Benutzer:Catrin/Ghetto

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Als Ghetto (laut Duden auch Getto) wird ein abgesondertes Wohnviertel bezeichnet. Der Begriff stammt aus dem italienischen und bedeutet Gießerei. Er wurde später als Bezeichnung für ein abgetrenntes Wohngebiet übernommen, da die jüdischen Einwohner in Venedig 1516 auf "Geto Nuovo" (neue Gießerei) beschränkt waren.[1]

Im Spätmittelalter wurde den Juden ein Ghetto oder eine Judengasse als Lebensraum zugewiesen und von ihnen bis zur Neuzeit bewohnt.[2]

Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) wurden von den Nationalsozialisten für deportierte Juden Ghettos im okkupierten Polen und der annektierten Tschechoslowakei eingerichtet. Diese Lager dienten vor deren Transport in die Vernichtungslager als Übergangsstationen.[3]

Umgangssprachlich werden heute auch Stadtviertel als Ghetto bezeichnet, in denen vorwiegend bestimmte ethnische Gruppen (Segregation) oder soziale Randgruppen leben. Übertragen findet er auch ohne direkten räumlichen Bezug im Diskurs um abgrenzbare soziale Strukturen (Subkulturen, Soziale Netzwerke) Anwendung.

Etymologie und Geschichtliches

Häufig lebten Juden seit der Antike in Europa in abgesonderten Stadtvierteln, insbesondere in den Ländern um das Mittelmeer und seit der Spätantike auch im Gebiet des heutigen Deutschlands. Ursprünglich konnten sie fast allen Berufen nachgehen. Es wurde ihnen meistens volle Handelsfreiheit gewährt, sie durften Grundeigentum erwerben. In der mittelalterlichen Stadt lebten die einzelnen sozialen Gruppen und Berufsgruppen meist überwiegend in einem bestimmten Stadtviertel oder einer Straße. Im Sinn dieser jeweils verdichteten Siedlungsweise lebte auch die Mehrzahl der Juden üblicherweise in einer (dann nach ihnen so genannten) Judengasse oder einem Judenviertel, unter anderem deshalb, weil ihnen deren Absperrbarkeit (nicht wörtlich zu verstehen: Eine symbolische Absperrung durch eine Schnur oder Kette reichte) nach außen durch die Bildung eines sogenannten „Eruv“ (deklarierter Bezirk, innerhalb dessen auch am Sabbat bestimmte Arbeiten gestattet waren) die Einhaltung der Sabbatgebote erleichterte. Ebenso wie meistens auch einige Juden außerhalb dieses Stadtteils lebten, lebten andererseits auch Nichtjuden innerhalb des Judenviertels.

Ein frühes Beispiel für die Bildung eines Ghettos im Heiligen Römischen Reich stellt Speyer im 11. Jahrhundert dar. In den Aufzeichnungen des Speyerer Bischofs Hutzmann (Huozmann) heißt es:

„Als ich das Dorf Speyer zur Stadt machte, glaubte ich das Ansehen dieses unseres Ortes zu vertausendfachen, indem ich auch Juden dort zuziehe. Ich habe die Zugezogenen außerhalb der Wohnstätten der übrigen Bürger angesiedelt, und damit sie nicht so leicht von der Unverschämtheit des minderen Volks beunruhigt werden, habe ich sie mit einer Mauer umgeben.“[4]

Die erste Ansiedlung datiert auf das Jahr 1084 im Vorort Altspeyer und stellt das erste urkundlich belegte Ghetto dar.[5]

Seit dem 13. Jahrhundert (erstmals beim Provinzialkonzil von Breslau 1267) kam es aber von Seiten der Kirche zunehmend zur Forderung nach räumlicher Trennung der Juden von der christlichen Bevölkerung. So kam es seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert in Spanien, seit den 1420er Jahren in Savoyen,[6] seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in einigen deutschen Städten und im 16. Jahrhundert in Italien zunehmend zur Einrichtung von Ghettos, also von Stadtvierteln, die nur für Juden vorgesehen waren, außerhalb derer in der betreffenden Stadt keine Juden wohnen durften und die nächtens und oft auch an Feiertagen von außen abgeschlossen wurden. Solche Ghettos führten zwar durch die Bevölkerungszunahme oft zu bedrückender räumlicher Enge, waren aber nicht von vornherein Armutsviertel: Viele Einwohner waren wohlhabende Handwerker oder Händler. Allerdings waren die Ghettobewohner meist erheblichen, zum Teil diskriminierenden Restriktionen unterworfen.

