Judenretter

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Judenretter, Stille Helden, Judenhelfer und in der Nachkriegszeit teilweise durch Israels Gedenkstätte Yad Vashem auch als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet, werden Personen genannt, die in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 und insbesondere während des Holocaust versucht haben, jüdische Mitmenschen in Deutschland und im von Deutschland besetzten Teil Europas vor der Deportation zu bewahren. Unterschlupf gaben sie manchmal nur wenige Tage, in vielen Fällen aber auch monatelang. Es gibt Fälle von Helfern, bei denen sich immer mehr Personen in einer Wohnung versammelten, weil diese keine weitere Zuflucht mehr fanden.

Da diese Handlungen der oft „unsere / mein Retter“ genannten Personen in der Regel auch als Widerständigkeit oder Ablehnung des NS-Regimes zu verstehen sind, wird dabei oft von einem Rettungswiderstand gesprochen.

Zum Teil bestand die Hilfe im Beschaffen von Lebensmittelkarten oder falschen Papieren. Dabei ging es sowohl um das Überleben im Heimatland selbst als auch um das Passieren einer Grünen Grenze, beispielsweise nach Österreich oder in die Schweiz.

Über 1700 der geschätzt 7000 allein im Bereich von Berlin untergetauchten Personen sollen als „Illegale“ bis zum Kriegsende überlebt haben. Die meisten von ihnen innerhalb der deutschen Grenzen. Wer in Berlin untertauchte bzw. versteckt wurde, musste danach sehr oft das Versteck wechseln. Das Kriegsende wurde also evtl. auch außerhalb von Berlin erlebt, wenn die Flucht überhaupt gelang. Die Nazi-Behörden kriminalisierten die Helfer als „Judenbegünstiger“ der Flüchtigen und ließen sie ebenfalls verfolgen. Die genaue Zahl derjenigen Verfolgten, die sich dem Zugriff der Gestapo entzogen, kann für Deutschland heute kaum mehr exakt ermittelt werden. Zwischen 1941 und Kriegsende waren es schätzungsweise 10.000 bis 15.000 Personen, von denen bis 5.000 auf diese Weise in Deutschland überlebten.[1] Das heißt aber auch, die Zahl der „Stillen Helfenden“ bewegt sich in dieser Dimension. In den von Deutschland besetzten Ländern dürften die Zahlen prozentual höher gewesen sein. Als besonders erfolgreich wird diese Überlebens- und Widerstandsform in Belgien angesehen.

Die beiden Begriffe Judenretter und Judenhelfer unterscheiden sich inhaltlich nur wenig. Bei Judenretter schwingt der Erfolg der Handlung mit, der beim Wort Judenhelfer nicht unbedingt eingeschlossen ist. Den Begriff Judenfreund benutzen teilweise auch Antisemiten, in gleicher Weise – aber mit dem Anschein der Wissenschaftlichkeit und Bildung – gelegentlich auch die synonymen Termini Philosemit oder philosemitisch, so etwa zuerst Heinrich von Treitschke.

„Was ich Ihnen und Ihren Freunden tun konnte und durfte, war nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern noch viel zu wenig, gemessen an der entsetzlichen Lage, in der sie sich alle damals befanden.“

Zitat eines Helfers aus dem Jahr 1948 an einen Überlebenden[2]

Zeitraum 1933 bis 1939

Vorausgegangen war bis 1938 die immer existenzbedrohender werdende Verfolgung von jüdischen und von den Verfolgern als jüdisch definierten Deutschen seit dem Judenboykott vom 1. April 1933. Zwischen 1933 und 1938 verloren die meisten von ihnen nach und nach ihre Berufe, ihre wirtschaftliche Existenz, viele ihre Wohnungen und seit den Nürnberger Gesetzen von 1935 alle jeglichen Zugang zum öffentlichen Leben. Es kam zu einer Auswanderungswelle. Dennoch blieben viele Juden im Vertrauen auf die gegenüber dem Mittelalter veränderte Kultur ihres Heimatlandes in Deutschland. So weist Wolfram Wette darauf hin, dass die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 für viele eine schier unfassbare Bilanz jüdischen Lebens in Deutschland zog: 1406 Synagogen und Betstuben wurden in Deutschland niedergebrannt oder vollständig zerstört. Etwa 30.000 Menschen jüdischen Glaubens verschleppten die NSDAP- bzw. SS-Trupps und die Polizei in die Konzentrationslager.

