Glomeruläres Feedback

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Tubuloglomerulärer Feedback)

Das tubuloglomeruläre Feedback (auch im Maskulinum als tubuloglomerulärer Feedback bezeichnet; tubuloglomerulärer Rückkopplungsmechanismus[1]) beschreibt einen (neurohumoral gesteuerten) Mechanismus, mit dem die Filtration eines einzelnen Nephrons in der Niere und damit der Wasserhaushalt reguliert werden. Das glomerulotubuläre Gleichgewicht soll nicht gestört werden.[2] Mitunter wird auch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System als tubuloglomeruläre Rückkopplung bezeichnet.[3] Wegen der Bedeutung der Natrium-Konzentrationen sprach man früher auch von der Natrium-Rückkopplungstheorie.[4] Georg Schütterle und andere sprachen von der "sogenannten Autoregulation des Nierenkreislaufs".[5] Heinz Valtin schrieb über die „Autoregulation der GFR“.[6]

Physiologie

Nach dieser Theorie soll die filtrative Funktion der Glomeruli (deutsch: Nierenknäuelchen) von der resorptiven Funktion der Tubuli (deutsch: Nierenkanälchen) beeinflusst werden. Unklar bleibt, ob dieses Feedback

  • in beide Richtungen,
  • von den Glomeruli zu den Tubuli (glomerulotubuläres Feedback) oder
  • nur von den Tubuli zu den Glomeruli (tubuloglomeruläres Feedback, „tubulo-glomeruläre Rückkopplung“[7]) wirkt.

Üblich ist deswegen auch die Bezeichnung glomerulotubuläre Balance.[8][9] Über die Arbeitsteilung der Glomeruli und Tubuli hat sich schon Franz Volhard Gedanken gemacht.[10] François Reubi beschreibt sogar eine „glomerular-tubular imbalance“ als Störung des Gleichgewichtes zwischen glomerulärer Filtration und tubulärer Rückresorption.[11]

Ist die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) zu hoch, überschreitet die Menge des Natriumchlorids (NaCl, Kochsalz) im Primärharn die Resorptionsfähigkeit des Tubulus. Dadurch kommt es zum Anstieg der NaCl-Konzentration im Tubulus, der von der Sensorfunktion der Macula densa, einem Teil des juxtaglomerulären Apparats, über einen Ionentransporter (Na+/K+/2Cl-Symporter; NKCC) registriert wird. Diese Messung erfolgt indirekt über die Messung der Geschwindigkeit des Transports.

Bei hohen NaCl-Konzentrationen wird aus den Zellen der Macula densa Adenosin sezerniert, welches zur Kontraktion der glatten Muskulatur im Vas afferens führt. Bei Zunahme des NaCl-Gehalts im distalen Tubulus (Mittelstück) kommt es also zu einer Reduktion der glomerulären Filtrationsrate desselben Nephrons. Dadurch nimmt der Harnfluss durch die Henle-Schleife ab, es können mehr Ionen reabsorbiert werden und die Ionenkonzentration im distalen Tubulus nimmt wieder ab.[12]

Bei hypoosmolarem Primärharn stellt sich der gegenteilige Effekt ein. Die Tubuli regulieren den Wasserhaushalt; die Glomeruli filtern das Plasma proportional zum Herzzeitvolumen.

Prostaglandine hingegen vermitteln eine erhöhte Durchblutung der Nieren, was zur erhöhten NaCl- und Wasserausscheidung, also zur stärkeren GFR führt. Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) senken, infolge deren Hemmung der Prostaglandin-Synthese, die GFR.[13]

Geschichte

Diese Spekulationen gehen zurück auf den dänischen Physiologen Poul Kristian Brandt Rehberg.[14] Aufbauend auf seinen Arbeiten aus den 1920er Jahren wurden das tubuloglomeruläre Feedback[15] und das tubuloglomeruläre Gleichgewicht weiterentwickelt. Ursprünglich geht diese inzwischen verlassene, aber mitunter immer noch gelehrte, Hypothese zurück auf Homer William Smith (glomerulo-tubuläre Balance[16][17][18]). Danach wird der Rückgang der GFR bis hin zum glomerulären Shutdown[19] vom Rückgang der tubulären Rückresorptionsquote bewirkt.[20] Dabei werden die neurohumorale Regulierung der (in weiten Bereichen) gegenläufigen Entwicklung (tendenziell reziproke Proportionalität) der beiden Parameter Primärharnbildung und Sekundärharnbildung beziehungsweise die tendenzielle Proportionalität von glomerulärer Filtration und tubulärer Resorption übersehen. Sinn dieser autonomen Regulierung ist das Vermeiden unnötiger Wasserverluste, besonders bei großer körperlicher Belastung mit einer entsprechenden Zunahme von HZV und GFR. Es ist dabei von einer tendenziellen Proportionalität zwischen renaler Perfusion und glomerulärer Filtration auszugehen.[21]

