Das Übel
Das Übel (ahd.: abel, ibel, ubil) ist in der Philosophie ein Begriff, der alles bezeichnet, was dem Guten entgegengesetzt ist. Es ist vom Bösen zu unterscheiden, mit dem es häufig verwechselt wird. Übel ist der allgemeinere Begriff, der das Böse umfasst. Alles Böse gehört zum Übel, aber nicht jedes Übel gehört zum Bösen.
Begriffsgeschichte
Das Wort kommt bereits im Althochdeutschen als ubil vor. Die Etymologie ist unsicher; anscheinend bezeichnete der Begriff ursprünglich etwas, was über das als natürlich und „gut“ empfundene Maß hinausgeht, eine Übertreibung, welche die natürliche Ordnung stört. Gemeint waren ursprünglich – und auch später im Alt- und Mittelhochdeutschen am häufigsten – Handlungen, die gegen die angenommene sittliche Weltordnung verstoßen und daher „Übeltaten“ sind.
Thematisiert wurde die Bedeutung des Begriffs Übel vor allem, weil er im Vaterunser vorkommt, wo die Formulierung der lateinischen Bibel (Vulgata) „libera nos a malo“ mit „erlöse uns von dem Übel“ übersetzt wurde. Schon im Althochdeutschen wurde ubil als Übersetzung des lateinischen Wortes malum verwendet, das ebenso wie das altgriechische kakón sowohl allgemein Übel als auch speziell Böses bezeichnet. So übersetzte Martin Luther: „erlose uns von dem ubel“. Er bemerkt dazu in seiner „Auslegung deutsch des Vaterunsers für die einfältigen Laien“ (1519), unter Übel sei zu verstehen „Unfriede, Teuerung, Krieg, Pestilenz, Plagen wie auch Hölle und Fegfeuer und alle peinlichen Übel an Leib und Seel“. Der Begriff malum bzw. Übel wurde nicht auf das moralisch Böse eingeengt, sondern auch für Naturkatastrophen und Krankheiten verwendet. In der heutigen ökumenischen Fassung hingegen lautet die Übersetzung „erlöse uns von dem Bösen“ (Matthäus 6,13 Zü).
Eine bemerkenswerte Analyse der Auseinandersetzung um die Frage des Übels und zugleich eine Antwort auf das Theodizeeproblem findet sich bei Laktanz, einem der Kirchenväter:
- „Gott kann alles, was er will und Schwäche und Mißgunst ist nicht in ihm. Er kann also die Übel wegnehmen, aber er will es nicht; und doch ist er darum nicht mißgünstig. Er nimmt sie aus dem Grunde nicht hinweg, weil er, wie bemerkt, dem Menschen zugleich die Weisheit (Vernünftigkeit) verliehen hat, und weil mehr Gutes und Annehmliches in der Weisheit liegt, als Beschwerlichkeit in den Übeln. Denn die Weisheit bewirkt, dass wir Gott erkennen und vermöge dieser Erkenntnis die Unsterblichkeit erlangen, und darin besteht das höchste Gut. Wenn wir also nicht vorher das Übel erkennen, so vermögen wir auch nicht das Gut zu erkennen. Aber das hat sich weder Epikur noch ein anderer klar gemacht, daß mit der Aufhebung der Übel zugleich die Weisheit hinweggenommen würde, und daß keine Spur von Tugend mehr im Menschen bliebe; denn das Wesen der Tugend liegt im Ertragen und Überwinden der Bitterkeit des Übels.“[1]
Gottfried Wilhelm Leibniz unterscheidet zwischen metaphysischem, physischem und moralischem Übel. Das metaphysische Übel bestehe in der unvermeidlichen Endlichkeit bzw. Unvollkommenheit alles Geschaffenen, das notwendigerweise hinter der Vollkommenheit des Schöpfers zurückbleiben müsse. Als physisches Übel bezeichnet er das Leid, als moralisches Übel die Sünde oder Schuld.
Immanuel Kant betont, dass die lateinische Sprache nur den Begriff malum kennt, während die deutsche begrifflich zwischen dem Übel und dem Bösen differenziert. Das Böse ist für Kant vom menschlichen Willen abhängig, es ist das Ergebnis einer sittlichen Entscheidung und daher aus philosophischer Sicht ethisch relevant. Als Übel hingegen wird etwas dann bezeichnet, wenn es einen Zustand der Unannehmlichkeit oder des Schmerzes hervorruft; dies ist aus Kants Sicht an und für sich philosophisch nicht relevant. Hegel hingegen definiert das Übel als Unangemessenheit des Seins zum Sollen. Diese Definition zielt im Unterschied zu derjenigen Kants nicht auf eine Abgrenzung des Übels vom Bösen.
In der philosophischen und der theologischen Diskussion über das Übel wird seit der Antike insbesondere die Frage erörtert, ob das Übel nur eine Abwesenheit des Guten (lateinisch privatio boni, „Mangel am Guten“) ist, wofür vor allem der spätantike Kirchenvater Augustinus argumentierte, oder ob ihm bzw. dem Bösen ontologisch eine eigenständige Existenz zukommt.
Siehe auch
Literatur
- Übel. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 11, Schwabe, Basel 2001, S. 2–3 (Artikel von der Redaktion verfasst)
- Carl-Friedrich Geyer: Übel. I. Philosophisch. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 10. Herder, Freiburg im Breisgau 2001, Sp. 329 f.
- Odo Marquard u. a.: Malum. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 5, Schwabe, Basel 1980, S. 651–706
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Laktanz: De ira dei, 13, in: Des Lucius Caelius Firmanius Lactantius Schriften, aus dem Lateinischen übersetzt von A. Hartl, Bibliothek der Kirchenväter 36, Kösel, München 1919, 103