Morphem

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Morphem ist ein Fachausdruck der Linguistik für die kleinste Spracheinheit, die eine konstante Bedeutung oder grammatische Funktion hat. Solche kleinste Einheiten sind oft als Bestandteile im Inneren von Wörtern anzutreffen, daher ist der Begriff Morphem der Zentralbegriff[1] der linguistischen Morphologie. Er ist jedoch dem Begriff des Wortes nicht direkt gegenüberzustellen, sondern kann sich mit ihm überschneiden: Ein Wort kann zerlegbar und somit aus mehreren Morphemen zusammengesetzt sein, aber ein unzerlegbares Wort stellt zugleich auch ein einziges Morphem dar.

Begriff

Bestimmung

Morpheme werden allgemein als „kleinste bedeutungstragende (sprachliche) Einheit“ definiert; genauer wie folgt: „Das Morphem ist die kleinste lautliche oder graphische Einheit mit einer Bedeutung oder grammatischen Funktion“[1].

Zum Beispiel ist das Wort tische, geschrieben ⟨Ti·sche⟩ und gesprochen /'tıʃə/, aus zwei Morphemen aufgebaut: {tisch}{-e}; dabei ist {tisch} der Wortstamm mit der Bedeutung ‚Möbel mit Platte und Beinen‘ und {-e} ist die Endung mit der Funktion ‚Mehrzahl‘, [Plural]. Das Wort wälder, ⟨Wäl·der⟩ /'vɛl.dɐ/, kann ebenfalls in zwei Wortteile, {wäld}{-er}, zerlegt werden. Dabei kommt das Morphem, das den Wortstamm ausmacht, in zwei verschiedenen Formen, sogenannten Morphen, vor: {wald} und {wäld} für [Singular] bzw. [Plural] (siehe auch unter Wortstamm#Stammveränderung und morphologische Analyse). Genauso hat das Morphem [Plural] verschiedene Ausprägungen: {-e} bei Tisch bzw. {Umlaut} + {-er} bei Wald , und noch andere Formen bei anderen Substantiven: {Auto}{-s} usw.

Ein Morphem hat auf der Inhaltsseite (Plerem) definitionsgemäß immer eine Bedeutung oder grammatische Funktion. Es kann auf der Ausdrucksseite (Kenem) entweder immer in der gleichen Form geäußert werden (vgl. „Tisch“), oder aber auch mehrere Varianten (Allomorphe) haben (vgl. „Wald – Wäld“ oder [Plural]: {-e, -er, -s …}).

Geschichte

Der Begriff Morphem wurde von Baudouin de Courtenay vor 1881 entwickelt. Leonard Bloomfield adaptierte den Begriff und hat ihn allgemein bekannt gemacht, verwendete ihn allerdings mit verengter Bedeutung, sodass bei ihm das Glossem synonym zum modernen Morphem ist. Dessen Definition festigte sich erst mit Eugene Nida.

Abweichend vom herrschenden Sprachgebrauch nennt der französische Sprachwissenschaftler André Martinet das Morphem im vorgenannten Sinne „Monem“. Ein freies Monem nennt Martinet „Lexem“, ein gebundenes „Morphem“.[2]

Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts findet sich für Morphem auch Sprachsilbe als Synonym und stand neben Sprechsilbe und Schreibsilbe als Spezialfall der Silbe.

Abgrenzung

Ein Morphem ist die kleinste funktionstragende Einheit der Sprache auf der Inhalts- und Ausdrucksebene im Sprachsystem (Langue). Morpheme sind abstrakte Einheiten der Langue, die durch Segmentierung gewonnen werden (d. h. durch einen Prozess, der den Sprachstrom in einzelne Konstituenten unterteilt).

Morph und Allomorph

Morphe werden als Repräsentationseinheiten (Parole) bezeichnet und ein Morphem als Klasse äquivalenter Morphe (Langue).

Morphe, die Varianten ein und desselben Morphems sind, heißen Allomorphe bzw. allomorph zueinander. Allomorphe sind, da sie klassifiziert sind, Einheiten des Sprachsystems (Langue). Zum Beispiel sind {Hund} und {hünd} (in hündisch) zunächst zwei Morphe; hat man erkannt, dass sie die gleiche Funktion für unterschiedliche Kontexte darstellen, gelten sie als zwei Allomorphe des lexikalischen Morphems Hund .

