Benutzer:Alva2004/Kontinuumsmechanik
Die Kontinuumsmechanik ist ein Teilgebiet der Mechanik, der die Bewegung von deformierbaren Körpern als Antwort auf äußere Belastungen studiert. Der Begriff Deformation wird hier so weit gefasst, dass auch das Fließen einer Flüssigkeit oder das Strömen eines Gases darunter fällt. Entsprechend gehören Festkörper-Mechanik, Strömungslehre und Gastheorie zur Kontinuumsmechanik. In der Kontinuumsmechanik wird vom mikroskopischen Aufbau der Materie, also zum Beispiel der Gitterstruktur kristalliner Festkörper und der molekularen Struktur von Flüssigkeiten, abgesehen und der Untersuchungsgegenstand als ein Kontinuum genähert. Die Größen Dichte, Temperatur und die drei Komponenten der Geschwindigkeit liegen an jedem Raumpunkt innerhalb eines Körpers vor, was die Kontinuumsmechanik zu einer Feldtheorie macht. Zu den nicht klassischen Theorien der Kontinuumsmechanik gehören die relativistische Kontinuumsmechanik, das Cosserat-Kontinuum, in dem jeder materielle Punkt zusätzlich drei Rotationsfreiheitsgrade besitzt oder die nicht lokalen Materialien.
Der theoretische Hintergrund der Kontinuumsmechanik liegt in der Physik, die praktische Anwendung erfolgt in verschiedenen Bereichen des Maschinenbaus, des theoretischen Bauingenieurwesens, der Werkstoffkunde, der Medizinische Informatik sowie in der Geophysik und anderen Bereichen der Geowissenschaften.
Das im Bereich wissenschaftlich technischer Aufgabenstellungen der Festkörpermechanik bekannteste und am meisten angewandte numerische Berechnungsverfahren, die Finite-Elemente-Methode, löst die Gleichungen der Kontinuumsmechanik (näherungsweise) mit Methoden der Variationsrechnung. In der Strömungslehre kommt ein gleicher Rang dem Finite-Volumen-Verfahren zu.
Historischer Abriss
Die Kontinuumsmechanik basiert auf der Mechanik, Physik, Differential- und Integralrechnung deren historischer Werdegang dort nachgeschlagen werden kann. An dieser Stelle soll die spezifisch kontinuumsmechanische Entwicklung skizziert werden.
Leonardo da Vinci (1452-1519) trug durch viele Skizzen von Strömungsvorgängen zur Entwicklung der Methodik der Strömungslehre bei. Galileo Galilei (1564-1642) begründete die Festigkeitslehre und beschäftigte sich mit Hydraulik, Torricelli (1608-1647) und Blaise Pascal (1623-1662) beschäftigten sich unter anderem mit der Hydrostatik und Hydrodynamik. Edme Mariotte (1620-1684) lieferte Beiträge zu Problemen der Flüssigkeiten und Gase und stellte dabei erste Konstitutivgesetze auf. Robert Hooke (1635-1703) formulierte 1676 das nach ihm benannte Hookesche Gesetz über das elastische Verhalten von Festkörpern. Pitot (1695-1771) untersuchte den Staudruck in Strömungen. Leonhard Euler (1707-1783) gab wesentliche Impulse zur Mechanik starrer und deformierbarer Körper sowie zur Hydromechanik. Die in der Kontinuumsmechanik fundamentalen Begriffe des Spannungs- und Verzerrungstensors wurden von Cauchy (1789-1857) eingeführt. Weitere Beiträge kamen unter anderem von Poisson (1781-1840), Navier (1785-1836), Stokes (1819-1903), Kirchhoff (1824-1887) und Piola (1794-1850). Impulse auf dem Gebiet der Grundlagenforschung in der Kontinuumsmechanik gaben Truesdell (1919-2000) und Noll (*1925).[1][2]
Aussagen der Kontinuumsmechanik
Die Kontinuumsmechanik enthält zwei unterschiedliche Kategorien von Aussagen:
- allgemeine Aussagen, die für alle materiellen Körper gelten, und
- individuelle Aussagen, die Materialeigenschaften beschreiben.
Die allgemeinen Aussagen beschreiben
- die Naturgesetze, die das physikalische Verhalten der Materie bestimmen, und
- die Kinematik, hier die Geometrie der Deformation eines Körpers.