Zahlenbeispiel

Beim durchschnittlichen Erwachsenen mit akutem Nierenversagen senkt ein Rückgang der tubulären Rückresorptionsquote um zum Beispiel 10 % mit einem induzierten Rückgang der GFR ebenfalls um 10 % (nach der mittlerweile obsoleten Feedback-Theorie) die GFR von vielleicht 150 l/d nur unwesentlich auf 135 l/d, die tägliche Urinmenge erhöht sich aber von 1,5 l/d (= 1 % von 150 l/d)[22] auf 13,5 l/d (= 10 % von jetzt 135 l/d). Das wäre eine extreme Polyurie (kompensatorische "Zwangspolyurie")[23][24] und damit genau das Gegenteil der postulierten Oligurie.[25] In der Fachliteratur wird sogar über eine Polyurie von 70 l/d nach erfolgreicher Behandlung eines akuten postrenalen Nierenversagens berichtet.[26] Die Autoren Klaus Thurau und John W. Boylan fordern "weitere Forschungen"; derzeit bezeichnen sie ihre Theorie über das Versagen des Feedback-Mechanismus des juxtaglomerulären Apparates als "spekulativ".[27] Eine Halbierung der tubulären Rückabsorptionsfunktion würde nach dieser Theorie die Urinproduktion auf 60 ml/min [sic!] (= 86,4 l/d). vergrößern.[28]

Kritik

Es bleibt unklar, ob ein tubuloglomerulärer Feedback (TGF) eine inverse oder aber eine proportionale Beziehung zwischen Primärharnbildung (=GFR) und Sekundärharnbildung (=Urin) postuliert. Vermutlich ist beides richtig:

  • Bei vergrößertem Herzzeitvolumen verhalten sich Primärharn und Sekundärharn gegensinnig. Wer beim Sport viel trinkt und noch mehr schwitzt, uriniert kaum.
  • Bei vergrößertem Herzzeitvolumen ohne Schwitzen verhalten sich Primärharn und Sekundärharn gleichsinnig. Wer viel trinkt, uriniert oft.
  • Bei reduziertem Herzzeitvolumen verhalten sich Primärharn und Sekundärharn gleichsinnig, um beim Verdursten oder im Koma Wasser zu sparen.

Dabei ist zu beachten, dass die glomeruläre Filtrationsrate und die Kreatinin-Clearance nur bei optimal hydrierten Lebewesen (ohne ein kardiorenales Syndrom) valide bestimmt werden können. In allen anderen Fällen verändert die kompensatorisch gesteigerte Tubulusfunktion die Konzentration der harnpflichtigen Stoffe im Blut und im Urin. Eine Ausnahme ist die GFR-Bestimmung mittels Cystatin C, welches (bei Anurie oder Oligurie) zwar ebenfalls tubulär rückresorbiert, dann aber noch im Tubulus vollständig zerstört wird, ohne in den Blutkreislauf zurückzukehren.

Der juxtaglomeruläre Apparat heißt so, weil er als Bestandteil des Tubulus dem glomerulären Blutzufluss direkt anliegt (lateinisch juxta = nahe bei). Durch diese räumliche Nähe wird ein Informationsaustausch (englisch Feedback = Rückkoppelung) gewährleistet. Die Tubuli können so auf Veränderungen der renalen Perfusion mit Veränderungen der tubulären Rückresorption reagieren. Dabei fließen Informationen vom Glomerulum zum Tubulus und nicht umgekehrt vom Tubulus zum Glomerulum. Bei reduziertem Herzzeitvolumen wird die tubuläre Rückresorption vergrößert mit dem Ergebnis einer beabsichtigten Anurie. Bei erhöhtem Herzzeitvolumen wird die tubuläre Rückresorption verkleinert mit dem Ergebnis einer beabsichtigten Polyurie. Beim vermehrten Elektrolytverlust durch Transpiration wird die tubuläre Rückresorption vergrößert mit dem beabsichtigten Ergebnis einer Oligurie oder Anurie.