Graphem und Phonem

Morpheme werden lautlich als Phonemfolgen und schriftlich als Graphemfolgen realisiert (sofern nicht ein Nullmorphem angesetzt wurde). Die klassische Definition des Phonems als kleinste funktionsunterscheidende Einheit ist von der Morphemdefinition als kleinster funktionstragender Einheit zu trennen.

Die nicht inhaltstragenden, bedeutungsunterscheidenden Elemente eines Morphems heißen Phoneme, wenn sie lautlich geäußert werden, und Grapheme, wenn sie schriftlich geäußert werden (als Buchstaben, Ziffern).[3] Es gibt Schriftzeichen, die einem Morphem entsprechen, bspw. Ziffern oder viele Sinogramme, und Logogramme oder Morphogramme genannt werden.

Silbe

Das Morphem ist nicht identisch mit der Silbe, und daher ist die traditionelle Bezeichnung „Nachsilbe“ für ein am Wortende angehängtes Morphem eigentlich nicht korrekt. Selbst wenn ein Morphem für sich genommen eine Silbe darstellen könnte (z. B. -er oder -en in den Beispielen unten), kommt bei der Zerlegung des gesamten zusammengesetzten Wortes in Sprechsilben oftmals gerade eine andere Silbenaufteilung heraus:

Beispiele
; „Segler“[4]
Sprechsilben: „Seg-ler“
Morpheme: „Segl-er“
„zerlegen“[5]
Sprechsilben: „zer-le-gen“
Morpheme: „zer-leg-en“

In der deutschen Orthographie entsteht bei der Worttrennung am Zeilenende oft eine direkte Konkurrenz zwischen Morphem- und Silbenaufteilung. Während in der deutschen Rechtschreibung vor 1996 weitgehend das Morphem auf einer Zeile zusammengehalten werden sollte, bevorzugt die neue Orthographie eine echte Silbentrennung.

Wort

Das Morphem unterscheidet sich vom Wort. Für ein Morphem ist es unerheblich, ob es selbständig vorkommen kann oder nicht; das Wort ist hingegen definiert als die kleinste Form, die selbständig stehen kann.[4] Wörter bestehen aus mindestens einem Morphem.[3]

Beispiel
Das Wort (du) lachst besteht aus dem lexikalischen Morphem {lach} und aus den grammatischen Morphemen [Tempus, Modus, Person/Numerus] im Flexionsformativ {Ø Ø -st}.[3]

Lexem

Ein Lexem ist eine abstrakte Einheit, die Bedeutung, Laut-/Schriftbild, grammatische Merkmale und ggf. verschiedene Flexions­formen eines „Wortes“ zusammenfasst; dieser Begriff ist also zu unterscheiden von dem des „lexikalischen Morphems“, d. h. einem Morphem, das lexikalische Bedeutung trägt und als Basis für die Markierung grammatischer Information dienen kann.

Notation

Die Schreibweise von Morphemen und Morphen erfolgt uneinheitlich. Oft werden Morph(em)grenzen mittels einfacher Striche (-) gekennzeichnet, aber viele Autoren verwenden zusätzliche visuelle Hilfsmittel um Morpheme abzugrenzen.

Trennstriche
zer-leg-en
Schrägstriche („/…/“)[2]
/zer-/ /leg-/ /-en/
runde Klammern[6]
(zer-)(leg-)(-en)
eckige Klammern
[zer-][leg-][-en]
eckige Klammern in Verbindung mit Großschrift
[ZER-][LEG-][-EN]
[zer-][leg-][-en]
geschweifte Klammern
{zer-}{leg-}{-en}

Großschreibung oder Kapitälchen werden vor allem für grammatische Funktionsmorpheme verwendet[7] und nicht für lexikale Inhaltsmorpheme oder Morphe. Im obigen Beispiel „zerlegen“ ist die Flexionsendung {-en} ein Fall (Morph) des abstrakten grammatikalischen Morphems [Infinitiv], das Präfix {zer-} ist ein konkretes Derivationsmorphem und {-leg-} ist der lexikalische Wortstamm.

Einteilung in Klassen

Morpheme können nach unterschiedlichen Gesichtspunkten eingeteilt werden nach

  1. ihrer Wortfähigkeit in Basen und Affixe,
  2. ihrem Wortstatus in freie und gebundene Morpheme,
  3. ihrer Funktion in lexikalische Inhaltsmorpheme und grammatikalische Funktionsmorpheme.

