Lesezirkel
Der Lesezirkel ist heute eine Form des Abonnements, bei dem eine Auswahl von Zeitschriften nicht gekauft, sondern für einen bestimmten Zeitraum ausgeliehen oder gemietet wird. Der Turnus der Lieferungen ist meistens wöchentlich. Der größte Kundenkreis der Lesezirkel-Anbieter sind Arztpraxen, Friseursalons und Cafés, in denen die Zeitschriften für die wartenden Patienten und Kunden ausliegen.
In ihrer ursprünglichen Bedeutung waren die Lesezirkel im 18. und 19. Jahrhundert Zusammenschlüsse von Personen, teilweise als Verein, die untereinander Bücher und andere Schriften austauschten. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Lesegesellschaften, als deren Vorläufer sie teilweise angesehen werden.
Geschichte
Die Ursprünge des Lesezirkels reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Als ein Vorläufer wird der so genannte Dorfknüppel betrachtet, eine handgeschriebene Schrift, die zu Anfang des 17. Jahrhunderts in der Lüneburger Heide von Haushalt zu Haushalt weitergereicht wurde. Zunächst war das mehrmalige Verleihen von Zeitungen nur ein Zusatzgeschäft von Bibliotheken und Buchhandlungen. Der erste urkundlich belegte deutsche Lesezirkel wurde um 1610 in Kitzingen von dem Postmeister Pankraz Müller gegründet. Zu dieser Zeit hatten die Postmeister das Monopol für den Bezug so genannter Journale. Der Inhalt der zu mietenden Mappe waren handschriftliche Nachrichten aus Zeitungen, und zwar aus Nürnberg, Frankfurt am Main, Wien, Rom, Venedig, Den Haag und Köln. Die Bezieher dieses frühen Lesezirkels waren im Jahr 1614 insgesamt 16 Personen, allesamt Honoratioren des Ortes. Die Mietgebühr betrug einen halben Taler.
Bei den ersten Lesezirkeln durfte sich ein Mitglied nur ein paar Stunden das jeweilige Exemplar mieten. So konnten sehr viele Leser noch möglichst aktuell die Zeitungen lesen.
Im Zeitalter der Aufklärung wuchs allgemein das Interesse an Bildung, das Lesen war erstmals nicht mehr nur auf einen kleinen Kreis Gebildeter beschränkt. Im 18. Jahrhundert erschienen sogar Warnungen vor einer „Lesesucht“. Für viele Bürger war der regelmäßige Erwerb neuer Bücher und Zeitungen aber zu kostspielig, so dass der Gedanke, sich in Lesekreisen zusammenzuschließen, sehr populär wurde. Nur circa ein Zwölftel kostete die Lesemappe im Gegensatz zum Einzelkauf der Publikationen.
Ab 1800 waren die Lesezirkel meist ein Nebenerwerb von Buchhandlungen und Büchereien. Erst ab 1850 entstanden eigenständige gewerbliche Lesezirkel. Doch noch Ende des 19. Jahrhunderts waren im Deutschen Reich von rund 1200 Zirkeln noch etwa 1000 Nebenbetriebe. Auch mussten die Publikationen nicht mehr selber weitergegeben werden, dies wurde ab diesem Zeitpunkt von Boten übernommen. Die Lesezirkel und Lesegesellschaften ermöglichten einen Zugang zur Bildung und Informationen zahlreicher Menschen.
Im Mai 1908 schlossen sich die deutschen Lesezirkel-Anbieter in Leipzig zum Verband der Besitzer Deutscher Lesezirkel zusammen. Das Ziel war die Festlegung einheitlicher Richtlinien für Vertrieb und Werbung. Die Mappen beinhalteten zwischen 19 und 45 verschiedene Titel, je nach Wunsch und Preis.
Während die maximale Verleihdauer sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch bis zu 26 Wochen erstreckte, waren seit den 1980er Jahren sechs und später nur noch vier „Leseklassen“ üblich. Diese Reduzierung beruhte darauf, dass kaum noch jemand an bis zu sechs Monate alten Informationen interessiert war. Ebenfalls in die 1980er Jahre fällt die Einführung von flexiblen Leseprogrammen (auch „Wunschmappe“ genannt). Erstmals konnten sich die Kunden aus einer vorgegebenen Auswahl ihre Zeitschriften selbst zusammenstellen. Auf Grund des logistischen Aufwandes müssen in der Woche zwischen fünf und sechs Zeitschriften abgenommen werden.
Bis in die 1960er Jahre gehörte der Lesezirkel zu den wichtigsten Medienanbietern in der Bundesrepublik. Durch das aufkommende Privatfernsehen trat ab den 1990er Jahren ein mächtiger Konkurrent auf den Plan. Inzwischen muss sich das Medium „Lesezirkel“ auch noch der Konkurrenz durch das Internet stellen. Laut Angaben des Verbandes Deutscher Lesezirkel sind trotz dieser Konkurrenz die Zahl der Lesemappen und der Umsatz der Branche stabil bis leicht ansteigend.
Lesezirkel gibt es in dieser Form bis heute nur im deutschsprachigen Raum.
Lesezirkel heute
Im Jahr 2017 gibt es in Deutschland rund 160 selbstständige Lesezirkel-Unternehmen, die pro Woche 12,61 Millionen Leser erreichen (Reichweite laut Medienanalyse). Über 100 davon gehörten zum Verband Deutscher Lesezirkel[1].
