Mullit

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Mullit
Mullite-102482.jpg
Weiße, faserige Büschel aus Mullit vom Emmelberg bei Üdersdorf, Eifel, Rheinland-Pfalz (Sichtfeld 4 mm)
Allgemeines und Klassifikation
Chemische Formel
  • Al2Al2+2xSi2-2xO10-x mit x = Sauerstoffleerstellen pro Elementarzelle
  • Al4+2xSi2-2xO10-x mit x ≈ 0,4[1]
  • Al[6]Al1+x[4][O|Si1-xO4-x/2] mit x ≈ 0,2[2]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Silikate und Germanate – Inselsilikate
System-Nr. nach Strunz
und nach Dana
9.AF.20 (8. Auflage: VIII/B.02)
52.02.02a.02
Kristallographische Daten
Kristallsystem orthorhombisch
Kristallklasse; Symbol orthorhombisch-dipyramidal; 2/m 2/m 2/m[3]
Raumgruppe Pbam (Nr. 55)Vorlage:Raumgruppe/55[2]
Gitterparameter a = 7,58 Å; b = 7,68 Å; c = 2,89 Å[2]
Formeleinheiten Z = 2[2]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 6 bis 7[4]
Dichte (g/cm3) gemessen: 3,11 bis 3,26; berechnet: 3,170[4]
Spaltbarkeit deutlich nach {010}[4]
Bruch; Tenazität spröde[3]
Farbe farblos, weiß, grau, hellrosa, rot, violett[4][5]
Strichfarbe weiß[5]
Transparenz durchsichtig bis durchscheinend
Glanz Glasglanz
Kristalloptik
Brechungsindizes nα = 1,642 bis 1,653[6]
nβ = 1,644 bis 1,655[6]
nγ = 1,654 bis 1,679[6]
Doppelbrechung δ = 0,012 bis 0,026[6]
Optischer Charakter zweiachsig positiv
Achsenwinkel 2V = 20 bis 50°[6]
Pleochroismus Sichtbar:[6]
X = Y = farblos
Z = rosa
Weitere Eigenschaften
Chemisches Verhalten unlöslich in Säuren einschließlich Flusssäure[4]

Mullit ist ein eher selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Silikate und Germanate“ mit der komplexen chemischen Zusammensetzung Al[6]Al1+x[4][O|Si1-xO4-x/2], wobei x ≈ 0,2 entspricht.[2] Strukturell gehört Mullit zu den Inselsilikaten.

Mullit kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem und entwickelt meist kleine, prismatische bis nadelige Kristalle mit einem glasähnlichen Glanz auf den Oberflächen. In reiner Form ist Mullit farblos und durchsichtig. Durch vielfache Lichtbrechung aufgrund von Gitterbaufehlern oder polykristalliner Ausbildung kann er aber auch weiß erscheinen und durch Fremdbeimengungen eine graue, hellrosa bis rote oder violette Farbe annehmen, wobei die Transparenz entsprechend abnimmt.

Etymologie und Geschichte

Erstmals entdeckt wurde Mullit nahe der Seabank Villa auf der Isle of Mull vor der Nordwestküste Schottlands. Die Erstbeschreibung erfolgte 1924 durch N. L. Bowen, J. W. Greig und E. G. Zies, die das Mineral nach dessen Typlokalität benannten.

Typmaterial des Minerals wird im Natural History Museum in London unter den Katalog-Nr. 1925,432–437 aufbewahrt.[7]

Weitere Unterscheidungen in der Namensgebung hängen mit den Bildungsbedingungen des Mullits zusammen. So wird in fester Phase gebildeter körniger Mullit als Schuppenmullit bezeichnet, während sich in Gegenwart einer Schmelze Nadelmullit bildet. Bei niedrigen Temperaturen gebildeter Mullit wird auch als Primärmullit und den aus diesem bei hohen Temperaturen neugebildeten bzw. rekristallisierten Mullit als Sekundärmullit bezeichnet.