Campo de Gheto Novo, Venedig

Die Bezeichnung Ghetto stammt vom venezianischen Gettore ab und bezeichnete volkstümlich jenen Stadtteil Cannaregio, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich eine Gießerei befand (Dialektbegriff ghèto von getto = Guss), die aus Gründen des Brandschutzes vom Rest der Stadt abgeriegelt zu sein hatte. Mit einem Dekret vom 29. März 1516 beschloss die Regierung der Republik Venedig, die jüdische Gemeinde dort in einem einzigen Stadtviertel zusammenzufassen.

Im Jahre 1555 ließ Papst Paul IV. das Römische Ghetto errichten und verpflichtete die Juden durch die Bulle Cum nimis absurdum, in diesem besonderen Bereich zu leben. Papst Pius V. wies am 25. Februar 1569 alle Juden seines Machtbereichs aus. Ausnahmen waren nur die beiden Ghettos in Rom und Ancona.

Anfang des 17. Jahrhunderts hatten alle Hauptstädte ein Ghetto (ausgenommen Livorno und Pisa). Um die Ghettos verliefen Mauern, und nachts wurden die Tore geschlossen. Oft wurden die jüdischen Ghettobewohner gezwungen, außerhalb des Ghettos bestimmte Kennzeichen zu tragen, die sie als Juden auswiesen.

Abbruch des ehemaligen Ghettos Judengasse Frankfurt, 1868
(Fotografie von Carl Friedrich Mylius)

Das bekannteste Beispiel für ein deutsches Ghetto ist die Frankfurter Judengasse, die von 1462 bis 1796 bestand. Am Anfang errichtete der Stadtrat außerhalb der Mauern elf Häuser, ein Tanzhaus, ein Hospital, zwei Wirtshäuser und ein Gemeindehaus und zwang die Frankfurter Juden, hierher umzuziehen. Um 1550 durfte dieses Gebiet noch einmal erweitert werden. Danach erlaubte der Frankfurter Magistrat bis zum Ende des Ghettos keine weitere Vergrößerung, sodass die wachsende Bevölkerung sehr beengt lebte. Die Bewohner durften nachts und sonntags die Judengasse nicht verlassen und mussten den „Gelben Fleck“ auf ihrer Kleidung tragen. Das Ghetto wurde 1796 bei der Belagerung Frankfurts durch französische Truppen zerstört, die Bewohner durften es verlassen, und in der Folge wurde der Ghettozwang aufgehoben.

Die Auflösung des Ghettosystems ist weitgehend eine Folge der Französischen Revolution und der liberalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Im Jahre 1870 war das römische Ghetto schließlich das einzige der Welt und wurde durch den italienischen König Viktor Emanuel II. bei der Besetzung des Kirchenstaats aufgelöst.

Eine parallele Erscheinung in der arabischen Welt sind die Mellahs in marokkanischen Städten. Im Ostjudentum gab es die jiddische Bezeichnung Schtetl für Ortschaften, Dörfer oder kleinere Städte, die überwiegend von Juden bewohnt wurden.

Ghettos/Jüdische Wohnbezirke im Nationalsozialismus

Reste der Mauer des Warschauer Ghettos aus der NS-Zeit

Die SS-Bezeichnung der Sammellager vor der Deportation in die Vernichtungslager der Shoa war durchgängig der deutsche Begriff Jüdischer Wohnbezirk oder Wohnsiedlung. Als Kurzbezeichnung oder Übersetzung wurde daneben das Wort Ghetto benutzt. In Osteuropa existierten zwischen 1939 und 1944 ungefähr 1150 Ghettos,[7] davon etwa 400 auf polnischem und etwa 400 auf sowjetischem Territorium.

Verwendung des Begriffs „Ghetto“ im übertragenen Sinn

Chinatown, Chicago

Im vollen Wortsinne lässt sich der Begriff auf viele historische Chinatowns in den Vereinigten Staaten anwenden, denn die chinesische und chinesischstämmige Minderheit amerikanischer Städte wie San Francisco und New York City war nach dem Inkrafttreten des Chinese Exclusion Act (1882) durch lokale Gesetze verpflichtet, ausschließlich dort zu siedeln. Diese Bezirke, die stets nur wenige Straßenblocks umfassten, mussten in einigen Städten mehrere Zehntausend Bewohner aufnehmen. Die Zwangsansiedlung endete erst in den 1940er Jahren.