Die individuellen Aussagen über die Materialeigenschaften des Körpers werden in der #Materialtheorie getroffen. Sie schaffen die Verbindung zwischen den Naturgesetzen und den Deformationen von Körpern.
Die mathematische Beschreibung erlaubt die kompakte Formulierung der Naturgesetze in Bilanzgleichungen und der Materialeigenschaften in konstitutiven Gleichungen.
Das System aus
- Bilanzgleichungen,
- kinematischen Gleichungen und
- konstitutiven Gleichungen
ist abgeschlossen und führt zur prinzipiellen Vorhersagbarkeit der Reaktion von Körpern auf gegebene äußere Belastungen.
Kinematik
Hier sollen nur die spezifisch kontinuumsmechanischen Aspekte beschrieben werden, mehr ist unter Kinematik nachzuschlagen. Die Kinematik gibt in der Kontinuumsmechanik Transformationsgleichungen für Größen in der Ausgangskonfiguration in die entsprechenden Größen in der Momentankonfiguration. Bei der Deformation werden Vektorfelder transformiert, was von Tensoren bewerkstelligt wird. Die in der Kontinuumsmechanik meist benutzten Tensoren sind Tensoren zweiter Stufe, die geometrische Vektoren aus dem dreidimensionalen euklidischen Vektorraum linear aufeinander abbilden. Für diese Tensoren gilt die komponentenweise Darstellung
worin die Komponenten des Tensors sind, eine Basis in der Ausgangskonfiguration, eine Basis in der Momentankonfiguration und „“ das dyadische Produkt ist. Von verschiedenen Basen in der Ausgangs- und Momentankonfiguration wird bei der Beschreibung mit konvektiven Koordinaten Gebrauch gemacht. Hier genügt es die Basen und mit der Standardbasis zu identifizieren, so dass jeder Tensor mit seiner Matrixrepräsentation gleichzusetzen ist.
Mit dem Spur-Operator wird das Skalarprodukt zwischen Tensoren und der Betrag eines Tensors definiert. Die Abtrennung des hydrostatischen oder Kugelanteils liefert den Deviator:
- .
ist darin der Einheitstensor.
Der materielle Körper
Der materielle Körper als Träger der physikalischen Prozesse erfüllt gleichmäßig Teile des Raumes unserer Anschauung. In der Kontinuumsmechanik wird der Körper mittels Konfigurationen bijektiv in einen euklidischen Vektorraum abgebildet, wobei die Eigenschaften des Körpers kontinuierlich über den Raum verschmiert werden. Mit Hilfe dieser Idealisierung wird der Körper als Punkt-Menge beschrieben, in der Gradienten und Integrale gebildet werden können.
Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen:
- Es gibt eine Größenskala, unterhalb derer die Aussagen der Kontinuumsmechanik ihre Gültigkeit verlieren. Diese Größenskala liegt oberhalb der Abmessungen des Repräsentativen-Volumen-Elementes (RVE), aus identischen Kopien von welchem der materielle Körper aufgebaut gedacht wird. Das RVE eines Kristalls kann beispielsweise eine Elementarzelle sein.
- Ein innerer Punkt des Körpers bleibt immer ein innerer Punkt, weswegen die Beschreibung der Ausbreitung von Rissen mit Aussagen der klassischen Kontinuumsmechanik nicht möglich ist. Mit der Reaktion von Körpern auf Risse und der Rissausbreitung beschäftigt sich die Bruchmechanik, die ihrerseits auf das Vorhandensein eines Risses angewiesen ist.
Für einen Körper werden folgende Konfigurationen benutzt:
- Die Referenz- oder Bezugskonfiguration , die der Identifikation der materiellen Punkte dient. Die Ausgangskonfiguration des undeformierten Körpers zu einem Zeitpunkt ist zeitlich fixiert und kann und soll als Referenzkonfiguration dienen.
- Die Momentankonfiguration des deformierten Körpers zur Zeit .
Die Verknüpfung dieser Konfigurationen
soll so oft stetig differenzierbar sein, wie es im jeweiligen Kontext notwendig ist. Der Urbildraum wird mit dem vom Körper in der Referenzkonfiguration eingenommenen Volumen identifiziert und der Bildraum mit dem vom Körper in der Momentankonfiguration eingenommenen Volumen.
Materielle und räumliche Koordinaten
Die materiellen Koordinaten eines materiellen Punktes sind mit der Referenzkonfiguration gegeben:
Die Momentankonfiguration gibt die räumlichen Koordinaten des materiellen Punktes im Raum:
- .