Gedenkplatte an der Synagoge in Wittmund

Es wurden reichsweit sofort ungefähr 400 Menschen ermordet; weitere 400 Menschen kamen in den Tagen danach zu Tode und vermutlich mehrere Hundert Verfolgte nahmen sich aus Furcht vor dieser Entwicklung selbst das Leben. Insgesamt soll der von der NSDAP-Spitze inszenierte Gewaltakt (euphemistisch Reichskristallnacht genannt) mehr als 1300 Menschenleben gefordert haben. Tausende waren bis dahin unter Hinterlassung einer sogenannten Reichsfluchtsteuer ausgewandert oder illegal aus Deutschland geflohen. Aber auch die noch zurückgebliebenen Optimisten („es kann ja nicht lange dauern, bis eine andere Regierung drankommt“) mussten nun einsehen, dass Hitler und seine Parteigenossen es mit der Endlösung der Judenfrage bitter ernst meinten. Stillhalten und sich in der Öffentlichkeit zu verbergen bot nun auch keinen Schutz mehr. Von offenem Protest aus der Bevölkerung gegen die Übergriffe und Morde gibt es fast nichts zu berichten. Mit der Arisierungswelle, gefolgt vom Überfall auf Polen als Beginn des Zweiten Weltkriegs, wurde der Verfolgungsdruck massiv weiter erhöht. Bekannt wurde z. B., dass bei der Fabrikaktion Ende Februar 1943, einer Jagd auf Berliner Juden in den Rüstungsbetrieben, etwa 4000 der dabei gesuchten deutschen Juden sich der Verhaftung – zunächst – gerade noch entziehen konnten.

Untertauchen der vor NS-Verfolgung Flüchtigen

Dieses Verschwinden/Untertauchen von als Juden verfolgten Bewohnern aus dem gewohnten Leben in der Öffentlichkeit zur Rettung vor der drohenden Deportation führte zu der Bezeichnung, dass die Flüchtigen wie ein U-Boot leben.

Ohne Unterkunft konnte sich ein derart auf der Flucht Lebender kaum längere Zeit verbergen. Mitgeführte Gepäckstücke würden bei Kontrollen auf der Straße sofort einen Verdacht erregen. Ein längerer Aufenthalt in einer Gaststätte, Bibliothek oder einem Kino konnte Nachfragen zur Identität auslösen. Manche der Untergetauchten, die man zeitgenössisch auch „Illegale“ oder „U-Boote“ nannte,[3] hatten ihr Verschwinden geplant, sich mit Helfern abgesprochen, Unterkunft und eine glaubhafte Legende für die Nachbarschaft gefunden und Lebensmittel gehortet.

Dieses Untertauchen einer Person in einem von Kriegswirtschaft geprägten Land über viele Wochen und Monate war sehr schwierig. Ohne gültige Papiere konnte ein angebliches Untermietverhältnis nicht legalisiert werden. Vor allem waren Lebensmittel auf dem freien Markt nur gegen Abschnitte von Lebensmittelkarten erhältlich, die eine Bezugsberechtigung voraussetzten. Die festgesetzten Rationen waren so knapp bemessen, dass ein Helfer kaum etwas an einen Untergetauchten abgeben konnte. Regelmäßige Zukäufe auf dem Schwarzen Markt konnten auffallen und zur Entdeckung führen, auch verlangten sie erhebliche Geldmittel oder Wertgegenstände zum Tausch. Auf dem Land war die Beschaffung von Lebensmitteln zwar leichter und es stand auch meist mehr Platz für ein Versteck zur Verfügung, dafür fielen Fremde dort durch fehlende Anonymität leichter auf.

Gefälschte Ausweispapiere oder verfälschte Dienstausweise waren für die Flüchtigen ohne Beziehung kaum zu beschaffen.

Ein zufälliges Zusammentreffen mit Personen, die vom Verschwinden wussten und die zugleich potentielle Unterstützer der Naziregierung waren, musste möglichst vermieden werden. Die Gestapo versuchte gezielt Spitzel in solche Netzwerke einzuschleusen. In Berlin wurde ab Februar 1943 u. a. die Jüdin Stella Goldschlag als „Greiferin“ tätig und in den Niederlanden verdiente die so genannte Kolonne Henneicke an der Ergreifung von Juden.

