Heinrich Wieland

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Heinrich Otto Wieland (1924)

Heinrich Otto Wieland (* 4. Juni 1877 in Pforzheim; † 5. August 1957 in München) war ein deutscher Chemiker und Nobelpreisträger für Chemie.

Leben

Heinrich Wieland war Sohn einer wohlhabenden liberalen Unternehmerfamilie aus dem badischen Pforzheim. Sein Vater, ein Chemiker, kaufte nach dem Krieg von 1870/71 eine Edelmetallscheideanstalt. Dadurch angeregt, begann Wieland 1896 an der Universität München mit dem Chemiestudium und wurde im Jahre 1901 bei Johannes Thiele promoviert.

Er habilitierte sich im Jahre 1905 mit einer Arbeit über Stickstoffoxide.[1] Es folgten, neben der Dozententätigkeit in München, jahrelange Berater- und Gutachtertätigkeiten. Von 1915 bis in die 1920er Jahre war Heinrich Wieland Berater bei Boehringer Ingelheim und baute in dieser Zeit die erste wissenschaftliche Abteilung des Unternehmens auf. Heinrich Wieland war ein Cousin von Helene Boehringer, Frau von Firmengründer Albert Boehringer. Dadurch blieb er der chemisch-pharmazeutischen Fabrik C. H. Boehringer Sohn in Ingelheim am Rhein ein Leben lang verbunden.

Anfangs unabkömmlich gestellt, wurde Wieland ab März 1917 dennoch zum Kriegsdienst einberufen. 1917/18 leitete Wieland die Abteilung für Kampfstoffsynthese an Fritz Habers Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem, wo er Kampfstoffe wie Senfgas (Lost) und die sogenannten „Maskenbrecher“ entwickelte. In dieser Zeit erreichte ihn auch der Ruf auf eine Professur an der TH München. So wurde er zum Pendler zwischen München und Berlin.

1921 wurde Wieland zum Professor an der Universität Freiburg und zum Wintersemester 1925/26 als Nachfolger von Richard Willstätter an die Universität München berufen. Er forschte im Bereich der Alkaloide, besonders am Strychnin, das damals aus der Brechnuss hergestellt wurde. Ab 1933 intensivierte er die Forschung am indianischen Pfeilgift. Für seine Forschungsarbeiten, beispielsweise zu Tiergiften, aber auch zu anderen Themen der organischen Chemie, wurde er mit mehr 20 Forschungsanträgen von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und dem Reichsforschungsrat finanziert.[2] Da seine Forschungsgebiete – insbesondere über die Nebensterine der Hefe, die es ihm ermöglichten, während des Krieges Mitarbeiter vor Einberufungen oder Abkommandierungen freizustellen[3] – während der Zeit des Nationalsozialismus als kriegswichtig eingestuft waren, wurden mehrere Denunziationsversuche gegen ihn in dieser Zeit nicht weiterverfolgt. Ebenso konnte er ab 1939 etwa 25 sogenannte „Halbjuden“ als „Gäste des Geheimrates“ in seinen Arbeitskreis aufnehmen. Darunter war auch Hans Conrad Leipelt, zu dessen Entlastung er vor Gericht aussagte.[4] Unter seinem Schutz standen auch Hildegard Hamm-Brücher, die 1945 bei ihm promoviert wurde, und Mirjam David.

1908 heiratete er Josephine Bartmann aus München.[5] Sie hatten drei Söhne und eine Tochter: Wolfgang, Doktor der pharmazeutischen Chemie, Theodor, Chemieprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Otto, Medizinprofessor an der Universität München. Seine Tochter Eva heiratete Feodor Lynen, Professor für Biochemie an der Universität München und Nobelpreisträger für Physiologie/Medizin.

Leistungen

Sein erster Arbeitsschwerpunkt ab 1912 waren die Arbeiten an der Cholsäure, dem Cholesterin und einem Krötengift. Das Medikament Cadechol geht auf seine Initiative zurück. Er konnte die Struktur der Steroide endgültig erklären und legte somit die Grundlagen für viele herzwirksame Mittel. Wieland erhielt 1927 den Nobelpreis für Chemie („Für seine Forschungen über die Zusammensetzung der Gallensäure und verwandter Substanzen“). Den strukturellen Zusammenhang von Gallensäuren und Steroiden wies er 1932 mit seiner engen Mitarbeiterin Elisabeth Dane nach und schlug mit ihr eine Struktur des Cholesterols vor.

Während des Ersten Weltkrieges perfektionierte Wieland chemische Kampfstoffe wie Lost und entwickelte sogenannte „Maskenbrecher“. In Freiburg lag sein Forschungsschwerpunkt im Bereich der Alkaloide. Seine Kontakte zu Boehringer/Ingelheim waren wohl auch der Auslöser für seine Arbeiten am Strychnin. Trotz des hohen Herstellungspreises war es ein beliebtes Ratten- und Mäusegift, gerade während der Rattenplagen im Zweiten Weltkrieg. Bis 1949 legten Wieland und seine Mitarbeiter dann ein besonderes Augenmerk auf das Begleitalkaloid Vomicin, das bei der Herstellung von Strychnin aus der Brechnuss anfällt.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt seit 1933 war das indianische Pfeilgift Calebassen-Curare. Es wurde 1942 in die chirurgische Praxis eingeführt; damit wurden Eingriffe in die Körperhöhlen und das zentrale Nervensystem möglich.