Die Bewegungsfunktion beschreibt bei festgehaltenem die Bahnlinie eines materiellen Punktes durch den Raum.
Wegen der Eineindeutigkeit der Konfigurationen bei der Beschreibung des materiellen Körpers können alle einem materiellen Punkt zugeordneten Größen (z. B. Dichte, Temperatur und Geschwindigkeit) in Abhängigkeit seiner materiellen oder räumlichen Koordinaten beschrieben werden. Im ersteren Fall wird die Bewegung eines materiellen Punktes durch den Raum beobachtet was die materielle oder Lagrange'sche Beschreibungsweise ist (nach Joseph-Louis Lagrange) und die in der Festkörpermechanik bevorzugt wird. Im zweiten Fall wird beobachtet, welche materiellen Punkte einen gegebenen Raumpunkt passieren und welche physikalischen Größen dort vorliegen was die räumliche oder Euler'sche Beschreibungsweise bezeichnet und die in der Strömungslehre benutzt wird. Wenn nicht anders angegeben, werden Größen in der Lagrange'schen Beschreibungsweise mit Großbuchstaben oder dem Index und solche der Euler'schen mit Kleinbuchstaben bezeichnet.
Differentialoperatoren
In der Kontinuumsmechanik werden für die materielle und die räumliche Betrachtungsweise vor allem zwei Differentialoperatoren, Gradient und Divergenz, gebraucht:
Feldvariable | Divergenz | Gradient |
---|---|---|
Skalarfeld | ||
Vektorfeld | ||
Tensorfeld |
Darin sind und die materiellen Operatoren. Entsprechende Definitionen gelten für die räumlichen Operatoren und in der räumlichen Formulierung.
Lokale und materielle Zeitableitung
Die Zeitableitung einer einem materiellen Punkt zugeordneten Größe, z. B. der Temperatur , kann bei festgehaltenem Raumpunkt oder festgehaltenem materiellen Punkt ausgewertet werden. Ersteres ist die lokale Zeitableitung letzteres die materielle oder Substantielle Ableitung.
Die Partielle Ableitung bei festgehaltenem Raumpunkt ist die lokale Zeitableitung, d. h. die Änderungsrate die man an einem festen Raumpunkt beobachtet.
Die materielle Zeitableitung ist in der Lagrange'schen Beschreibung einfach die Ableitung nach der Zeit
- ,
denn die materiellen Koordinaten hängen nicht von der Zeit ab. Die materielle Zeitableitung ist also die an einem Partikel beobachtbare Änderungsrate einer Feldvariablen.
In der Euler'schen Beschreibung setzt sich die materielle Zeitableitung aus dem lokalen und einem zusätzlichen konvektiven Anteil zusammen:
Darin ist die materielle Koordinate des Partikels, das sich zur Zeit am Ort befindet, die Geschwindigkeit dieses Partikels am Ort und stellt den konvektiven Anteil dar.
Der Deformationsgradient
Der Deformationsgradient ist die grundlegende Größe zur Beschreibung von Verformungen, die sich aus lokalen Längenänderungen von und Winkeln zwischen materiellen Linienelementen ergeben. Der Deformationsgradient transformiert die Tangentialvektoren an materielle Linien in der Ausgangskonfiguration in die Momentankonfiguration, siehe Bild. Berechnet wird der Deformationsgradient aus der Ableitung der Bewegungsfunktion nach den materiellen Koordinaten
und kann auch mit der Richtungsableitung
dargestellt werden, was seine Transformationseigenschaften der Linienelemente verdeutlicht.
Mathematisch ist der Deformationsgradient eine lineare Abbildung der Vektoren des Tangentialraumes in einem Punkt der Ausgangskonfiguration in den Tangentialraum in der Momentankonfiguration:
- .
Der Deformationsgradient transformiert auch das Oberflächenelement , der mit dem Flächenstück multiplizierten Normalen des Flächenstücks, und das Volumenelement von der Ausgangskonfiguration in die Momentankonfiguration:
- .
Darin ist die Determinante und die transponiert Inverse. Mit diesen Elementen können Integrale in der Ausgangs- und der Momentankonfiguration (gleichbedeutend: in der materiellen und räumlichen Formulierung) ineinander umgerechnet werden.