Wortfähigkeit

Grundmorpheme[8] (auch: „Wurzelmorpheme“,[9] „Wurzeln“[9], „Basis“ oder „Kerne“[10] genannt) „sind die unverzichtbaren lexikalischen Kerne von Wörtern“.[9]

Beispiele
ein, Haus, Auto[10], rot, auf[9]

Wurzeln kommen „in der Regel“[9], d. h. nicht notwendig frei vor. Die Einteilung in Wurzelmorpheme und Affixe ist daher ähnlich, aber andere als die in freie und gebundene Morpheme.

Affixe sind Morpheme, die keine Grundmorpheme sind. Diese unterteilt man entweder nach ihrer Position in der Wortform in Präfix, Suffix, Infix oder Zirkumfix oder nach ihrer Funktion in Derivations­affixe und Flexions­affixe.

Wortstatus

Die Einteilung der Morpheme in freie und gebundene erfolgt danach, ob sie frei im Satz als Wörter auftreten können oder nicht.

Ein freies Morphem tritt als alleinige Wortform auf. In strenger Auslegung ist es nicht Teil eines Flexionsparadigmas: {in, nur, und}. Viele Autoren bezeichnen Morpheme auch dann als frei, wenn sie als eigenständige Wortform – meist die Nennform – neben anderen auftreten: {Mensch, schön, Frucht}.[11] Im ersten Fall ist also mit frei die Flexionsunabhängigkeit gemeint (vgl. Partikel), im zweiten die Bedeutungsautonomie (vgl. Semantem, Lexem).

Ein gebundenes Morphem tritt nie als selbständige Wortform auf, sondern immer nur zusammen mit anderen Morphemen in einer Wortform[1]. In engerer Bedeutung wird darüber hinaus gefordert, dass das Morphem seine Bedeutung erst aus dieser Verbindung gewinnt.

Gebundene Morpheme im engen Sinne sind häufig Flexionsendungen (z. B. {-en, -er, -st, -t}) oder Affixe in Ableitungen (z. B. {-lich, -sam, -ung}). Im weiteren Sinne gehören auch einige lexikalische Morpheme (z. B. {Him-} in Himbeere, {Schorn-} in Schornstein) und syntaktische Morpheme (z. B. {-bibel}) dazu.

Verbstämme werden in der deutschen Grammatik oft auch als gebundene lexikalische Morpheme angesehen, da sie im Deutschen immer mit einer Flexionsendung zusammen verwendet werden. Der Imperativ Singular hat eine Flexionsendung, die als Nullallomorph {-} oder als Allomorph {-e} auftritt. Als Ausnahme bleibt der Inflektiv.

Ein gebundenes Morphem benötigt mindestens ein weiteres (freies oder gebundenes) Morphem, um ein Wort bilden zu können; z. B. {ent-} und {-en}, welche sich an einen Verbstamm wie {komm} anhängen und entkommen bilden. Ein Wort wie Unbill besteht nur aus zwei gebundenen Morphemen. Solche Fälle sind häufig bei Morphemen, die aus anderen Sprachen kommen (wie {bio-} und {-logie}, die zwei gebundene Morpheme sind) oder deren eigenständige Bedeutung im Laufe der Sprachentwicklung verloren gegangen ist.

Ob ein Morphem gebunden oder frei vorkommt, hängt von der jeweiligen Sprache ab. Im Deutschen heißt es Haus und mein Haus, im Türkischen ev ‚Haus‘ und evim ‚mein Haus‘.[12]

Funktion

In der funktionellen Betrachtung unterscheidet man zwischen lexikalischen und grammatischen Morphemen: Die lexikalischen Morpheme (l-Morpheme) oder Inhaltsmorpheme bezeichnen reale oder gedachte Personen, Gegenstände, Sachverhalte.[13] Sie sind also Morpheme mit einer referentiellen Funktion.[10] Lexeme bilden den „Grundbestandteil eines Wortes“.[8] Sie bilden die Stämme oder Wurzeln der Wörter, stellen also das Grundinventar der Wörter einer Sprache dar. Das Inventar der lexikalischen Morpheme ist offen, d. h. beliebig erweiterbar.

Beispiel
Im Wort „Kinder“ ist das Morphem {kind} ein lexikalisches und das Morphem {er} ein funktionales Morphem.