Für Helfer wie Untergetauchte waren die beengten Wohnverhältnisse, die knappen Lebensmittel und die Angst vor der Entdeckung eine schwer erträgliche Belastung. Häufig mussten neue Helfer gesucht und Ausweichquartiere gefunden werden. Neue Untersuchungen gehen davon aus, dass „für jede untergetauchte Person bis zu zehn, bisweilen auch erheblich mehr, nichtjüdische Helfer aktiv wurden, um das Überleben im Untergrund zu ermöglichen.“[4] Hinzu kamen meist zahlreiche Mitwisser, die bewusst wegsahen und schwiegen.

Motive der Helfer

Entgegen einer früheren Hypothese, dass allen Helfern idealtypisch eine altruistische Persönlichkeitsstruktur eigen sei, lassen sich in der Schilderung konkreter Fälle, evtl. gleichzeitig, unterschiedliche Motive für die Hilfeleistung nachweisen.[5] Manche Helfer sprangen aus Nächstenliebe oder aus religiöser Überzeugung ein, andere wegen ihrer Opposition gegen das NS-Regime und wieder andere wollten Freunde nicht im Stich lassen. Manche knüpften ihre Hilfszusage aber auch an Geldzahlungen und Arbeitsleistungen oder erhofften sich eine Fürsprache nach dem absehbaren Kriegsende. Manche Helfer gerieten aus reinem Zufall in die Situation und handelten spontan, ohne die Konsequenzen abzuwägen. So irrte z. B. eine Jüdin ziellos durch Berlin und folgte einer ihr gänzlich unbekannten Frau bis in die Wohnung. Dort schilderte sie ihre verzweifelte Lage und drohte, sich das Leben zu nehmen. Die völlig fremde Frau versprach, sie für eine Nacht aufzunehmen, und behielt die Flüchtige dann drei Jahre lang in ihrer Wohnung und unterstützte später noch eine weitere untergetauchte Jüdin.[6]

Gelegentlich bildeten sich kleine konspirative Netzwerke von Helfenden. Solche Netzwerke sind zum Teil aus den verfolgten politischen Parteien und Organisationen heraus entstanden oder aus christlichen Gruppierungen.

Einzelne Personen

Nach unsicheren Schätzungen tauchten zwischen 1941 und Kriegsende 10.000 bis 15.000 Juden unter, davon mehr als 5000 in Berlin.[7] 3000 bis 5000 gelang das Überleben. Knapp 3.000 Helferinnen und Helfer wurden in Deutschland namentlich bekannt. Da bei der Unterbringung eines Untergetauchten oftmals zehn und mehr Helfer nacheinander halfen, lässt sich folgern, dass ein großer Teil der Helfer in der Öffentlichkeit unbekannt geblieben ist.

Viele der Helferinnen und Helfer waren in dem Sinne „gewöhnliche“ Deutsche, dass sie nicht durch ein Amt oder gesellschaftliche Stellung aus der Bevölkerung hervorgehoben waren. Sie kamen aus allen sozialen Schichten, es gab keine besonderen Schwerpunkte der Beteiligung von Personen einer bestimmten Konfession oder politischen Richtung. Die Historikerin Beate Kosmala stellte fest, dass die meisten von ihnen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren waren. Knapp zwei Drittel der (bekanntgewordenen) Hilfe leistenden Personen waren Frauen, wobei allerdings zu bedenken ist, dass die meisten Männer Kriegsdienst leisten mussten und an der Front waren. Es folgen einige Namen von Personen, deren Handeln überliefert ist:

Bestrafung von Helfern

Es gab zwar keine gesetzliche Bestimmung, die eine Hilfeleistung für Juden ausdrücklich verbot. Kurz nach der Einführung des Judensterns erging jedoch am 24. Oktober 1941 ein Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), der denjenigen „deutschblütigen Bürgern“ eine „Schutzhaft“ von drei Monaten androhte, die „in der Öffentlichkeit freundschaftliche Beziehungen zu Juden“ erkennen ließen.[15] Den „deutschblütigen Volksgenossen“ wurde beim Abholen der Lebensmittelkarten ein Flugblatt ausgehändigt, das diesen Erlass im Wortlaut enthielt.[16]