Verzerrungstensoren
Mithilfe des Deformationsgradienten werden die Verzerrungsmasse definiert. Die Polarzerlegung des Deformationsgradienten spaltet die Verformung lokal in eine reine Drehung, vermittelt durch den Rotationstensor , und eine reine Streckung, vermittelt durch die symmetrischen positiv definiten rechten bzw. linken Strecktensor bzw. , siehe Bild.
Letztere dienen der Definition einer Vielzahl von Verzerrungstensoren, z. B. der Biot-Dehnungen
der Hencky Dehnungen
(berechnet mittels Hauptachsentransformation von , Ziehung der Logarithmen der Diagonalelemente und Rücktransformation) der Green-Lagrange'schen Dehnungen
und Euler-Almansi-Dehnungen
- .
ist darin der Einheitstensor. Letztere Dehnungstensoren sind aus dem Vergleich zweier materieller Linienelemente und im Punkt motiviert:
Verzerrungsgeschwindigkeiten
Aus der Zeitableitung
leiten sich der materielle Verzerrungsgeschwindigkeitstensor und der räumliche ab, die genau dann verschwinden, wenn Starrkörperbewegungen vorliegen.
Der räumliche Verzerrungsgeschwindigkeitstensor ist der symmetrische Anteil des räumlichen Geschwindigkeitsgradienten :
Geometrische Linearisierung
Die Gleichungen der Kontinuumsmechanik für Festkörper erfahren eine erhebliche Vereinfachung wenn kleine Verschiebungen angenommen werden können. Verschiebungen sind die Differenz der Ortsvektoren eines Partikels in der Momentankonfiguration und seiner Ausgangslage :
und der Verschiebungsgradient ist der Tensor
- .
Wenn eine charakteristische Abmessung des Körpers ist, dann wird bei kleinen Verschiebungen sowohl als auch gefordert, so dass alle Terme, die höhere Potenzen von oder beinhalten, vernachlässigt werden können. Bei kleinen Verschiebungen ist eine Unterscheidung der Lagrange'schen und Euler'schen Beschreibung nicht mehr nötig:
- .
Dies führt zu
- .
Das bedeutet, dass alle Verzerrungsmaße bei kleinen Verschiebungen in den linearisierten Verzerrungstensor übergehehen. Der linearisierte Verzerrungstensor
wird auch Ingenieursdehnung genannt, denn bei vielen Anwendungen im technischen Bereich liegen kleine Dehnungen vor oder sie müssen aus sicherheitstechnischen Gründen klein gehalten werden. Diese geometrisch lineare Betrachtung ist für Werte bis 3-8% zulässig, siehe Bild. Liegen keine kleinen Verschiebungen vor, wird von finiten oder großen Verschiebungen gesprochen.
Manchmal wird für die geometrische Linearisierung nur gefordert und fallen gelassen, so dass große Translationen bei nur kleinen Drehungen und Dehnungen erlaubt sind. Dann muss nach wie vor unter der Lagrange'schen und Euler'schen Beschreibung unterschieden werden.
Naturgesetze
Die in der Mechanik für ausgedehnte Körper formulierten Naturgesetze werden in der Kontinuumsmechanik als globale Integralgleichungen ausgedrückt aus denen sich mit geeigneten Stetigkeitsannahmen lokale (Differential-) Gleichungen ableiten lassen, die an jedem materiellen Punkt erfüllt sein müssen. Mittels Äquivalenz-Umformungen der lokalen Gleichungen können anschließend weitere Prinzipien motiviert werden. Die globalen und lokalen Gleichungen können des Weiteren auf die Momentan- bzw. die Ausgangskonfiguration bezogen sein, so dass es für jedes Gesetz vier äquivalente Formulierungen gibt.
Grundlegend für die Formulierung der Bilanzgleichungen ist der Begriff des Spannungstensors, der die Spannungen in Körpern auf Grund äußerer Belastungen darstellt. Das zweite Newtonsche Gesetz beschreibt die Reaktion eines Körpers auf eine äußere Kraft. In der Realität und der Kontinuumsmechanik werden solche Kräfte immer flächig eingeleitet, d. h. auf einem Teil der Oberfläche des Körpers wirken Spannungsvektoren (Vektoren mit der Einheit Kraft pro Fläche) ein die sich in den Körper als Spannungen fortpflanzen. Nun kann man den Körper gedanklich zerschneiden, so dass sich an den Schnittflächen Schnittspannungen ausbilden, die jedoch von der Orientierung der Schnittflächen, d. h. ihren Normalen, abhängen. Die Transformation der Normalen in Spannungsvektoren vollbringen die Spannungstensoren, was der Inhalt des Cauchy'schen Fundamentaltheorems ist:
Darin ist der Cauchy'sche Spannungstensor. Bei der Betrachtung desselben Zusammenhangs in der Ausgangskonfiguration muss noch die Veränderung der Flächenelemente berücksichtigt werden:
Der Spannungstensor heißt erster Piola-Kirchoff'scher Spannungstensor. Er repräsentiert die Spannungen bezogen auf die Ausgangsfläche. Die transponierte wird Nominalspannungen genannt. Bei kleinen Verzerrungen stimmen diese Spannungstensoren überein.