Der Begriff „Ghetto“ wurde und wird auch in einem teilweise etwas prekär übertragenen Sinn auf Stadtviertel mit einer ausgeprägt abweichenden sozialen oder ethnischen Struktur angewandt.

So wird er im Zusammenhang mit sozial desolaten Vierteln in Städten der USA verwendet, die einen hohen Anteil afroamerikanischer oder hispanischer Bevölkerung verzeichnen. Grundlage waren hier die implizit sozialen und ökonomischen wie auch unmittelbar legislativen Zwänge der Segregation (einer historischen Rassentrennung), die tatsächlich zu einer weitgehenden Konzentration der afroamerikanischen Bevölkerung in bestimmten Vierteln der jeweiligen Städte führten. Der Song In the Ghetto (1969) von Elvis Presley griff die Problematik auf.

Diese Tatsache, aber vor allem auch der Umstand, dass die Bewohner dieser Viertel im Gegensatz zu den sich ebenfalls in den großen Städten lokal konzentrierenden Minderheitengruppen der „nichtangelsächsischen“ europäischen Einwanderer wie der Italiener, Polen und Iren zusätzlich noch rechtlichen Beschränkungen unterworfen waren, legte den Vergleich der afroamerikanischen Stadtviertel mit tatsächlichen, „klassischen“ Ghettos zumindest nahe.

Diese rechtlichen Beschränkungen wurden zwar während der 1950er und 1960er durch Einzelklagen und die Bemühungen der amerikanischen „Civil Rights“-Bewegung überwunden, an der ökonomischen Benachteiligung der afroamerikanischen Bevölkerung allerdings änderte sich nur wenig, so dass nicht nur in den Großstädten der USA häufig soziale Brennpunkte mit größtenteils homogen afroamerikanischer, im Südwesten des Landes in zunehmendem Maße auch hispanischer Bevölkerung weiter existierten und existieren und auch der Begriff des „Ghetto“ in diesem Zusammenhang vor allem aus europäischer Perspektive gerne weiterhin verwendet wird.

Urbane Ghettoisierung

Die prominentesten Beispiele eines Ghettos in dieser Hinsicht waren vor allem in den 1970er und 1980er Jahren – einem Zeitraum, in dem der Begriff des Ghettos in diesem Zusammenhang in der deutschsprachigen Publizistik überhaupt zum Durchbruch kam – Teile des New Yorker Bezirks Bronx und Harlem. Schlagzeilen diesbezüglich machten im selben Zeitraum auch die südlichen Stadtbezirke Chicagos und zunehmend große Teile von Los Angeles (dort auch als Skid Rows bezeichnet), die, wie viele andere Städte der USA, auch besonders wieder in den 1990ern eine prekäre Mischung aus verbreitet bitterer Armut und einer exorbitanten Rate an Kriminalität und Gewaltverbrechen in den entsprechenden Stadtvierteln erlebten. Im subkulturellen Jargon, besonders in der Hip-Hop-Szene hat der Begriff „Ghetto“ im Laufe der Zeit einen bemerkenswerten Bedeutungswandel und eine Romantisierung erfahren (siehe auch Ghettoblaster). Im modernen Sprachgebrauch wird der Begriff „Ghetto“ als Wort für soziale Brennpunkte verwendet. Aus einem Ghetto kann bei hoher Armut unter Umständen ein Slum entstehen. Die Agglomeration und das Banlieue können zuweilen gewisse Ähnlichkeiten mit dem Ghetto aufweisen.[8] In der italienischen Großstadt Padua gab es von 2006 bis 2007 ein wegen zu hoher Kriminalität eingezäuntes Wohnviertel.