Jeder Unterstützer, der mit Lebensmitteln half, musste mit der Einlieferung ins Konzentrationslager rechnen. Wer Unterschlupf gewährt hatte, wurde wegen „verbotswidrigen Umgangs mit Juden“ festgenommen und von der Gestapo verhört. Oftmals wurde der Vorgang wegen weiterer Delikte wie Urkundenfälschung, Rundfunkverbrechen, Verstöße gegen die Kriegswirtschaftsverordnung oder wegen Devisenvergehen an die Staatsanwaltschaft übergeben. Haftstrafen von mehr als 24 Monaten wurden selten ausgesprochen, wenn nicht zusätzlich Anklagepunkte nach der Volksschädlingsverordnung oder wegen Hochverrats hinzukamen.[17]

Im Gegensatz zu Polen mussten „Judenretter“ im Deutschen Reich nicht mit einer Todesstrafe rechnen. Aber schon die Haft in einem Konzentrationslager war mit unabsehbaren Folgen für Gesundheit und Leben verbunden. Die darüber hinaus zu erwartende Strafe blieb unberechenbar, dadurch wurde das „subjektive Gefühl der Angst in einer Atmosphäre totaler Rechtsunsicherheit“ vermittelt,[18] das eine abschreckende Wirkung besaß.

Rehabilitation und Gedenken

Nach dem Krieg wurde Helfern kein Anspruch auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz zugestanden und ihre Hilfeleistung nicht als Widerstandshandlung anerkannt, sofern sie nicht inhaftiert worden waren. Eine Ausnahme blieb die vom Innensenator Joachim Lipschitz veranlasste Ehrungsinitiative des Berliner Senats, in deren Verlauf zwischen 1958 und 1966 nachweislich 738 Personen öffentlich als Helfer geehrt und bei Bedürftigkeit auch finanziell unterstützt wurden.[19]

Nach Deutung des Historikers Dennis Riffel fielen die „Judenhelfer“ aus dem kollektiven Erinnern und Gedenken heraus, weil der „überwiegende Teil der Deutschen nicht an die eigene, häufig unrühmliche Rolle“ erinnert werden wollte.[20]

Folgende Einrichtungen erforschen oder dokumentieren in Deutschland die Taten von Menschen, die Juden Hilfe leisteten:

Eine Besonderheit stellt der Fall der Suspendierung von Paul Grüninger in der Schweiz dar. Er war ein Polizeihauptmann in St. Gallen, der in der Zeit unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg mehreren hundert, vielleicht einigen tausend Jüdinnen und Juden und andere Flüchtlinge[22] vor der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung das Leben rettete, indem er ihnen nach Schweizer Normen illegal die Einreise in die Schweiz ermöglichte. Bereits 1939 wurde er für dieses Vergehen vom Dienst suspendiert und 1940 wegen Amtspflichtverletzung verurteilt. Erst 1995, 23 Jahre nach seinem Tod, hob das Bezirksgericht St. Gallen das Urteil gegen ihn auf und sprach Paul Grüninger frei.

Der Großindustrielle und Generaldirektor Eduard Schulte rettete durch persönlichen Einsatz nicht nur eine befreundete Familie, Rudy Boyko und seine Angehörigen. Sein Fall ist darüber hinaus beachtenswert, weil er, obwohl Wehrwirtschaftsführer und Lieferant kriegswichtiger Güter (Zink), über die Einzelrettung hinaus versuchte, durch Weitergabe authentischer und beweiskräftiger Informationen über den gesamten Holocaust in Schlesien und Polen, insbesondere die beginnenden industriemäßig organisierten „Vergasungen“, die Alliierten frühzeitig zum Eingreifen an diesem Punkt zu bewegen – bekanntlich vergebens.

Situation in Polen

Bei einer Gesamtbevölkerung von 33 Millionen lebten in Polen bei Kriegsbeginn etwa 3,5 Millionen meist nicht assimilierte Juden, denen ein Minderheitenstatus zuerkannt worden war und die sich meist auch durch Sprache, Kleidung und Kultur abhoben. Die Beziehungen zwischen den Volksgruppen waren nicht unproblematisch. Seit 1936 hatte sich auch in Polen der Antisemitismus verstärkt. Juden, die im östlichen von den Sowjets im September 1939 besetzten Teil Polens lebten oder sich dorthin geflüchtet und die die Rote Armee freudig begrüßt hatten, galten bei nationalbewussten Polen als illoyale Kollaborateure.[23]

