetzt zu eröffnen, hält Harari für ein wichtiges Mittel, die Entschlossenheit der Ukrainer zu stärken, was sich als der beste Schutz Europas gegen ein diktatorisches Russland erweisen würde.[20]

Rezeption

Mit seinen drei Bestsellerwerken Eine kurze Geschichte der Menschheit, Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen sowie 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert – der Spiegel schreibt von auf Deutsch „fast 1600 Seiten Weltwissen“ – hat sich Harari einen weithin bekannten Namen gemacht und wird unterdessen international als Ideengeber oder Berater von Spitzenpolitikern herangezogen. Barack Obama schätzt ihn als Inspirationsquelle; Angela Merkel, Emmanuel Macron und Sebastian Kurz trafen ihn zum Gedankenaustausch.[21]

Von wissenschaftlicher Seite wurden Hararis Werke kritisiert. Die Neurowissenschaftlerin Darshana Narayanan warf dem Autor 2022 vor, er sei wissenschaftlich in vielerlei Hinsicht "a fraud" ("ein Betrüger"). Seine Bücher seien nie einem wissenschaftlichen Fact-Checking unterzogen worden, da die Fragestellungen in der Regel so umfassend seien, dass sich Wissenschaftler als Experten auf Spezialgebieten nicht zuständig gefühlt hätten. Harari sei es so gelungen, durch gekonntes Storytelling ein Bild von der menschlichen Spezies zu zeichnen, das in vielerlei Hinsicht den Überzeugungen des Silicon Valley von einer datengetriebenen Gesellschaft entspräche, dabei aber Argumente aus den Humanwissenschaften unterschlage, die ein wesentlich vielfältigeres und komplexeres Bild des Menschen zeichneten.[22]

Auszeichnungen

Schriften (Auswahl)

Eine Liste von Hararis Publikationen findet sich auf seiner Website.[24]

  • The Military Role of the Frankish Turcopoles. A Reassessment. In: Mediterranean Historical Review. Bd. 12, 1997, S. 75–116.
  • Renaissance Military Memoirs. War, History and Identity, 1450–1600. Boydell & Brewer, Woodbridge 2004. (Buchversion der Dissertation)
  • Martial Illusions. War and Disillusionment in Twentieth-Century and Renaissance Military Memoirs. In: Journal of Military History. Bd. 69, 2005, S. 43–72.
  • Special Operations in the Age of Chivalry, 1100–1550. Boydell & Brewer, Woodbridge 2007.
  • Military Memoirs. A Historical Overview of the Genre from the Middle Ages to the Late Modern Era. In: War in History. Bd. 14, 2007, S. 289–309.
  • The Concept of ‘Decisive Battles’ in World History. In: The Journal of World History. Bd. 18, 2007, S. 251–266.
  • The Ultimate Experience. Battlefield Revelations and the Making of Modern War Culture, 1450–2000. Palgrave-Macmillan, Houndmills 2008.
  • Combat Flow. Military, Political and Ethical Dimensions of Subjective Well-Being in War. In: Review of General Psychology. Bd. 12, 2008, S. 253–264.
  • Armchairs, Coffee and Authority. Eye-Witnesses and Flesh-Witnesses Speak about War, 1100–2000. In: The Journal of Military History. Bd. 74, 2010, S. 53–78.
  • Eine kurze Geschichte der Menschheit. Übersetzung aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. DVA, München 2013, ISBN 978-3-421-04595-9 (Erschienen 2011 in Israel, siehe den hebräischsprachigen Wikipedia-Artikel קיצור תולדות האנושות).
  • Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen. Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C. H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-70401-7.
  • 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C. H. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-72778-8.
  • Fürsten im Fadenkreuz. Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C. H. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75037-3.
  • Sapiens. Der Aufstieg. Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C. H. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75893-5.
  • Sapiens. Die Falle. Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C. H. Beck, München 2021, ISBN 978-3-406-77751-6.

Literatur

Weblinks

Commons: Yuval Noah Harari – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Yuval Harari - About Yuval Harari. In: www.ynharari.com. Abgerufen am 2. Dezember 2016.
  2. Zum Ausbildungsgang siehe das Curriculum Vitae auf seiner Website.
  3. Zu seiner Person die Vorstellung auf der Website der Universität Oxford.
  4. A Brief History of Humankind, Zusammenfassung in Vorlesungsform bei Coursera (englisch).
  5. Siehe etwa folgende Kolumne: There is One Thing More Lucrative than War: Peace. In: Haaretz vom 20. Juli 2012.
  6. Über Yuval Noah Harari. In: YNHarari.com.
  7. 10 Hebrew University Faculty Members Inducted to New Young Israel Academy of Sciences and Humanities. Pressemitteilung der Hebräischen Universität Jerusalem (englisch) vom 22. November 2012.
  8. So der Vorspann zum Gespräch bei Haaretz.
  9. Carole Cadwalladr: Yuval Noah Harari: The age of the cyborg has begun – and the consequences cannot be known. In: The Guardian. 5. Juli 2015, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 1. Juni 2017]).
  10. Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. DVA, München 2013, ISBN 978-3-421-04595-9.
  11. Yuval Noah Harari: Industrial farming is one of the worst crimes in history. In: The Guardian. 25. September 2015, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 1. Juni 2017]).
  12. Der Spiegel Nr. 13, 21. März 2020, S. 113 f.
  13. Thomas von Steinaecker: Fragen Sie Doctor Fiction. In: sueddeutsche.de. 12. Oktober 2020, abgerufen am 13. November 2021.
  14. Düstere Szenarien zur Technologie der Zukunft. In: Der Bund. 9. Februar 2020 (derbund.ch [abgerufen am 6. März 2022]).
  15. Ezra Klein: Yuval Harari, author of Sapiens, on how meditation made him a better historian. 28. Februar 2017, abgerufen am 19. April 2019.
  16. Carole Cadwalladr: Yuval Noah Harari: The age of the cyborg has begun – and the consequences cannot be known. In: The Observer. 5. Juli 2015, ISSN 0029-7712 (theguardian.com [abgerufen am 19. April 2019]).
  17. Der Spiegel Nr. 13, 21. März 2020, S. 111 f.
  18. Yuval Noah Harari im Interview mit Maria Sterkl: Wir müssen aus Eigeninteresse helfen. In: Zeit Online, 7. April 2020; abgerufen am 19. April 2020.
  19. Leonid Bershidsky: Putin Gets Stronger When Creators Censor Themselves. 24. Juli 2019, abgerufen am 25. Juli 2022 (englisch).
  20. „Imperiale Kriege lohnen sich nicht mehr“. Ein Gespräch mit dem israelischen Intellektuellen Yuval Noah Harari über die verlorene Kunst, Kriege zu gewinnen, die Notwendigkeit, über einen zukünftigen Frieden nachzudenken, und die Frage, was der Westen von der Ukraine lernen kann. In: Die Zeit (Christian Staas), 21. April 2022, S. 19.
  21. Der Spiegel Nr. 13, 21. März 2020, S. 110.
  22. Darshana Narayanan: The Dangerous Populist Science of Yuval Noah Harari. 6. Juli 2022, abgerufen am 25. Juli 2022.
  23. JBZ-Team kürte die Top Ten der Zukunftsliteratur 2017. In: Die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen (JBZ). 29. November 2017 (jungk-bibliothek.org [abgerufen am 10. Januar 2018]).
  24. Publikationen auf seiner universitären Homepage (englisch).