Cybersex

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Mit dem seit den 1990er Jahren existierenden Begriff Cybersex (CS) werden verschiedene Formen der virtuellen Erotik, sexueller Interaktion und Pornografie bezeichnet, die mit Hilfe eines Computers oder über das Internet ausgelebt werden. Das Spektrum reicht von der reinen Betrachtung und/oder Masturbation beim Konsumieren pornografischer Bilder über sexuell anzügliche Chats oder den Austausch erotischer E-Mails innerhalb von Fernbeziehungen bis hin zur sexuellen Stimulation mit Hilfe von Datenhelmen oder Datenhandschuhen.

Begriffsentstehung

Der Begriff Cybersex ist ein Lehnwort aus dem Englischen, das seit Beginn der 1990er Jahre verwendet wird. In deutschen Wörterbüchern wird der Begriff seit 1995 gelistet.[1] Üblicherweise wird Cybersex im Chatjargon mit „CS“ oder „C6“ abgekürzt. Beim zusätzlichen Einsatz einer Webcam wird auch von „Camsex“, „Live Cam Sex“ oder „Webcam Sex“ gesprochen; verwenden in einem Chat oder Ähnlichem beide Partner eine Kamera, um sich beispielsweise gegenseitig beim Masturbieren zu beobachten, wird häufig die Bezeichnung „Cam-to-Cam“, „Cam2Cam“ oder „C2C“ als Unterkategorie des Camsex verwendet.

Geschichte und Entwicklung

Zu Beginn der 1990er Jahre wurde Cybersex meist mit der Anbahnung erotischer oder sexueller Kontakte oder Onlinedatings über E-Mails gleichgesetzt, andere gebräuchliche Formen waren die zunehmende Verfügbarkeit diverser Speichermedien mit pornografischen Bildern oder erotischen Computerspielen wie beispielsweise virtuellem Strip-Poker. Mit der Verbreitung des Internets entstanden unzählige sowohl kostenlose wie auch kostenpflichtige Webseiten mit erotischen oder pornografischen Inhalten. Der Konsum solcher Seiten dient überwiegend der persönlichen sexuellen Stimulation, wobei der Internet-Nutzer während des Konsums der Bilder seine sexuellen Fantasien ausleben kann. In Chatrooms hingegen steht vor allem der anonyme Austausch sexueller Fantasien im Mittelpunkt, der allen Beteiligten die Möglichkeit gibt, die wechselseitigen Fantasien zu artikulieren und sexuelle Vorstellungen verbalerotisch auszutauschen. Für spezielle Interessensgruppen, beispielsweise Fetischisten, Homosexuelle oder Swinger, entstanden spezielle Chatrooms, die im Lauf der Jahre auch zusätzliche Angebote wie Informationen, Stammtische oder Foren entwickelten.[2]

Mit der Entwicklung von 3D-basierten Mehrspieler-Online-Rollenspielen wie Second Life entstand die Möglichkeit, die sexuellen Fantasien nicht nur verbal auszudrücken: Nutzer konnten ihre jeweiligen Avatare entsprechende Handlungen nun auch virtuell ausführen lassen. Dabei existieren Umfelder, in denen Cybersex ausdrücklich angestrebt wird, während es sich in anderen Rollenspielen um eine Randerscheinung handelt.[3]

Eine Schnittstelle zwischen dem rein virtuellen Sex und dem sexuellen Erleben in der Realität sollen Datenhelme, -handschuhe und Ganzkörperanzüge bieten, deren Entwicklung aber noch in den Anfängen steckt. Daneben werden auch andere Hilfsmittel angeboten, beispielsweise über USB an den Computer anschließbare und steuerbare Vibratoren.[4] Diese Entwicklung setzt sich mittlerweile auch kommerziell fort, insbesondere der steuerbare Dildo und die Webcam werden von vielen Portalen im Internet monetarisiert. Die Grenzen zum sich entwickelnden Maschinensex sind fließend.

