Gerichtsorganisation des Linken Rheinufers
Die Gerichtsorganisation des von Frankreich annektierten Linken Rheinufers folgte den Prinzipien des revolutionären Frankreichs.
Vorgeschichte
Wie anderswo im Heiligen Römischen Reich bestand auch am Linken Rheinufer eine Vielzahl von Territorien und eine ebensogroße Vielfalt an Gerichtsorganisationen.
Bereits im Spätherbst 1794 hatten die französischen Revolutionsheere das Linke Rheinufer besetzt. Die Annexion wurde im Vorfrieden von Leoben (1797) sowie im Frieden von Campo Formio (1797) vorbereitet und im Frieden von Lunéville (1801) abschließend geregelt.
Durch das Gesetz über Verwaltung und Justizorganisation in den vier linksrheinischen Départements vom 4. Dezember 1795 (44 frimaire IV) wurde das französische Gerichtsverfassungsgesetz Loi des 16 et 24 août 1790 sur l'organisation judiciaire aus dem Jahr 1790 auch für das Linke Rheinufer verbindlich.[1] Dieses Gerichtsverfassungsgesetz sah die Einrichtung der französischen Gerichtsstruktur in allen Départements vor. Praktische Auswirkungen hatte das zunächst nicht, da der Erste Koalitionskrieg noch andauerte und die französische Herrschaft noch nicht gesichert war.
Reorganisation 1797/1798
Mit dem Frieden von Campo Formio wurde die Annexion des Rheinlandes im Oktober 1797 von deutscher Seite in Aussicht gestellt. Das Nähere sollte vom Rastatter Kongress (1799 abgebrochen) geregelt werden. Bereits 1797/1798 wurde die Verwaltung des Gebiets und die Gerichtsorganisation nach französischem Vorbild reorganisiert. Das Direktorium beauftragte den Elsässer Franz-Josef (François-Joseph) Rudler mit dieser Aufgabe und ernannte ihn zum „Generalregierungskommissar aller eroberten Länder zwischen Maas und Rhein und Rhein und Mosel“.
Wesentliche Aspekte der neuen Gerichtsorganisation war die Umsetzung der Trennung der Rechtsprechung von der Verwaltung, die Unentgeltlichkeit des Prozesses, der Einführung der Schwurgerichte in der Strafrechtspflege und die Einführung der französischen Sprache als Gerichtssprache. Die Wahl der Richter wurde – im Gegensatz zu Frankreich selbst – nicht eingeführt (und wurde daher 1802 auch nicht wieder – wie in Frankreich – abgeschafft).
Die Umsetzung der genannten Prinzipien stieß auf vielerlei Hindernisse. Die Trennung der Rechtsprechung von der Verwaltung verbot, dass Richter Nebentätigkeiten, insbesondere solche in der Verwaltung vornahmen. Allerdings war die Besoldung der Friedensrichter so gering, dass es schwer war, unter diesen Umständen geeignete Kandidaten zu finden. Die Unentgeltlichkeit des Prozesses belastete die Kommunen. Diese mussten nun die Gerichte finanzieren. Insbesondere die Gerichtssprache Französisch stellte ein Problem dar. Zwar war das Französische in der damaligen Zeit (wie heute das englische) Lingua franca und wurde von den führenden Schichten gesprochen. Die einfachen Leute hingegen waren in einer effektiven Durchsetzung ihrer Rechte vor Gericht deutlich eingeschränkt, weil sie diese Sprache nicht verstanden.
