Proteste infolge des Todes von Mahsa Amini

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Proteste infolge des Todes von Mahsa Amini
Teil von: iranischen Protesten 2021–2022 / iranischer Demokratiebewegung / Protesten gegen den gesetzlich vorgeschriebenen Hidschab

Protest an der Amirkabir-Universität für Technologie am 20. September 2022
Datum ab 16. September 2022
Ort IranIran Iran
Kurdistan Autonome RegionAutonome Region Kurdistan Autonome Region Kurdistan
Ursache • Tod von Mahsa Amini
Gewalt gegen Frauen durch die Sittenpolizei
Gewaltsame Niederschlagung vorheriger iranischer Demokratiebewegung
Impunität von durch iranische „Sicherheitskräfte“ begangenen Verbrechen
Ziele • Aufhebung des Kopftuchpflichtgesetzes von 1979
• Durchsetzung der Strafverfolgung gegen Polizeibeamte
• Auflösung der Sittenpolizei
• Sturz der Islamischen Republik Iran
• Herstellung einer liberalen Demokratie und Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte
Methoden Demonstrationen, ziviler Ungehorsam, Straßenkampf, Randale/Vandalismus, Interviews, Berichterstattung u. a.
Ausgang Offen
Konfliktparteien
  • Regierungskritiker bzw. Oppositionelle
  • Studenten
  • Kurden/Kurdistan (von iranischer Regierung behauptet)[1]
4 getötete Sicherheitskräfte[2]
mindestens 76 getötete Demonstranten[3]
41 Tote (staatl. Angaben)[4]
898 verletzte Demonstranten[5]
1200 Verhaftungen (staatl. Angaben)[4][6]

Proteste infolge des Todes von Mahsa Amini begannen im September 2022 nach dem durch Polizeigewalt herbeigeführten Tod von Mahsa Amini. Sie war von der islamischen Sittenpolizei festgenommen und misshandelt worden, weil ihr Kopftuch angeblich nicht richtig saß.

Die Proteste richten sich sowohl gegen das theokratische Regime im Iran als auch gegen die durch das Regime diktierten Lebensbedingungen, insbesondere gegen die Auslegung der islamischen Kleiderordnung.[7]

Als Zeichen der Solidarität mit Amini und aus Protest gegen die Frauenrechtslage im Iran verstießen manche Demonstrantinnen bewusst gegen die Kleiderordnung, indem sie ihre Kopftücher abnahmen oder sich öffentlich die Haare schnitten.[7]

Chronik

Am 19. September demonstrierten tausende Menschen in Teheran. Auch in Aminis Heimatprovinz Kurdistan versammelten sich Menschen zu Protesten. Dabei kam es Medienberichten zufolge zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften der islamischen Regierung und Demonstranten.[8]

Am 21. September reagierte die Regierung von Ebrahim Raisi auf die Demonstrationen mit einer Einschränkung des Internets. Waren zuerst Instagram (das angeblich von mehr als der Hälfte der iranischen Bevölkerung genutzt wird) und WhatsApp nicht mehr verfügbar, schaltete die Regierung am selben Tag auch den größten Mobilfunkprovider des Landes aus.[7] Am selben Tag ordnete die iranische Regierung eine Untersuchung zum Tod von Mahsa Amini an.[9] Stand 21. September 2022 wurden im Zuge der Proteste 450 Demonstranten verletzt.[10] Am selben Tag blockierten Aktivisten des Hackerkollektivs Anonymous nach eigenen Angaben die Website der iranischen Zentralbank und mehrere andere Regierungsportale für Stunden erfolgreich durch DDoS-Attacken. Die Zentralbank bestätigte, einem Cyberangriff ausgesetzt gewesen zu sein.[11]

Laut der iranischen Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) versammelten sich am 22. September Menschen in mehr als 30 Städten Menschen zu Protesten.[12] Von den Demonstranten wurden mehrere Polizeistationen und -autos in Brand gesetzt.[13] In Rascht brannte eine Moschee.[14]

Durch die gewaltsame Niederschlagung der Proteste mittels Schusswaffen stiegen die Zahlen getöteter Zivilisten auf über 50 an. Getötete Demonstranten wurden unter anderem aus Reswanschahr, Babol und Amol gemeldet.[15][14]