Einzelnachweise

  1. Hans Joachim Sarre: Nierenkrankheiten, 4. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1976, ISBN 3-13-392804-X, S. 63.
  2. Hans Joachim Sarre: Nierenkrankheiten, 4. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1976, ISBN 3-13-392804-X, S. 212.
  3. Claas Wesseler: Physiologie, Band 1, 3. Auflage, Medi-Learn, Marburg 2009, ISBN 978-3-938802-58-8, S. 38.
  4. Karl Klütsch, Ernst Wollheim, Hans-Jürgen Holtmeier (Hrsg.): Die Niere im Kreislauf, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1971, ISBN 3-13-468201-X, S. 66.
  5. Georg Schütterle, Gert Müller-Berghaus, Klaus Müller, Gerhard Goubeaud, Walter Krause: Renale Mikrozirkulation im Schock, in: Karl Klütsch, Ernst Wollheim, Hans-Jürgen Holtmeier (Hrsg.): Die Niere im Kreislauf, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1971, ISBN 3-13-468201-X, S. 90.
  6. Heinz Valtin: Funktion der Niere, F. K. Schattauer Verlag, Stuttgart / New York 1978, ISBN 3-7945-0556-5, S. 76.
  7. Thews, Mutschler, Vaupel: Ernst Mutschler, Hans-Georg Schaible, Peter Vaupel: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen. 6. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8047-2342-9, S. 464.
  8. Tinsley Randolph Harrison: Harrisons Innere Medizin, elektronisches Kapitel 3(332e).
  9. Heinz Valtin: Funktion der Niere, F. K. Schattauer Verlag, Stuttgart / New York 1978, ISBN 3-7945-0556-5, S. 76.
  10. Franz Volhard: Die doppelseitigen hämatogenen Nierenerkrankungen. In: Gustav von Bergmann, Rudolf Staehelin (Hrsg.): Handbuch der inneren Medizin, 2. Auflage, 6. Band, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 1931, ISBN 978-3-662-42701-9 (Nachdruck), S. 64.
  11. François Reubi: Nierenkrankheiten, Verlag Hans Huber, 2. Auflage, Bern / Stuttgart / Wien 1970, S. 151.
  12. Heinrich Knauf, Ernst Mutschler: Diuretika, Urban & Schwarzenberg, 2. Auflage, München / Wien / Baltimore 1992, ISBN 3-541-11392-8, S. 41 und S. 51–61.
  13. Heinz Lüllmann u. a.: Pharmakologie und Toxikologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-13-368516-3, S. 291.
  14. Poul Brandt Rehberg: Über die Bestimmung der Menge des Glomerulumfiltrates mittels Kreatinin als Nierenfunktionsprüfung, nebst einigen Theorien über die Harnbereitung. In: Zentralblatt für innere Medizin. 50. Jahrgang, 1929, S. 367–377.
  15. Gerd Harald Herold: Innere Medizin. Eigenverlag, Köln 2019, ISBN 978-3-9814660-8-9, S. 636.
  16. Heinrich Holzgreve, Hans Bräuer: Niere, Hochdruck und Ödeme. Bildatlas. Röhm Pharma, Weiterstadt ohne Jahr, S. 65.
  17. Gert Mayer: Das kardiorenale Syndrom. Uni-Med-Verlag, Bremen / London / Boston 2013, ISBN 978-3-8374-1335-9, S. 26.
  18. John W. Boylan, Peter Deetjen, Kurt Kramer: Niere und Wasserhaushalt. Urban & Schwarzenberg, München / Berlin / Wien 1970, ISBN 3-541-04911-1, S. 32.
  19. Klaus Thurau, John W. Boylan: Acute Renal Success − The Unexpected Logic of Oliguria in Acute Renal Failure. In: The American Journal of Medicine. Volume 61, September 1976, S. 313. Auf Seite 314 wird das vollständige Nierenversagen sogar als Bankrott bezeichnet.
  20. J. Schnermann, F. S. Wright, J. M. Davis, W. von Stackelberg, G. Gill: Regulation of superficial nephron filtration rate by tubulo-glomerular feedback. In: Pflügers Archiv. Ausgabe 318, Juni 1970, S. 147–175.
  21. Bei „Experimenten an Hunden ... änderte sich die glomeruläre Filtrationsrate in direktem Verhältnis zur renalen Durchblutung.“ Quelle: Heinz Valtin: Funktion der Niere, F. K. Schattauer Verlag, Stuttgart / New York 1978, ISBN 3-7945-0556-5, S. 60, Abbildung 6.5.b.
  22. Heinrich Holzgreve, Hans Bräuer: Niere, Hochdruck und Ödeme. Bildatlas. Röhm Pharma, Weiterstadt ohne Jahr, S. 43.
  23. Hans Erhard Bock, K. H. Hildebrand, Hans Joachim Sarre (Hrsg.): Franz Volhard: Erinnerungen, Schattauer Verlag, Stuttgart / New York 1982, ISBN 3-7845-0898-X, S. 30.
  24. Franz Volhard: Vor die Therapie setzten die Götter die Diagnose, Hoffmann-La Roche, Grenzach 1952, S. 9.
  25. Georg Sabin: Der kardiogene Schock. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1984, ISBN 3-17-008618-9, S. 21.
  26. Marlys H. Witte, Floyd A. Short, Walter Hollander: Massive polyuria and natriuresis following relief of urinary tract obstruction. In: The American Journal of Medicine. 37. Jahrgang, Issue 2, August 1964, S. 320–326.
  27. Klaus Thurau, John W. Boylan: Acute Renal Success − The Unexpected Logic of Oliguria in Acute Renal Failure. In: The American Journal of Medicine. Volume 61, September 1976, S. 314.
  28. Klaus Thurau, John W. Boylan: Acute Renal Success − The Unexpected Logic of Oliguria in Acute Renal Failure. In: The American Journal of Medicine. Volume 61, September 1976, S. 311.