Benutzer:Arbraxan/Netzwerkökonomik
Die Netzwerkökonomik ist ein Fachgebiet der Volkswirtschaftslehre, welches untersucht wie sich Netzwerkeffekte auf die Entscheidungen ökonomischer Akteure bezüglich der Allokation von knappen Ressourcen auswirken. Zu den Kernthemen der Netzwerkökonomik gehören der Einfluss von Netzwerkeffekten auf die Konsumnachfrage, Kompatibilitätsentscheidungen und Standardisierung, technologischer Fortschritt in stark vernetzten Industrien, zweiseitige Märkte, Informationsnetzwerke und geistiges Eigentum sowie die Ökonomik sozialer Netzwerke.[1] Die Netzwerkökonomik ist von den mit ihr verwandten Begiffen der Netzwerkökonomie, d.h. Netzwerkwirtschaft, und Informationsökonomik zu unterscheiden; während die Netzwerkökonomie eine Wirtschaftsstruktur ist in der Netzwerke das Hauptmerkmal darstellen, ist die Informationsökonomik ein Fachgebiet der VWL, welches sich mit dem Einfluss von Informationen (oder deren Mangel) auf ökonomische Prozesse und Entscheidungen volkswirtschaftlicher Akteure auswirkt.
Zu den für die Netzwerkökonomik relevanten Netzwerken gehören unter anderem Transportnetzwerke, Kommunikationsnetzwerke und Energienetzwerke (z.B. das Stromnetz).[2]
Geschichte
Die Netzwerkökonomik hat eine lange Tradition als Teil des volkswirtschaftlichen Wissenschaftskörpers, begann allerdings erst in den 1990er Jahren eine eigenständige akademische Disziplin innerhalb der Volkswirtschaftslehre zu werden. Die Weiterentwicklung der Netzwerkökonomik ist stark abhängig von der Entwicklung neuer Technologien und Produkte, die auf der Verwendung von Netzwerkstrukturen basieren, sowie neuer Netzwerkdienstleistungen (z.B. Mobile-Banking). Eine andere zukunftsträchtige Forschungsrichtung der Netzwerkökonomik ist die Verbesserung der bisherigen sozialen Netzwerkmodelle, um sie stärker in einem ökonomischen Kontext anwenden zu können, bspw. um die Ökonomik virtueller Organisationen zu untersuchen.[3]
Kernthemen
Konsumnachfrage unter Netzwerkeffekten
Konsumentenpräferenzen zeigen positive (negative) Netzwerkeffekte wenn der Konsumentennutzen steigt (sinkt) desto mehr Konsumenten die gleiche oder eine kompatible Marke verwenden. Ähnliches gilt für Netzwerkeffekte in der Produktion. Netzwerkeffekte spielen insbesondere für die Nachfrage nach Telekommunikationsdienstleistungen eine wichtige Rolle, wo der Anreiz einem Netz beizutreten mit der Anzahl an potentiellen Gesprächspartnern, die dem Netz beitreten oder beigetreten sind, steigt.[4] Ökonomisch äussert sich dies zum einen in einer Vielzahl an Konsumentengleichgewichten, zum anderen in Koordinationsproblemen. Die Netzwerkeffekt-Hypothese wurde seither in verschiedenen Umgebungen empirisch geprüft, unter anderem durch Gandal (1994),[5], Economides und Himmelberg (1995)[6] und Brynjolfsson und Kemerer (1996).[7]
Kompatibilitätsentscheidungen und Standardisierung
Siehe auch Kompatibilität (Ökonomie)
Konkurrierende Marken werden als kompatibel bezeichnet, falls beide über einen gemeinsamen Standard betrieben werden können. Für die Analyse von Kompatibilität und dessen Auswirkungen auf den Konsumentennutzen existieren drei Ansätze: der Netzwerkexternalitäten-Ansatz, der Komponenten-Ansatz und der Software-Ansatz. Der netzwerkökonomische Ansatz untersucht insbesondere die Kompatibilität und Inkompatibilität von Produkten unter Einfluss von Netzwerkeffekten. Bemerkenswert ist hierbei, dass im Falle von inkompatiblen Produkten das Unternehmen mit der grösseren Nutzerbasis einen höheren Produktpreis verlangt und einen höheren Gewinn als Konkurrenten erwirtschaftet, dass die Unterschiede zwischen den Gleichgewichtspreisen und Gewinnen der jeweiligen Produkte mit der Präferenz der Konsumenten für grössere Netzwerke zunehmen sowie dass Preiswettbewerb verstärkt wird, wenn Konsumenten mehr Wert auf die Grösse des Netzwerks legen, da dies Unternehmen dazu bringt ihre Preise zu senken, um ihr Kundennetzwerk zu vergrössern.[8]
Technologischer Fortschritt in vernetzten Industrien