Solidarität und Gleichgültigkeit

Als die Juden von den deutschen Besatzern in die so genannten „von der SS errichteten Ghettos (Jüd. Wohnbezirke)“ gezwungen wurden, reagierte die übrige polnische Bevölkerung eher gleichgültig. Die Historikerin Beate Kosmala urteilt:

„Antisemitische kulturelle Traditionen, die im Krieg durch die massive und gezielte Propaganda verstärkten oder erzeugten antisemitischen Stereotypen, Demoralisierung durch Unterdrückung und Not hatten offenbar kein allgemeines Klima von Mitgefühl gegenüber den von der Vernichtung bedrohten Juden entstehen lassen, sondern in breiten Kreisen eher dumpfe Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Fremden.“[24]

Abschreckend wirkte eine deutsche Verordnung vom 15. Oktober 1941, die flüchtenden Juden wie auch ihren Helfern die Todesstrafe androhte: „Juden, die den ihnen zugewiesenen Wohnbezirk verlassen, werden mit dem Tode bestraft. Die gleiche Strafe trifft Personen, die solchen Juden wissentlich Unterschlupf gewähren. Anstifter und Gehilfen werden wie der Täter, die versuchte Tat wird wie die vollendete bestraft.“[25]

Trotzdem fanden sich zahlreiche Helfer: Aus Polen stammen – den strengen Kriterien von Yad Vashem folgend – etwa 6532 „Gerechte unter den Völkern“. Mit dieser Zahl nimmt Polen den ersten Rang unter allen Nationen ein.[26][27] Zu ihnen gehört auch Irena Sendler, die zusammen mit Helfern etwa 2500 jüdische Kinder aus dem von der SS abgesperrten Warschauer Ghetto schmuggelte.

Żegota

Da es kriminelle Spitzel (Szmalcowniki) gab, die Schweigegelder von Flüchtlingen und Helfern erpressten, waren für ein Überleben gefälschte Geburtsurkunden und Ausweise fast unentbehrlich. Ab 1942 sorgte insgeheim der Rat für die Unterstützung der Juden (polnisch: Rada Pomocy Żydom) für zahlreiche Untergetauchte. Diese Organisation mit dem Tarnnamen Żegota stand unter der Schirmherrschaft der polnischen Exilregierung. Sie produzierte falsche Dokumente, besorgte Unterkünfte und verteilte regelmäßig Geldbeträge für Lebensmittel. Weit auseinander liegen die Schätzungen, wie viele Flüchtlinge von Żegota finanziell unterstützt wurden: Die Angaben schwanken für Warschau zwischen wenigen hundert bis viertausend.[28]

Militärischer Untergrund

Die Heimatarmee (Armia Krajowa / AK) akzeptierte jüdische Freiwillige nur dann, wenn ihre Herkunft nicht offensichtlich war. Jüdische Partisanengruppen wurden nicht unterstützt, sondern zum Beispiel im Sommer 1943 sogar von AK-Einheiten angegriffen.[28] Waffenlieferungen an den jüdischen Widerstand unterblieben nicht allein aus Mangel an Material: Den jüdischen Kämpfern wurde eine wohlwollende Haltung gegenüber den Sowjets unterstellt. Auch der bewaffnete Aufstand im Warschauer Ghetto wurde von der AK nicht nachhaltig unterstützt.

Demgegenüber nahmen kommunistische Untergrundorganisationen, die allerdings nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung fanden, flüchtige Juden vorbehaltlos auf und arbeiteten mit jüdischen Partisanen zusammen.

Rettung in Klöstern

Während der deutschen Besetzung sah sich auch die katholische Kirche Polens als Trägerin des Nationalgedankens der Überwachung und Verfolgung ausgesetzt. Die hohen Repräsentanten der katholischen Kirche setzten sich meist nicht öffentlich für die Juden ein; die Haltung im niederen Klerus war uneinheitlich.

