Spinelle

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Die Elementarzelle des Nickelaluminats. Blau: Sauerstoff, Rot: Nickel, Grau: Aluminium

Spinelle sind chemische Verbindungen des allgemeinen Typs AB2X4, wobei A,B Metallkationen sind, deren Oxidationszahl die Summe 8 ergibt, und X vorwiegend ein zweiwertiges Sauerstoff- bzw. Schwefel-Anion ist (also die Verbindung insgesamt ein Oxid bzw. Sulfid).

Wichtige Beispiele sind der (Magnesium-)Spinell genannte Namensgeber der Verbindungsklasse (MgAl2O4) sowie Gahnit (ZnAl2O4).

Bei den normalen Spinellen befinden sich alle 16 B-Atome auf den oktaedrischen Gitterplätzen, bei den inversen Spinellen sind je acht B- und acht A-Atome oktaedrisch koordiniert.[1]

Geschichte

Die Spinellstruktur gehört zu den ersten Kristallstrukturen, an denen eine erfolgreiche Röntgenstrukturanalyse ausgeführt wurde, kurz nachdem 1912 die Röntgenbeugung entdeckt worden war. Die Spinellstruktur wurde 1915 durch Shoji Nishikawa (1884–1952) anhand von Laue-Diagrammen aufgeklärt,[2] und unabhängig davon durch William Henry Bragg.[3][4] 1931 wurde erkannt, dass die Kationen nicht völlig regelmäßig verteilt sind (Machatschki).

Kristallstruktur

Spinellstruktur
Grün Mg2+, Blau Al3+, Rot O2−

Viele Verbindungen des Typs AB2O4 kristallisieren in der Kristallstruktur vom Spinelltyp, die zu den wichtigsten und häufigsten Strukturtypen gehört und nach dem Hauptmineral auch als Spinellstruktur bezeichnet wird (Strukturbericht-Bezeichnung H11, Pearson-Symbol cF56, Raumgruppe Fd3m (Nr. 227)Vorlage:Raumgruppe/227).

Die O2−-Ionen bilden dabei ein kubisch-dichtes Kristallgitter, dessen Tetraederlücken zu einem Achtel von meist zweifach positiv geladenen A-Ionen wie Mg2+ und dessen Oktaederlücken zur Hälfte von meist dreifach positiv geladenen B-Ionen wie Al3+ besetzt sind. Andere Ladungen sind auch möglich, z. B. W6+(Na+2)O4

Inverse Spinelle haben auch die allg. Formel AB2O4. Sie liegen im selben Gitter vor, allerdings besetzen die A-Ionen hier ein Viertel der Oktaederlücken sowie die B-Ionen ein Viertel der Oktaeder- und ein Achtel der Tetraederlücken. Somit sind insgesamt wieder die Oktaederlücken zur Hälfte und die Tetraederlücken zu einem Achtel besetzt. Beispiele sind Magnetit Fe3O4 (=Fe(III)2Fe(II)) und TiMg2O4.

Berechnung

Es ist möglich, vorherzusagen, ob ein Spinell normal oder invers ist. Dazu vergleicht man die Ligandenfeldstabilisierungsenergien (LFSE) des normalen und des inversen Spinells.

Beispiel

FeCr2O4:

  • Fe2+:
    • Tetraederlücke: Im tetraedrischen Ligandenfeld werden die 3 t2-Orbitale um 4 Dq angehoben und die 2 e-Orbitale um 6 Dq abgesenkt. Diese werden mit 6 Elektronen aufgefüllt (Fe2+ ist ein d6-Ion). Damit liegt die LFSE bei
.
Da ,
entspricht dies einer LFSE von
.
  • Oktaederlücke: Im oktaedrischen Ligandenfeld werden die 2 eg-Orbitale um 6 Dq angehoben und die 3 t2g-Orbitale um 4 Dq abgesenkt. Diese werden mit 6 Elektronen in der High-spin-Anordnung aufgefüllt. Damit liegt die LFSE bei
.
  • Cr3+:
  • Tetraederlücke: Cr3+ ist ein d3-Ion. Damit liegt die LFSE bei
.
Da ,
entspricht dies einer LFSE von
.
  • Oktaederlücke: Die LFSE liegt bei
.

Normaler Spinell (FeTCrOCrOO4):

Inverser Spinell (FeOCrTCrOO4):

Damit hat der normale Spinell eine höhere Ligandenfeldstabilisierungsenergie. FeCr2O4 liegt als normaler Spinell vor.

Minerale und Varietäten

Franklinit
Hercynit
Roter und blauer Spinell

Aktuell gehören folgende Minerale zu der von der International Mineralogical Association (IMA) anerkannten Spinell-Supergruppe (auch Spinell-Obergruppe), die nach Ferdinando Bosi, Cristian Biagioni und Marco Pasero entsprechend ihrer Zusammensetzung in Untergruppen aufgeteilt werden (Stand 2019):[5]

Linneit (silbriger Oktaeder) in Magnetitmatrix

Der 1978 von De Waal beschriebene Nichromit mit der Formel NiCr2O4 würde ebenfalls bei den Oxispinellen eingeordnet. Die Erstbeschreibung und der gewählte Name wurden allerdings ohne Prüfung durch die CNMNC publiziert, daher ist Nichromit bisher nicht als eigenständige Mineralart anerkannt.

