Internetsexsucht

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Internetsexsucht (Synonyme: Cybersexsucht, Onlinesexsucht) ist eine spezielle Form von Sexsucht bzw. von Internetsucht mit den spezifischen Kriterien Kontrollverlust und subjektiver Leidensdruck. Da zum Beispiel Cybersex neue Möglichkeiten der Sexualität bietet, ist der suchtartige Gebrauch andersartig als bei herkömmlicher Sexsucht.[1]

Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch fasst zusammen: „Das beste Beispiel dafür, wie viel sich entwickelt, ist das Internet. Es gibt inzwischen eine sexuelle Süchtigkeit, die mit den Darbietungen von sexuellen Darstellungen im Internet zu tun hat. Eine ganz neue Form der sexuellen Sucht.“[2]

Cybersexsucht kann man als eine von drei Spielformen der Internetsucht verstehen, die als substanzungebundene Sucht gilt. Zu ihr zählen die Online-Spielsucht, die Internetsexsucht und das exzessive Chatten.[3] Als häufige Motive sehen die Experten fehlende sexuelle Befriedigung, das Gefühl von Einsamkeit und fehlendem Lebenssinn. Die Sucht verstärkt jedoch nur das Leiden. Laut einer Studie haben Nutzer von Erotik-Angeboten im Web alarmierend oft Depressionen, Angstgefühle und Stress. Viele Online-Sexsüchtige sind weniger interessiert am Partner und dem sozialen Umfeld. Ihre Beziehungsfähigkeit lässt, fast proportional zur Sucht, nach. Denn statt mit anderen zu kommunizieren, kreisen sie im Leben zunehmend um sich selbst und um die eigene Befriedigung. Die für die Sucht typische Dosissteigerung kann sich auch im Konsum von Gewaltpornographie äußern.

Prävalenz

Schätzungen sprechen von 400.000 Internet-Sexsüchtigen in Deutschland und 40.000 in Österreich. Neun Zehntel davon sind Männer. Diese Schätzungen werden von der US-amerikanischen Studie „Sex in America online“ bestätigt, die bei 2 % der befragten 15.246 Nutzer eine Internetsexsucht diagnostizierten.[4]

Der Anteil von sadomasochistischer Pornografie zur gesamten Pornografie wurde bisher für die meisten Länder auf unter 10 % geschätzt (z. B. für 1983 in Dänemark unter 2 %). Jedoch habe dieser Anteil in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen.[5]

Gewaltpornografie

In einer Studie aus dem Jahre 2006 untersuchte eine Arbeitsgruppe um die amerikanischen Medienwissenschaftler Robert Wosnitzer, Erica Scharrer und Ana Bridges die Darstellung von Gewalt, Erniedrigung und Sexualverhalten in den beliebtesten pornografischen Mainstream-Videos.[6] Im Vergleich zu früheren Studien stellten sie einen eindeutigen Anstieg von Darstellungen sexueller Gewalt fest. 88,2 % aller untersuchten Szenen stellten physische Aggression dar, wobei die häufigsten Gewaltakte Spanking (Hinternversohlen: 35,7 %), Gagging (Würgen: 27,7 %) und Open-hand slapping (Schläge mit offener Hand: 14,9 %) waren. 94 % aller Gewalthandlungen – sowohl physischer als auch verbaler Natur – waren gegen Frauen gerichtet. 95,2 % der Opfer reagierten neutral oder mit Äußerungen des Vergnügens, wobei Männer im Vergleich zu Frauen viermal häufiger mit Missfallen reagierten, wenn Gewalthandlungen gegen sie gerichtet waren. Theorien des erlernten Verhaltens gehen davon aus, dass positive Reaktion auf Aggression und Gewalt die Akzeptanz für diese Handlungen beim Zuschauer erhöhen könne.[6]

Diagnose

Bisher (Stand 2016) gibt es in dem medizinischen Diagnosesystem der Weltgesundheitsorganisation (dem ICD-10) keine Möglichkeit, Internetsexsucht als solche zu diagnostizieren. Um dennoch diese Störung behandeln zu können, weichen Psychotherapeuten auf die Kategorie F52.8 – Sonstige sexuelle Funktionsstörung, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit – aus.[7] Nach der Neuauflage des ICD in der elften Fassung wird mit dem zwanghaften Sexualverhalten (Code: 6C72) zukünftig auch direkt die Internetsexsucht beschrieben. Als Symptome gelten dabei u. a. wiederholter Kontrollverlust, negativer Einfluss auf das Familien- oder Arbeitsleben sowie die Beeinträchtigung des Sozialverhaltens.[8]