Bedeutsam für die Rettung jüdischer Kinder wurden Ordensschwestern, die Waisenhäuser, Kinderkrippen und Internatsschulen betreuten. Zwischen Frühjahr 1942 und Sommer 1943 – also schon angesichts einer drohenden Todesstrafe – nahmen katholische Ordensschwestern zahlreiche jüdische Kinder auf, verschleierten deren Identität und entzogen sie der Deportation. Es gilt als gesichert, dass mindestens 1.500 jüdische Kinder in Klöstern und kirchlichen Einrichtungen überlebten.[29]

Deutungen

Die Angaben über die Gesamtzahl von Flüchtlingen, Geretteten und Rettern gehen weit auseinander. Einige Schätzungen belaufen sich auf 300.000 Juden, die durch Hilfeleistung von polnischen Judenrettern überlebten. Neue Untersuchungen hingegen halten selbst eine Zahl von 50.000 hierbei für zu hoch gegriffen.[30]

In den Augen vieler Juden war der Umfang der Hilfe in Polen gering und wird rückschauend von Erlebnissen mit Erpressern und Denunzianten überschattet; die Haltung der Bevölkerungsmehrheit wird von ihnen als „gleichgültig“ bezeichnet.[31] Eine Diskussion der Hilfeleistung während der Besatzungszeit und der polnisch-jüdischen Beziehungen, die sich auch in der Nachkriegszeit problematisch gestalteten, setzte in Polen erst in den späten 1980er Jahren ein, im Wesentlichen ausgelöst durch den Dokumentarfilm Shoah von Claude Lanzmann.

Schuhe am Donauufer“, Mahnmal in Budapest zur Erinnerung an die Pogrome an Juden durch Pfeilkreuzler in Ungarn

Weitere Länder

Belgien und die Niederlande gelten als relativ erfolgreiches Beispiel für die Rettung: In den Niederlanden überlebten 25.000 Juden. Das ist die höchste Anzahl unter den Yad-Vashem Auszeichnungen und bedeutet, dass einer von 1.800 Niederländern daran beteiligt war.[32] In Litauen war es einer von 3.600.[33]

In Assisi, Italien, waren der Oberst Valentin Müller von der Wehrmacht, der Bürgermeister, Bischof Giuseppe Placido Nicolini und dessen Bevollmächtigter, Franziskaner-Pater Rufino Niccacci, an der Rettung von Juden beteiligt.

Der portugiesische Generalkonsul in Bordeaux Aristides de Sousa Mendes (1885–1954) rettete in einem kurzen Zeitabschnitt im Jahr 1940 viele vor Hitler Fliehende, indem er ihnen gegen die ausdrückliche Anweisung seiner Regierung Visa ausstellte, die ihnen eine Durchreise durch das faschistische Spanien nach Portugal ermöglichte.[34] Er wurde deshalb kurz darauf vom Staatschef Salazar seines Amtes enthoben und starb nach dem Krieg inzwischen verarmt.

Siehe auch

Literatur

Forschung

  • Susanne Beer: Die Banalität des Guten. Hilfeleistungen für jüdische Verfolgte 1941–1945. Metropol, Berlin 2018, ISBN 978-3-86331-396-8, 385 S.
  • Bernward Dörner: Justiz und Judenmord. Todesurteile gegen Judenhelfer in Polen und der Tschechoslowakei 1942–1944. In: Norbert Frei (Hrsg.): Ausbeutung, Vernichtung, Öffentlichkeit. Neue Studien zur nationalsozialistischen Lagerpolitik. Saur, München 2000, S. 249–263, ISBN 3-598-24033-3.
  • Heike Drummer: Gegen den Strom. Solidarität und Hilfe für verfolgte Juden in Frankfurt und Hessen. Fritz Backhaus/Monica Kingreen (Hrsg.), Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-9809814-9-1, 80 S.
  • Christiane Goos: »Ich habe mich geschämt, daß ich zu denen gehöre…«. Rettungswiderstand in der Wehrmacht im besetzten Polen 1939 bis 1945. Reihe: Velbrück Wissenschaft. v. Hase & Köhler Verlag, Weilerswist-Metternich 2020, ISBN 978-3-77581-4-133, 388 S.
  • Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Hilfe und Rettung für Juden in Deutschland 1941–1945. Reihe: Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Band 5, Metropol Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-932482-86-7 (Rezension).
  • Beate Kosmala: Ungleiche Opfer in extremer Situation – Die Schwierigkeiten der Solidarität im okkupierten Polen. In: Wolfgang Benz, Juliane Wetzel (Hrsg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Band 1: Regionalstudien. Metropol, Berlin 1996, ISBN 3-926893-43-5.
  • Ad van Liempt: Kopfgeld. Bezahlte Denunziation von Juden in den besetzten Niederlanden. Siedler, München 2005, ISBN 3-88680-801-7.
  • Arno Lustiger: Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit. Wallstein, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0990-6.
  • Samson Madievski; Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V. (Hrsg.): Die anderen Deutschen: Rettungswiderstand im Dritten Reich. Shaker Media, Aachen 2008, ISBN 978-3-940459-36-7; englische Ausgabe: The Other Germans: Rescuers’ Resistance in the Third Reich. Shaker Media, Aachen 2008, ISBN 978-3-86858-059-4.
  • Bob Moore: Survivors: Jewish self-help and rescue in Nazi-occupied Western Europe. Oxford University Press, Oxford 2010, ISBN 978-0-19-920823-4.
  • Brigitte Ungar-Klein: Schattenexistenz – Jüdische U-Boote in Wien 1938 - 1945. Picus-Verlag, Wien 2019, 376 Seiten, ISBN 9783711720795.
  • Wolfram Wette: Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-15852-4.