Schon früh begann er auch mit der Erforschung des Lobelia-Alkaloids, eines Wirkstoffes der nordamerikanischen Pflanze Lobelia inflata, auch Indianertabak genannt. Wieland gelang die Isolierung dieses Wirkstoffes, der dann 1921 von Boehringer als Atem-Analeptikum mit dem Namen „Lobelin – Ingelheim“ auf den Markt kam. Die weitere Forschung zweier Wieland-Schüler führte 1937 bei der Firma Boehringer zur ersten großtechnisch machbaren Vollsynthese des Wirkstoffes Lobelin.

Zu Wielands Schülern gehörte unter anderem der Chemiker Franz Gottwalt Fischer.

Ab der 16. Auflage übernahm er die Bearbeitung des Lehr- und Praktikumsbuches Die Praxis des organischen Chemikers, das Ludwig Gattermann begründet hatte. Nach seinem Tod führte sein Sohn Theodor Wieland das Werk weiter.

Ehrungen

1921 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften[6] und zum außerordentlichen Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften gewählt. 1925 änderte sich dieser Status zum auswärtigen Mitglied. 1925 wurde er zum Mitglied der Leopoldina[7] und zum ordentlichen Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt. 1927 erhielt er den Nobelpreis für Chemie. 1929 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences sowie als korrespondierendes Mitglied in die damalige Sowjetische Akademie der Wissenschaften aufgenommen,[8] 1932 in die National Academy of Sciences. Im Jahr 1942 erhielt er die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft.

Seit 1952 war er Mitglied des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste sowie Träger des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland. Nach ihm sind in seiner Heimatstadt eine Straße und eine Schule benannt. Seit 2000 steht eine Büste in der Ruhmeshalle in München. Seit 1964 wird der Heinrich-Wieland-Preis vergeben, zunächst vom Margarine-Institut für innovative wissenschaftliche Arbeiten in den Bereichen Biochemie, Chemie, Physiologie und klinische Medizin der Fette und Lipide, heute von der Boehringer Ingelheim Stiftung für biologisch aktive Moleküle und Systeme sowie deren klinische Bedeutung in der Chemie, Biochemie und Physiologie.

Literatur

  • Chemiker im Gespräch: Erinnerungen an Heinrich Wieland. In: Chemie in unserer Zeit. 11. Jahrgang, Nr. 5, 1977, S. 143–149, ISSN 0009-2851
  • Kultur und Technik 4/2007. Magazin des Deutschen Museums, ISSN 0344-5690
  • Elisabeth Vaupel: Nützliche Netzwerke und „kriegswichtige“ Forschungsprojekte: Die Handlungsspielräume des Chemie-Nobelpreisträgers Heinrich Wieland (1877–1957) im Dritten Reich, in: Elisabeth Kraus (Hrsg.): Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze, Teil II, München 2008, S. 331–380.
  • B. Witkop: Principiis obsta: Erinnerungen an Heinrich Wieland. (PDF; 4,7 MB).
  • Anne-Barb Hertkorn, Sibylle Wieland, Franziska Dunkel (Hrsg.): Heinrich Wieland: Naturforscher, Nobelpreisträger und Willstätters Uhr. Wiley-VCH, Weinheim 2008. ISBN 978-3-527-32333-3.

Weblinks

Commons: Heinrich Wieland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Lexikonredaktion des Verlages F.A.Brockhaus (Hrsg.): Nobelpreise. Chronik herausragender Leistungen. Mannheim 2001, ISBN 3-7653-0491-3, S. 270.
  2. Prof. Dr. Heinrich Wieland bei GEPRIS Historisch. Deutsche Forschungsgemeinschaft, abgerufen am 4. Juni 2021 (deutsch).
  3. Anne-Barb Hertkorn, Sibylle Wieland, Franziska Dunkel (Hrsg.): Heinrich Wieland, Wiley-VCH 2008, S. 68.
  4. Freddy Litten: „Er half …, weil er sich als Mensch und Gegner des Nationalsozialismus dazu bewogen fühlte“ – Rudolf Hüttel (9.7.1912–12.10.1993). Abgerufen am 12. Juni 2010 (Artikel von 1998 aus Mitteilungen der Gesellschaft Deutscher Chemiker – Fachgruppe Geschichte der Chemie).
  5. Heinrich Wieland. The Nobel Prize in Chemistry 1927. Nobel Foundation, abgerufen am 4. Januar 2010.
  6. Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 258.
  7. Mitgliederverzeichnis Leopoldina, Heinrich Otto Wieland (mit Bild)
  8. Ausländische Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften seit 1724. Heinrich Otto Wieland. Russische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 11. August 2015 (russisch).