Die grammatischen oder funktionalen Morpheme (f-Morpheme) oder Funktionsmorpheme, auch Grammeme, hingegen bilden keine Wörter, sondern verändern diese gemäß grammatischen Regeln und tragen grammatische Informationen. Sie werden weiter unterteilt in Flexionsmorpheme und Wortbildungsmorpheme.[14]

Flexionsmorpheme oder flexive Morpheme zeigen syntaktische Eigenschaften des Stammes an, den sie flektieren, das heißt, sie drücken seine grammatischen Merkmale aus.

Beispiel
{t} in (er) geh-t[10] drückt das Merkmal [3. Person Singular] aus.

Wortbildungsmorpheme oder derivative Morpheme leiten neue Wörter aus den schon vorhandenen ab und ändern dabei oft die Wortklasse oder Wortart, das heißt ihre Funktion betrifft die Wortbildung.

Beispiel
{-lich} in glücklich.[10]

Da auch unzerlegbare Wörter als Morpheme gelten, können gegebenenfalls auch Artikel, Konjunktionen und Ähnliches unter die grammatischen Morpheme fallen.

Sonderfälle

Nullmorphem

Einen Sonderfall stellt das Nullmorphem {} dar. Dies ist ein Morphem, das nicht lautlich oder schriftlich realisiert ist.

Ein Nullmorphem kann unter anderem aus beschreibungstechnischen Gründen gerechtfertigt werden, beispielsweise beim Wechsel zwischen Flexionsaffixen und deren Fehlen im Paradigma eines Wortes.

Beispiel
Wenn man die Deklination deutscher Substantive betrachtet, so stellt man fest, dass der Nominativ Singular keine eigene Flexionsform aufweist. Lautet der Genitiv Singular von Haus auf {-es} (Haus-es), so hat der Nominativ keine Endung. Will man nun auch für den Nominativ Singular eine Endung ausweisen, so kann die Form nur Haus-∅ lauten mit {-∅} für das angesetzte Nullmorphem. Es handelt sich in diesem Fall um kein Nullallomorph, da der Nominativ Singular nie eine eigene Endung aufweist. (In dieser Hinsicht unterliegen die substantivierten Adjektive wie Angestellter, Kranker, Verletzter anderen Regeln.)

Das Nullmorphem ermöglicht es, dass man das Flexionssystem der Substantive insgesamt einheitlich mit Wortstamm + Endung darstellen kann.

Diskontinuierliches Morphem

Ein weiterer Sonderfall sind die diskontinuierlichen Morpheme, bei denen eine Folge voneinander getrennter Morphe zusammen ein Morphem bilden. Sie kommen in der Ableitung ebenso wie in der Flexion vor.

Gebundenes lexikalisches Morphem

Lexikalische Morpheme treten auch als gebundene Morpheme auf, die keine Affixe sind. Die Verbstämme werden mitunter derart aufgefasst, da sie immer nur in Verbindung mit Flexions- oder Ableitungsmorphemen und nie allein verwendet werden.

Konfixe haben eine stärkere lexikalische Grundbedeutung und können im Gegensatz zu unikalen Morphemen in mehreren Umgebungen in Verbindung mit Derivation oder Komposition auftreten.

Beispiel
Fanat-iker, Fanat-ismus, fanat-isch, fanat-isier-enFanat [15]

Unikale Morpheme kommen nur in einer einzigen Kombination vor und haben nur in Verbindung mit einem speziellen Kombinationspartner eine eigene Bedeutung; so z. B. {lier-} in ver-lier-en.

In Sprachen mit Inkorporation gibt es auch gebundene Nomina bzw. Verben, die morphologisch in ein Verb integriert werden; sie werden in diesem Zusammenhang überdies als Affixe bezeichnet.[16]