Siehe auch

Literatur

„Traditionelle“ Ghettos
  • Silke Berg: Il ghetto di Venezia. Das erste jüdische Getto in Europa. Bergauf-Verlag, Frankfurt/M. 1996, ISBN 3-00-000575-7.
  • Riccardo Calimani: Die Kaufleute von Venedig. Die Geschichte der Juden in der Löwenrepublik („Storia del ghetto di Venezia“). Dtv, München 1990, ISBN 3-423-11302-2.
  • Gabriele von Glasenapp: Aus der Judengasse. Zur Entstehung und Ausprägung deutschsprachiger Ghettoliteratur im 19. Jahrhundert. Niemeyer, Tübingen 1996, ISBN 3-484-65111-3 (Condition Judaica; 11).
  • Fritz Mayrhofer, Ferdinand Opll (Hrsg.): Juden in der Stadt. Linz 1999. 413 S. ISBN 3-900387-55-9.
  • Ronnie Po-chia Hsia (Hrsg.): In and out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. CUP, Cambridge 2002, ISBN 0-521-52289-7.
  • Markus J. Wenninger: Grenzen in der Stadt? Zu Lage und Abgrenzung mittelalterlicher deutscher Judenviertel. In: Aschkenas. Band 14, Nr. 1, 2004, ISSN 1016-4987, S. 9–29,, doi:10.1515/ASCH.2004.9.
  • Frank Hercules, Fotos: Jacob Holdt, Le Roy Woodson: Harlem. In: Geo-Magazin. Hamburg 1978,7, S. 104–130. (Erlebnisbericht. „Die Sanierung der Slums zwingt zur Abwanderung, doch schwarze Bürger kehren voller Zuversicht heim, ins schwarze Ghetto, in die „Hauptstadt des schwarzen Amerika“.“) ISSN 0342-8311
„Ghetto“ im übertragenen Sinn
  • Ulrich Best, Dirk Gebhardt: Ghetto-Diskurse. Geographie der Stigmatisierung in Marseille und Berlin. Universitätsverlag, Potsdam 2001, ISBN 3-935024-24-X.
  • Gerhard Milchram (Hrsg.): Walled Cities und die Konstruktion von communities. Das europäische Ghetto als urbaner Raum. Folio-Verlag, Wien 2001, ISBN 3-85256-190-6.
  • Jens Sambale, Volker Eick: Das Berliner Ghetto – ein Missverständnis. In: Clara Meister, Anna Schneider, Ulrike Seifert (Hrsg.): Ghetto – Image oder Realität? Selbstverlag, Berlin 2005, ISSN 1861-4590, (Salon; Bd. 14) Leseprobe, PDF, 1,6 MB.
  • Louis Wirth: The Ghetto. Transaction Publications, London 1998, ISBN 1-56000-983-7.
  • Loïc Wacquant: Das Janusgesicht des Ghettos und andere Essays. Birkhäuser, Basel 2006, ISBN 978-3-7643-7461-7.
  • Rauf Ceylan: Ethnische Kolonien. Entstehung, Funktion und Wandel am Beispiel türkischer Moscheen und Cafés. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-15258-0 (zugl. Dissertation, Universität Bochum 2006).


Weblinks

Wiktionary: Getto – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Ghetto – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Auflage, DE GRUYTER, ISBN 978-3-11-022364-4
  2. Enzyklopädie der Religionen. 1990 Gruppo Editoriale Fabbri Bompiani Sonzogno Etas S.. p. A., S. 109. (deutsche Fassung: Weltbild GmbH, Hamburg 1990. Redaktion: M. Elser, S. Ewald, G. Murrer. unter Mitarbeit von A. Lohner – katholische Theologie, W. Graf – evangelische Theologie und einer Reihe weiterer Mitarbeiter)
  3. Lexikon der Deutschen Geschichte. Renningen 2005, ISBN 3-938264-04-7, S. 106.( Organisation: Christian Zentner, Mitarbeiter: Daniela Kronseder, Nora Wiedermann).
  4. * Markus J. Wenninger: Grenzen in der Stadt? Zu Lage und Abgrenzung mittelalterlicher deutscher Judenviertel. In: Aschkenas. Band 14, Nr. 1, 2004, ISSN 1016-4987, S. 9–29,, doi:10.1515/ASCH.2004.9.
  5. Fulbrook, Mary: A Concise History of Germany, Cambridge University Press, 1991, S. 20, ISBN 0-521-83320-5
  6. Genf und nicht Venedig, Europe's first Jewish ghetto – Geneva not Venice / A Genève, sur les traces du premier ghetto juif d’Europe. les observateurs 21. Mai 2014.
  7. US-Forscher: 42 500 Lager in der Nazizeit in Der Tagesspiegel, 3. März 2013
  8. Der Landbote.ch[1]vom 29.08.2014, abgerufen am 16.6.16

Kategorie:Subkultur Kategorie:Sozialstruktur Kategorie:Stadtvierteltyp Kategorie:Rassismus