Klassifikation

Bereits in der veralteten, aber teilweise noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Mullit zur Mineralklasse der „Silikate und Germanate“ und dort zur Abteilung der „Inselsilikate mit tetraederfremden Anionen (Neso-Subsilikate)“, wo er zusammen mit Andalusit, Kanonait, Krieselit, Kyanit, Sillimanit, Topas und Yoderit die „Topasgruppe“ mit der System-Nr. VIII/B.02 bildete.

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Mullit ebenfalls in die Abteilung der „Inselsilikate (Nesosilikate)“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der möglichen Anwesenheit weiterer Anionen sowie der Koordination der beteiligten Kationen, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung und seinem Aufbau in der Unterabteilung der „Inselsilikate mit zusätzlichen Anionen; Kationen in [4]er-, [5]er- und/oder nur [6]er-Koordination“ zu finden ist, wo es als einziges Mitglied die unbenannte Gruppe 9.AF.20 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Mullit in die Klasse der „Silikate und Germanate“ und dort in die Abteilung „Inselsilikate: SiO4-Gruppen und O, OH, F und H2O“ ein. Hier ist er als zusammen mit Boromullit und Sillimanit in der „Al2SiO5 (Sillimanit-Untergruppe)“ mit der System-Nr. 52.02.02a innerhalb der Unterabteilung „Inselsilikate: SiO4-Gruppen und O, OH, F und H2O mit Kationen in [4] und >[4]-Koordination“ zu finden.

Kristallstruktur

Vergleich der Kristallstruktur von Mullit (rechts) und Sillimanit (links)

Mullit kristallisiert orthorhombisch in der Raumgruppe Pbam (Raumgruppen-Nr. 55)Vorlage:Raumgruppe/55 mit den Gitterparametern a = 7,58 Å, b = 7,68 Å und c = 2,89 Å sowie zwei Formeleinheit pro Elementarzelle.[2]

Die Kristallstruktur besteht aus Ketten von kantenverknüpften AlO6-Oktaedern parallel der c-Achse [001]. Diese sind über Doppelketten aus SiO4- und AlO4-Tetraedern miteinander vernetzt. Struktur und Anordnung ähneln der von Sillimanit, wobei das Verhältnis von Al : Si allerdings größer als 1 : 1 ist und der Ladungsausgleich von einigen freien Sauerstoffatomen aufrechterhalten wird.[2]

Eigenschaften

Die Wärmeausdehnung von Mullit mit hohem Reinheitsgrad zeigt bei etwa 1100 °C eine Änderung des Wärmeausdehnungskoeffizienten, die auf eine Phasenumwandlung und das Ausheilen von Fehlstellen zurückzuführen ist. Ab 1830 °C findet die peritektische Zersetzung statt.[8] Mullit ist aufgrund dieser Wärmedehnung ein die feuerfeste Struktur zerstörender Anteil, der beim Brennen der Schamotteziegel aus dem Bindemittelanteil an Ton entsteht.

Bei Temperaturen über 250 bis 300 °C hat Mullit eine höhere Mikrohärte als Korund.[9]

Kommerziell erhältlicher Mullit hat einen Glasphasenanteil (in REM-Aufnahmen durch feine Linien in einem 120° Winkel zueinander erkennbar), durch den der Schmelzpunkt herabgesetzt wird. Nach dem Herstellungsverfahren bezeichnet man synthetischen Mullit der Zusammensetzung 3Al2O3 • 2SiO2 als Sintermullit und Mullit der Zusammensetzung 2Al2O3·1SiO2 als Schmelzmullit.

Mullit und Sillimanit ähneln sich chemisch und in allen physikalischen und optischen Eigenschaften.[10]

Modifikationen und Varietäten

Von Mullit gibt es eine metastabile, pseudotetragonale Modifikation, die auf die Bildung von Domänen und/oder Verzwillingung zurückgeführt wird.[11] Diese geht oberhalb 1000 °C in die orthorhombische Modifikation über.