Die bestehenden Gerichte wurden Anfang 1798 abgeschafft und die neuen Gerichte wurden eingeführt. Rechtsgrundlage waren die Dekrete von Rudler vom 4. Pluviôse an VI (24. Januar 1798) und vom 20. Pluviôse an VI (8. Februar 1798). Grundsatz beim Aufbau der Gerichte war, dass die Gerichtsorganisation der Verwaltungsorganisation folgen müsse. Auf der untersten Verwaltungsebene, den Kantonen wurden für die Zivilrechtspflege Friedensgerichte eingerichtet. Auf Ebene der Départements waren diesen Tribunale erster Instanz (Tribunal civile) übergeordnet. Bezüglich der Berufung gegen Entscheidungen der Tribunale erster Instanz galt das Prinzip der horizontalen Berufung: Berufungsgericht war das Tribunal erster Instanz eines der anderen Départements. In Trier wurde 1799 das Revisionsgericht als höchste linksrheinische Instanz geschaffen.
Für Strafrechtsfälle wurden auf Ebene der Arrondissements Zuchtpolizeigerichte geschaffen. Auf Ebene der Départements waren diesen Tribunale erster Instanz (Tribunal correctionelle) übergeordnet.
Die Justizreform von 1802
Mit Gesetzesbeschluss des Konsulats vom 30. Juni 1802[2] wurden die neue französischen Verfassung und die französische Verwaltungsgesetzgebung in den annektierten Gebieten eingeführt. Das Konsulatsdekret vom 14. Fructidor an X (1. September 1802) wurde die in dieser Verfassung vorgesehene Justizreform (wie bereits mit Gesetz vom 27. Ventose an VIII in Frankreich erfolgt) auch am Linken Rheinufer umgesetzt.
Auf Ebene der Kantone blieben die Friedensgerichte bestehen. Darüber standen nun die Tribunale erster Instanz auf Arrondissementebene. Die horizontale Berufung wurde aufgeben. Stattdessen wurde das Appellationsgericht Trier eingerichtet, das Berufungsinstanz für alle vier Départements war. (Dieses war Oktober 1799 als Revisionsgericht Mainz gegründet worden aber bereits im Folgemonat nach Trier verlegt worden. 1802 erfolgte die Umwandlung in das Appellationsgericht) Darüber stand der Kassationshof in Paris. Daneben bestanden Handelsgerichte. Kriminalgerichte waren auf Ebene der Départements eingerichtet.
Nach dem Ende der Franzosenzeit
Nach der Völkerschlacht bei Leipzig brach die französische Herrschaft zusammen und das Linke Rheinufer wurde durch die Koalitionstruppen erobert. Aus einem Teil des Territoriums wurden 1816 der bayerische Rheinkreis (Rheinpfalz) und die hessische Provinz Rheinhessen gebildet, die nördlich davon liegenden Gebiete kamen zu Preußen und gehörten zunächst den beiden Provinzen Jülich-Kleve-Berg und Großherzogtum Niederrhein an, aus denen 1822 die Rheinprovinz entstand. Kleinere Gebiete wie die Herrschaft Meisenheim oder das Fürstentum Birkenfeld wurden gesondert behandelt. In den meisten Nachfolgestaaten blieb das französische Recht und die französische Gerichtsorganisation meist mit Modifikationen in Kraft. Die Darstellung der Gerichtsorganisation findet sich in:
- Gerichte in der Rheinprovinz (Rheinprovinz)
- Gerichte im Großherzogtum Oldenburg (Birkenfeld)
- Liste der Gerichte im Großherzogtum Hessen (Rheinhessen)
- Gerichtsorganisation in der Landgrafschaft Hessen-Homburg (Meisenheim)
- Liste der Gerichte im Königreich Bayern (Pfalz)
Liste der Gerichte
Hinweis: Da die Amtssprache französisch war, waren die offiziellen Bezeichnungen der Gerichte ebenfalls in französisch. In der Literatur werden jedoch weitaus überwiegend die deutschen Bezeichnungen verwendet. Die Liste folgt dem und schreibt daher beispielsweise Friedensgericht Aachen statt Justice de paix d’Aix-la-Chapelle.