Die Bilanzgleichungen der Mechanik beschreiben die Wirkung der Außenwelt auf einen Körper und die daraus resultierende Änderung physikalischer Größen. Diese Größen sind die Masse, der Impuls, der Drehimpuls und die Energie. In abgeschlossenen Systemen, wo per Definition eine Wechselwirkung mit der Außenwelt ausgeschlossen wird, werden aus den Bilanzgleichungen Erhaltungssätze. Neben den in der Mechanik bekannten äußeren Einflüssen gibt es im Kontinuum auch innere Quellen und Senken, z. B. ist die Schwerkraft eine innere Quelle für Spannungen. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik wird in Form der Clausius-Duhem-Ungleichung berücksichtigt.
Massenbilanz
Sei die Dichte in der räumlichen und die in der materiellen Beschreibung. Unter der Annahme, dass es keine Massenquellen irgendeiner Form gibt, bedeutet die Massenbilanz, dass die Masse eines Körpers
zeitlich konstant ist:
Lagrange'sche Beschreibung | Euler'sche Beschreibung | |
---|---|---|
globale Form | ||
lokale Form |
Die lokalen Formen werden Kontinuitätsgleichung genannt.
Impulsbilanz
Der Impulssatz besagt, dass die Änderung des Impulses gleich der von außen angreifenden Kräfte (volumenverteilt oder oberflächlich) ist:
Lagrange'sche Beschreibung | Euler'sche Beschreibung | |
---|---|---|
globale Form | ||
lokale Form |
worin eine Schwerebeschleunigung, Oberflächenspannungen, bzw. die Oberfläche des Körpers zur Zeit bzw. ist und zu beachten ist.
Drehimpulsbilanz
Der Drehimpulssatz besagt, dass die Änderung des Drehimpulses gleich der von außen angreifenden Drehmomente (volumenverteilt oder oberflächlich) ist:
Lagrange'sche Beschreibung | Euler'sche Beschreibung | |
---|---|---|
Globale Form in der Euler'schen Beschreibung | ||
lokale Form |
worin das Kreuzprodukt, ein beliebiger, zeitlich fixierter Ortsvektor und der zweite Piola-Kirchhoff'sche Spannungstensor ist. Aus der Drehimpulsbilanz folgt also, dass der zweite Piola-Kirchhoff'sche und der Cauchy'sche Spannungstensor symmetrisch sind.
Energiebilanz
Die thermomechanische Energiebilanz besagt, dass die Änderung der Gesamtenergie eines Körpers gleich der Summe aus Wärmezufuhr und Leistung aller äußeren Kräfte ist. Die Gesamtenergie setzt sich in der Lagrange'schen Beschreibung aus der inneren Energie mit der spezifischen inneren Energie und der kinetischen Energie zusammen:
- .
Darin sind innere Wärmequellen des Körpers, der Wärmestrom pro Fläche und die auf dem Oberflächenelement des Körpers nach außen gerichtete Normale. Das negative Vorzeichen des letztens Terms liefert eine Energiezufuhr, wenn der Wärmestrom in den Körper gerichtet ist.
In der Euler'schen Beschreibung heißt die globale Energiebilanz:
- .
Die lokalen Formen lauten:
Lagrange'sche Beschreibung:
Euler'sche Beschreibung:
Prinzip von d'Alambert in der Lagrange'schen Fassung
Das Prinzip von d'Alambert in der Lagrange'schen Fassung (d.h. in materieller Darstellung) hat eine grundlegende Bedeutung für die Lösung von Anfangsrandwertaufgaben der Kontinuumsmechanik, insbesondere der Methode der Finiten Elemente. Das Prinzip von d'Alembert in der Lagrange'schen Fassung ist eine zur lokalen Impulsbilanz (in materieller Darstellung) äquivalente Aussage über Arbeiten von im System auftretenden Kräften und Spannungen an virtuellen Verschiebungen bzw. virtuellen Verzerrungen.