Bildung und Fundorte

Faserige, radialstrahlige Mullitbüschel mit unbekanntem gelbem Überzug aus Hendersons Steinbruch, Mount Ngongotaha, Rotorua, Nordinsel, Neuseeland (Sichtfeld 5 mm)
Weißer, faseriger Mullit vor dicktafeligem Osumilith (Bildgröße: 1,5 mm)
Fundort: Wannenköpfe, Vulkankomplex Wannengruppe, Eifel, Deutschland

Mullit entsteht durch Metamorphose aus Kaolinit bei Normaldruck und etwa 1200 °C oder als Zerfallsprodukt von Sillimanit bzw. seinen Polymorphen Disthen oder Andalusit bei über 1000 °C (Sillimanit→Mullit+SiO2).[10] Da diese Bedingungen der metamorphen Sanidinit-Fazies entsprechen, die in der Natur nur selten und in beschränkten Gesteinsvolumina erreicht wird (etwa im Nebengestein basaltischer Vulkanschlote), tritt Mullit dort meist nur in sehr geringen Mengen auf.

Als seltene Mineralbildung konnte Mullit nur an wenigen Fundorten nachgewiesen werden, wobei bisher etwas mehr als 70 Fundorte dokumentiert sind.[12] Auf der Isle of Mull in Schottland konnte das Mineral an mehreren Stellen entdeckt werden. Weitere Fundorte im Vereinigten Königreich sind allerdings nicht bekannt.

In Deutschland trat Mullit bisher vor allem in der Umgebung des Laacher Sees und am Ettringer Bellerberg im Landkreis Mayen-Koblenz sowie an mehreren Stellen im Landkreis Vulkaneifel in Rheinland-Pfalz auf. Daneben fand sich das Mineral unter anderem am Katzenbuckel in Baden-Württemberg, am Großen Teichelberg und am Schloßberg bei Waldeck (Gemeinde Kemnath) in Bayern, bei Georgsmarienhütte in Niedersachsen und in der Grube Anna in Nordrhein-Westfalen.

In Österreich konnte Mullit bisher nur in einem Basalt-Steinbruch am Pauliberg im Burgenland sowie bei Klöch und am Stradner Kogel in der Steiermark gefunden werden.

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Ägypten, Australien, China, Frankreich, Indien, Italien, Japan, Kenia, den Niederlanden, Neuseeland, Polen, Russland, der Slowakei, Spanien, Tadschikistan, Tschechien, Ungarn und den Vereinigten Staaten.[13]

Aufgrund seiner Seltenheit kann Mullit üblicherweise nicht direkt durch Abbau solcher Vorkommen gewonnen werden. Eine kommerziell genutzte Lagerstätte mit einer jährlichen Produktion von 5000 t wird aus dem nördlichen Transvaal in der Republik Südafrika genannt.[14]

Synthetischer Mullit

Technisch wird Mullit durch Schmelzen einer Mischung von Kaolinit und Aluminiumoxid im Lichtbogenofen oder durch Sinterung einer brikettierten Mischung von Kaolinit, Aluminiumhydroxid und Wasser im Tunnelofen hergestellt.[14]

Verwendung

Durch das Ausgangsmineral Kaolinit entsteht Mullit als wesentlicher Bestandteil bei der Herstellung von Porzellan und Ziegeln sowie Schamottesteinen. Auch zur Herstellung von Filterelementen für die Heißgasfiltration wird Mullit eingesetzt.[15] Ebenso findet es Verwendung als inertes Trägermaterial für beschichtete Katalysatoren.[16] Ein weiteres Einsatzgebiet von Mullit ist die Hochtemperaturwärmedämmung.[17]

Reaktionsgebundener Mullit (RBM) wird unter Verwendung von Aluminium und Silicium, Siliciumcarbid, Zirkon (Zirkoniumsilikat) oder Korund hergestellt und dient zur Fertigung von Technischer Keramik und feuerfesten Werkstoffen. Durch die Volumenzunahme beim Brennen kann die Sinterschrumpfung kompensiert werden.