Therapie

Es gibt bisher keine speziell auf Internetsexsucht zugeschnittene wissenschaftlich evaluierte Therapie. Viele Therapieansätze lehnen sich aber an die Behandlung bereits besser evaluierter Suchttherapien an.[9] Forscher an der Justus-Liebig-Universität Gießen arbeiten über die angeschlossene Hochschulambulanz seit Jahren mit Patienten, die unter Internetsexsucht leiden und entwickeln aktuell ein Therapiemanual, das speziell auf diese Erkrankung zugeschnitten ist.[10][11]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Christian Beneker: Pornosucht bleibt eine lebenslange Verwundung. In: ÄrzteZeitung. (Springer Medizin) vom 19. Februar 2016; zuletzt abgerufen am 5. Mai 2021.
  2. Barbara Kerbel: Impotente gehören nicht in die Psychiatrie. - Interview mit Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch über Homosexualität, die Liebe zu Tieren und Maschinen - und die Abwicklung seines Instituts. In: Süddeutsche Zeitung. vom 30. September 2006; Update 17. Mai 2010; zuletzt abgerufen am 5. Mai 2021.
  3. Jerald J. Block: Issues for DSM-V: Internet Addiction. In: The American Journal Of Psychiatry. Band 165, Nr. 3, März 2008, S. 306–307, doi:10.1176/appi.ajp.2007.07101556.
  4. J. M. Albright: Sex in America online: an exploration of sex, marital status, and sexual identity in internet sex seeking and its impacts. In: Journal of Sex Research. Band 45, Nr. 2, April–Juni 2008 S. 175–186, doi:10.1080/00224490801987481.
  5. Datenschlag - Lexikon.
  6. a b R. J. Wosnitzer, E. Scharrer, A. J. Bridges: Aggression and sexual behavior in best-selling pornography: A content analysis update (Memento vom 21. Februar 2011 im Internet Archive). Paper presented at the 57th Annual Meeting of the International Communication Association, San Francisco 2007. Veröffentlicht in: Violence Against Women. Sage Publications, 16. Oktober 2010, S. 1065–1085. (doi:10.1177/1077801210382866); Zitat: „This current study analyzes the content of the most popular pornographic videos, with the objectives of updating its depictions of aggression, degradation and sexual practices and comparing its results to both previous content analysis studies and the survey reported in The Social Organization of Sexuality (1994). The authors argue for a sampling method that can collect videos that are representative of mainstream, popular pornography on a national level, and for a definition that can best capture the sexualized aggression portrayed in such pornography. The current study indicates an unequivocal rise of aggression in pornography in both verbal and physical forms, compared to previous studies. The majority of the perpetrators are males; females are almost always the victims and they most often show pleasure after being aggressed against.“
  7. Richard B. Krueger: Diagnosis of hypersexual or compulsive sexual behavior can be made using ICD-10 and DSM-5 despite rejection of this diagnosis by the American Psychiatric Association. In: Addiction. Band 111, Nr. 12, 2016, S. 2110–2111.
  8. Zwanghaftes Sexualverhalten wird eine Krankheit. In: ÄrzteZeitung. 16. Mai 2019, abgerufen am 9. Dezember 2020.
  9. Raphaela Basdekis-Jozsa: Stoffliche und nichtstoffliche Süchte: Komorbiditäten von abhängigem Verhalten. In: Suchttherapie. Band 4, Nr. 2, Juni 2003, ISSN 1439-9903, S. 56–64, doi:10.1055/s-2003-39574.
  10. Sexsucht. - Informationsseite zu Sexsucht der Justus-Liebig-Universität Gießen; Auf: uni-giessen.de; zuletzt abgerufen am 5. Mai 2021.
  11. Sascha Zoske: Wenn die Lust zur Qual wird. S. 15 - Frankfurter Allgemeine Zeitung; Auf: faz.net; Aktualisiert am 15. Oktober 2019; zuletzt abgerufen am 5. Mai 2021.