In der iranischen Hauptstadt Teheran fand am 23. September eine Gegendemonstration bzw. ein Pro-Regierungs-Protest statt. Laut der Islamic Republic News Agency (IRNA) entstand die Gegendemonstration, nachdem staatliche Behörden Menschen dazu aufgerufen hatten.[16] Auch in anderen Städten gab es von der Regierung organisierte Gegendemonstrationen.[17] Am selben Tag verhafteten iranische Behörden unter anderem zwei Journalistinnen: eine Fotojournalistin, die die Pro-Amini-Proteste dokumentierte, und jene Journalistin, die über den Kriminalfall um Mahsa Amini berichtet und dadurch dazu beigetragen hatte, den Fall Amini öffentlich zu machen.[16] Elon Musk kündigte an, dass Starlink in iranischen Städten aktiviert wird, nachdem das Außenministerium und das Finanzministerium der Vereinigten Staaten Maßnahmen angekündigt hatten, um die Internetfreiheit und den Zugang zu Informationen im Land zu steigern.[18] Die Zahl der Todesopfer bei den Protesten stieg auf 50.[19]

Die Streitkräfte des Iran kündigten am 23. September an, als Reaktion auf die Proteste „den Feinden entgegentreten“ zu wollen.[20] Einen Tag später gaben die iranischen Streitkräfte bekannt, Stützpunkte kurdischer Separatistengruppen im Nordirak angegriffen zu haben. Die Angriffe seien durch iranische Revolutionsgarden (IRGC) ausgeführt worden und seien eine Reaktion auf Angriffe kurdischer Gruppen auf im Grenzgebiet befindliche iranische Militärbasen. Nach Darstellung des iranischen Innenministers Ahmad Wahidi unterstützen kurdische Gruppen die regierungskritischen Protesten im Iran, nicht nur personell, sondern auch mit Waffen, die an iranische Demonstranten in Kurdengebieten übergeben würden.[1]

Am 24. September wurde einem Bericht zufolge die Stadt Oschnaviyeh von Demonstranten „eingenommen“.[21] Im Ausland lebende Iraner gingen in Deutschland, Griechenland, Italien, Spanien, Libanon, Türkei, Kanada und den USA aus Solidarität mit den Demonstranten im Iran auf die Straße.[22][23][24] In der Provinz Gilan verhafteten die Polizei und iranischen Revolutionsgarden (IRGC) 739 Personen.[25] Das IRGC nahm außerdem mehrere Verhaftungen in Kerman vor.[26] Die iranische Regierung gab kurze Zeit später bekannt, dass die Sicherheitskräfte die Kontrolle über Oschnaviyeh wiedererlangt haben.[27]

Am 26. September sprach die Regierung von mehr als 1200 Festnahmen und 41 Toten. Human Rights Watch hingegen gab die Zahl der Toten mit mindestens 76 an und beschuldigte die Polizei, mit scharfer Munition auf die Demonstrierenden zu schießen. Die deutsche Bundesregierung bestellte den iranischen Botschafter ein und forderte die Regierung auf, die friedlichen Proteste zuzulassen.[4] Stand 26. September hatten sich die Proteste über 45 Orte (Städte, Dörfer, Gemeinden) ausgeweitet.[28] Dabei kam es in den meisten Fällen zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten.[29]

Am 28. September wurde die Sportfunktionärin und Frauenrechtlerin Faezeh Haschemi, Tochter des früheren iranischen Präsidenten Ali Akbar Hāschemi Rafsandschāni, festgenommen.[30] Am selben Tag bombardierten iranische Streitkräfte mehrere Orte in der Autonomen Region Kurdistan; dort unter anderem im Distrikt Koye. Aus dem Gouvernement Erbil wurden neun Tote und 32 Verletzte durch die Bombardierungen gemeldet.[31]

Am 30. September kam es zur erneuten Gewalteskalation als Demonstranten versuchten, drei Polizeiwachen in Zahedan zu erstürmen und Sicherheitskräfte in die Menge schossen. Auch im Umfeld dieser Vorkommnisse kam es zu Todesfällen. So wurde ein Kommandeur der Revolutionsgarde bei der Makki-Moschee in Zahedan erschossen. Insgesamt soll es 19 Tote und 20 Verletzte gegeben haben.[32]