Unter der Verschiebung eines materiellen Punktes in wird der Differenzvektor von seiner momentanen Lage und seiner Ausgangslage verstanden: . Virtuelle Verschiebungen sind von unabhängige, gedachte, weitgehend beliebige, differenzielle Verschiebungen, die mit den geometrischen Bindungen des Körpers verträglich sind. Die virtuellen Verschiebungen müssen verschwinden, wo immer Verschiebungsrandbedingungen des Körpers vorgegeben sind. Sei der Teil der Oberfläche des Körpers, auf dem Verschiebungsrandbedingungen erklärt sind. Für ein materielles Vektorfeld der virtuellen Verschiebungen ist dann
zu fordern. Auf können dann keine Oberflächenspannungen vorgegeben werden. Deshalb bezeichnet den Teil der Oberfläche des Körpers, auf dem Oberflächenspannungen wirken (können). Analog zu den auf den Verschiebungen basierenden Verzerrungen entwickeln sich virtuelle Verzerrungen aus den virtuellen Verschiebungen , weswegen sie mindestens einmal stetig differenzierbar ein müssen:
- .
Darin ist der virtuelle Deformationsgradient.
Indem man die lokale Impulsbilanz in der Lagrange'schen Formulierung skalar mit den virtuellen Verschiebungen multipliziert und das Ergebnis über das Volumen des Körpers integriert bekommt man:
- .
Weil die virtuellen Verschiebungen beliebig sind, oder, anders ausgedrückt, diese Gleichung für alle möglichen virtuellen Verschiebungen gilt, verschwindet das Volumenintegral nur genau dann, wenn der Term in den Klammern überall verschwindet. Man nennt dies auch die schwache Form der Impulsbilanz. Weitere Umformung der Integralgleichung durch Ausnutzung des Cauchy'schen Fundamentaltheorems, des Divergenzsatzes und der Symmetrie des zweiten Piola-Kirchoff Spannungstensors führt auf das Prinzip von d'Alambert in der Lagrange'schen Fassung
- .
Auf der linken Seite steht die virtuelle Arbeit der äußeren Kräfte (oberflächen- und volumenverteilt) und auf der rechten Seite die virtuelle Deformationsarbeit und die virtuelle Arbeit der Trägheitskräfte.
Clausius Duhem Ungleichung
Die Clausius-Duhem-Ungleichung folgt aus der Anwendung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf Festkörper. Mit der spezifischen Entropie und dem Entropie-Fluss lautet die Clausius-Duhem-Ungleichung:
Lagrange'sche Beschreibung | Euler'sche Beschreibung | |
---|---|---|
globale Form | ||
lokale Form |
Bei der Formulierung von Matrialgleichungen, die die Spannungen in Relation zu den Verzerrungen angeben, muss sichergestellt sein, dass die lokalen Formen der Clausius-Duhem-Ungleichung für beliebige Prozesse erfüllt ist.
Materialtheorie
Die Materialtheorie beschäftigt sich mit dem individuellen Merkmalen von Materialien. Ziel eines Materialmodells ist es die wesentlichen Aspekte des Materialverhaltens zu beschreiben, wobei das was wesentlich ist, vom Beobachter festgelegt wird. Stoff- oder Materialgesetze, wie Materialmodelle manchmal genannt werden, haben nicht die allgemeine Gültigkeit physikalischer Gesetze. Zentral in der Materialmodellierung ist die Abhängigkeit der Spannungen von den Dehnungen (oder umgekehrt) in Form von Gleichungen zu beschreiben, so dass die Deformation von Körpern aus diesem Material berechnet werden kann. Die klassische Kontinuumsmechanik betrachtet einfache Materialien, deren Eigenschaften mit materiellen Zwangsbedingungen, materiellen Symmetrien und konstitutiven Gleichungen wiedergegeben werden.