Beispiele

Kombination der Morphemklassen
Beispiele:
frei, lexikalisch
Schrank, Mensch, Liebe
Diese Morpheme können als selbständige Wörter im Satz stehen und haben eine Bedeutung.
frei, grammatisch
der, in, aber
Auch diese Morpheme stehen als selbständige Wörter im Satz, aber sie haben keine eigene Bedeutung. Sie haben eine grammatische Funktion, und man kann ihnen eine Bedeutung zuordnen, aber diese Bedeutung ist immer abhängig von einem lexikalischen Morphem. Beim bestimmten Artikel der ist allerdings umstritten, ob er nicht besser als Basis d- und Affix -er bestimmt werden sollte.
gebunden, unikal
Him(beere), Lor(beer)
Him- und Lor- haben keine eigenständige Bedeutung oder Funktion mehr. Sie kommen heute ausschließlich in dieser einen Kombination vor und können ausschließlich in dieser Verbindung sinnvoll benutzt werden. Sie werden nach dem englischen Standardbeispiel auch Cranberry-Morphe genannt. Die Einzelbedeutung dieser Morpheme ging mit dem Sprachwandel verloren (z. B. „Him-“ von mhd. Hinde, „Hirschkuh“).
gebunden, derivativ
-keit, ent-, -ier(-en)
Diese Morpheme können nicht selbständig vorkommen. Sie sind immer an ein lexikalisches Morphem gebunden, dessen Wortklasse sie oft ändern. heiter → Heiterkeit ändert beispielsweise die Wortklasse von Adjektiv in Substantiv.
gebunden, flexiv
-t (Allomorphe des Morphems [3. Person Singular Indikativ Präsens] bzw. der Morphemkombination [3. Person][Singular][Indikativ][Präsens])
-en (Allomorph des Morphems [Infinitiv])
Auch diese Morpheme kommen nur an lexikalische Morpheme gebunden vor. Ihre Funktion ist die Beugung (Flexion) der Wörter. Das Allomorph -t z. B. beugt das Verb gehen (die Verbindung heißt dann geht) nach Person (3.), Zahl (Einzahl), Zeit (Präsens) und Modus (Indikativ).

Zahl der Morpheme im Deutschen

Zu der Frage, aus wie vielen Morphemen deutsche Wörter aufgebaut sind, sind folgende Hinweise zu finden: Bühler schätzt, dass ca. 34.000 Wörter mit über 2000 „Sinnsilben“ gebildet werden.[17] Dabei ist nicht ganz klar, was mit „Sinnsilbe“ gemeint ist. Muss man sie mit Morph oder Morphem gleichsetzen, oder sind zum Beispiel grammatische Morphe/Morpheme dabei nicht berücksichtigt? Eine nicht näher benannte Computeranalyse eines Wörterbuchs von Wahrig hat ergeben, dass dem darin enthaltenen Wortschatz „fast 5000 deutschstämmige“ und insgesamt „fast 10.000 Morpheme“ zugrunde liegen. Es fehlt hier der Hinweis, wie umfangreich der Wortschatz dieses Wörterbuches ist. Bünting ist sich bewusst, dass diese Zahlenangaben nicht zu stimmen brauchen, nimmt aber an, damit die Dimension in etwa getroffen zu haben.[18] König gibt – ebenfalls ohne Quellenangabe – an, das Deutsche verfüge über „ca. 4000 Grundmorpheme“.[19] Bluhme behandelt in seinem Buch einen Grundwortschatz, der aus 3800 einsilbigen Morphemen besteht, von denen jedoch 1757 (46 %) Entlehnungen sind.[20] Golston & Wiese erstellen eine Datenbank der lexikalischen Wurzeln auf der Basis mehrerer Wörterbücher und erhalten 6512 Einträge.[21]

Das Problem bei diesen Angaben besteht darin, dass sie nur sinnvoll sind, wenn man sie auf eine bekannte Größe des Wortschatzes bezieht. Je größer der zugrundegelegte Wortschatz ist, desto größer ist auch die Zahl der Morpheme, wie sich in einer ähnlich gelagerten Untersuchung zu Morphtypes gezeigt hat.[22]

Siehe auch

Literatur

Allgemeine linguistische Einführungsliteratur

  • Patrick Brandt, Rolf-Albert Dietrich, Georg Schön: Sprachwissenschaft (= UTB). 2. Auflage. Böhlau, Köln 2006, ISBN 3-8252-8331-3.
  • Gerhard Augst: Lexikon zur Wortbildung – Morpheminventar A–Z (3 Bände) (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache). Gunter Narr, Tübingen 1975, ISBN 3-87808-624-5.
  • Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. aktualisierte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2002, ISBN 3-520-45203-0.
  • Danièle Clément: Linguistisches Grundwissen. 2. Auflage. 2000.
  • Michael Dürr, Peter Schlobinski: Deskriptive Linguistik. 2006, ISBN 3-525-26518-2.
  • Hanspeter Gadler: Praktische Linguistik. 3. Auflage. 1998, ISBN 3-8252-1411-7.
  • Dietrich Homberger: Sachwörterbuch zur Sprachwissenschaft. 2000.
  • Piroska Kocsány: Grundkurs Linguistik. Ein Arbeitsbuch für Anfänger. Fink, Paderborn 2010.
  • Angelika Linke, Markus Nussbaumer, Paul R. Portmann: Studienbuch Linguistik. 5., erweiterte Auflage. Max Niemeyer, Tübingen 2004.
  • Jörg Meibauer: Einführung in die germanistische Linguistik. 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-02141-0, S. 15–69.
  • Heidrun Pelz: Linguistik. 1996, ISBN 3-455-10331-6.
  • Winfried Ulrich: Linguistische Grundbegriffe (= HIRTs Stichwörterbücher). 5. Auflage. Gebrüder Borntraeger, Berlin/Stuttgart 2002, ISBN 3-443-03111-0.