Vorkommen

Spinelle sind geologisch außerordentlich wichtig.[9] Viele Minerale kristallisieren in der Spinellstruktur, darunter sind neben den Oxiden auch Sulfide, Selenide und Silikate. Die aktuelle und von der IMA/CNMNC neu definierte Spinell-Supergruppe führt derzeit 56 Minerale (Stand 2018).[5] Es wird vermutet, dass der Spinell Ringwoodit einen größeren Anteil des Erdmantels bildet.[9]

Synthesen

Die Synthese von Spinellen wird oft durch Coprezipitation erreicht. Dabei werden zum Beispiel erst die Chloride des jeweiligen Metalls in Lösung gebracht, als Hydroxide gefällt und abschließend gebrannt.

Folgende synthetisch hergestellte Spinelle sind bisher bekannt:

  • das Pigment Thénards Blau, ein Cobaltaluminat mit der Formel CoAl2O4
  • Cobaltschwarz, auch Cobalt(II,III)-oxid mit der Formel Co2+Co3+2O4, das ein Zwischenprodukt bei der Gewinnung von metallischen Cobalt ist
  • Zink-Cobalt-Spinell, auch Zinkkobaltit mit der Formel ZnCo2O4 ist grün-schwarz. Rinmans Grün hat eine ähnliche Zusammensetzung und wurde irrtümlicherweise oft als Spinell bezeichnet, ist aber ein Mischoxid der Zusammensetzung ZnO*(CoO)*x (x=5 %).

Verwendung

Der Cobalt-Spinell CoAl2O4 Cobaltaluminat (Thénards Blau) ist als Farbpigment in der Industrie und in der klassischen analytischen Chemie als Nachweisreagenz bekannt. Auch andere Spinelle werden als gegenüber Licht, Wetter und Chemikalien beständige Pigmente verwendet.[10], siehe auch Mischphasenoxidpigmente. Ferner werden farbige oder schwarze Spinelle als Schmucksteine verwendet, insbesondere die des eigentlichen Spinells. Eisenspinelle werden als Fotokatalysatoren eingesetzt, Cobaltchromit als Katalysator beim Abbau von Schadstoffen.[11]

Magnetit ist eines der wichtigsten Eisenerze. Es dient als Pigment und wurde in der magnetischen Datenspeicherung eingesetzt. Ähnlich wie Yttrium-Eisen-Granat werden Magnetit und verwandte Spinelle auch als Ferrite in Ferritkernen (auch für Mikrowellen geeignet) eingesetzt. Sie besitzen allerdings höhere Verluste.

Literatur

  • Will Kleber, Joachim Bohm, Hans-Joachim Bautsch: Einführung in die Kristallographie. 18. Ausgabe. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 1998, ISBN 978-3-486-27319-9; S. 160.
  • Taschenbuch der Hochfrequenztechnik, Lange K. + Löcherer K.H., Springer-Verlag, ISBN 3-540-54715-0, S. L38 (Spinelle)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eintrag zu Spinelle. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 26. Mai 2021.
  2. Shoji Nishikawa: Structure of some crystals of the spinel group. In: Proceedings of the Tokyo Mathematico-Physical Society. Band 8, 1915, S. 199–209.
  3. William Henry Bragg: XXX. The structure of the spinel group of crystals. In: Philosophical Magazine Series 6. Band 30, Nr. 176, 1915, S. 305–315, doi:10.1080/14786440808635400.
  4. R. Gross, Übersetzung und Erläuterung von "W. H. Bragg: Structure of the spinel group of crystals", in: Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie and Paläontologie, 1. Band 1917 online
  5. a b Ferdinando Bosi, Cristian Biagioni, Marco Pasero: Nomenclature and classification of the spinel supergroup. In: European Journal of Mineralogy. Band 31, Nr. 1, 12. September 2018, S. 183–192, doi:10.1127/ejm/2019/0031-2788 (englisch).
  6. a b c d e f Malcolm Back, William D. Birch, Michel Blondieau und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: March 2019. (PDF 1703 kB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Marco Pasero, März 2019, abgerufen am 16. Juni 2019 (englisch).
  7. a b Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. 6. vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2014, ISBN 978-3-921656-80-8.
  8. Mindat – Picotit
  9. a b Cristian Biagioni, Marco Pasero: The systematics of the spinel-type minerals: An overview. In: American Mineralogist. Band 99, Nr. 7, 2014, S. 1254–1264, doi:10.2138/am.2014.4816 (Vorabversion online [PDF]).
  10. Kreidezeit Naturfarben GmbH – Pigmente, Produktinformation (PDF 159 kB)
  11. Christian Suchomski: Strukturelle, optische und magnetische Eigenschaften von Nanokristallinen Metalloxid-Dünnfilmen mit mesoporöser Morphologie. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades „Doctor rerum naturalium“. Physikalisch-Chemisches Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen März 2012, S. 7 (uni-giessen.de [PDF; 11,4 MB] zur Verwendung siehe Seite 7, Kapitel 2.1 Chrom- und Eisen-basierte Spinelle).