In Hinblick auf technologischen Fortschritt ist eine vorrangige Frage, ob die neue Technologie durch die Konsumenten oder die Industrie tatsächlich angenommen werden wird, da bereits viele Nutzer die bestehende Technologie verwenden. Diese Frage entspricht letztlich einer Frage nach der Stärke der jeweiligen technologischen Netzwerkeffekte. In diesem Kontext beschäftigt sich die Netzwerkökonomik mit diversen Themen, darunter die spieltheoretische Modellierung strategischen Technologiewandels,[9] der Bedeutung des Zeitpunkts von technologischem Übergang und Standardisierung, der Sponsorisierung neuer Technologien sowie internationaler Standardisierung. Eine Sonderrolle kommt hierbei dem Fall, dass eine eine verbesserte Technologie mit einer älteren Technologie inkompatibel ist, und dessen ökonomischen Konsequenzen zu. Ein weiterer Sonderfall der Netzwerkökonomik ist der Versuch einer netzwerkökonomischen Interpretation von Schumpeters Innovationstheorie, in welcher technologischem Fortschritt in Unternehmen eine Schlüsselrolle zukommt.[10]
Zweiseitige Märkte
Siehe auch Zweiseitiger Markt
Die Theorie zweiseitiger Märkte analysiert Nachfrage- und Angebotüberschüsse zwischen zwei Märkten für komplementäre Produkte und beschreibt selbstverstärkende Netzwerkeffekte. Derartige Netzwerkeffekte im Zusammenhang mit zweiseitigen Märkten wurden für die Gelben Seiten,[11], Werbung in Magazinen[12] sowie bei Kreditkartenverbünden[13] empirisch nachgewiesen. Rysman (2009) weisst allerdings darauf hin, dass die Literatur zu zweiseitigen Märkten mit ihrem Fokus auf Preisstrukturen von der Literatur zu Netzwerkeffekten thematisch getrennt ist.[14]
Informationsnetzwerke und geistiges Eigentum
Siehe auch Informationsökonomik
Die Verbreitung von Informationen kann als Netzwerk konzeptualisiert werden, wobei den Eigenschaften der verbreiteten Informationen und der hierzu verwendeten Technologie besondere Bedeutung zukommt. Letztere wird noch wichtiger, wenn es sich um die Vervielfältigung von Informationen handelt: verschiedene Vervielfältigungstechnologien können sich in der Qualitätet der mit ihnen erstellten Kopien unterscheiden, was sich wiederum auf die Preisstruktur der Informationen auswirken kann.[15] Zwei Anwendungsbiete der Ökonomik von Informationsnetzwerken sind einerseits der neutrale[16] bis positive[17] Einfluss von Bibliotheken auf die Gewinne von Buchhandlungen und Verlagen, andererseits die neutralen[18] bis positiven[19] ökonomischen Konsequenzen von Kopieren und Software-Raubkopien sowie die Effektivität diverser Schutzmethoden[20].
Ökonomik sozialer Netzwerke
Die Ökonomik sozialer Netzwerke kann um die drei zentralen Begriffe Konformität, Eitelkeit und Snobismus gegliedert werden und steht an der Schnittstelle zwischen Ökonomie und Soziologie. Konformität gegenüber den Konventionen sozialer Netzwerke als Annahme ökonomischer Modelle erklärt diverse soziale[21] und wirtschaftliche[22] Verhaltensweisen, die Festsetzung sozialer Standards[23] und soziales Tauschverhalten beim Schenken.[24] Harvey Leibenstein beschreibt in diesem Kontext drei externe Effekte sozialer Netzwerke: (1) den Bandwagon-Effekt und Herdenverhalten, (2) Nonkonformität und Snob-Effekte sowie (3) Veblens Geltungskonsum.[25] Speziell Herdenverhalten beschreibt wie Individuen zusammen in einer Gruppe ohne bestimmte Führung agieren und kann ökonomisch als Gleichgewicht interpretiert werden, bei welchem jeder Entscheidungsträger die Wahl hat entweder seinem eigenen Signal oder vorangehenden Entscheidungsträgern zu folgen;[26] dieses Modell ist ebenfalls bei der Erklärung der Produktwahl von frühzeitigen Anwendern relevant.[27] Schliesslich dienen ökonomische Modelle sozialer Netzwerke ebenfalls der Erklärung von Snobismus, d.h. jener Zustand in dem der Nutzen eines Konsumenten abnimmt desto mehr Konsumenten das gleiche Produkt kaufen.[28]
Spezialisierte Fachzeitschriften
Themen, Probleme und Studien zur Netzwerkökonomik oder Netzwerkwirtschaft werden zunehmend in spezialisierten Fachzeitschriften publiziert. Zu diesen gehört unter anderem die Review of Network Economics (seit 2002).
Einzelnachweise
- ↑ Shy, Oz (2011): A Short Survey of Network Economics, in: Review of Industrial Organization, Vol. 38, Nr. 2, S. 119.