Spezielle linguistische Einführungsliteratur

  • Henning Bergenholtz, Joachim Mugdan: Einführung in die Morphologie. Kohlhammer, Mainz u. a. 1979, ISBN 3-17-005095-8.
  • Ingrid Kühn: Lexikologie. 1994, ISBN 3-484-25135-2.
  • Franz Simmler: Morphologie des Deutschen. Weidler, Berlin 1998, ISBN 3-89693-304-3.
  • Christine Römer: Morphologie der deutschen Sprache. Francke, Tübingen / Basel 2006, ISBN 3-8252-2811-8.
  • Ernst Tugendhat, Ursula Wolf: Logisch-semantische Propädeutik (= Universal-Bibliothek. Nr. 8206). Reclam, Stuttgart 1983, ISBN 3-15-008206-4.

Vertiefende Literatur

  • Susanne Bartke: Experimentelle Studien zur Flexion und Wortbildung. Niemeyer, Tübingen 1998, ISBN 3-484-30376-X.

Weblinks

Wiktionary: Morphem – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b c Linke et al. (2004:66–67)
  2. a b Ulrich (2002/Monem, /Morphem)
  3. a b c Brandt et al. (2006:4)
  4. a b Dürr/Schlobinski (2006:79)
  5. Gadler (1998:95–96)
  6. Beispiel von Homberger (2000/Morphem): Wort „sprang“ = Bedeutung (spring-) + Numerus (Sg.) + Tempus (Präteritum)
  7. Clément (20002:136) verwendet „[PLURAL]“ für das Morphem Plural
  8. a b Dürr/Schlobinski (2006:83, 293)
  9. a b c d e Meibauer (2007:29)
  10. a b c d e Gadler (1998:99)
  11. Hans Altmann: Prüfungswissen Wortbildung (= UTB. Nr. 3458). 3., durchgesehene Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8252-3458-4.
  12. Kocsány (2010:83)
  13. Pelz (1996:116)
  14. nach Gadler (1998:99), sind nur Flexionsmorpheme grammatische Morpheme und bilden die Wortbildungsmorpheme eine eigene, dritte Kategorie. Kühn (1994:17) unterscheidet einerseits Grund- und Basismorpheme und andererseits Wortbildungsmorpheme, Flexions- und grammatische Morpheme
  15. nach Meibauer (2007:31)
  16. Siehe Diane Massam: Noun Incorporation: Essentials and Extensions. In: Language and Linguistics Compass. Bd. 3, Nr. 4, 2009, S. 1076–1096, doi:10.1111/j.1749-818X.2009.00140.x
  17. Karl Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Ullstein, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1978, ISBN 3-548-03392-X, Seite 34. Erstmals 1934 erschienen.
  18. Karl-Dieter Bünting: Einführung in die Linguistik. 9. Auflage. Athenäum, Königstein 1981, Text und Fußnote 3, ISBN 3-7610-2011-2, Seite 96.
  19. Werner König: dtv-Atlas Deutsche Sprache. 15., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, ISBN 3-423-03025-9, Seite 115.
  20. Hermann Bluhme: Etymologisches Wörterbuch des deutschen Grundwortschatzes. LINCOM Europa, München 2005, ISBN 3-89586-805-1.
  21. Chris Golston, Richard Wiese: The structure of the German root. In: Wolfgang Kehrein, Richard Wiese (Hrsg.): Phonology and Morphology of the Germanic Languages. Max-Niemeyer-Verlag, Tübingen 1998, ISBN 978-3-484-30386-7, S. 165–185.
  22. Karl-Heinz Best: Quantitative Untersuchungen zum deutschen Wortschatz. In: Glottometrics 14, 2007, Seite 32–45, Bezug: Seite 37f.