Eigenberichte und Biografien

  • Else R. Behrend-Rosenfeld: Ich stand nicht allein. Erlebnisse einer Jüdin in Deutschland 1933–1944. 3. Auflage, Europäische Verlagsanstalt, Köln und Frankfurt am Main 1979 (Erstauflage Hamburg 1949), ISBN 3-434-00412-2.
  • Franz Severin Berger, Christiane Holler, Holly Holunder: Überleben im Versteck. Schicksale in der NS-Zeit. Ueberreuter, Wien 2002, ISBN 3-8000-3836-6.
  • Alexander Bronowski: Es waren so wenige. Retter im Holocaust. Hänssler, Holzgerlingen 2002, ISBN 3-7751-3811-0 (1. Auflage 1991).
  • Inge Deutschkron: Ich trug den gelben Stern. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1978, ISBN 3-8046-8555-2, dtv, München 1992, ISBN 3-423-30000-0.
  • Eugen Herman-Friede: Abgetaucht! Als U-Boot im Widerstand. Gerstenberg, Hildesheim 2004, ISBN 3-8067-5072-6.
  • Norbert Giovannini, Ingrid Moraw, Reinhard Riese, Claudia Rink: Stille Helfer. Eine Spurensuche in Heidelberg 1933–1945. Kurpfälzischer Verlag, Heidelberg 2019, ISBN 978-3-924566-71-5 (über 27 Personen).
  • Dennis Riffel: Unbesungene Helden. Metropol, Berlin 2007, ISBN 3-938690-22-4.
  • Diana Wang: Die versteckten Kinder. Aus dem Holocaust nach Buenos Aires. Aus dem argentinischen Spanisch von Sylvia Carmen Degen. Hentrich & Hentrich, Berlin 2012, ISBN 978-3-942271-72-1.