An Ober- und Mittelgerichten bestanden bis 1802:
- Appellationsgericht Trier
- Tribunal erster Instanz Aachen für das Département de la Roer
- Zuchtpolizeigericht Aachen für das Arrondissement d’Aix-la-Chapelle
- Zuchtpolizeigericht Kleve für das Arrondissement de Clèves
- Zuchtpolizeigericht Köln für das Arrondissement de Cologne
- Zuchtpolizeigericht Krefeld für das Arrondissement de Crévelt
- Tribunal erster Instanz Trier für das Département de la Sarre
- Zuchtpolizeigericht Trier für das Arrondissement de Trèves
- Zuchtpolizeigericht Birkenfeld für das Arrondissement de Birkenfeld
- Zuchtpolizeigericht Prüm für das Arrondissement de Prum
- Zuchtpolizeigericht Saarbrücken für das Arrondissement de Sarrebruck
- Tribunal erster Instanz Koblenz für das Département de Rhin-et-Moselle
- Zuchtpolizeigericht Bonn für das Arrondissement de Bonn
- Zuchtpolizeigericht Koblenz für das Arrondissement de Coblence
- Zuchtpolizeigericht Simmern für das Arrondissement de Simmern
- Tribunal erster Instanz Mainz für das Département du Mont-Tonnerre
- Zuchtpolizeigericht Mainz für das Arrondissement de Mayence
- Zuchtpolizeigericht Kaiserslautern für das Arrondissement de Kayserslautern
- Zuchtpolizeigericht Speyer für das Arrondissement de Spire
- Zuchtpolizeigericht Zweibrücken für das Arrondissement de Deux Ponts
An Ober- und Mittelgerichten bestanden ab 1802:
- Kassationshof Paris
- Appellationsgericht Trier
- Kriminalgericht Aachen für das Département de la Roer
- Tribunal erster Instanz Aachen für das Arrondissement d’Aix-la-Chapelle
- Tribunal erster Instanz Kleve für das Arrondissement de Clèves
- Tribunal erster Instanz Köln für das Arrondissement de Cologne
- Tribunal erster Instanz Krefeld für das Arrondissement de Crévelt
- Kriminalgericht Trier für das Département de la Sarre
- Tribunal erster Instanz Trier für das Arrondissement de Trèves
- Tribunal erster Instanz Kusel für das Arrondissement de Birkenfeld
- Tribunal erster Instanz Prüm für das Arrondissement de Prum
- Tribunal erster Instanz Saarbrücken für das Arrondissement de Sarrebruck
- Kriminalgericht Koblenz für das Département de Rhin-et-Moselle
- Tribunal erster Instanz Bonn für das Arrondissement de Bonn
- Tribunal erster Instanz Koblenz für das Arrondissement de Coblence
- Tribunal erster Instanz Simmern für das Arrondissement de Simmern
- Kriminalgericht Mainz für das Département du Mont-Tonnerre
- Tribunal erster Instanz Mainz für das Arrondissement de Mayence
- Tribunal erster Instanz Kaiserslautern für das Arrondissement de Kayserslautern
- Tribunal erster Instanz Speyer für das Arrondissement de Spire
- Tribunal erster Instanz Zweibrücken für das Arrondissement de Deux Ponts
- Appellationsgericht Trier
Darunter bestanden folgende Friedensgerichte auf Ebene der Kantone:
Literatur
- Antonio Grilli: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer 1797–1803. (= Rechtshistorische Reihe. Band 190). Peter Lang, Frankfurt/M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997, ISBN 3-631-34089-3.
Einzelnachweise
- ↑ Werner Schubert: Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, 1977, ISBN 3-412-04976-X, S. 23; Die Angabe in der Quelle enthält einen Fehler: Der 4. Dezember 1795 war der 13. Frimaire An IV. Es ist unklar, welcher der beiden Tage das tatsächliche Veröffentlichungsdatum ist.
- ↑ Beschluß vom 9. Frimaire X, abgedruckt im Bulletin LXXII der Sammlung