Einfache Materialien
Die Materialtheorie der klassischen Kontinuumsmechanik setzt Determinismus, Lokalität und Objektivität des Materials voraus. Determinismus bedeutet, dass der aktuelle Zustand eines Körpers in einem seiner materiellen Punkte vollständig und eindeutig durch die vergangene Bewegung des Körpers bestimmt wird. Lokalität schränkt die Einflusssphäre der Außenwelt auf den aktuellen Spannungszustand in einem materiellen Punkt auf seine nahe Umgebung ein, Wirkungen pflanzen sich von einem materiellen Punkt zu seinen nächsten fort. Materielle Objektivität bedeutet, dass die Materialantwort vom Bezugssystem des Beobachters unabhängig ist, siehe Euklidische Transformation. Materialien, die diese drei Voraussetzungen erfüllen, heißen einfach. Bei einfachen Materialien vom Grad eins ergeben sich die Spannungen in einem materiellen Punkt aus den vergangenen Werten und dem aktuellen Wert des Green'schen Verzerrungstensors oder daraus ableitbaren Größen in diesem Punkt. Materialien höheren Grades benutzen auch höhere Ableitungen nach den materiellen Koordinaten als die ersten, die den Deformationsgradienten ausmachen.
Materielle Zwangsbedingungen
Materielle Zwangsbedingungen stellen kinematische Nebenbedingungen dar, die die Deformation eines Materials einschränken. Die bekannteste dieser Bedingungen ist die Inkompressibilität, die dem Material nur volumenerhaltende Verformungen erlauben, wie sie einige Flüssigkeiten oder gummielastische Materialien zeigen. Die kinematische Nebenbedingung lautet hier . Die Reaktionsspannungen im Material ergeben sich dann aus den Bilanzgleichungen und Randbedingungen. Bei Inkompressibilität z. B. ist die Reaktionsspannung der Druck im Material. Die stärkste Nebenbedingung ist die, die den starren Körper auszeichnet. Hier sind die Spannungen vollständig durch die Naturgesetze und Randbedingungen bestimmt.
Materielle Symmetrien
Materielle Symmetrien beschreiben welche Transformationen des Deformationsgradienten erlaubt sind, ohne dass sich die Spannungen ändern. Diese Transformationen bilden die Symmetriegruppe des Materials. Sind alle volumenerhaltenden Transformationen erlaubt, liegt eine Flüssigkeit oder ein Gas vor. Bei Feststoffen sind nur Drehungen erlaubt: Bei isotropen Feststoffen sind alle Drehungen, bei transversal isotropen beliebige Drehungen um eine Achse, bei orthotropen nur 180° Drehungen um drei zueinander orthogonale Achsen und bei vollständig anisotropen sind nur "Drehungen" um 0° erlaubt.
Konstitutive Gleichungen
Die konstitutiven Gleichungen geben eine Relation zwischen den Dehnungen und den Spannungen in Form von Integral-, Differential- oder algebraischen Gleichungen. Diese dürfen den materiellen Zwangsbedingungen nicht widersprechen. Die folgenden Materialmodelle geben Beispiele für konstitutive Gleichungen.
- Ideales Gas: Beim idealen Gas ist der Druck proportional zur Dichte und Temperatur : worin ein Materialparameter ist. Dieses Materialmodell führt in Verbindung mit der Kontinuitätsgleichung und der Impulsbilanz auf die Euler-Gleichungen.
- Linear viskoses oder Newtonsches Fluid: worin die Materialparameter und die ersten und zweiten Lamé Konstanten sind. Dieses Materialmodell liefert in Verbindung mit der Kontinuitätsgleichung und der Impulsbilanz die Navier-Stokes-Gleichungen.
- Hooke'sche Elastizität: . Darin ist der Schubmodul, die Querkontraktionszahl, die Spur und der Green'sche Verzerrungstensor bei kleinen Deformationen.
- Viskoelastizität: . Darin bedeutet die Ableitung nach , den Deviator und und sind Relaxationsfunktionen für den Schub- bzw. den volumetrischen Anteil der Deformation.
- Plastizität: Bei der geschwindigkeitsunabhängigen Plastizität wird das Material mit algebraischen und Differentialgleichungen formuliert. Mit Differentialgleichungen wird die Entwicklung der inneren Variablen, z. B. die plastischen Dehnungen (Fließregel), die isotrope und kinematische Verfestigung beschrieben. Die algebraischen Gleichungen legen die additive Aufspaltung der Dehnungen in einen elastischen und einen plastischen Anteil, die Beziehung zwischen den Spannungen und den elastischen Dehnungen und die Fließfläche, die im Spannungsraum den elastischen Bereich vom plastischen Bereich trennt, fest. In der klassischen Plastizität verbleiben die Spannungen beim Fließen auf der Fließfläche.