Sonstige

Filme

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Beate Kosmala: Verbotene Hilfe. (PDF; 328 kB) Bonn 2004 (Hrsg.: Friedrich-Ebert-Stiftung), S. 9.
  2. schrieb K. Plagge einem der geretteten Juden 1948, cit. faz.net; abgerufen am 17. Mai 2015.
  3. Beate Meyer; Lebensrettende Hilfe für Jüdinnen und Juden in Deutschland – ein Projektbericht. In: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Hilfe oder Handel? Rettungsbemühungen für NS-Verfolgte. Bremen 2007, ISBN 978-3-86108-874-5, S. 207
  4. gemeint ist mit Untergrund hier die Illegalität nicht unbedingt eine organisierte Untergrundbewegung. Beate Kosmala, Claudia Schoppmann: Überleben im Untergrund – Zwischenbilanz eines Forschungsprojekts. S. 22; ISBN 3-932482-86-7
  5. Wolfgang Benz, Juliane Wetzel: Möglichkeiten und Formen der Hilfe für verfolgte Juden. In: Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit, Bd. 1, Berlin 1996, ISBN 3-926893-43-5, S. 15
  6. Isabel Enzenbach: Zur Problematik des Begriffs „Retter“. S. 244. In: Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hrsg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Band 5. Berlin 2002, ISBN 3-932482-86-7
  7. Claudia Schoppmann: Rettung von Juden..., S. 114. In: ISBN 3-932482-86-7
  8. Der Freie Zahnarzt, Nr. 2, 2010, S. 8
  9. Ruth Schneeberger: Überleben im Versteck. Über die Ausstellung „Kinder im Versteck“ – Verfolgt. Untergetaucht. Gerettet? im Abgeordnetenhaus Berlin. Ruth und Walter Abraham und deren 1943 geborene Tochter Reha, inzw. verheiratete Reha Sokolow, verdanken insbesondere Maria Nickel ihr Überleben nach 1942. Die übrige Familie wurde ins KZ Theresienstadt deportiert und danach ermordet. Süddt. Ztg. vom 31. Oktober 2013
  10. Israel Gutman, Daniel Fraenkel, Jacob Borut: Lexikon der Gerechten unter den Völkern: Deutsche und Österreicher. Wallstein Verlag, 2005, ISBN 978-3-89244-900-3, S. 194.
  11. Wolfram Wette, Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht, Frankfurt am Main 2002, S. 122–141
  12. Die Jüdin und der Hauptmann, Dokumentation, BRD 1994, 16mm, s/w + Farbe, 92 Min. Buch und Regie: Ulf von Mechow. Hessischer Rundfunk
  13. Am 16. Juli 1903 in Escherningken, Ostpreußen, geboren. Rechtsanwalt. Trat 1931 in die NSDAP ein. Bei Kriegsausbruch eingezogen. „Entscheidungsstelle über die Meldepflicht aus VO 6/41“ im Generalkommissariat für Verwaltung und Justiz. Joh. Winter: Fiktive natürliche Väter. In: taz, 12. Juli 2003.
  14. Rudolf Weigl's Institute (Englisch) In: Lviv Interactive . Abgerufen am 12. Juni 2022.
  15. Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst… München 2006, ISBN 3-88680-843-2, S. 181
  16. Beate Meyer: „Goldfasane“ und „Narzissen“. Die NSDAP im ehemals „roten“ Stadtteil Hamburg-Eimsbüttel. Hamburg 2002, ISBN 3-9808126-3-4, S. 104.
  17. vgl. Beate Kosmala: Missglückte Hilfe und ihre Folgen: Die Ahndung der „Judenbegünstigung“ durch NS-Verfolgungsbehörden. In: ISBN 3-932482-86-7.
  18. Beate Kosmala: Missglückte Hilfe…, ISBN 3-932482-86-7, S. 220.
  19. Dennis Riffel: Unbesungene Helden. Metropol, Berlin 2007, ISBN 3-938690-22-4.
  20. Denis Riffel: ‚Unbesungene Helden’: Der Umgang mit ‚Rettung’ im Nachkriegsdeutschland. In: Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Berlin 2002, ISBN 3-932482-86-7, S. 334.
  21. gedenkstaette-stille-helden.de.
  22. Wer war Paul Grüninger? In: Paul Grüninger Stiftung, Kurzporträt.
  23. Beate Kosmala: Ungleiche Opfer in extremer Situation – Die Schwierigkeiten der Solidarität im okkupierten Polen. In: Wolfgang Benz, Juliane Wetzel (Hrsg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Band 1: Regionalstudien. Berlin 1996, ISBN 3-926893-43-5.
  24. <Beate Kosmala: Ungleiche Opfer … ISBN 3-926893-43-5, S. 96.
  25. Beate Kosmala: Ungleiche Opfer …, S. 40
  26. Jahr 2007; Beate Kosmala nennt auf S. 91 veraltete Zahlen
  27. Über die Gerechten – Statistiken auf der Website von Yad Vashem
  28. a b Beate Kosmala: Ungleiche Opfer …, S. 43
  29. Beate Kosmala: Ungleiche Opfer …, S. 66
  30. Beate Kosmala: Ungleiche Opfer …, S. 91
  31. Beate Kosmala: Ungleiche Opfer …, S. 92
  32. fpmedia.club.officelive.com (Memento vom 13. April 2012 im Internet Archive)
  33. Statistiken | www.yadvashem.org. (Nicht mehr online verfügbar.) Ehemals im Original; abgerufen am 13. September 2019.@1@2Vorlage:Toter Link/statistics.html (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven)
  34. Jose-Alain Fralon: Der Gerechte von Bordeaux. Wie Aristides de Sousa Mendes 30000 Menschen vor dem Holocaust bewahrte. Aus dem Französischen von Manfred Flügge. Verlag Urachhaus, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-8251-7768-3.