- ↑ Nagurney, Anna (2002): Network Economics: An Introduction, Isenberg School of Management, University of Massachusetts.]
- ↑ Shy, O. (2011): Ibid, S. 36.
- ↑ Rohlfs, J. (1974): A theory of interdependent demand for a communications service, in: Bell Journal of Economics and Management Science, Vol. 5, S. 16–37.
- ↑ Gandal, N. (1994): Hedonic price indexes for spreadsheets and an empirical test for network externalities, in: Rand Journal of Economics Vol. 25, S. 160–170.
- ↑ Economides, N., C. Himmelberg (1995): Critical mass and network size with application to the US fax market., in: NYU Stern School of Business Discussion Paper Nr. EC–95–11.
- ↑ Brynjolfsson, E., C. Kemerer (1996): Network externalities in microcomputer software: An econometric analysis of the spreadsheet market., in: Management Science, Vol. 42, S. 1627–1647.
- ↑ Katz, M., Carl Shapiro (1985): Network externalities, competition, and compatibility., in: American Economic Review, Vol. 75, S. 424–440.
- ↑ Farrell, J., G. Saloner (1985): Standardization, compatibility, and innovation., in: Rand Journal of Economics, Vol. 16, S. 70–83.
- ↑ Cabral, L. (1990): On the adoption of innovations with ‘network’ externalities., in: Mathematical Social Sciences, Vol. 19, Nr. 3, S. 299–308.
- ↑ Rysman, Marc (2004): Competition between networks: A study of the market for yellow pages., in: Review of Economic Studies, Vol. 71, S. 483–512.
- ↑ Kaiser, U., J. Wright (2006): Price structure in two-sided markets: Evidence from the magazine industry., in: International Journal of Industrial Organization, Vol. 24, Nr. 1, S. 1–28.
- ↑ Rysman, Marc (2007): An empirical analysis of payment card usage., in: Journal of Industrial Economics, Vol. 55, Nr. 1, S. 1–36.
- ↑ Rysman, Marc (2009): The economics of two-sided markets., in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 23, Nr. 3, S. 125–143.
- ↑ Siehe auch: Varian, Hal, J. Farrell, and Carl Shapiro (2004): The economics of information technology: An introduction., Cambridge University Press.
- ↑ Bakos, Y., E. Brynjolfsson, and D. Lichtman (1999): Shared information goods., in: Journal of Law and Economics, Vol. 42, Nr. 1, S. 117–156.
- ↑ Varian, Hal (2000): Buying, sharing and renting information goods., in: Journal of Industrial Economics, Vol. 48, Nr. 4, S. 473–488.
- ↑ Oberholzer-Gee, F. and K. Strumpf (2007): The effect of file sharing on record sales: An empirical analysis., in: Journal of Political Economy, Vol. 115, Nr. 1, S. 1–42.
- ↑ Peitz, M., P. Waelbroeck (2006): Why the music industry may gain from free downloading – The role of sampling., in: International Journal of Industrial Organization, Vol. 24, Nr. 5, S. 907–913.
- ↑ Conner, K., R. Rumelt (1991): Software piracy: An analysis of protection strategies., in: Management Science, Vol. 37, S. 125–139.
- ↑ Shy, Oz (2007): Dynamic models of religious conformity and conversion: Theory and calibrations., in: European Economic Review, Vol. 51, Nr. 5, S. 1127–1153.
- ↑ Hayes, R., S. Schaefer (2009): CEO pay and the Lake Wobegon effect., in: Journal of Financial Economics, Vol. 94, S. 280–290.
- ↑ Young, P. (1996): The economics of convention., in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 10, S. 105–122.
- ↑ Waldfogel, J. (1993): The deadweight loss of Christmas., in: American Economic Review, Vol. 83, S. 1328–1336.
- ↑ Leibenstein, Harvey (1950): Veblen effects in the theory of consumers demand., in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 64, Nr. 2, S. 183–207.
- ↑ Banerjee, Abhijit (1992): A simple model of herd behavior., in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 107, S. 797–817.
- ↑ Choi, J. (1997): Herd Behavior, the “penguin effect", and the suppression of informational diffusion: An analysis of informational externalities and payoff Interdependency., in: Rand Journal of Economics, Vol. 28, Nr. 3, S. 407–425.
- ↑ Grilo, I., Oz Shy, J. Thisse (2001): Price competition when consumer behavior is characterized by conformity or vanity., in: Journal of Public Economics, Vol. 80, Nr. 3, S. 385–408.
Fachliteratur
- Jackson, Matthew O. (2010), Social and Economic Networks, Princeton University Press, ISBN: 9780691148205.
- Shy, Oz (2011): A Short Survey of Network Economics, in: Review of Industrial Organization, Vol. 38, Nr. 2, S. 119.