Das Prinzip des Lesezirkels besteht darin, eine Zusammenstellung von Zeitschriftentiteln im wöchentlichen Turnus zu mieten. Der Preis einer Mappe richtet sich nach der Zusammenstellung (siehe unten) und nach ihrer Aktualität. Die Mappen werden mehrmals vermietet, durchschnittlich dreimal. Zirka 300 Titel sind zur Zeit im Angebot, und 3,3 Millionen Exemplare werden pro Woche vertrieben. Die Anbieter von Lesezirkeln sind selbstständige Unternehmer, keine Franchise-Nehmer.
Die Vertreiber beziehen die Zeitschriften direkt von den Verlagen. Für den Verlag ist die feste Abnahme ohne Remissionsrisiko vorteilhaft, und außerdem vergrößert sich durch die Lesezirkel die Reichweite der Publikation, was vorteilhaft ist, um Anzeigenkunden zu werben.
Abonnenten sind zu 60 Prozent Gewerbetreibende:[2]
- Arztpraxen 21 %
- Friseure 16 %
- Gastronomie, Hotels etc. 7 %
- Zahnärzte 5 %
- Kur-, Krankenhäuser, Altenheime etc. 1 %
- Rechtsanwälte und Notare 0,5 %
- Autohäuser, Tankstellen etc. 0,5 %
- Sonstige öffentliche Auslageorte 9 %
Die restlichen 40 Prozent sind private Kunden. 42 Prozent der Leser sind männlich, 58 Prozent weiblich. Die Mappen werden wöchentlich geliefert. Die Titel kosten in der Mappe bis zu 50 Prozent weniger als im Einzelkauf.
Die meisten Lesezirkel-Leser leben nach einer aktuellen Media- und Verbraucher-Analyse in Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Baden-Württemberg.
Für die IVW-Prüfung werden die Lesezirkel-Exemplare gesondert erfasst und in der Auflagenprüfung dargestellt.
Das System
Das Prinzip des Lesezirkels basiert auf der Mehrfachvermietung von Zeitschriften. Der Mietpreis ist nach Erscheinungsalter gestaffelt. Lesezirkel erhalten von Verlagen druckfrische Zeitschriften und versehen diese mit Schutzumschlägen, die gleichzeitig als Werbefläche dienen. Anschließend werden die Zeitschriften zu Lesemappen zusammengestellt.
Die Leser bekommen die Zeitschriften als Lesemappen ins Haus geliefert. Jede Woche erhalten sie neue Zeitschriften vom Lesezirkel, der gleichzeitig die Zeitschriften der Vorwoche abholt. Diese abgeholten Zeitschriften erhalten Leser, die ältere Zeitschriftenausgaben bestellt haben. Gemietet werden können Zeitschriften mit aktuellem Erscheinungsdatum oder zwei, drei und vier Wochen nach Erscheinen.
Alle Lesezirkel sind von den Verlagen verpflichtet, am Ende des Mietkreislaufs die Zeitschriften zu vernichten oder an den Verlag zurückzugeben.
Lesezirkel Österreich
Die Interessen der Lesezirkel in Österreich werden durch den Verein Verband Österreichischer Lesezirkelunternehmungen vertreten, der am 25. November 1980 gegründet wurde (ZVR-Zahl 777173536). Nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 wurde das Kartell der Österreichischen Lesezirkel aufgelöst. Heute wird der Lesezirkelmarkt im Wesentlichen von vier Unternehmen bedient:
- Die Vertriebsgebiete Ostösterreich (Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, nördliches Burgenland) werden vom Morawa-Lesezirkel versorgt.
- Der Lesezirkel Am Kamin versorgt die Gebiete Steiermark und südliches Burgenland.
- Die Gebiete Salzburg und Kärnten werden vom Lesezirkel Der Rundblick beliefert.
- Der Lesezirkel Alpenland beliefert die Kunden in Tirol und der Lesezirkel Vorarlberg das Bundesland Vorarlberg.
In Österreich ist es möglich, Beileimer sowie Coverwerbung sowohl regional als auch österreichweit zu schalten. Der österreichische Lesezirkel steht mit 821.000 wöchentlichen Nutzern und 11,3 Reichweite im Spitzenfeld bei den österreichischen Printmedien.
Werbeträger Lesezirkel
Der Lesezirkel bietet diverse Möglichkeiten als Werbeträger. Ein großer Vorteil ist hierbei die regionale Belegbarkeit und (je nach Werbemittel) auch Splittbarkeit nach öffentlichen Auslagen und Privathaushalten. Die Umschlagseiten werden für Anzeigen genutzt. Des Weiteren gibt es die Möglichkeit von zusätzlichen Werbebeilagen.
Literatur
- Reinhard Mundhenke, Marita Teuber: Der Verlagskaufmann. Berufsfachkunde für Kaufleute in Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlagen. 8. völlig überarbeitete Auflage. Societätsverlag, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-7973-0676-8.
- Elisabeth Noelle-Neumann, Winfried Schulz, Jürgen Wilke (Hrsg.): Publizistik, Massenkommunikation. Aktualisierte, vollständig überarbeitete Neuausgabe 1994, 7. Aufl. Fischer, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-596-12260-0 (Fischer-Taschenbücher – Fischer-Lexikon 12260).
- Peter Brummund: Struktur und Organisation des Pressevertriebs: Absatzformen, Absatzhelfer und Absatzwege in der Vertriebsorganisation der Zeitungs- und Zeitschriften-Verlage. De Gruyter, Berlin/Boston 2006, ISBN 978-3-598-11449-6, Kap. 9: Lesezirkel – Die Vermietung von Zeitschriften, S. 427–452; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Verband Deutscher Lesezirkel e.V. Abgerufen am 13. Mai 2016.
- ↑ Lesezirkel Planungsdaten 2020/2021. Abgerufen am 15. Mai 2022.
Weblinks
- Definition aus dem VDZ Vertriebslexikon, Website der DPV Deutscher Pressevertrieb