Siehe auch

Literatur

  • N. L. Bowen, J. W. Greig, E. G. Zies: Mullite, a silicate of alumina. In: Journal of the Washington Academy of Sciences. Band 14, 1924, S. 183–191 (englisch, rruff.info [PDF; 415 kB; abgerufen am 5. Januar 2019]).
  • H. Schneider und S. Komarneni: Mullite. Wiley-VCH, Weinheim 2005, ISBN 978-3-527-30974-0.
  • Nicolas Bost, Shiyamala Duraipandian, Guillaume Guimbretière, Jacques Poirier: Raman spectra of synthetic and natural mullite. In: Vibrational Spectroscopy. Band 82, 2016, S. 50–52, doi:10.1016/j.vibspec.2015.11.003 (englisch).
  • Hans Jürgen Rösler: Lehrbuch der Mineralogie. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie (VEB), Leipzig 1987, ISBN 3-342-00288-3, S. 482–483.

Weblinks

Commons: Mullite – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. IMA/CNMNC List of Mineral Names; November 2018 (PDF 1,7 MB)
  2. a b c d e f Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 548 (englisch).
  3. a b David Barthelmy: Mullite Mineral Data. In: webmineral.com. Abgerufen am 5. Januar 2019 (englisch).
  4. a b c d e Mullite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 66 kB; abgerufen am 5. Januar 2019]).
  5. a b Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
  6. a b c d e f Mullite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 5. Januar 2019 (englisch).
  7. Catalogue of type mineral specimens – M. (PDF; 121 kB) In: smmp.net. Commission on Museums (IMA), 1. Juni 2007, archiviert vom Original am 2. September 2018; abgerufen am 6. Januar 2019 (englisch, Mullite S. 25).
  8. G. Brunauer: Hochtemperatur-Strukturforschung mittels Beugungsmethoden an den oxidischen Materialien Mullit und Zirkonia. Universität München, München 2004 (uni-muenchen.de [PDF; 8,4 MB; abgerufen am 5. Januar 2019] Dissertation).
  9. Jonathan Margalit: Thermische Ausdehnung von Mullit bis 1500 °C. Technische Hochschule Aachen, Aachen 1993, ISBN 3-925714-96-0 (Dissertation).
  10. a b Friedrich Klockmann: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. Hrsg.: Paul Ramdohr, Hugo Strunz. 16. Auflage. Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 676 (Erstausgabe: 1891).
  11. Hartmut Schneider, Tadeusz Rymon‐Lipinski: Occurrence of pseudotetragonal mullite. In: Journal of the American Ceramic Society. Band 71, Nr. 3, 1988, S. C‐162–C‐164, doi:10.1111/j.1151-2916.1988.tb05042.x (englisch).
  12. Anzahl und Verteilung der weltweiten Fundorte für Mullit. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 5. Januar 2019 (englisch).
  13. Fundortliste für Mullit beim Mineralienatlas und bei Mindat
  14. a b D. Klose, W. Tufar: Silicates. In: Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry. 5. Auflage. A 23. VCH, Weinheim 1993, S. 694–696.
  15. VDI 3677 Blatt 3:2012-11 Filternde Abscheider; Heißgasfiltration (Filtering-separators; High-temperature gas filtration). Beuth Verlag, Berlin, S. 15.
  16. VDI 3476 Blatt 1:2015-06 Abgasreinigung; Verfahren der katalytischen Abgasreinigung; Grundlagen (Waste gas cleaning; Methods of catalytic waste gas cleaning; Fundamentals). Beuth Verlag, Berlin, S. 10.
  17. VDI 3469 Blatt 1:2016-09 Emissionsminderung; Herstellung und Verarbeitung von faserhaltigen Materialien; Faserförmige Stäube; Grundlagen, Überblick (Emission control; Production and processing of fibrous materials; Fibrous dusts; Fundamentals, overview). Beuth Verlag, Berlin, S. 6.