Weblinks

Commons: Proteste im Iran im September 2022 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Iran greift offenbar kurdische Stützpunkte in Nordirak an. In: Der Spiegel. 24. September 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 24. September 2022]).
  2. Wieder schwere Auseinandersetzungen bei Protesten im Iran. tagesschau.de, abgerufen am 22. September 2022.
  3. Iran Protests; at least 76 Protesters Killed. Abgerufen am 27. September 2022 (englisch).
  4. a b c Menschenrechtler gehen von mindestens 76 Toten aus. In: Zeit Online. 27. September 2022, abgerufen am 27. September 2022.
  5. Hengaw Report No. 7 on the Kurdistan protests, 18 dead and 898 injured. Abgerufen am 27. September 2022 (kurdisch (Arabische Schrift)).
  6. Death toll from Iranian protests climbs to 41. In: Financial Times. 25. September 2022 (ft.com [abgerufen am 27. September 2022]).
  7. a b c Markus Reuter: Proteste gegen Regierung: Iran schaltet Instagram, WhatsApp und weite Teile des Internets ab. 21. September 2022, abgerufen am 22. September 2022.
  8. Mahsa Amini – Tod junger Frau nach Verhaftung durch Irans Sittenpolizei – Demonstranten setzen Regierung unter Druck. deutschlandfunk.de, abgerufen am 22. September 2022.
  9. Anhaltende Proteste nach Tod von junger Frau im Iran. tagesschau.de, abgerufen am 22. September 2022.
  10. Hengaw Report No. 5 on the Kurdistan protests, 7 dead and 450 injured. Abgerufen am 22. September 2022 (kurdisch (Arabische Schrift)).
  11. Iran: Hacktivisten legen Website der iranischen Zentralbank lahm. In: Der Spiegel. 21. September 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 22. September 2022]).
  12. 31 Killed In Iran Crackdown On Anti-Hijab Protesters After Custody Death. Abgerufen am 22. September 2022.
  13. Iran’s Raisi warns against ‘acts of chaos’ as protests over woman's death rage. Reuters, 22. September 2022, abgerufen am 22. September 2022.
  14. a b Rainer Hermann: Proteste in Iran werden blutiger. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 22. September 2022.
  15. Proteste in Iran: Zahl der Toten steigt auf mindestens 50. In: Der Spiegel. 23. September 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 23. September 2022]).
  16. a b Proteste in Iran: Zahl der Toten steigt auf mindestens 50. In: Der Spiegel. 23. September 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 23. September 2022]).
  17. Iranisches Militär warnt vor Teilnahme an Protesten. tagesschau.de, abgerufen am 23. September 2022.
  18. Musk says activating Starlink, in response to Blinken on internet freedom in Iran. Reuters, 23. September 2022, abgerufen am 24. September 2022.
  19. 50 killed in Iran protest crackdown, says NGO; thousands join pro-hijab rallies. 23. September 2022, abgerufen am 24. September 2022 (englisch).
  20. Iranian army says it will ‘confront the enemies’ as protests rage. 23. September 2022, abgerufen am 24. September 2022 (englisch).
  21. Iran brennt – 35 Tote nach Massenprotesten. 24. September 2022, abgerufen am 24. September 2022 (Schweizer Hochdeutsch).
  22. Protests Erupt Around The World Following Death Of Mahsa Amini While In Custody In Iran. Abgerufen am 24. September 2022 (englisch).
  23. Kurdish protesters rally in Erbil over Mahsa Amini's death. Reuters, 24. September 2022, abgerufen am 24. September 2022.
  24. مرگ مهسا امینی؛ بیانیه «تفنگت را زمین بگذار»، هشتمین روز اعتراضات سراسری. Abgerufen am 24. September 2022 (persisch).
  25. دستگیری ۷۳۹ ‌اغتشاشگر‌ در گیلان/ کشف انواع سلاح گرم و سرد از آشوبگران. In: roozplus.com. 24. September 2022, abgerufen am 24. September 2022 (persisch).
  26. بازداشت یکی از تحریک‌کنندگان ‌تخریب اموال عمومی در اغتشاشات کرمان- اخبار کرمان – اخبار استانها تسنیم. In: Tasnim. Abgerufen am 24. September 2022 (persisch).
  27. Iran protests: Raisi to 'deal decisively' with widespread unrest. In: BBC News. 24. September 2022 (bbc.com [abgerufen am 25. September 2022]).
  28. Iran: Proteste halten trotz vieler Festnahmen an. In: Deutsche Welle. 26. September 2022, abgerufen am 29. September 2022.
  29. Hartes Vorgehen spaltet das Parlament. tagesschau.de, abgerufen am 29. September 2022.
  30. Tochter des Ex-Präsidenten Rafsandschani verhaftet. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 28. September 2022.
  31. Kürdistan Bölgesi Hükumeti: İran’ın saldırılarını şiddetle kınıyoruz. In: rudaw.net. 28. September 2022, abgerufen am 29. September 2022.
  32. Ingrid Schulze: Mindestens 19 Tote, darunter der Chef der Revolutionsgarden, bei Unruhen in Zahedan. In: msn.com. MSN (Microsoft Network), 1. Oktober 2022, abgerufen am 1. Oktober 2022 (Angaben des Gouverneurs der Provinz).