Schon 1994 stellte Alfred Biolek in seiner Talkshow Boulevard Bio mit dem Thema „Cybersex“ ein Paar in Fernbeziehung vor, das speziell angefertigte Anzüge mit Sensoren und Vibratoren entwickelt hatte. Diese Vibratoren waren über das damalige Telefonnetz ISDN mit dem Computer des Partners am anderen Ort verbunden. Mit speziell entwickelten Programmen konnte die Stimulation eines bestimmten Körperteils ausgewählt und aktiviert werden.[5][6]

Verbreitung

Über die genaue Zahl der Besucher und Konsumenten von Cybersex existieren nur wenige Statistiken und Studien. Für die USA ergaben Untersuchungen, dass rund 40 Millionen Menschen entsprechende Webseiten besuchen. Der größte Teil von ihnen, etwa 70 Prozent, konsumieren diese Angebote während der Arbeitszeit.[7]

Jugendliche und auch Kinder mit Internetzugang kommen normalerweise ebenfalls mit Cybersex in einer seiner Erscheinungsformen in Berührung. Eine im Jahr 2006 durchgeführte Studie an Minderjährigen in den Niederlanden ergab, dass 75 Prozent der Mädchen und 80 Prozent der Jungen sexuelle Erlebnisse im Internet hatten. Dabei erlebten 26 Prozent der Mädchen und zehn Prozent der Jungen diese Erlebnisse als negativ. Ähnliche Ergebnisse lassen sich für den gesamten westeuropäischen Raum erwarten.[8]

Motivation

Neben der von der Einzelperson konsumierten pornografischen Darstellung zur sexuellen Stimulation oder zur Anregung der Fantasie bei der Masturbation lassen sich beim Cybersex zwischen zwei oder mehreren Personen neben der reinen Stimulation weitere Motive feststellen. Kornelius Roth listet sechs grundlegende Faktoren auf, die den virtuellen Sex attraktiv machen: Er ist leicht verfügbar, sicher, anonym, geheim, nicht sehr teuer und normalisiert die eigene Sexualität. Daneben machen weitere Faktoren wie die beinahe unendliche Verfügbarkeit neuer Sexualpartner und sexueller Reize den virtuellen Sex attraktiv.[9] Findet die sexuelle Kommunikation in Textform statt (beispielsweise in Chats und Foren), besteht zudem die Möglichkeit, eine eigenständige virtuelle Identität aufzubauen, die mit der realen Existenz nicht übereinstimmen muss.[10] Mit einer solchen künstlichen Identität können Erfahrungswelten zugänglich gemacht werden, die in der Realität verschlossen bleiben, beispielsweise kann ein Mann sich in seiner sexuellen Fantasie als Frau darstellen, ein Tier spielen oder sich deutlich älter oder jünger verhalten.[11]

Ein weiterer Aspekt des Cybersex ist die durch das Fehlen des physischen Kontaktes gewahrte Sicherheit und die auch bei extremen Fantasien erhaltene körperliche Unversehrtheit des Einzelnen. So sind beispielsweise auch bei häufig wechselnden Sexpartnern die Infektion mit sexuell übertragbaren Krankheiten oder eine ungewollte Schwangerschaft ausgeschlossen, ebenso wird Schmerz nicht tatsächlich empfunden. Gesellschaftlich verpönte oder gesetzlich verbotene Sexualpraktiken wie beispielsweise Koprophagie oder Inzest können virtuell ausgelebt werden, nur einige wenige Praktiken stehen auch im Internet unter Strafe, beispielsweise die Pädophilie.[12]