- Viskoplastizität: Bei der geschwindigkeitsabhängigen Plastizität wird das Material auch mit algebraischen und Differentialgleichungen formuliert. Hier können die Spannungen jedoch zeitweilig außerhalb der Fließfläche liegen, kehren aber bei einer Relaxation auf diese zurück.
Die Feststoffmodelle drei bis sechs sind Repräsentanten der vier Gruppen von Modellen der klassischen Materialtheorie, die geschwindigkeitsabhängiges oder unabhängiges Verhalten mit oder ohne (Gleichgewichts-) Hysterese beschreiben.
Beispiel
Anhand der Dehnung eines verdrehten Klotzes unter reinem Zug (siehe Bild) sollen die Gleichungen der Kontinuumsmechanik angewendet werden. Er habe in der Ausgangskonfiguration im globalen kartesischen Koordinatensystem die Länge in x-Richtung, die Breite in y-Richtung und Höhe in z-Richtung und sei im Ursprung parallel zu den Koordinatenachsen ausgerichtet. Dieser Klotz werde langgezogen, wobei sich Streckungen in materieller X-, Y- bzw. Z-Richtung einstellen, und anschließend um 90° um die z-Achse gedreht.
In der Momentankonfiguration haben die materiellen Punkte dann die räumlichen Koordinaten . Die materiellen Linien und sind in der Momentankonfiguration also parallel zur y-Achse ausgerichtet.
Der Deformations- und Verschiebungsgradient berechnen sich aus der Ableitung
- .
Wegen der Drehung um 90° ergibt sich die polare Zerlegung
- .
Daraus bekommt man die Verzerrungstensoren:
woran man sieht, dass bei großen Drehungen die geometrisch linearen Drehungen nicht benutzbar sind.
Unter Verwendung des Hooke'schen Gesetzes bei großen Deformationen ergeben sich die zweiten Piola Kirchhoff Spannungen im Lagrange'schen Bild:
Bei reinem Zug erkennt man und daher
- ,
worin der Elastizitätsmodul ist. Der erste Piola-Kirchhoff-Tensor lautet
- mit .
In der hier betrachteten Statik besagt der Impulssatz
- ,
was wegen gegeben ist. Der Cauchy'sche Spannungstensor bekommt die Form:
Als Referenzkonfiguration eignet sich der Einheitswürfel . So bekommen die materiellen Punkte in der Ausgangskonfiguration die Koordinaten
- .
Der zwischen der Referenz- und der Ausgangskonfiguration operierende "Deformationsgradient" wird auch als Jacobi-Matrix bezeichnet:
- .
Das Volumenintegral einer Feldgröße lautet dann
und kann in dieser Form numerisch mit der Gauß-Quadratur berechnet werden.
Fußnoten
Literatur
- H. Altenbach: Kontinuumsmechanik. Springer Verlag, 2012, ISBN 978-3-642-24118-5.
- H. Parisch: Festkörper Kontinuumsmechanik. Teubner, 2003, ISBN 3-519-00434-8.
- H. Bertram: Axiomatische Einführung in die Kontinuumsmechanik. Wissenschaftsverlag, 1989, ISBN 3-411-14031-3.
- P. Haupt: Continuum Mechanics and Theory of Materials. Springer Verlag, 2000, ISBN 3-540-66114-X.
- C. Truesdell, W. Noll: The non-linear field theories of mechanics. Springer Verlag, 1992, ISBN 3-540-55098-4.
- F. Durst: Grundlagen der Strömungsmechanik. Springer Verlag, 2006, ISBN 3-540-31323-0.
- Ernst Becker & Wolfgang Bürger: Kontinuumsmechanik. Teubner, 1975, 228 S., ISBN 3-519-02319-9.
- Ralf Greve: Kontinuumsmechanik. Springer Verlag, 2003, ISBN 3-540-00760-1.
- Valentin L. Popov: Kontaktmechanik und Reibung. Ein Lehr- und Anwendungsbuch von der Nanotribologie bis zur numerischen Simulation. Springer Verlag, 2009, ISBN 978-3-540-88836-9.
- Arnold Sommerfeld: Mechanik der deformierbaren Medien. (= Vorlesungen über theoretische Physik, Band 2). Becker & Erler, Leipzig 1945. (6. Auflage, Harri Deutsch, Thun 1992, ISBN 3-87144-375-1.)