Sexsucht im Internet

Analog zur realen Sexsucht oder der Internetsucht enthält auch der Cybersex ein gewisses Suchtpotenzial. Während die meisten Nutzer nur gelegentlich Sexseiten besuchen, gibt es eine weitere Gruppe, die ein erhöhtes Risiko aufweist. Dies sind in der Regel Internetnutzer, die bereits in der Realität minimale Tendenzen zur Sexsucht gezeigt haben und mit dem Cybersex versuchen, reale Probleme zu verdrängen oder emotional zu verarbeiten. Cybersexsüchtige hingegen sind meist Menschen, die in der Virtualität ihre auch real vorhandene Sexsucht ausleben und diese dadurch erweitern. Von den betroffenen Männern gaben in einer amerikanischen Studie 77 Prozent an, sich dabei überwiegend auf den Konsum von Pornografie zu konzentrieren, während süchtige Frauen zu 80 Prozent den virtuellen Austausch über Chats suchen. Wie bei anderen Formen der Sucht können auch hier Co-Abhängigkeiten der Lebenspartner entstehen und die Familie und die Arbeit so stark vernachlässigt werden, dass die Aufrechterhaltung von Beziehungen und Arbeitsverhältnissen gefährdet oder unmöglich gemacht wird. Die Behandlung und die Entzugssymptomatik ähneln denen der realen Sexsucht.[13]

Siehe auch

  • Cyber-Grooming, gezieltes Ansprechen von Personen im Internet mit dem Ziel der Anbahnung sexueller Kontakte
  • Sexting; sexuell ausgerichtete Unterhaltung mit fremden Personen, durchgeführt per SMS sowie über Online-Nachrichtendienste und Soziale Netzwerke
  • Sextortion, Erpressung mit über virtuellen Kontakt erlangten Nacktbildern
  • Findom, überwiegend online praktizierte Spielart des BDSM
  • Makrophilie; sexuelle Vorliebe für sehr große, oft phantastisch riesenhafte Menschen

Literatur

  • Bernd Borchard u. a.; Ulrich Moser (Geleitwort): Cybersex: Psychoanalytische Perspektiven. Hrsg.: Agatha Merk (= Beiträge zur Sexualforschung. Band 97). Psychosozial-Verlag, Gießen 2014, ISBN 978-3-8379-2252-3.
  • Al Cooper: Cybersex. The Dark Side of the Force. A Special Issue of the Journal “Sexual Addiction & Compulsivity”. Brunner-Routledge, 2000, ISBN 1-58391-305-X.
  • Erin Leigh Courtice & Krystelle Shaughnessy: Technology-mediated sexual interaction and relationships: a systematic review of the literature. In: Sexual and Relationship Therapy. Band 32, Nr. 3-4, 2017, S. 269–290, doi:10.1080/14681994.2017.1397948.
  • Arne Dekker: Online-Sex. Körperliche Subjektivierungsformen in virtuellen Räumen. transcript, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8376-1854-9 (Inhalt und Information kostenfrei, 19 Seiten [PDF; 1,5 MB] Überarbeitete Dissertation Universität Hamburg 2012, 322 Seiten, unter dem Titel: Cybersex, Verlagsinfo und Volltext e-Book, kostenpflichtig, 322 Seiten).
  • Nicola Döring: Feminist Views of Cybersex: Victimization, Liberation, and Empowerment. In: CyberPsychology & Behavior. Band 3, Nr. 5, 2000, S. 863–884, doi:10.1089/10949310050191845.
  • Nicola Döring: The Internet’s Impact on Sexuality. A Critical Review of 15 Years of Research. In: Computers in Human Behavior. Band 25, Nr. 5, 2009, S. 1089–1101, doi:10.1016/j.chb.2009.04.003.
  • Christiane Eichenberg: Knistern im Netz. Romanzen im Cyberspace – echte Liebesbeziehungen oder Pseudopartnerschaften? In: c’t. Magazin für Computertechnik. Nr. 1, 2001, S. 84–91 (profamilia-online.de [PDF]).
  • Daniel Koller: Cybersex. Die strafrechtliche Beurteilung von weicher und harter Pornographie im Internet unter Berücksichtigung der Gewaltdarstellungen (= Editions Weblaw, 3: Dissertatio Nr. 1). Edition Weblaw, Bern / Schulthess, Zürich / Basel / Genf 2007, ISBN 978-3-905742-19-0 (Edition Weblaw) / ISBN 978-3-7255-5444-7 (Schulthess) (Dissertation Universität Zürich 2007, 510 Seiten).
  • Wilfred Lindo: Cybermania. Der atemberaubende Reiseführer durch den digitalen Raum. Data Becker, 1994, ISBN 3-8158-1082-5.
  • Karoline Lukaschek: Zur Konstituierung von Gemeinschaft in einem Fantasy- und Rollenspielchatraum, Universitätsbibliothek, Heidelberg 2008, DNB 988280574. Dissertation Universität Heidelberg 2008, 176 Seiten, Volltext (PDF; 6,4 MB) kostenfrei, 180 Seiten, DNB 988282011.
  • Jan Snagowski: Cybersex addiction: Conditioning processes and implicit cognition. Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, Duisburg / Essen 2016, DNB 1098130561. Kumulative Dissertation Universität Duisburg-Essen 2016, Betreuer: Matthias Brand, Volltext (PDF; 2 MB; 156 Seiten) kostenfrei (englisch).
  • Kimberly S. Young: Cybersex: Uncovering the Secret World of Internet Sex. Carlton, 2002, ISBN 1-84222-156-6.

Weblinks

Wiktionary: Cybersex – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Dieter Herberg, Michael Kinne, Doris Steffens, Elke Tellenbach, Doris Al-Wadi: Neuer Wortschatz: Neologismen der 90er Jahre im Deutschen. In: Schriften des Instituts für Deutsche Sprache. Band 11. Walter de Gruyter, 2004, ISBN 3-11-017751-X, S. 66–67.
  2. Lutz van Dijk: Die Geschichte von Liebe und Sex. Campus Verlag, 2007, ISBN 3-593-37913-9, S. 184–186.
  3. Lutz van Dijk: Die Geschichte von Liebe und Sex. Campus Verlag, 2007, ISBN 3-593-37913-9, S. 187–188.
  4. Uwe Steglich: Computer-Liebe: Vibrator für USB. In: PCGames Hardware Magazin. Computec Media AG, 20. Januar 2005, abgerufen am 20. August 2009.
  5. WDR-Computer-Nacht: Cybersex-Versuche mit Alfred Biolek, Kölner Stadtanzeiger.
  6. Ausschnitt in WDR-Computernacht auf YouTube
  7. Lutz van Dijk: Die Geschichte von Liebe und Sex. Campus Verlag, 2007, ISBN 3-593-37913-9, S. 186.
  8. Lutz van Dijk: Die Geschichte von Liebe und Sex. Campus Verlag, 2007, ISBN 3-593-37913-9, S. 187.
  9. Kornelius Roth: Sexsucht: Krankheit und Trauma im Verborgenen. 2. Auflage. Ch. Links Verlag, 2007, ISBN 3-86153-442-8, S. 150.
  10. Nicola Döring: Cybersex aus feministischen Perspektiven. Viktimisierung, Liberalisierung und Empowerment. In: Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien. Band 18, Nr. 1/2, 2000, S. 22–48.
  11. Rainer Hornung, Thomas Bucher: Sexualität im Wandel. In: Interdisziplinäre Vortragsreihe der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Universität Zürich: Zürcher Hochschulforum. Band 36. vdf Hochschulverlag, 2004, ISBN 3-7281-2886-4, S. 161–162.
  12. Alan Soble, Nicholas Power: The Philosophy of Sex: Contemporary Readings. 5. Auflage. Rowman & Littlefield, 2007, ISBN 0-7425-4798-1, S. 127–129.
  13. Kornelius Roth: Sexsucht: Krankheit und Trauma im Verborgenen. 2. Auflage. Ch. Links Verlag, 2007, ISBN 3-86153-442-8, S. 151–154.